Auf welche Ressourcen stützt sich die kriegerische Schlagkraft der USA und wo liegen ihre inneren Schwächen? Werner Biermann/Arno Klönne informieren über die Struktur der US-Streitkräfte, über deren Personal, Einsatzfelder und strategische Konzepte. Sie geben Einblick in Geschichte und Geographie militärischer US-Interventionen, zeichnen die Verflechtung von militärischen und wirtschaftlichen Interessen nach und fragen, welche Resultate die gewaltförmigen Eingriffe der Vereinigten Staaten in die globale Entwicklung zeitigen. Biermann/Klönne setzen sich auch mit dem weltweiten »Gewaltmarkt« auseinander, den Verbindungen zwischen öffentlichen und privaten militärischen Systemen. The Big Stick legt offen, welche dramatischen Konsequenzen die derzeit herrschende »Enttabuisierung des Militärischen« hat, hegemonial betrieben von der US-amerikanischen Regierungspolitik und nachvollzogen von deren konkurrierenden Mitspielern.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2003Rüsten für die Wiederwahl
Die Militärindustrie stellt in den Vereinigten Staaten einen der wesentlichsten Wirtschaftsfaktoren dar
WERNER BIERMANN und ARNO KLÖNNE: The Big Stick. Imperiale Strategie und globaler Militarismus – Die USA als Megamacht? PapyRossa Verlag, Köln 2003. 270 Seiten, 15,50 Euro.
Mit 455 Milliarden Dollar muss George W. Bush das größte Staatsdefizit aller Zeiten verantworten. Derweil erhöht sich die Zahl der getöteten GIs im Irak fast täglich. Der US-Präsident erlebt dieser Tage ein innen- und außenpolitisches Fiasko, das die Welt in seinem Ausmaß überrascht – wurden die USA, was ihre militärisch-ökonomische Kraft und Stärke angeht, doch gerne als letzte Supermacht beschrieben.
Weniger überrascht von der augenblicklichen Entwicklung dürften indes Werner Biermann und Arno Klönne sein, die in ihrem Buch „The Big Stick” den Mythos der Megamacht USA entlarven. Tatsächlich seien die USA – heillos überschuldet und vom „imperial overstretch”, der imperialen Überdehnung, bedroht – ein Koloss auf tönernen Füßen. Genüsslich listen die Soziologen von der Universität Paderborn die blinden Flecken am sonst so gleißenden Bild der Supermacht USA auf: Obwohl vom US-Präsidenten zum Teil der „Achse des Bösen” erklärt, bastle das Regime in Nord-Korea trotzig weiter an seinem Atomprogramm. „Und wie reagiert Washington?”, fragen Biermann und Klönne. „Indem es Verhandlungen anbietet.”
Oberschurke vom Dienst
Auch andere erklärte Schurken wie Libyens Staatschef Muammar el Gaddafi oder Kubas Fidel Castro seien noch im Amt – allen US-Bombardements (gegen Libyen) oder Embargos und Umsturzversuchen (gegen Kuba) zum Trotz. Selbst der „aktuelle Oberschurke, Osama bin Laden,” erfreue sich seiner Freiheit wie auch der frühere irakische Diktator Saddam Hussein. Die USA sind nicht übermächtig, glauben Biermann und Klönne, sondern ohnmächtig.
Als zentrale Ursache identifizieren die Autoren die Militarisierung der US-Gesellschaft. Die Verbindung von Streitkräften und Zivilgesellschaft gelingt in den USA allerdings nicht über die Doppelgestalt des Staatsbürgers als Zivilist und Soldat – die USA haben 1973 die Wehrpflicht abgeschafft. Zu einer in letzter Konsequenz pathogenen Verquickung von Militär und Öffentlichkeit komme es vielmehr über die Ebene der Politik, was sich mit der Formel beschreiben lässt: Rüsten für die Wiederwahl. Nach Recherchen von Biermann und Klönne, die als Quellen immer wieder auch die Berichte der jeweiligen Verteidigungsminister heranziehen, stellen die Rüstungsbetriebe im Wirtschaftsleben der USA einen wesentlichen Faktor dar, ohne den in den Südstaaten ganze Regionen und Wirtschaftszweige nicht überlebensfähig wären. „Landespolitiker sind daher bestrebt, Finanzmittel für diese Bereiche vom Bund abzuwerben, wobei der eigentliche militärische Nutzen nicht interessiert”, schreiben sie.
So meldete die US-Luftwaffe 1978 einen Bedarf von fünf Flugzeugen vom Typ C-130 an. Nach Intervention des einflussreichen Politikers Newt Gingrich, in dessen Wahlkreis sich die Produktionsstätte befand, stellte der Kongress laut Biermann und Klönne am Ende die Mittel für 256 Flugzeuge bereit. Proteste, etwa aus dem anderen politischen Lager, blieben aus: „Andere Politiker machten sich über die Parteigrenzen hinweg für die Beschaffung stark; die neuen Maschinen wurden an die Nationalgarde der jeweiligen Heimatstaaten übergeben, was sich medienwirksam vermarkten lässt”, schreiben die Autoren. So stattete Trent Lott, der frühere Sprecher der Republikanischen Partei im Kongress, die Nationalgarde mit 13 dieser Flugzeuge aus. Was keinen Sinne macht, wie Biermann und Klönne anmerken, „es sei denn, die Nationalgarde würde sich freiwillig an einer auswärtigen Invasion beteiligen, was jedoch verfassungsrechtlich nicht zulässig ist”.
Es ist dies ein System, das Methode hat und viel Geld kostet. Nach Erkenntnissen der beiden Autoren gelang es den Politikern, in deren Bundesstaaten die Rüstungsindustrie von zentraler Bedeutung ist, bei den Verhandlungen zum Haushalt 1999 zusätzliche neun Milliarden Dollar für Militärprojekte locker zu machen, „die vom Verteidigungsministerium gar nicht vorgesehen waren”. Um der Kapitalfalle Rüstung zu entgehen – allein für die Wartung der offensichtlich überflüssigen C-130 fallen eine Milliarde Dollar an –, haben sich die USA zum weltweit führenden Waffenexporteur entwickelt. US-Rüstungskonzerne haben laut der „Federation of American Scientists” bereits 2001 fast 50 Prozent des Weltmarktes für Rüstung und Waffen kontrolliert. „Tendenz steigend”, so Biermann und Klönne.
Womit sich auch erklärt, wie die Autoren mit Blick auf den Irak feststellen, warum die USA ihre Feinde von morgen selbst aufrüsten: „Bei dem Waffenarsenal des Irak handelte es sich, wie bei den anderen Staaten im Nahen Osten und am Golf, nicht um Eigenwuchs, sondern um einen Systemimport; über Jahrzehnte hin entwickelte sich die Golf-Region zum höchst profitablen Absatzgebiet für westliche Rüstungsgüter.”
Allein: An der Finanzmisere der USA vermag das wenig zu ändern. Noch bevor George W. Bush das verheerende Staatsdefizit bekannt geben musste, bescheinigten Biermann und Könne der Supermacht die Pleite: mit einer Nettoverschuldung gegenüber dem Ausland von fast drei Billionen Dollar und einer jährlichen Neuverschuldung von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts sei Amerika auf ausländische Gelder angewiesen. „Die USA sind überschuldet, sie können ihren Finanzierungsbedarf nicht mehr aus eigenen Mitteln sicherstellen; die wirtschaftliche Leistungskraft ist international dürftig, was die chronisch defizitären Handelsbilanzen belegen”, so Biermann und Klönne.
Und die Folgen? „Bei der Suche nach Gründen für den ökonomischen Niedergang der Sowjetunion seinerzeit wird oft auf den Rüstungskomplex als vergeudete ,Wirtschaft in der Wirtschaft’ hingewiesen”, verweisen die beiden Autoren auf das Ende eines russischen Imperiums. „Die Vereinigten Staaten haben den gleichen Weg eingeschlagen.”
ANDREAS BOCK
Tiefe Verstrickung von Militär und Zivilgesellschaft: Amerikanische Soldaten in Fort Lee, Virginia, feiern im Juni 2003 vor Sternenbannern den 228sten Geburtstag der amerikanischen Armee.
Foto: AP
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Die Militärindustrie stellt in den Vereinigten Staaten einen der wesentlichsten Wirtschaftsfaktoren dar
WERNER BIERMANN und ARNO KLÖNNE: The Big Stick. Imperiale Strategie und globaler Militarismus – Die USA als Megamacht? PapyRossa Verlag, Köln 2003. 270 Seiten, 15,50 Euro.
Mit 455 Milliarden Dollar muss George W. Bush das größte Staatsdefizit aller Zeiten verantworten. Derweil erhöht sich die Zahl der getöteten GIs im Irak fast täglich. Der US-Präsident erlebt dieser Tage ein innen- und außenpolitisches Fiasko, das die Welt in seinem Ausmaß überrascht – wurden die USA, was ihre militärisch-ökonomische Kraft und Stärke angeht, doch gerne als letzte Supermacht beschrieben.
Weniger überrascht von der augenblicklichen Entwicklung dürften indes Werner Biermann und Arno Klönne sein, die in ihrem Buch „The Big Stick” den Mythos der Megamacht USA entlarven. Tatsächlich seien die USA – heillos überschuldet und vom „imperial overstretch”, der imperialen Überdehnung, bedroht – ein Koloss auf tönernen Füßen. Genüsslich listen die Soziologen von der Universität Paderborn die blinden Flecken am sonst so gleißenden Bild der Supermacht USA auf: Obwohl vom US-Präsidenten zum Teil der „Achse des Bösen” erklärt, bastle das Regime in Nord-Korea trotzig weiter an seinem Atomprogramm. „Und wie reagiert Washington?”, fragen Biermann und Klönne. „Indem es Verhandlungen anbietet.”
Oberschurke vom Dienst
Auch andere erklärte Schurken wie Libyens Staatschef Muammar el Gaddafi oder Kubas Fidel Castro seien noch im Amt – allen US-Bombardements (gegen Libyen) oder Embargos und Umsturzversuchen (gegen Kuba) zum Trotz. Selbst der „aktuelle Oberschurke, Osama bin Laden,” erfreue sich seiner Freiheit wie auch der frühere irakische Diktator Saddam Hussein. Die USA sind nicht übermächtig, glauben Biermann und Klönne, sondern ohnmächtig.
Als zentrale Ursache identifizieren die Autoren die Militarisierung der US-Gesellschaft. Die Verbindung von Streitkräften und Zivilgesellschaft gelingt in den USA allerdings nicht über die Doppelgestalt des Staatsbürgers als Zivilist und Soldat – die USA haben 1973 die Wehrpflicht abgeschafft. Zu einer in letzter Konsequenz pathogenen Verquickung von Militär und Öffentlichkeit komme es vielmehr über die Ebene der Politik, was sich mit der Formel beschreiben lässt: Rüsten für die Wiederwahl. Nach Recherchen von Biermann und Klönne, die als Quellen immer wieder auch die Berichte der jeweiligen Verteidigungsminister heranziehen, stellen die Rüstungsbetriebe im Wirtschaftsleben der USA einen wesentlichen Faktor dar, ohne den in den Südstaaten ganze Regionen und Wirtschaftszweige nicht überlebensfähig wären. „Landespolitiker sind daher bestrebt, Finanzmittel für diese Bereiche vom Bund abzuwerben, wobei der eigentliche militärische Nutzen nicht interessiert”, schreiben sie.
So meldete die US-Luftwaffe 1978 einen Bedarf von fünf Flugzeugen vom Typ C-130 an. Nach Intervention des einflussreichen Politikers Newt Gingrich, in dessen Wahlkreis sich die Produktionsstätte befand, stellte der Kongress laut Biermann und Klönne am Ende die Mittel für 256 Flugzeuge bereit. Proteste, etwa aus dem anderen politischen Lager, blieben aus: „Andere Politiker machten sich über die Parteigrenzen hinweg für die Beschaffung stark; die neuen Maschinen wurden an die Nationalgarde der jeweiligen Heimatstaaten übergeben, was sich medienwirksam vermarkten lässt”, schreiben die Autoren. So stattete Trent Lott, der frühere Sprecher der Republikanischen Partei im Kongress, die Nationalgarde mit 13 dieser Flugzeuge aus. Was keinen Sinne macht, wie Biermann und Klönne anmerken, „es sei denn, die Nationalgarde würde sich freiwillig an einer auswärtigen Invasion beteiligen, was jedoch verfassungsrechtlich nicht zulässig ist”.
Es ist dies ein System, das Methode hat und viel Geld kostet. Nach Erkenntnissen der beiden Autoren gelang es den Politikern, in deren Bundesstaaten die Rüstungsindustrie von zentraler Bedeutung ist, bei den Verhandlungen zum Haushalt 1999 zusätzliche neun Milliarden Dollar für Militärprojekte locker zu machen, „die vom Verteidigungsministerium gar nicht vorgesehen waren”. Um der Kapitalfalle Rüstung zu entgehen – allein für die Wartung der offensichtlich überflüssigen C-130 fallen eine Milliarde Dollar an –, haben sich die USA zum weltweit führenden Waffenexporteur entwickelt. US-Rüstungskonzerne haben laut der „Federation of American Scientists” bereits 2001 fast 50 Prozent des Weltmarktes für Rüstung und Waffen kontrolliert. „Tendenz steigend”, so Biermann und Klönne.
Womit sich auch erklärt, wie die Autoren mit Blick auf den Irak feststellen, warum die USA ihre Feinde von morgen selbst aufrüsten: „Bei dem Waffenarsenal des Irak handelte es sich, wie bei den anderen Staaten im Nahen Osten und am Golf, nicht um Eigenwuchs, sondern um einen Systemimport; über Jahrzehnte hin entwickelte sich die Golf-Region zum höchst profitablen Absatzgebiet für westliche Rüstungsgüter.”
Allein: An der Finanzmisere der USA vermag das wenig zu ändern. Noch bevor George W. Bush das verheerende Staatsdefizit bekannt geben musste, bescheinigten Biermann und Könne der Supermacht die Pleite: mit einer Nettoverschuldung gegenüber dem Ausland von fast drei Billionen Dollar und einer jährlichen Neuverschuldung von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts sei Amerika auf ausländische Gelder angewiesen. „Die USA sind überschuldet, sie können ihren Finanzierungsbedarf nicht mehr aus eigenen Mitteln sicherstellen; die wirtschaftliche Leistungskraft ist international dürftig, was die chronisch defizitären Handelsbilanzen belegen”, so Biermann und Klönne.
Und die Folgen? „Bei der Suche nach Gründen für den ökonomischen Niedergang der Sowjetunion seinerzeit wird oft auf den Rüstungskomplex als vergeudete ,Wirtschaft in der Wirtschaft’ hingewiesen”, verweisen die beiden Autoren auf das Ende eines russischen Imperiums. „Die Vereinigten Staaten haben den gleichen Weg eingeschlagen.”
ANDREAS BOCK
Tiefe Verstrickung von Militär und Zivilgesellschaft: Amerikanische Soldaten in Fort Lee, Virginia, feiern im Juni 2003 vor Sternenbannern den 228sten Geburtstag der amerikanischen Armee.
Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Die USA sind nicht übermächtig, sondern ohnmächtig" verkünden die Autoren dieses Buches laut Andreas Bock. "Genüsslich" sezierten Arno Klönne und Werner Biermann die Misserfolge der amerikanischen Politik. Von Nord-Korea, über Fidel Castro und Saddam Hussein bis hin zu Osama bin Laden kämen sie alle vor, die unbewältigten Probleme der US-Außenpolitik und das enorme Haushaltsdefizit nicht zu vergessen. Die Ursache für diese "blinden Flecken der sonst so gleißenden Supermacht USA" sei die Militarisierung der US-Gesellschaft. Diese These diene den Autoren als Begründung für die florierende Rüstungsindustrie in den USA und der fleißigen Aufrüstung der "Feinde von morgen" - siehe Irak. An zahlreichen Beispielen werde diese These untermauert und somit auch so manche Argumentation der um ihre Wiederwahl besorgten US-Politiker entlarvt, findet Bock Schließlich prognostizierten die Autoren auch noch den Niedergang der amerikanischen Vormachtstellung, dieses "Koloss auf tönernen Füßen" - man müsse nur nach Russland und seinem Verhältnis zur eigenen Rüstungsindustrie schauen. Da sich Bock im Großen und Ganzen aufs Referat beschränkt, scheint er gegen das Buch keine Einwände zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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