Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2008Umgang mit Unerwartetem
Hin und wieder kreuzt ein Schwarzer Schwan die Straße
Ist "Der Schwarze Schwan" ein Wirtschaftsbuch? Nicht zwingend. Sollten ökonomisch Interessierte den amerikanischen Bestseller dennoch lesen? Durchaus. Denn das Buch des früheren Börsenhändlers Nassim Taleb widmet sich einer philosophischen Frage, die auf geschichtliche und politische Prozesse genauso angewandt werden kann wie auf wirtschaftliche. Wie können wir damit umgehen, dass wir bestimmte Ereignisse besonderer Schwere nicht vorhersehen können? Solche Ereignisse bezeichnet der Autor als Schwarze Schwäne. Sie haben die Eigenschaft, unvorhergesehen zu geschehen und schwere Auswirkungen für viele Menschen zu haben. Und obwohl es misslungen ist, ihr Eintreten vorherzusagen, bemüht man sich im Nachhinein darum, ihre Entstehung zu erklären. Doch die nachträglichen Erklärungen führen nicht dazu, dass man künftig besser auf Schwarze Schwäne vorbereitet ist, weil die gesammelten Fakten sich erst nachträglich zu einem schlüssigen Bild zusammenfügen.
Schwarze Schwäne tauchen in einer gewissen Regelmäßigkeit auf. Taleb zählt dazu den Ausbruch des Ersten Weltkriegs genauso wie den Terrorangriff des 11. September oder den Börsenkrach von 1987 - die jüngste Finanzkrise, die ebenfalls alle Voraussetzungen erfüllt, war noch nicht ausgebrochen, als er das Buch schrieb. Darüber hinaus listet der Autor, heute Professor für die Wissenschaft der Unsicherheit, auch eine Reihe positiver Schwarzer Schwäne auf: die Entstehung des Internets oder den Erfolg der Harry-Potter-Romane etwa.
Wenn es nicht gelingt, aus der Vergangenheit zu lernen, wie können sich die Menschen gegen Schwarze Schwäne wappnen? Taleb empfiehlt, skeptisch gegenüber Vorhersagen zu sein. Statt die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen zu bestimmen, solle man sich ihre möglichen Folgen ausmalen, um von ihrem Eintreten nicht überrascht zu werden. Damit könne man aus Schwarzen zumindest "Graue Schwäne" machen.
Unter Börsianern werden Talebs Ausführungen seit Beginn der aktuellen Finanzkrise als heiße Ware gehandelt. Sicherlich würde es Talebs Grundhaltung widersprechen, in seinen Thesen eine Erklärung der Finanzkrise zu sehen. Aber wie das Vorbereiten auf Schwarze Schwäne aussehen kann, zeigt er in einem Kapitel, in dem er über die Risiken eines globalen wirtschaftlichen Zusammenbruchs räsoniert - nie zuvor hätten Banken so vielfältige Beziehungen gehabt wie zurzeit. Vorhergesagt hat er die Krise damit nicht, aber den grundlegenden Mechanismus offengelegt.
Taleb fordert seinen Lesern einiges ab. Wer allerdings gern liest, wie gegen Glockenkurven und an der Börse gescheiterte Nobelpreisträger gewettert und wie das auch noch mit Casanova, Popper und Hayek verknüpft wird, wird an "Der Schwarze Schwan" seine Freude haben. Einige Vorkenntnisse in Statistik und ein Grundinteresse an Mathematik sollte der Leser des 360 Seiten starken Werks in jedem Fall mitbringen. Auf ihn wartet eine unterhaltsame, bissige, mit humorvoll-arrogantem Unterton gewürzte Lektüre voller kluger Gedanken. Leicht konsumierbar ist "Der Schwarze Schwan" trotz seines erzählenden Charakters dennoch nicht. Als Bettlektüre ist Talebs Buch dadurch eher nicht geeignet.
