Europe and Russia are pushing against each other in a contest of economic doctrines and political ambitions, seemingly erasing the vision of cooperation that emerged from the end of the Cold War. Thane Gustafson argues that natural gas serves as a bridge over troubled geopolitical waters, uniting the region through common economic interests.
Frankfurter Allgemeine ZeitungDie Gasbrücke
Analyse der europäisch-russischen Gasbeziehungen
Russisches Erdgas spielt in der Energieversorgung Europas eine besondere Rolle. Geht es nach dem amerikanischen Energieexperten Thane Gustafson, wird das auch so bleiben. Trotz der Spannungen zwischen Russland und den Staaten Europas, trotz des Streits über den Bau der Nord-Stream-2-Pipeline und trotz aller Bestrebungen hin zu einer kohlendioxidfreien Wirtschaft gibt er der Gasbrücke eine Überlebenschance "für ein paar weitere Jahrzehnte". Seine Begründung: Die russisch-europäische Gasbrücke habe so viele politische und wirtschaftliche Veränderungen überlebt, weil sie immer gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen gedient habe - und das sei so bis heute.
Diesen Interessen spürt der an der Georgetown University lehrende Politikwissenschaftler und Russland-Experte in seinem neuen Buch nach. Los geht es in den fünfziger Jahren, als die Niederländer den Markt für Erdgas als Heizenergie entwickelten und niemand wusste, welchen Preis man veranschlagen solle. Gustafson führt den Leser auf Entdeckungsreise in die kommunistische Sowjetunion, nach Norwegen, wo der heutige Reichtum durch Gas und Öl eher ein Zufallsfund war. Im Zentrum der Betrachtung stehen Deutschland und die Sowjetunion im Kalten Krieg, der Kollaps der UdSSR, deren Folgen für die Gaswirtschaft und für die Ukraine als zentralen Mitspieler im Ost-West-Energiegeschäft.
Die politische Beschreibung ergänzt der Autor durch das, was er als die eigentlichen Treiber der Entwicklung beschreibt: technischen Fortschritt wie das Bohren nach "Shale Gas" und die Verflüssigung, die Erdgas zu einer von Leitungen unabhängigen, aber dem weltweiten Preiswettbewerb ausgesetzten Ware macht. Damit verbunden ist die von der EU-Kommission beharrlich verfolgte Liberalisierung der Energiewirtschaft, die von der Weltbank und dem Währungsfonds in den neunziger Jahren bis nach Russland getragen wurde. Eine Politik, die Russlands Staatskonzern Gasprom Optionen in Europa eröffnete, die der allerdings nicht recht zu nutzen weiß, was auch an der Politisierung des Gasgeschäfts durch den Kreml liegt. Gustafsons Buch ist faktengesättigt, gut lesbar und mit leichter Hand geschrieben. Man hätte auf manche Anekdote verzichten können, aber das schmälert nicht den Wert dieses Grundlagenwerks über die wechselhafte Geschichte und vielfältigen Kooperationen der Gaswirtschaft Russlands und Europas.
ANDREAS MIHM
Thane Gustafson: The Bridge. Natural Gas in a Redivided Europe. Harvard University Press, Cambridge 2020. 506 Seiten. 36 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Analyse der europäisch-russischen Gasbeziehungen
Russisches Erdgas spielt in der Energieversorgung Europas eine besondere Rolle. Geht es nach dem amerikanischen Energieexperten Thane Gustafson, wird das auch so bleiben. Trotz der Spannungen zwischen Russland und den Staaten Europas, trotz des Streits über den Bau der Nord-Stream-2-Pipeline und trotz aller Bestrebungen hin zu einer kohlendioxidfreien Wirtschaft gibt er der Gasbrücke eine Überlebenschance "für ein paar weitere Jahrzehnte". Seine Begründung: Die russisch-europäische Gasbrücke habe so viele politische und wirtschaftliche Veränderungen überlebt, weil sie immer gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen gedient habe - und das sei so bis heute.
Diesen Interessen spürt der an der Georgetown University lehrende Politikwissenschaftler und Russland-Experte in seinem neuen Buch nach. Los geht es in den fünfziger Jahren, als die Niederländer den Markt für Erdgas als Heizenergie entwickelten und niemand wusste, welchen Preis man veranschlagen solle. Gustafson führt den Leser auf Entdeckungsreise in die kommunistische Sowjetunion, nach Norwegen, wo der heutige Reichtum durch Gas und Öl eher ein Zufallsfund war. Im Zentrum der Betrachtung stehen Deutschland und die Sowjetunion im Kalten Krieg, der Kollaps der UdSSR, deren Folgen für die Gaswirtschaft und für die Ukraine als zentralen Mitspieler im Ost-West-Energiegeschäft.
Die politische Beschreibung ergänzt der Autor durch das, was er als die eigentlichen Treiber der Entwicklung beschreibt: technischen Fortschritt wie das Bohren nach "Shale Gas" und die Verflüssigung, die Erdgas zu einer von Leitungen unabhängigen, aber dem weltweiten Preiswettbewerb ausgesetzten Ware macht. Damit verbunden ist die von der EU-Kommission beharrlich verfolgte Liberalisierung der Energiewirtschaft, die von der Weltbank und dem Währungsfonds in den neunziger Jahren bis nach Russland getragen wurde. Eine Politik, die Russlands Staatskonzern Gasprom Optionen in Europa eröffnete, die der allerdings nicht recht zu nutzen weiß, was auch an der Politisierung des Gasgeschäfts durch den Kreml liegt. Gustafsons Buch ist faktengesättigt, gut lesbar und mit leichter Hand geschrieben. Man hätte auf manche Anekdote verzichten können, aber das schmälert nicht den Wert dieses Grundlagenwerks über die wechselhafte Geschichte und vielfältigen Kooperationen der Gaswirtschaft Russlands und Europas.
ANDREAS MIHM
Thane Gustafson: The Bridge. Natural Gas in a Redivided Europe. Harvard University Press, Cambridge 2020. 506 Seiten. 36 Euro
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