'Rich, authoritative, and highly readable ... [a] tour de force' David Kynaston Chairman Mao was a librarian. Stalin was a published poet. Evelyn Waugh served as a commando - before leaving to write Brideshead Revisited. Since the advent of modern warfare, books have all too often found themselves on the frontline. In The Book at War, acclaimed historian Andrew Pettegree traces the surprising ways in which written culture - from travel guides and scientific papers to Biggles and Anne Frank - has shaped, and been shaped, by the vast conflicts of the modern age. From the American Civil War to the invasion of Ukraine, books, authors and readers have gone to war - and in the process become both deadly weapons and our most persuasive arguments for peace.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2024Thukydides kam an der Front nicht an
Andrew Pettegree widmet sich einer Konjektur des Gedruckten aus ungewohnter Perspektive
Die Lektüre beginnt mit einem Stutzen: "Es kann kein Zufall sein", stellt Andrew Pettegree in seinem neuen Buch eingangs fest, "dass die großen Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts zwischen den most bookish - den buchliebendsten - Ländern der Welt ausgefochten wurden." Kann es das wirklich nicht? Waren Dänen und Portugiesen weniger belesen, Belgier und Schweizer weniger gebildet? Doch um Qualität geht es dem im schottischen St Andrews lehrenden Buchhistoriker nicht, sondern um Quantität: hohe Alphabetisierungsraten und Auflagen, lebhafte Buchverlags- und Zeitungsbranchen, traditionsreiche Bibliotheken mit bedeutenden Sammlungen alter und riesigen Beständen neuer Bücher. Die Masse macht es: Das auf gedrucktem Papier verfügbare Wissen war auch relevant für Begründung und Ausübung von Herrschaft, es vermittelte technisches Know-how, strategisch wertvolle Informationen und ökonomisch Verwertbares. Für Archibald MacLeish, Direktor der amerikanischen Library of Congress von 1939 bis 1944, bestand wenig Zweifel daran, dass seine Institution nicht nur schöngeistige Zwecke verfolgte, sondern Mittel an die Hand gab, künftige Kriege zu gewinnen. Dass dies Argument half, die eigene Alimentierung zu sichern, war sicher ein willkommener Nebeneffekt.
Die Verbindung, die Pettegree zwischen verheerenden, Kontinente umspannenden Kriegen und dem gedruckten Wort herstellt, leuchtet ein. Um Massen zu mobilisieren, gewaltige Ressourcen zu nutzen und immer neue Technologien militärisch zu verwerten, aber auch um Millionen zu beherrschen, zu unterwerfen und zu vernichten, brauchte es leistungsstarke Medien, wie sie in Großbritannien, den USA und Deutschland vorhanden waren. Sie stehen daher im Vordergrund der Erzählung, immer wieder ergänzt durch Blicke nach Frankreich und in die Sowjetunion, gegen Ende auch nach China. Vermessen werden jene anderthalb Jahrhunderte seit 1850, in denen das Buch sowohl Leit- als auch Massenmedium war. In ihren Zeitläufen zeichnet Pettegree nach, wie mit jedem Krieg die Bemühungen weiter verstärkt wurden, noch mehr Gedrucktes zu akquirieren, dienstbar zu machen und zu zerstören. Wie in der modernen Buchgeschichte inzwischen Standard, bedient sich Pettegree dabei eines weiten Begriffs vom Buch, der auch Flugblätter und Landkarten, Postkarten und Plakate umfasst.
Bücher über den Feind
Das neunzehnte Jahrhundert ist Grundsteinlegung und Aufgalopp. Kartenwerke steckten zu erobernde Territorien ab und visualisierten die Kampfhandlungen für die entstehende Massenöffentlichkeit. Bücher halfen, jene Nationen zu imaginieren, die gegeneinander positioniert wurden. Sie vermittelten wirkmächtige Vorstellungen vom Kriege - hier darf Clausewitz nicht fehlen - und vom Feind, etwa Spenser Wilkinsons "The Brain of an Army", das, 1895 veröffentlicht, das Bild des preußischen Generalstabs als eines kalten, furchteinflößend effizienten Kopfs der deutschen Kriegsmaschine prägte, Modernisierungsbestrebungen anderswo auslöste und Nachwirkungen bis in die Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg zeitigte. Militärschulen mit gut ausgestatteten Bibliotheken wurden zur Regel, auch wenn Bildung im industrialisierten Krieg vor dem Tod nicht schützte. Maschinengewehre, konstatiert Pettegree, "scherten sich wenig um Lateinkenntnisse; beim Sterben an der Westfront herrschte Chancengleichheit". Dasselbe lässt sich nicht vom Vietnamkrieg sagen - die soziale Scheidelinie der amerikanischen Rekrutierung spiegelt sich bis heute in der stehenden Wendung "those who went and those who didn't" -, der Kriegsgeschehen und -debatte endgültig auf den Fernsehschirm brachte.
Trotz des langen Vorlaufs und des knappen Ausblicks auf die Jahrzehnte nach 1945 stehen die beiden Weltkriege im Zentrum des Buches. Hier ist der glänzende Erzähler Pettegree ganz bei sich und beeindruckt mit kaleidoskopischer Überschau. Sie bietet zahlreiche, anschauliche Miniaturen - siegesgewiss, lernen wir, brachte der britische Kartenverleger Bartholomew schon 1941 eine Libyan Victory Map in Braille auf den Markt -, verliert darüber aber nie die großen Linien aus den Augen. Vor allem aber gelingt es dem Historiker, das gewaltige Ausmaß von Vervielfältigung und Verteilung, Zerstörung und Plünderung, Zensur und Propaganda nachzuzeichnen. Die Zahlen sind atemberaubend: Das boomende deutsche Verlagswesen brachte 1940 rund 242 Millionen, im Folgejahr gar 342 Millionen Exemplare unter die Leute. Der Löwenanteil ging in den Frontbuchhandel - in den USA entfielen auf ihn im ersten Kriegsjahr 122 Millionen Bände -, der ein ebenso sicheres wie einträgliches Geschäft für die ausgewählten Titel versprach, aber jene benachteiligte, die für den deutschen Landser ungeeignet schienen.
Dass die Auswahl nicht immer einfach fiel, illustriert Pettegree mit einer hübschen Vignette aus dem Ersten Weltkrieg. Zur Erbauung der britischen Truppen wurden auf den Maschinen der "Times" Thukydides, Shakespeare, Austen und Dickens großformatig gedruckt. Doch die Nachfrage nach den "nostalgischen Erinnerungen für die Zöglinge privater Eliteschulen" blieb bescheiden. Weit besser kamen Paperbacks von Penguin und anderen Verlagen an sowie ein Arsenal an Truppenzeitungen, von "Stars and Stripes" bis zum "Orkney Blast". Noch ihre Kriegsgefangenen ließen die Alliierten literarisch nicht im Stich: zu Hunderttausenden wurden Bücher in die Stalags versandt. Auch hier war der Krieg nicht chancengleich: während die Briten lasen, starben Millionen sowjetischer Kriegsgefangener an systematischer Unterversorgung durch die Wehrmacht.
Arten der Vernichtung
Der frischen Druckerschwärze stand der allgegenwärtige Geruch verbrannten Papiers gegenüber. Im Luftkrieg verloren im Dezember 1943 Leipziger Verleger, Grossisten und Buchhändler fünfzig Millionen Bücher; den britischen Verlag Stanley Unwin kostete ein einziger Einschlag 1,4 Millionen Exemplare. Insgesamt beziffert Pettegree die kriegsbedingten Zerstörungen auf schwindelerregende 500 Millionen Bücher - wohlgemerkt nur in Europa, denn für den asiatischen Kriegsschauplatz fehlt es an vergleichbaren Daten. Bücher waren aber nicht nur Kollateralschäden. Immer wieder schildert Pettegree, wie Gedrucktes vernichtet wurde: durchaus freiwillig, wie zur Altpapiergewinnung, vor allem aber als zielgerichteter Akt, mit dem zensiert, Gedankenfreiheit beschnitten und kulturelle Identität vernichtet werden sollte. An zerstörerischer Absicht und ungeheurem Ausmaß tat es niemand dem nationalsozialistischen Deutschland gleich, und nirgends mehr als bei der Auslöschung jüdischer Überlieferungen.
Zerstörung konkurrierte mit Plünderung. Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, das Reichssicherheitshauptamt und andere Akteure stahlen in Europa millionenfach Bücher. Allein in den Niederlanden erbeuteten deutsche Bibliothekare 700.000 Exemplare, und Polen war 1945 ein beinahe buchfreies Land. Geringe Kompensationen erhielten polnische Büchereien aus den vormals deutschen Gebieten und nicht zuletzt aus jenen Beständen, die quer durch das Deutsche Reich versandt worden waren, um sie vor Bomber-Harris zu schützen - so sie nicht vorab durch die sowjetischen Truppen beschlagnahmt worden waren. In einem requirierten Offenbacher Kaufhaus, eine Art Bad Arolsen für Bücher, waren amerikanische Offiziere jahrelang und mit erstaunlichem Erfolg damit beschäftigt, wertvolle Sammlungen zu repatriieren. Dennoch sind Rückerstattungsfragen bis heute virulent, nicht zuletzt durch die Abschottung russischer Bestände.
Nicht überall ist der Neuzeithistoriker und Lutherexperte Pettegree empiriefest, etwa bei den als "Napoli" firmierenden Nationalpolitischen Erziehungsanstalten. Irritierender sind die auf eine unzuverlässige Quelle zurückgehende Überschätzung der Firma Krupp oder die fortlaufende Gleichsetzung von russisch und sowjetisch - zumal in einem Buch, dessen Epilog auf den Krieg in der Ukraine verweist. Das schmälert jedoch nicht die immense Leistung Pettegrees. Nicht nur vermittelt "The Book at War" einen alternativen Blick auf vermeintlich Bekanntes, es lässt den Leser in eine Welt eintauchen, die ganz Buch war. Offiziere wurden auch im Feld ausgebildet, Wissenschaft im Labor betrieben und Propaganda im Rundfunk, Gebäude aller Arten wurden zerstört, Bilder und Skulpturen geraubt, gerettet und rückerstattet - im Buch laufen all diese Fäden zusammen. Und Pettegrees fulminantes Werk kann auf einer hoffnungsvollen Note enden: So schnell und günstig wie Bücher neu gedruckt und in Umlauf gebracht werden, kann man sie gar nicht zerstören. KIM CHRISTIAN PRIEMEL
Andrew Pettegree: "The Book At War".
Libraries and Readers in an Age of Conflict.
Profile Books, London 2023. 480 S., Abb., geb., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Andrew Pettegree widmet sich einer Konjektur des Gedruckten aus ungewohnter Perspektive
Die Lektüre beginnt mit einem Stutzen: "Es kann kein Zufall sein", stellt Andrew Pettegree in seinem neuen Buch eingangs fest, "dass die großen Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts zwischen den most bookish - den buchliebendsten - Ländern der Welt ausgefochten wurden." Kann es das wirklich nicht? Waren Dänen und Portugiesen weniger belesen, Belgier und Schweizer weniger gebildet? Doch um Qualität geht es dem im schottischen St Andrews lehrenden Buchhistoriker nicht, sondern um Quantität: hohe Alphabetisierungsraten und Auflagen, lebhafte Buchverlags- und Zeitungsbranchen, traditionsreiche Bibliotheken mit bedeutenden Sammlungen alter und riesigen Beständen neuer Bücher. Die Masse macht es: Das auf gedrucktem Papier verfügbare Wissen war auch relevant für Begründung und Ausübung von Herrschaft, es vermittelte technisches Know-how, strategisch wertvolle Informationen und ökonomisch Verwertbares. Für Archibald MacLeish, Direktor der amerikanischen Library of Congress von 1939 bis 1944, bestand wenig Zweifel daran, dass seine Institution nicht nur schöngeistige Zwecke verfolgte, sondern Mittel an die Hand gab, künftige Kriege zu gewinnen. Dass dies Argument half, die eigene Alimentierung zu sichern, war sicher ein willkommener Nebeneffekt.
Die Verbindung, die Pettegree zwischen verheerenden, Kontinente umspannenden Kriegen und dem gedruckten Wort herstellt, leuchtet ein. Um Massen zu mobilisieren, gewaltige Ressourcen zu nutzen und immer neue Technologien militärisch zu verwerten, aber auch um Millionen zu beherrschen, zu unterwerfen und zu vernichten, brauchte es leistungsstarke Medien, wie sie in Großbritannien, den USA und Deutschland vorhanden waren. Sie stehen daher im Vordergrund der Erzählung, immer wieder ergänzt durch Blicke nach Frankreich und in die Sowjetunion, gegen Ende auch nach China. Vermessen werden jene anderthalb Jahrhunderte seit 1850, in denen das Buch sowohl Leit- als auch Massenmedium war. In ihren Zeitläufen zeichnet Pettegree nach, wie mit jedem Krieg die Bemühungen weiter verstärkt wurden, noch mehr Gedrucktes zu akquirieren, dienstbar zu machen und zu zerstören. Wie in der modernen Buchgeschichte inzwischen Standard, bedient sich Pettegree dabei eines weiten Begriffs vom Buch, der auch Flugblätter und Landkarten, Postkarten und Plakate umfasst.
Bücher über den Feind
Das neunzehnte Jahrhundert ist Grundsteinlegung und Aufgalopp. Kartenwerke steckten zu erobernde Territorien ab und visualisierten die Kampfhandlungen für die entstehende Massenöffentlichkeit. Bücher halfen, jene Nationen zu imaginieren, die gegeneinander positioniert wurden. Sie vermittelten wirkmächtige Vorstellungen vom Kriege - hier darf Clausewitz nicht fehlen - und vom Feind, etwa Spenser Wilkinsons "The Brain of an Army", das, 1895 veröffentlicht, das Bild des preußischen Generalstabs als eines kalten, furchteinflößend effizienten Kopfs der deutschen Kriegsmaschine prägte, Modernisierungsbestrebungen anderswo auslöste und Nachwirkungen bis in die Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg zeitigte. Militärschulen mit gut ausgestatteten Bibliotheken wurden zur Regel, auch wenn Bildung im industrialisierten Krieg vor dem Tod nicht schützte. Maschinengewehre, konstatiert Pettegree, "scherten sich wenig um Lateinkenntnisse; beim Sterben an der Westfront herrschte Chancengleichheit". Dasselbe lässt sich nicht vom Vietnamkrieg sagen - die soziale Scheidelinie der amerikanischen Rekrutierung spiegelt sich bis heute in der stehenden Wendung "those who went and those who didn't" -, der Kriegsgeschehen und -debatte endgültig auf den Fernsehschirm brachte.
Trotz des langen Vorlaufs und des knappen Ausblicks auf die Jahrzehnte nach 1945 stehen die beiden Weltkriege im Zentrum des Buches. Hier ist der glänzende Erzähler Pettegree ganz bei sich und beeindruckt mit kaleidoskopischer Überschau. Sie bietet zahlreiche, anschauliche Miniaturen - siegesgewiss, lernen wir, brachte der britische Kartenverleger Bartholomew schon 1941 eine Libyan Victory Map in Braille auf den Markt -, verliert darüber aber nie die großen Linien aus den Augen. Vor allem aber gelingt es dem Historiker, das gewaltige Ausmaß von Vervielfältigung und Verteilung, Zerstörung und Plünderung, Zensur und Propaganda nachzuzeichnen. Die Zahlen sind atemberaubend: Das boomende deutsche Verlagswesen brachte 1940 rund 242 Millionen, im Folgejahr gar 342 Millionen Exemplare unter die Leute. Der Löwenanteil ging in den Frontbuchhandel - in den USA entfielen auf ihn im ersten Kriegsjahr 122 Millionen Bände -, der ein ebenso sicheres wie einträgliches Geschäft für die ausgewählten Titel versprach, aber jene benachteiligte, die für den deutschen Landser ungeeignet schienen.
