In this small book David Herlihy makes subtle and subversive inquiries that challenge historical thinking about the Black Death. Looking beyond the view of the plague as unmitigated catastrophe, Herlihy finds evidence for its role in the advent of new population controls, the establishment of universities, the spread of Christianity, the dissemination of vernacular cultures, and even the rise of nationalism. This book, which displays a distinguished scholar's masterly synthesis of diverse materials, reveals that the Black Death can be considered the cornerstone of the transformation of Europe.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.1997Die Pest vernichtete die Guidos
Für David Herlihy war der Schwarze Tod der Vater einer neuen Welt
Kann die Zivilisation den Ansturm epidemischer Krankheiten überleben? Tuberkulose und Malaria, die man unter Kontrolle wähnte, kehren mit frischer Energie zurück. Aids und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit geben der Forschung Rätsel auf. Mit der Dichte und Geschwindigkeit des modernen Reiseverkehrs wächst die Gefahr: Ein Ausbruch der Pest in Indien versetzt binnen weniger Tage europäische Flughäfen in Panik.
Angesichts dieser Umstände kann man die Angst leicht nachvollziehen, mit der unsere Vorfahren den Schwarzen Tod von 1348/49 kommen sahen. Die Zahl der Toten war immens, in einigen Ortschaften starben siebzig bis achtzig Prozent der Bewohner; die Felder lagen brach, Kirchen blieben viele Jahre lang ohne Priester. Von nun an wurde die Angst vor einem erneuten Ausbruch der Pest endemisch. Wer die Krankheit überlebt hatte, erinnerte sich des Grauens und lebte in der Furcht, daß es sich wiederholen werde. David Herlihy, der angesehene amerikanische Mediävist, hat den Einfluß der Pest im Mittelalter viele Jahre lang untersucht. Die luziden und kenntnisreichen Vorlesungen des 1991 verstorbenen Historikers sind die Essenz seiner Studien, sie vereinigen Erkenntnisse aus so verschiedenen Disziplinen wie Epidemiologie und Namensforschung.
Der Schwarze Tod war nicht ohne weiteres mit der modernen Beulen- oder Lungenpest identisch: Seine Verbreitung lief nach einem anderen Muster ab, und was die Zeitgenossen über die mittelalterliche Pest berichteten, deckt sich nicht mit der Beschreibung, die in modernen medizinischen Handbüchern zu lesen ist. Die Pest des Mittelalters, schreibt Herlihy, habe mit der Überbevölkerung Europas nichts zu tun gehabt: Der Kontinent mochte zu dicht besiedelt gewesen sein, aber er sei gut zurecht gekommen - in Italien sogar ausgezeichnet. Mit der Ankunft der Pest war es damit zu Ende. Der Bevölkerungsschwund bürdete den Überlebenden neue Lasten auf. Arbeitsintensive Produktionsweisen wurden aufgegeben - ein Ergebnis war die Erfindung des Buchdrucks, die den Verlust der Kopisten ausglich. Zu den weniger offensichtlichen Konsequenzen gehörte ein Wandel im Geschmack für Namen: In Florenz traten Antonio und Cosimo an die Stelle des zuvor beliebten Guido. Weil die Sterblichkeit so hoch war, bedachten die Eltern ihre Kinder mit besonders großer Zuwendung. Der Mangel an Klerikern und Verwaltungsbeamten führte zur Gründung neuer Universitäten in Städten wie Prag, Heidelberg und Wien. Letztlich brachte das den Niedergang der intellektuellen Einheit der Christenheit mit sich.
Die Suche nach Sündenböcken vermehrte die Feindschaft gegenüber Außenseitern, besonders die Juden waren davon betroffen. Die Religiosität zog enorm an: Reliquien wurden Massenware, ungezählten Messen wurden abgehalten, um die Toten zu ehren und auf daß die Lebenden bewahrt werden mochten. Auch wurde die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer, zumal da es von der Pest hieß, daß sie vor allem die Unvermögenden heimsuche. Die Kranken der Unterschicht wurden in Lazaretten eingesperrt, aus denen nur wenige lebendig wieder herauskamen. Wer diesem Schicksal entkam, wurde den Schikanen der Gesundheitspolizei unterworfen, während die Wohlhabenden sich fern der verpesteten Stadtluft auf ihre Landgüter in Sicherheit brachten.
Manche von David Herlihys Ergebnissen sind spekulativ: Der Herausgeber selbst greift viele von ihnen in seiner Einführung heftig an. Aber Herlihys Fragestellungen und die Vielfalt der historischen Methoden, die er benutzt, sind ungemein eindrucksvoll. Sie stiften zum Nachdenken darüber an, wie die moderne Gesellschaft mit Epidemien fertig wird. Zwar sind wir unseren mittelalterlichen Vorfahren technisch und wissenschaftlich überlegen, aber moralisch und intellektuell gehen wir mit dem Leiden nicht unbedingt besser um, als sie es taten. VIVIAN NUTTON
Aus dem Englischen übersetzt von Franziska Augstein
David Herlihy: "The Black Death and the Transformation of the West". Herausgegeben und mit einer Einleitung von Samuel K. Cohn Jr.Harvard University Press, Cambridge (Mass.) 1997. 117 S., br., 7,97 brit. Pfund.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für David Herlihy war der Schwarze Tod der Vater einer neuen Welt
Kann die Zivilisation den Ansturm epidemischer Krankheiten überleben? Tuberkulose und Malaria, die man unter Kontrolle wähnte, kehren mit frischer Energie zurück. Aids und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit geben der Forschung Rätsel auf. Mit der Dichte und Geschwindigkeit des modernen Reiseverkehrs wächst die Gefahr: Ein Ausbruch der Pest in Indien versetzt binnen weniger Tage europäische Flughäfen in Panik.
Angesichts dieser Umstände kann man die Angst leicht nachvollziehen, mit der unsere Vorfahren den Schwarzen Tod von 1348/49 kommen sahen. Die Zahl der Toten war immens, in einigen Ortschaften starben siebzig bis achtzig Prozent der Bewohner; die Felder lagen brach, Kirchen blieben viele Jahre lang ohne Priester. Von nun an wurde die Angst vor einem erneuten Ausbruch der Pest endemisch. Wer die Krankheit überlebt hatte, erinnerte sich des Grauens und lebte in der Furcht, daß es sich wiederholen werde. David Herlihy, der angesehene amerikanische Mediävist, hat den Einfluß der Pest im Mittelalter viele Jahre lang untersucht. Die luziden und kenntnisreichen Vorlesungen des 1991 verstorbenen Historikers sind die Essenz seiner Studien, sie vereinigen Erkenntnisse aus so verschiedenen Disziplinen wie Epidemiologie und Namensforschung.
Der Schwarze Tod war nicht ohne weiteres mit der modernen Beulen- oder Lungenpest identisch: Seine Verbreitung lief nach einem anderen Muster ab, und was die Zeitgenossen über die mittelalterliche Pest berichteten, deckt sich nicht mit der Beschreibung, die in modernen medizinischen Handbüchern zu lesen ist. Die Pest des Mittelalters, schreibt Herlihy, habe mit der Überbevölkerung Europas nichts zu tun gehabt: Der Kontinent mochte zu dicht besiedelt gewesen sein, aber er sei gut zurecht gekommen - in Italien sogar ausgezeichnet. Mit der Ankunft der Pest war es damit zu Ende. Der Bevölkerungsschwund bürdete den Überlebenden neue Lasten auf. Arbeitsintensive Produktionsweisen wurden aufgegeben - ein Ergebnis war die Erfindung des Buchdrucks, die den Verlust der Kopisten ausglich. Zu den weniger offensichtlichen Konsequenzen gehörte ein Wandel im Geschmack für Namen: In Florenz traten Antonio und Cosimo an die Stelle des zuvor beliebten Guido. Weil die Sterblichkeit so hoch war, bedachten die Eltern ihre Kinder mit besonders großer Zuwendung. Der Mangel an Klerikern und Verwaltungsbeamten führte zur Gründung neuer Universitäten in Städten wie Prag, Heidelberg und Wien. Letztlich brachte das den Niedergang der intellektuellen Einheit der Christenheit mit sich.
Die Suche nach Sündenböcken vermehrte die Feindschaft gegenüber Außenseitern, besonders die Juden waren davon betroffen. Die Religiosität zog enorm an: Reliquien wurden Massenware, ungezählten Messen wurden abgehalten, um die Toten zu ehren und auf daß die Lebenden bewahrt werden mochten. Auch wurde die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer, zumal da es von der Pest hieß, daß sie vor allem die Unvermögenden heimsuche. Die Kranken der Unterschicht wurden in Lazaretten eingesperrt, aus denen nur wenige lebendig wieder herauskamen. Wer diesem Schicksal entkam, wurde den Schikanen der Gesundheitspolizei unterworfen, während die Wohlhabenden sich fern der verpesteten Stadtluft auf ihre Landgüter in Sicherheit brachten.
Manche von David Herlihys Ergebnissen sind spekulativ: Der Herausgeber selbst greift viele von ihnen in seiner Einführung heftig an. Aber Herlihys Fragestellungen und die Vielfalt der historischen Methoden, die er benutzt, sind ungemein eindrucksvoll. Sie stiften zum Nachdenken darüber an, wie die moderne Gesellschaft mit Epidemien fertig wird. Zwar sind wir unseren mittelalterlichen Vorfahren technisch und wissenschaftlich überlegen, aber moralisch und intellektuell gehen wir mit dem Leiden nicht unbedingt besser um, als sie es taten. VIVIAN NUTTON
Aus dem Englischen übersetzt von Franziska Augstein
David Herlihy: "The Black Death and the Transformation of the West". Herausgegeben und mit einer Einleitung von Samuel K. Cohn Jr.Harvard University Press, Cambridge (Mass.) 1997. 117 S., br., 7,97 brit. Pfund.
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