"[The Cave] is yet another triumph . . . for Portugal's, or even the world's, greatest novelist. Read it." -- Washington Post A genuinely brilliant novel." -- Chicago Tribune Cipriano Algor, an elderly potter, lives with his daughter Marta and her husband Marçal in a small village on the outskirts of The Center, an imposing complex of shops and apartments to which Cipriano delivers his wares. One day, he is told not to make any more deliveries. Unwilling to give up his craft, Cipriano tries his hand at making ceramic dolls. Astonishingly, The Center places an order for hundreds. But just as suddenly, the order is canceled and the penniless three have to move from the village into The Center. When mysterious sounds of digging emerge from beneath their new apartment, Cipriano and Marçal investigate; what they find transforms the family's life. Filled with the depth, humor, and extraordinary philosophical richness that marks all of Saramago's novels, The Cave is one of the essential books of our time.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2002Weisheit schadet nicht
José Saramago schickt in seinem Roman „Zentrum” vier Personen und einen Hund in Platons Höhle
Die Welt ist, wie sie ist, ihre Bewegungen schwanken, ihre Explosionen und Tragödien sehen Seismographen heute ebenso wenig vorher wie vor hundert Jahren. Mit Kennerblick und Fernbedienung sitzen wir da und sortieren die Ereignisse in die Kategorien „Behalten” und „Vergessen”. Und das Glück, das für unsere Nachrichtenmaschinen eine unkalkulierbare Domäne ist, weil es durch alle Raster flutscht und erst prominent wird, wenn es vorbeigerauscht ist, dem Glück misstrauen wir. So ist die Welt, über die so viel hohles Gerede im Umlauf ist, und dann taucht ein Buch auf, einfach geschrieben und leicht wie das Glück, um es mit einem kurzen Wort auf die einfachste Art zu sagen. Und man denkt, da ist es ja endlich, und wer es nicht liest, ist selbst daran schuld.
José Saramagos Roman „Das Zentrum” ist ein Buch über das Fühlen und Denken und über die Kluft zwischen dem einfachen Leben und der Existenz in der gespenstischen modernen Welt. Vier Personen und ein Hund proben den Aufstand. Der vierundsechzigjährige Cipriano Algor, seine Tochter Marta, sein Schwiegersohn Marçal Gachos und Isaura Estudiosa. Noch leben sie in einem vom Friedhof dominierten Dorf. Der Witwer Cipriano hat der Witwe Isaura einen selbstgemachten Krug geschenkt, denn Cipriano ist Töpfer und brennt zusammen mit seiner Tochter Marta Teller, Tassen und Krüge im selben Brennofen wie die Generationen vor ihm. Cipriano, Marta und Marçal sitzen unter dem selben Maulbeerbaum, wohnen in dem selben einfachen Haus. Mit dem Krug betritt Eros die Geschichte, erst unerkannt, so gehört es sich für einen wie ihn, dann beginnt das Spiel von Heimlichkeit und Scham. Die Bedrohung dieses beschaulich- ländlichen Lebens liegt im Industriegürtel der nahen Stadt und nennt sich „Zentrum”. Ein Wohn- und Arbeitssilo, 48 Stockwerke über und zehn Stockwerke unter der Erde. Die Zentrumsbewohner sind die Auserwählten, sie leben in engster Gemeinschaft einer hygienisch von der Außenwelt isolierten Kunstwelt.
Saramago hat in seinem Roman Dialoge als Darstellungsform philosophischer Gedanken eingebaut und Eros als die treibende Kraft in Szene gesetzt. Der Hund, ein Nachfahr von Odysseus’ treuem Argos, ist groß, dunkel und klug, die Algors nennen ihn, weil niemand weiß, woher er kommt, Achado, das heißt Schatten. