Delmore Schwartz said about The Cantos: "They are one of the touchstones of modern poetry." William Carlos WIlliams said "[Pound] discloses history by its odor, by the feel of it-in the words; fuses it with the words, present and past, to MAKE his Cantos. Make them." Since the 1969 revised edition, the Italian Cantos LXXII and LXXIII (as well as a 1966 fragment concluding the work) have been added. Now appearing for the first time is Pound's recently found Eglish translation of Italian Canto LXXII.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012Feuer und Asche im Mund des tobsüchtigen Troubadours
Sein Arbeitsleben investierte Ezra Pound ins Versepos "Die Cantos". Eva Hesse hat ihres mit dessen nun vollendeter Übersetzung ins Deutsche verbracht.
Von Dietmar Dath
Das unvergleichliche Buch aus Gift und Licht, Schrott und Wert mündet außerhalb des autorisierten Textkörpers im Fragmentarischen. Es verlischt in einer Geste von literaturgeschichtlich nicht wiederholbarer Schönheit: "That I lost my center / fighting the world." Das heißt in der deutschen Gesamtausgabe, die es jetzt gibt: "Ich habe meine Mitte verloren / da ich antrat gegen die Welt." Eine verwandte Bilanz: "I have tried to write paradise / Do not move / Let the wind speak / that is paradise. / Let the Gods forgive what I / have made / Let those I love try to forgive / what I have made." Die letzten beiden Verse heißen deutsch: "Lass die, die ich liebe, mir nachsehn / was ich hervorgebracht. " Ein lyrisches Ich wollte die politische Weltepoche durchdringen und die erotisch-seelische umgreifen. Am Ende steht ein Offenbarungseid. Seine Übertragung in unsere Sprache krönt ein zweites Lebenswerk, das der Eva Hesse, unterstützt von Manfred Pfister, akribisch erläutert im Anhang von der Übersetzerin und Heinz Ickstadt.
Mit Pounds Ergebung ins Misslingen, das ist die Pointe, gelang das Werk eben doch - und zwar so unantastbar, dass die gesamte englischsprachige Dichtung danach auf dem geborstenen Tempel bauen konnte: Wann immer die redseligste Weltsprache der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wahre, schöne, knappe Dinge sagen wollte, redete dieser Demagoge, Bekenner, Spinner und Seher mit - in Elizabeth Bishops unauslöschlichen Bildern, Robert Lowells privatesten Bekenntnissen oder den Fieberträumen der Beatniks. Noch der kühnste lebende amerikanische Lyriker, Frederick Seidel, dessen jüngstes Bändchen "Nice Weather" derzeit die anglophone Kritik verblüfft und der für Pounds politische Positionen nicht einmal einen Klecks Spucke übrighätte, hat das Erbe angenommen - und arbeitet sich bis heute daran ab.
Die jahrzehntelange Arbeit Pounds an seinem Hauptwerk, den "Cantos", begann ganz ähnlich, als Überwindung und Inventarisierung der anglophonen Lyrik seiner Zeit und Emanzipationsversuch von deren Maßgaben. Die erste Lieferung zum "Poem of some length" erschien 1925, nach dem Einzug in Rapallo, wo er zwei Jahrzehnte bleiben sollte, bis er, der Mussolini-Enthusiast, sich bei Kriegsende den Partisanen stellte, vom amerikanischen Militär in einen Isolationskäfig gesperrt wurde und in Haft die bewegendste Abteilung des Hauptwerks schrieb, die "Pisaner Cantos". Als Landesverräter von Hinrichtung bedroht, lange Jahre als für unzurechnungsfähig Befundener in einer Anstalt interniert, blieb er mit den Motiven des Hauptwerks beschäftigt und hat sich auch nach seiner Rückkehr nach Italien wohl bis kurz vor seinem Tod, 1972 in Venedig, nie ganz davon abgewandt.
1917 hatte er für sich aufgeschlüsselt, was Dichtung sei - ein Dreifaltiges: Phanopoeia, das starke Bild, Logopeia, das gültige Wort, und Melopoeia, prosodische Musik. Schon in der "imagistischen" Phase schrieb er meist vom Melos her; die "Images" waren immer auch Klangbilder (der Sog der Musik führte ihn bis in eigene Singspiel- und andere Kompositionen, dokumentiert etwa in aufschlussreichen jüngeren Einspielungen des Other-Minds-Ensembles).
Pounds absolutes Gehör für Verskunst ist unbestritten - mehr als selbst der fugensichere Brückenbauer Hart Crane oder der Kammermusiker T. S. Eliot veredelte er das Silbensetzerhandwerk, die Wechselbefruchtung von Klangmaterial, Gegenstand und Haltung. Seine Handschrift ist dabei eine der "fallweisen Metrik" - das heißt, er verschmähte es, wie seine angelsächsischen Vorbereiter auf eine fixe Form wie den elisabethanischen Blankvers oder das Couplet des achtzehnten Jahrhunderts zu bauen. Nicht, dass jene Formen unbrauchbar geworden wären: Noch vor wenigen Jahrzehnten hat ein Deutscher, Peter Hacks, schlüssige Couplets gebaut. Pound hätte das tun können. Er wollte nicht.
Stattdessen sollten Neuzüchtungen aus einem Spektrum von "ye olde Englishe" bis "Pidgin Eskimo" das vorgefundene sprachgenetische Material in mutationsbegünstigendes Schäumen versetzen. Dies gelang - vielleicht gegen alle Wahrscheinlichkeit, sicher aber gegen den Willen von Wegbegleiterinnen und -begleitern Pounds, die den vers libre als Dogma der Formpreisgabe missverstanden, statt ihn als Einladung zur produktiven Unzucht der Formen untereinander zu begrüßen. Freiheit war Pound nur denkbar als Spielraum zwischen unumstößlichen Setzungen. Er war ein Autoritärer und ließ als öffentlicher Intellektueller seine Abneigung gegen jede Regellosigkeit zur Raserei aufkochen: Konfuzius, Mussolini, die starke Hand ganz allgemein sollte die Kunst vor der Nivellierung durch Tauschwertwirtschaft und Beliebigkeit bewahren.
Anders als bei Eliots absolutistischem Anglikanertum, Brechts und Majakowskis Bolschewismus, William Empsons Maoismus aber ist es gerade das politisch-ideengeschichtlich Bekenntnis, das Pounds Formen auf dem Höhepunkt der Polemik eher verschlampen, entgleisen, verschmieren lässt, statt sie zu halten oder zu tragen: Die italienischen Canto-Einschübe, Schwarzhemdengelöbnisse und Marinetti-Elegien, sind klappernder Krampf.
Pounds Geld-, Zins- und Wuchertheorien, verstiegen, zwanghaft, ausufernd, Gefuchtel statt Argumentbauten, hätten ihn fast besiegt. Die Volkstribunenrolle zwang den Schauspieler in ihm, den inneren Regisseur, schließlich den inneren Dramatiker zu überwältigen.
Flugblätter statt Oden: Er war wahrhaftig weit von seinem Weg abgekommen und wäre doch am liebsten so etwas wie ein Gildemeister gewesen, weshalb ihn an Mussolinis ständischem, mit pompösen Meritokratielügen dekoriertem Faschismus alles anzog und am völkischen Hitlers, den er seltener anhimmeltee, nur sehr wenig. Der Antisemitismus indes, das Feldzeichen aller antiegalitären Kapitalismuskritik, war auch seines. So kam es, dass. Pound, der Katharer und Mystiker gegen Priester, Kreuzfahrer und andere Pogromisten hochhielt, nicht wissen wollte, was in den Vernichtungslagern geschah, während er im Radio Roosevelt verhöhnte. Als Politiker und Ökonom war Pound ein Gummi-Goebbels und Radau-Rosenberg, dessen Geschichtsbild vor lauter Morphologie nicht abbilden konnte, was die Stunde geschlagen hatte. War darum auch seine Kunst anachronistisch, der Anspruch, ein Versepos zu erfinden, von vornherein Blödsinn? Man könnte ja, mit Marx, aus dem Rohentwurf zum "Kapital", fragen: "Ist Achilles möglich mit Pulver und Blei? Oder überhaupt die Iliade mit der Druckerpresse, und gar Druckmaschine? Hört das Singen und Sagen und die Muse mit dem Pressbengel nicht notwendig auf, also verschwinden nicht notwendige Bedingungen der epischen Poesie?" Marx war der Meinung, dies sei so, weil "die unreifen gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie entstand, und allein entstehen konnte, nie wiederkehren können".
Die "Cantos" mag man vielleicht als Anfechtung dieser These nicht haben, weil ihr Verfasser Faschist war. Wie aber ging es zu, dass das entschieden nichtfaschistische Ingenium Louis Zukofskys das Versepos "A" hat erfinden können, und wo hat der postkoloniale Dichter Derek Walcott sein Werk "Omeros" hergenommen? Beide verdanken Pounds Vorarbeit einiges, mehr aber noch einem Umstand, der in Marxens Gedankengang nicht erfasst ist, sich aber mit marxistischen Kategorien leicht beschreiben lässt: Das Epos dokumentiert einen spezifisch historischen Stand nicht nur des ästhetischen Materials, in Korrespondenz etwa mit einem Stand der Produktivkräfte, sondern auch eine mit beiden vielfältig verflochtene, datierbare Subjektivität. Sie zu erfinden, indem von ihr aus ein Geschichtsbild gemalt wird, liegt im Wesen des Epos.
So kamen die modernistischen Versepenschreiber, von Pound bis Walcott, auf ganz ähnliche Weise in die Welt wie die von Pound geliebten Troubadoure. Die Kirchenväter noch hatten bestimmte Triebe verdammt, die Scholastiker mussten sie schon loben, weil sie sich zur "Minne" sublimieren und der Herstellung einer neuen höfischen Subjektivität dienstbar machen ließen, vor entsprechendem Klassenhintergrund. Was dem Mittelalter Ritterlichkeit und Minne, waren der Hochmoderne die Massenbildung (die "Cantos" platzen vor Bildungsgut, das nur deshalb so entlegen ist, weil es Avantgarde sein will), die Massenpolitik (von Sozialismus bis Faschismus) und die organisierte Massensuggestion vor dem Hintergrund der neuen Medien und der technisch reproduzierten Bilder (Pounds aus China importierte Ideogrammatik schöpft nicht aus Vorzeiten, sondern verweist voraus aufs Zeitalter der Typographie, des Kinos und der Comics).
In die Welt der neuen Massen stellt Pound sich als lyrisches - und das heißt bei ihm, weil er Troubadour sein will: erotisches - Subjekt, wie der wirkliche Troubadour sich in der höfischen inszenierte. Der erotische Mythos, den die "Cantos" erzählen und der von sich behauptet, eine Linie von den eleusinischen Mysterien über Dante und die bis zum spätromantischen keltischen Dämmer um W. B. Yeats wiederaufzunehmen, kann daher als Kompass im verschlungenen Ganzen der "Cantos" dienen. Eva Hesse hat über diesen Mythos, seine Quellen und Folgen vor vier Jahren die Studie ",Ich liebe, also bin ich' - Der unbekannte Ezra Pound" veröffentlicht. Ihr übersetzerisches Riesenwerk gehorcht dem entsprechenden Lesemodell als praktische Umsetzung der klügsten Pound-Exegetik, wie man sie etwa in Akiko Miyakes "Ezra Pound and the Mysteries of Love" von 1991 findet: Liebe soll durch alle Zeiten scheinen als das, was bleibt, wenn alles bricht - nicht, weil sie zeitlos wäre, sondern weil sie die absolute Gegenwart setzt (für die ein anderes Wort "Modernität" heißen könnte).
Ein deutscher Dichter rief einem Kollegen bewundernd nach, jener habe das "vollständige Deutsch" geschrieben - gemeint war, dass der Wortschatz des Verehrten den letzten und wüstesten Dreck so sicher barg wie die zarteste Pretiose. Pound strebte nach demselben Ideal. In Eva Hesses verdeutschendem Prisma erinnert er sich im neununddreißigsten Gesang, wie er "auf Zirzes Altan" lag, im Zauber, und "Frauen sprachen vom Ficken, Tiere vom Fressen".
"The ingle of Circe", wo man von "fucking" spricht: Pound schrieb das vollständige Englisch - zu einer Zeit, da diese Sprache von Amerika aus zum (wohl vorübergehenden . . .) Platzhalter einer imaginären Gesamtsprache der Menschengattung zu werden begann.
Eva Hesse hat nicht die einzig mögliche, auch nicht die einzig richtige Übersetzung der "Cantos" geschaffen. Aber vollständig - im riskantesten Wortsinn -, das ist sie.
Ezra Pound: "Die Cantos".
In der Übersetzung von Eva Hesse. Zweisprachige Ausgabe. Arche Literatur Verlag, Zürich 2012. 1500 S., geb., 98,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sein Arbeitsleben investierte Ezra Pound ins Versepos "Die Cantos". Eva Hesse hat ihres mit dessen nun vollendeter Übersetzung ins Deutsche verbracht.
Von Dietmar Dath
Das unvergleichliche Buch aus Gift und Licht, Schrott und Wert mündet außerhalb des autorisierten Textkörpers im Fragmentarischen. Es verlischt in einer Geste von literaturgeschichtlich nicht wiederholbarer Schönheit: "That I lost my center / fighting the world." Das heißt in der deutschen Gesamtausgabe, die es jetzt gibt: "Ich habe meine Mitte verloren / da ich antrat gegen die Welt." Eine verwandte Bilanz: "I have tried to write paradise / Do not move / Let the wind speak / that is paradise. / Let the Gods forgive what I / have made / Let those I love try to forgive / what I have made." Die letzten beiden Verse heißen deutsch: "Lass die, die ich liebe, mir nachsehn / was ich hervorgebracht. " Ein lyrisches Ich wollte die politische Weltepoche durchdringen und die erotisch-seelische umgreifen. Am Ende steht ein Offenbarungseid. Seine Übertragung in unsere Sprache krönt ein zweites Lebenswerk, das der Eva Hesse, unterstützt von Manfred Pfister, akribisch erläutert im Anhang von der Übersetzerin und Heinz Ickstadt.
Mit Pounds Ergebung ins Misslingen, das ist die Pointe, gelang das Werk eben doch - und zwar so unantastbar, dass die gesamte englischsprachige Dichtung danach auf dem geborstenen Tempel bauen konnte: Wann immer die redseligste Weltsprache der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wahre, schöne, knappe Dinge sagen wollte, redete dieser Demagoge, Bekenner, Spinner und Seher mit - in Elizabeth Bishops unauslöschlichen Bildern, Robert Lowells privatesten Bekenntnissen oder den Fieberträumen der Beatniks. Noch der kühnste lebende amerikanische Lyriker, Frederick Seidel, dessen jüngstes Bändchen "Nice Weather" derzeit die anglophone Kritik verblüfft und der für Pounds politische Positionen nicht einmal einen Klecks Spucke übrighätte, hat das Erbe angenommen - und arbeitet sich bis heute daran ab.
Die jahrzehntelange Arbeit Pounds an seinem Hauptwerk, den "Cantos", begann ganz ähnlich, als Überwindung und Inventarisierung der anglophonen Lyrik seiner Zeit und Emanzipationsversuch von deren Maßgaben. Die erste Lieferung zum "Poem of some length" erschien 1925, nach dem Einzug in Rapallo, wo er zwei Jahrzehnte bleiben sollte, bis er, der Mussolini-Enthusiast, sich bei Kriegsende den Partisanen stellte, vom amerikanischen Militär in einen Isolationskäfig gesperrt wurde und in Haft die bewegendste Abteilung des Hauptwerks schrieb, die "Pisaner Cantos". Als Landesverräter von Hinrichtung bedroht, lange Jahre als für unzurechnungsfähig Befundener in einer Anstalt interniert, blieb er mit den Motiven des Hauptwerks beschäftigt und hat sich auch nach seiner Rückkehr nach Italien wohl bis kurz vor seinem Tod, 1972 in Venedig, nie ganz davon abgewandt.
1917 hatte er für sich aufgeschlüsselt, was Dichtung sei - ein Dreifaltiges: Phanopoeia, das starke Bild, Logopeia, das gültige Wort, und Melopoeia, prosodische Musik. Schon in der "imagistischen" Phase schrieb er meist vom Melos her; die "Images" waren immer auch Klangbilder (der Sog der Musik führte ihn bis in eigene Singspiel- und andere Kompositionen, dokumentiert etwa in aufschlussreichen jüngeren Einspielungen des Other-Minds-Ensembles).
Pounds absolutes Gehör für Verskunst ist unbestritten - mehr als selbst der fugensichere Brückenbauer Hart Crane oder der Kammermusiker T. S. Eliot veredelte er das Silbensetzerhandwerk, die Wechselbefruchtung von Klangmaterial, Gegenstand und Haltung. Seine Handschrift ist dabei eine der "fallweisen Metrik" - das heißt, er verschmähte es, wie seine angelsächsischen Vorbereiter auf eine fixe Form wie den elisabethanischen Blankvers oder das Couplet des achtzehnten Jahrhunderts zu bauen. Nicht, dass jene Formen unbrauchbar geworden wären: Noch vor wenigen Jahrzehnten hat ein Deutscher, Peter Hacks, schlüssige Couplets gebaut. Pound hätte das tun können. Er wollte nicht.
Stattdessen sollten Neuzüchtungen aus einem Spektrum von "ye olde Englishe" bis "Pidgin Eskimo" das vorgefundene sprachgenetische Material in mutationsbegünstigendes Schäumen versetzen. Dies gelang - vielleicht gegen alle Wahrscheinlichkeit, sicher aber gegen den Willen von Wegbegleiterinnen und -begleitern Pounds, die den vers libre als Dogma der Formpreisgabe missverstanden, statt ihn als Einladung zur produktiven Unzucht der Formen untereinander zu begrüßen. Freiheit war Pound nur denkbar als Spielraum zwischen unumstößlichen Setzungen. Er war ein Autoritärer und ließ als öffentlicher Intellektueller seine Abneigung gegen jede Regellosigkeit zur Raserei aufkochen: Konfuzius, Mussolini, die starke Hand ganz allgemein sollte die Kunst vor der Nivellierung durch Tauschwertwirtschaft und Beliebigkeit bewahren.
Anders als bei Eliots absolutistischem Anglikanertum, Brechts und Majakowskis Bolschewismus, William Empsons Maoismus aber ist es gerade das politisch-ideengeschichtlich Bekenntnis, das Pounds Formen auf dem Höhepunkt der Polemik eher verschlampen, entgleisen, verschmieren lässt, statt sie zu halten oder zu tragen: Die italienischen Canto-Einschübe, Schwarzhemdengelöbnisse und Marinetti-Elegien, sind klappernder Krampf.
Pounds Geld-, Zins- und Wuchertheorien, verstiegen, zwanghaft, ausufernd, Gefuchtel statt Argumentbauten, hätten ihn fast besiegt. Die Volkstribunenrolle zwang den Schauspieler in ihm, den inneren Regisseur, schließlich den inneren Dramatiker zu überwältigen.
Flugblätter statt Oden: Er war wahrhaftig weit von seinem Weg abgekommen und wäre doch am liebsten so etwas wie ein Gildemeister gewesen, weshalb ihn an Mussolinis ständischem, mit pompösen Meritokratielügen dekoriertem Faschismus alles anzog und am völkischen Hitlers, den er seltener anhimmeltee, nur sehr wenig. Der Antisemitismus indes, das Feldzeichen aller antiegalitären Kapitalismuskritik, war auch seines. So kam es, dass. Pound, der Katharer und Mystiker gegen Priester, Kreuzfahrer und andere Pogromisten hochhielt, nicht wissen wollte, was in den Vernichtungslagern geschah, während er im Radio Roosevelt verhöhnte. Als Politiker und Ökonom war Pound ein Gummi-Goebbels und Radau-Rosenberg, dessen Geschichtsbild vor lauter Morphologie nicht abbilden konnte, was die Stunde geschlagen hatte. War darum auch seine Kunst anachronistisch, der Anspruch, ein Versepos zu erfinden, von vornherein Blödsinn? Man könnte ja, mit Marx, aus dem Rohentwurf zum "Kapital", fragen: "Ist Achilles möglich mit Pulver und Blei? Oder überhaupt die Iliade mit der Druckerpresse, und gar Druckmaschine? Hört das Singen und Sagen und die Muse mit dem Pressbengel nicht notwendig auf, also verschwinden nicht notwendige Bedingungen der epischen Poesie?" Marx war der Meinung, dies sei so, weil "die unreifen gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie entstand, und allein entstehen konnte, nie wiederkehren können".
Die "Cantos" mag man vielleicht als Anfechtung dieser These nicht haben, weil ihr Verfasser Faschist war. Wie aber ging es zu, dass das entschieden nichtfaschistische Ingenium Louis Zukofskys das Versepos "A" hat erfinden können, und wo hat der postkoloniale Dichter Derek Walcott sein Werk "Omeros" hergenommen? Beide verdanken Pounds Vorarbeit einiges, mehr aber noch einem Umstand, der in Marxens Gedankengang nicht erfasst ist, sich aber mit marxistischen Kategorien leicht beschreiben lässt: Das Epos dokumentiert einen spezifisch historischen Stand nicht nur des ästhetischen Materials, in Korrespondenz etwa mit einem Stand der Produktivkräfte, sondern auch eine mit beiden vielfältig verflochtene, datierbare Subjektivität. Sie zu erfinden, indem von ihr aus ein Geschichtsbild gemalt wird, liegt im Wesen des Epos.
So kamen die modernistischen Versepenschreiber, von Pound bis Walcott, auf ganz ähnliche Weise in die Welt wie die von Pound geliebten Troubadoure. Die Kirchenväter noch hatten bestimmte Triebe verdammt, die Scholastiker mussten sie schon loben, weil sie sich zur "Minne" sublimieren und der Herstellung einer neuen höfischen Subjektivität dienstbar machen ließen, vor entsprechendem Klassenhintergrund. Was dem Mittelalter Ritterlichkeit und Minne, waren der Hochmoderne die Massenbildung (die "Cantos" platzen vor Bildungsgut, das nur deshalb so entlegen ist, weil es Avantgarde sein will), die Massenpolitik (von Sozialismus bis Faschismus) und die organisierte Massensuggestion vor dem Hintergrund der neuen Medien und der technisch reproduzierten Bilder (Pounds aus China importierte Ideogrammatik schöpft nicht aus Vorzeiten, sondern verweist voraus aufs Zeitalter der Typographie, des Kinos und der Comics).
In die Welt der neuen Massen stellt Pound sich als lyrisches - und das heißt bei ihm, weil er Troubadour sein will: erotisches - Subjekt, wie der wirkliche Troubadour sich in der höfischen inszenierte. Der erotische Mythos, den die "Cantos" erzählen und der von sich behauptet, eine Linie von den eleusinischen Mysterien über Dante und die bis zum spätromantischen keltischen Dämmer um W. B. Yeats wiederaufzunehmen, kann daher als Kompass im verschlungenen Ganzen der "Cantos" dienen. Eva Hesse hat über diesen Mythos, seine Quellen und Folgen vor vier Jahren die Studie ",Ich liebe, also bin ich' - Der unbekannte Ezra Pound" veröffentlicht. Ihr übersetzerisches Riesenwerk gehorcht dem entsprechenden Lesemodell als praktische Umsetzung der klügsten Pound-Exegetik, wie man sie etwa in Akiko Miyakes "Ezra Pound and the Mysteries of Love" von 1991 findet: Liebe soll durch alle Zeiten scheinen als das, was bleibt, wenn alles bricht - nicht, weil sie zeitlos wäre, sondern weil sie die absolute Gegenwart setzt (für die ein anderes Wort "Modernität" heißen könnte).
Ein deutscher Dichter rief einem Kollegen bewundernd nach, jener habe das "vollständige Deutsch" geschrieben - gemeint war, dass der Wortschatz des Verehrten den letzten und wüstesten Dreck so sicher barg wie die zarteste Pretiose. Pound strebte nach demselben Ideal. In Eva Hesses verdeutschendem Prisma erinnert er sich im neununddreißigsten Gesang, wie er "auf Zirzes Altan" lag, im Zauber, und "Frauen sprachen vom Ficken, Tiere vom Fressen".
"The ingle of Circe", wo man von "fucking" spricht: Pound schrieb das vollständige Englisch - zu einer Zeit, da diese Sprache von Amerika aus zum (wohl vorübergehenden . . .) Platzhalter einer imaginären Gesamtsprache der Menschengattung zu werden begann.
Eva Hesse hat nicht die einzig mögliche, auch nicht die einzig richtige Übersetzung der "Cantos" geschaffen. Aber vollständig - im riskantesten Wortsinn -, das ist sie.
Ezra Pound: "Die Cantos".
In der Übersetzung von Eva Hesse. Zweisprachige Ausgabe. Arche Literatur Verlag, Zürich 2012. 1500 S., geb., 98,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2013Denn in ihren
Seelen war
der Wucher
Viele glauben, die Zukunft des Kapitalismus
liege im Verzicht auf Wachstum. Aber gab es das
nicht schon einmal? Ezra Pounds „Cantos“,
ihre deutschen Übersetzungen und das Schicksal
einer alten italienischen Bank
VON THOMAS STEINFELD
Wenn in dieser Woche der Preis der Leipziger Buchmesse vergeben wird, befindet sich unter den Kandidaten im Fach „Übersetzung“ ein Lebenswerk: Eva Hesses nunmehr vollständige deutsche Version der „Cantos“ des amerikanischen Lyrikers Ezra Pound. Fünfzig Jahre hat sie an diesem Werk gearbeitet, ungefähr genauso lang wie der Dichter an den „Cantos“ selber: Entstanden sind die „Cantos“ zwischen den Jahren 1917 und 1966. Über die Übersetzung lernte Eva Hesse den Autor kennen, ließ symbiotische Verhältnisse entstehen (indem sie selbst zum Gegenstand einiger Verse wurde) und hatte am Ende die Größe, die Übersetzung auf die rechte Seite neben dem Original zu stellen – so dass der Leser die Abweichungen erkennt, das kaum zu Übersetzende, aber auch die deutenden Eingriffe.
Ein Buch von fast 1500 Seiten ist dabei herausgekommen, in großem Format, zwar Dünndruck, aber immer noch ein schwerer Brocken, versehen mit einem Nachwort und umfänglichen Kommentaren (der Leser braucht beides). Wer soll das lesen, mag man sich da fragen, so viel Poesie und moderne zudem, mit unzähligen Satz- und Gedankenbrüchen, ausschweifend in jeder Beziehung und niederschmetternd in ihrer Gelehrsamkeit? Verfasst zudem von einem Autor, von dem man, auch wenn man fast nichts von ihm kennt, doch weiß, dass er in den zwanziger Jahren zu einem Anhänger Benito Mussolinis wurde und nach dem Krieg ein Faschist blieb?
Man sollte an anderer Stelle beginnen: Vor ein paar Wochen musste der italienische Staat die Bank „Monte dei Paschi die Siena“ – es ist die drittgrößte des Landes – mit Krediten in Höhe von fast vier Milliarden Euro retten. Ein paar Tage später wurde der ehemalige Leiter der Finanzabteilung dieser Bank festgenommen, wegen Betrugs. Und zuletzt verklagte der „Monte dei Paschi“ die Deutsche Bank, sie mit minderwertigen Derivaten hintergangen zu haben. Diese Bank nun, das älteste noch arbeitende Finanzhaus der Welt, spielt in den „Cantos“ eine große Rolle – nicht nur nebenher, als einer von unendlich vielen Kreuz- und Querverweisen, nicht nur, weil Geld, Kredit und Zins zu den wichtigsten Motiven dieser Gesänge gehören, nicht nur, weil Ezra Pound einen großen Teil seines Lebens in Italien verbrachte (was sich an vielen Stellen seines Werks spiegelt), sondern weil dem „Monte“ gleich mehrere „Cantos“ gewidmet sind: „damn good bank, in Siena / a mount, a bank, a fund a bottom / an institution of credit“ („eine verdammt gute Bank, in Siena / Ein Berg, eine Bank, ein Fond, ein Boden / eine Kreditanstalt“). Dieses Geldhaus, so Ezra Pound, war ein Anfang, an dem ein Gemeinwesen geordnet war, und so blieb es, in Siena, erstaunlich lange Zeit. Dass auch der „Monte dei Paschi“ im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert mit „fund“ und „bottom“ nicht mehr viel zu tun haben sollte, konnte der Dichter ja nicht wissen.
Denn Pound war ausgezogen, vielleicht nicht zur Rettung zur Welt, so doch mindestens zu einer Rückkehr in die Heimat. „Und gingen hinunter zum Schiff. / Kiel gegen Brecher gestellt, Bugspriet aufs heilige Meer.“ Mit Odysseus bricht er auf, im ersten „Canto“, zu einer langen Irrfahrt, die ihn zu Thomas Jefferson und Konfuzius führt, zu Lucrezia Borgia und Marschall Pétain, zu den Häuptlingen der Gallier und zu Josef Stalin, und Filippo Tommaso Marinetti, das Haupt der Futuristen, kehrt von den Toten zurück und bereut (im Original in altertümelndem Italienisch): „Allzu sehr suchte ich den eitlen Schein, / Liebte den Knalleffekt mehr als Weisheit“, um dann seinem Freund und Kritiker Ezra Pound zuzugeben, dass er mehr Klassiker hätte lesen sollen. Der gewaltige Aufwand, der in den „Cantos“ veranstaltet wird, die Generalmobilmachung der historischen und der zeitgenössischen, der intellektuellen und der sinnlichen Welt, von Slang und Bibelsprache, dient diesem Ziel: am Ende aller Irrfahrten sagen zu können, da sei einer angekommen. Und ankommen will der Dichter, obwohl er bald weiß, dass es nicht so sein wird: „Lass den Wind reden / so ist es das Paradies“, heißt es in den letzten, Fragment gebliebenen Versen des Werkes.
„Gut“ sollte der „Monte dei Paschi“ sein, im Jahr 1472 als Leihhaus gegründet, weil er „Darlehen nur gegen Pfandsachen gewährt, / will sagen, gegen tatsächlich versetztes Gut“, ohne eigenes Gewinninteresse, ohne spekulativen Eifer, ausschließlich zum Wohl der Bürger von Siena. Die „paschi“ waren die Weiden südlich der Stadt, aus denen sich die Bank finanzierte. Wäre die Geldwirtschaft geblieben, was sie damals war, meint Ezra Pound, lokal geerdet und nur den Menschen eines überschaubaren Kreises verpflichtet, wäre nie der „verheerte Ameisenhaufen“ entstanden, als der sich Europa nun darstelle, mit ihm selbst darin als „einsamer Ameise“.
Diese „gute Bank“ wird von Ezra Pound beschrieben wie ein historischer Held. Sie fügt sich ein in die Reihe der große Protagonisten der „Cantos“, zwischen Odysseus und dem englischen Dichter Robert Browning, zwischen dem Renaissance-Feldherrn Sigismondo Malatesta, dem „Wolf von Rimini“, und Benito Mussolini – und ist doch zugleich mehr als diese historischen Menschen, weil sie ein Prinzip von sozialer Ordnung verkörpert. Und wenn sie einen einzelnen historischen Widersacher hat, ist auch dieser kein Mensch, sondern eine Institution: die Bank of England, die, gut zweihundert Jahre später entstanden, „Gelder aus dem Nichts erschafft“, also den Schuldenumlauf finanziert und damit das Elend der Neuzeit begründet.