PHILIPP KROHN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hin und wieder kreuzt ein Schwarzer Schwan die Straße
Ist "Der Schwarze Schwan" ein Wirtschaftsbuch? Nicht zwingend. Sollten ökonomisch Interessierte den amerikanischen Bestseller dennoch lesen? Durchaus. Denn das Buch des früheren Börsenhändlers Nassim Taleb widmet sich einer philosophischen Frage, die auf geschichtliche und politische Prozesse genauso angewandt werden kann wie auf wirtschaftliche. Wie können wir damit umgehen, dass wir bestimmte Ereignisse besonderer Schwere nicht vorhersehen können? Solche Ereignisse bezeichnet der Autor als Schwarze Schwäne. Sie haben die Eigenschaft, unvorhergesehen zu geschehen und schwere Auswirkungen für viele Menschen zu haben. Und obwohl es misslungen ist, ihr Eintreten vorherzusagen, bemüht man sich im Nachhinein darum, ihre Entstehung zu erklären. Doch die nachträglichen Erklärungen führen nicht dazu, dass man künftig besser auf Schwarze Schwäne vorbereitet ist, weil die gesammelten Fakten sich erst nachträglich zu einem schlüssigen Bild zusammenfügen.
Schwarze Schwäne tauchen in einer gewissen Regelmäßigkeit auf. Taleb zählt dazu den Ausbruch des Ersten Weltkriegs genauso wie den Terrorangriff des 11. September oder den Börsenkrach von 1987 - die jüngste Finanzkrise, die ebenfalls alle Voraussetzungen erfüllt, war noch nicht ausgebrochen, als er das Buch schrieb. Darüber hinaus listet der Autor, heute Professor für die Wissenschaft der Unsicherheit, auch eine Reihe positiver Schwarzer Schwäne auf: die Entstehung des Internets oder den Erfolg der Harry-Potter-Romane etwa.
Wenn es nicht gelingt, aus der Vergangenheit zu lernen, wie können sich die Menschen gegen Schwarze Schwäne wappnen? Taleb empfiehlt, skeptisch gegenüber Vorhersagen zu sein. Statt die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen zu bestimmen, solle man sich ihre möglichen Folgen ausmalen, um von ihrem Eintreten nicht überrascht zu werden. Damit könne man aus Schwarzen zumindest "Graue Schwäne" machen.
Unter Börsianern werden Talebs Ausführungen seit Beginn der aktuellen Finanzkrise als heiße Ware gehandelt. Sicherlich würde es Talebs Grundhaltung widersprechen, in seinen Thesen eine Erklärung der Finanzkrise zu sehen. Aber wie das Vorbereiten auf Schwarze Schwäne aussehen kann, zeigt er in einem Kapitel, in dem er über die Risiken eines globalen wirtschaftlichen Zusammenbruchs räsoniert - nie zuvor hätten Banken so vielfältige Beziehungen gehabt wie zurzeit. Vorhergesagt hat er die Krise damit nicht, aber den grundlegenden Mechanismus offengelegt.
Taleb fordert seinen Lesern einiges ab. Wer allerdings gern liest, wie gegen Glockenkurven und an der Börse gescheiterte Nobelpreisträger gewettert und wie das auch noch mit Casanova, Popper und Hayek verknüpft wird, wird an "Der Schwarze Schwan" seine Freude haben. Einige Vorkenntnisse in Statistik und ein Grundinteresse an Mathematik sollte der Leser des 360 Seiten starken Werks in jedem Fall mitbringen. Auf ihn wartet eine unterhaltsame, bissige, mit humorvoll-arrogantem Unterton gewürzte Lektüre voller kluger Gedanken. Leicht konsumierbar ist "Der Schwarze Schwan" trotz seines erzählenden Charakters dennoch nicht. Als Bettlektüre ist Talebs Buch dadurch eher nicht geeignet.
PHILIPP KROHN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
A fascinating study of how we are regularly taken for suckers by the unexpected Guardian