Dass die Auswahl nicht immer einfach fiel, illustriert Pettegree mit einer hübschen Vignette aus dem Ersten Weltkrieg. Zur Erbauung der britischen Truppen wurden auf den Maschinen der "Times" Thukydides, Shakespeare, Austen und Dickens großformatig gedruckt. Doch die Nachfrage nach den "nostalgischen Erinnerungen für die Zöglinge privater Eliteschulen" blieb bescheiden. Weit besser kamen Paperbacks von Penguin und anderen Verlagen an sowie ein Arsenal an Truppenzeitungen, von "Stars and Stripes" bis zum "Orkney Blast". Noch ihre Kriegsgefangenen ließen die Alliierten literarisch nicht im Stich: zu Hunderttausenden wurden Bücher in die Stalags versandt. Auch hier war der Krieg nicht chancengleich: während die Briten lasen, starben Millionen sowjetischer Kriegsgefangener an systematischer Unterversorgung durch die Wehrmacht.
Arten der Vernichtung
Der frischen Druckerschwärze stand der allgegenwärtige Geruch verbrannten Papiers gegenüber. Im Luftkrieg verloren im Dezember 1943 Leipziger Verleger, Grossisten und Buchhändler fünfzig Millionen Bücher; den britischen Verlag Stanley Unwin kostete ein einziger Einschlag 1,4 Millionen Exemplare. Insgesamt beziffert Pettegree die kriegsbedingten Zerstörungen auf schwindelerregende 500 Millionen Bücher - wohlgemerkt nur in Europa, denn für den asiatischen Kriegsschauplatz fehlt es an vergleichbaren Daten. Bücher waren aber nicht nur Kollateralschäden. Immer wieder schildert Pettegree, wie Gedrucktes vernichtet wurde: durchaus freiwillig, wie zur Altpapiergewinnung, vor allem aber als zielgerichteter Akt, mit dem zensiert, Gedankenfreiheit beschnitten und kulturelle Identität vernichtet werden sollte. An zerstörerischer Absicht und ungeheurem Ausmaß tat es niemand dem nationalsozialistischen Deutschland gleich, und nirgends mehr als bei der Auslöschung jüdischer Überlieferungen.
Zerstörung konkurrierte mit Plünderung. Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, das Reichssicherheitshauptamt und andere Akteure stahlen in Europa millionenfach Bücher. Allein in den Niederlanden erbeuteten deutsche Bibliothekare 700.000 Exemplare, und Polen war 1945 ein beinahe buchfreies Land. Geringe Kompensationen erhielten polnische Büchereien aus den vormals deutschen Gebieten und nicht zuletzt aus jenen Beständen, die quer durch das Deutsche Reich versandt worden waren, um sie vor Bomber-Harris zu schützen - so sie nicht vorab durch die sowjetischen Truppen beschlagnahmt worden waren. In einem requirierten Offenbacher Kaufhaus, eine Art Bad Arolsen für Bücher, waren amerikanische Offiziere jahrelang und mit erstaunlichem Erfolg damit beschäftigt, wertvolle Sammlungen zu repatriieren. Dennoch sind Rückerstattungsfragen bis heute virulent, nicht zuletzt durch die Abschottung russischer Bestände.
Nicht überall ist der Neuzeithistoriker und Lutherexperte Pettegree empiriefest, etwa bei den als "Napoli" firmierenden Nationalpolitischen Erziehungsanstalten. Irritierender sind die auf eine unzuverlässige Quelle zurückgehende Überschätzung der Firma Krupp oder die fortlaufende Gleichsetzung von russisch und sowjetisch - zumal in einem Buch, dessen Epilog auf den Krieg in der Ukraine verweist. Das schmälert jedoch nicht die immense Leistung Pettegrees. Nicht nur vermittelt "The Book at War" einen alternativen Blick auf vermeintlich Bekanntes, es lässt den Leser in eine Welt eintauchen, die ganz Buch war. Offiziere wurden auch im Feld ausgebildet, Wissenschaft im Labor betrieben und Propaganda im Rundfunk, Gebäude aller Arten wurden zerstört, Bilder und Skulpturen geraubt, gerettet und rückerstattet - im Buch laufen all diese Fäden zusammen. Und Pettegrees fulminantes Werk kann auf einer hoffnungsvollen Note enden: So schnell und günstig wie Bücher neu gedruckt und in Umlauf gebracht werden, kann man sie gar nicht zerstören. KIM CHRISTIAN PRIEMEL
Andrew Pettegree: "The Book At War".
Libraries and Readers in an Age of Conflict.
Profile Books, London 2023. 480 S., Abb., geb., 30,- Euro.
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