„Make it new“, hatte Ezra Pound sein poetisches Verfahren überschrieben, „mach es neu“. Gemeint war damit eine grundsätzliche Erneuerung der literarischen Ausdrucksformen, einer größeren Genauigkeit, tieferen Wahrheit, höheren Einsicht wegen. „Aufladen“ müsse man die Sprache, heißt es in Ezra Pounds „ABC des Lesens“ aus dem Jahr 1934, das in diesen Tagen neu auf Deutsch erschienen ist: Denn der „Sinn“ sei „nichts Starres“, sondern entstehe im fliegenden Wechsel der Assoziationen. Der freie Vers, die schnellen Wechsel von Gegenstand und Perspektive, die fragmentarischen Sätze, das Spiel mit der Mündlichkeit, das Fantastische und das ganze poetische Register der literarischen Moderne, die sich mit und durch Ezra Pound in der angelsächsischen Lyrik durchsetzte, diente dabei einem metaphysischen Zweck: Sie zielt auf einen ebenso von Grund auf verfehlten wie gauklerischen Weltzustand, hinter dem es eine andere, bessere, höhere Wirklichkeit geben muss. Die Anstrengung zeugt zwar von einem Glauben an die Macht der Dichtkunst, der achtzig Jahre danach selbst arge Übertreibung, wenn nicht als Täuschung erscheint. An Ernst und Fleiß aber fehlt es ihm gewiss nicht.
Es gehört zur Dialektik der ästhetischen Moderne, dass sie, je moderner sie sein will, desto heftiger in archaische Formen zurückfällt. Das ist zum Beispiel bei Pablo Picasso (der auch einen Platz in den „Cantos“ hat) und den Kubisten so, wenn sie auf Muster aus der indigenen Kunst
zurückgreifen, das ist bei Walter Gropius
Auch wer von Pound fast nichts
kennt, weiß, dass er Faschist war –
und es auch nach dem Krieg blieb
➤Fortsetzung auf Seite 2
Geld, Gitter und Feder: „Kassenschalter einer Bank“ – das Bild des Malers Gabriel-Germain Joncherie entstand 1829.
FOTO: GETTY
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Seelen war
der Wucher
Viele glauben, die Zukunft des Kapitalismus
liege im Verzicht auf Wachstum. Aber gab es das
nicht schon einmal? Ezra Pounds „Cantos“,
ihre deutschen Übersetzungen und das Schicksal
einer alten italienischen Bank
VON THOMAS STEINFELD
Wenn in dieser Woche der Preis der Leipziger Buchmesse vergeben wird, befindet sich unter den Kandidaten im Fach „Übersetzung“ ein Lebenswerk: Eva Hesses nunmehr vollständige deutsche Version der „Cantos“ des amerikanischen Lyrikers Ezra Pound. Fünfzig Jahre hat sie an diesem Werk gearbeitet, ungefähr genauso lang wie der Dichter an den „Cantos“ selber: Entstanden sind die „Cantos“ zwischen den Jahren 1917 und 1966. Über die Übersetzung lernte Eva Hesse den Autor kennen, ließ symbiotische Verhältnisse entstehen (indem sie selbst zum Gegenstand einiger Verse wurde) und hatte am Ende die Größe, die Übersetzung auf die rechte Seite neben dem Original zu stellen – so dass der Leser die Abweichungen erkennt, das kaum zu Übersetzende, aber auch die deutenden Eingriffe.
Ein Buch von fast 1500 Seiten ist dabei herausgekommen, in großem Format, zwar Dünndruck, aber immer noch ein schwerer Brocken, versehen mit einem Nachwort und umfänglichen Kommentaren (der Leser braucht beides). Wer soll das lesen, mag man sich da fragen, so viel Poesie und moderne zudem, mit unzähligen Satz- und Gedankenbrüchen, ausschweifend in jeder Beziehung und niederschmetternd in ihrer Gelehrsamkeit? Verfasst zudem von einem Autor, von dem man, auch wenn man fast nichts von ihm kennt, doch weiß, dass er in den zwanziger Jahren zu einem Anhänger Benito Mussolinis wurde und nach dem Krieg ein Faschist blieb?
Man sollte an anderer Stelle beginnen: Vor ein paar Wochen musste der italienische Staat die Bank „Monte dei Paschi die Siena“ – es ist die drittgrößte des Landes – mit Krediten in Höhe von fast vier Milliarden Euro retten. Ein paar Tage später wurde der ehemalige Leiter der Finanzabteilung dieser Bank festgenommen, wegen Betrugs. Und zuletzt verklagte der „Monte dei Paschi“ die Deutsche Bank, sie mit minderwertigen Derivaten hintergangen zu haben. Diese Bank nun, das älteste noch arbeitende Finanzhaus der Welt, spielt in den „Cantos“ eine große Rolle – nicht nur nebenher, als einer von unendlich vielen Kreuz- und Querverweisen, nicht nur, weil Geld, Kredit und Zins zu den wichtigsten Motiven dieser Gesänge gehören, nicht nur, weil Ezra Pound einen großen Teil seines Lebens in Italien verbrachte (was sich an vielen Stellen seines Werks spiegelt), sondern weil dem „Monte“ gleich mehrere „Cantos“ gewidmet sind: „damn good bank, in Siena / a mount, a bank, a fund a bottom / an institution of credit“ („eine verdammt gute Bank, in Siena / Ein Berg, eine Bank, ein Fond, ein Boden / eine Kreditanstalt“). Dieses Geldhaus, so Ezra Pound, war ein Anfang, an dem ein Gemeinwesen geordnet war, und so blieb es, in Siena, erstaunlich lange Zeit. Dass auch der „Monte dei Paschi“ im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert mit „fund“ und „bottom“ nicht mehr viel zu tun haben sollte, konnte der Dichter ja nicht wissen.
Denn Pound war ausgezogen, vielleicht nicht zur Rettung zur Welt, so doch mindestens zu einer Rückkehr in die Heimat. „Und gingen hinunter zum Schiff. / Kiel gegen Brecher gestellt, Bugspriet aufs heilige Meer.“ Mit Odysseus bricht er auf, im ersten „Canto“, zu einer langen Irrfahrt, die ihn zu Thomas Jefferson und Konfuzius führt, zu Lucrezia Borgia und Marschall Pétain, zu den Häuptlingen der Gallier und zu Josef Stalin, und Filippo Tommaso Marinetti, das Haupt der Futuristen, kehrt von den Toten zurück und bereut (im Original in altertümelndem Italienisch): „Allzu sehr suchte ich den eitlen Schein, / Liebte den Knalleffekt mehr als Weisheit“, um dann seinem Freund und Kritiker Ezra Pound zuzugeben, dass er mehr Klassiker hätte lesen sollen. Der gewaltige Aufwand, der in den „Cantos“ veranstaltet wird, die Generalmobilmachung der historischen und der zeitgenössischen, der intellektuellen und der sinnlichen Welt, von Slang und Bibelsprache, dient diesem Ziel: am Ende aller Irrfahrten sagen zu können, da sei einer angekommen. Und ankommen will der Dichter, obwohl er bald weiß, dass es nicht so sein wird: „Lass den Wind reden / so ist es das Paradies“, heißt es in den letzten, Fragment gebliebenen Versen des Werkes.
„Gut“ sollte der „Monte dei Paschi“ sein, im Jahr 1472 als Leihhaus gegründet, weil er „Darlehen nur gegen Pfandsachen gewährt, / will sagen, gegen tatsächlich versetztes Gut“, ohne eigenes Gewinninteresse, ohne spekulativen Eifer, ausschließlich zum Wohl der Bürger von Siena. Die „paschi“ waren die Weiden südlich der Stadt, aus denen sich die Bank finanzierte. Wäre die Geldwirtschaft geblieben, was sie damals war, meint Ezra Pound, lokal geerdet und nur den Menschen eines überschaubaren Kreises verpflichtet, wäre nie der „verheerte Ameisenhaufen“ entstanden, als der sich Europa nun darstelle, mit ihm selbst darin als „einsamer Ameise“.
Diese „gute Bank“ wird von Ezra Pound beschrieben wie ein historischer Held. Sie fügt sich ein in die Reihe der große Protagonisten der „Cantos“, zwischen Odysseus und dem englischen Dichter Robert Browning, zwischen dem Renaissance-Feldherrn Sigismondo Malatesta, dem „Wolf von Rimini“, und Benito Mussolini – und ist doch zugleich mehr als diese historischen Menschen, weil sie ein Prinzip von sozialer Ordnung verkörpert. Und wenn sie einen einzelnen historischen Widersacher hat, ist auch dieser kein Mensch, sondern eine Institution: die Bank of England, die, gut zweihundert Jahre später entstanden, „Gelder aus dem Nichts erschafft“, also den Schuldenumlauf finanziert und damit das Elend der Neuzeit begründet.
„Make it new“, hatte Ezra Pound sein poetisches Verfahren überschrieben, „mach es neu“. Gemeint war damit eine grundsätzliche Erneuerung der literarischen Ausdrucksformen, einer größeren Genauigkeit, tieferen Wahrheit, höheren Einsicht wegen. „Aufladen“ müsse man die Sprache, heißt es in Ezra Pounds „ABC des Lesens“ aus dem Jahr 1934, das in diesen Tagen neu auf Deutsch erschienen ist: Denn der „Sinn“ sei „nichts Starres“, sondern entstehe im fliegenden Wechsel der Assoziationen. Der freie Vers, die schnellen Wechsel von Gegenstand und Perspektive, die fragmentarischen Sätze, das Spiel mit der Mündlichkeit, das Fantastische und das ganze poetische Register der literarischen Moderne, die sich mit und durch Ezra Pound in der angelsächsischen Lyrik durchsetzte, diente dabei einem metaphysischen Zweck: Sie zielt auf einen ebenso von Grund auf verfehlten wie gauklerischen Weltzustand, hinter dem es eine andere, bessere, höhere Wirklichkeit geben muss. Die Anstrengung zeugt zwar von einem Glauben an die Macht der Dichtkunst, der achtzig Jahre danach selbst arge Übertreibung, wenn nicht als Täuschung erscheint. An Ernst und Fleiß aber fehlt es ihm gewiss nicht.
Es gehört zur Dialektik der ästhetischen Moderne, dass sie, je moderner sie sein will, desto heftiger in archaische Formen zurückfällt. Das ist zum Beispiel bei Pablo Picasso (der auch einen Platz in den „Cantos“ hat) und den Kubisten so, wenn sie auf Muster aus der indigenen Kunst
zurückgreifen, das ist bei Walter Gropius
Auch wer von Pound fast nichts
kennt, weiß, dass er Faschist war –
und es auch nach dem Krieg blieb
➤Fortsetzung auf Seite 2
Geld, Gitter und Feder: „Kassenschalter einer Bank“ – das Bild des Malers Gabriel-Germain Joncherie entstand 1829.
FOTO: GETTY
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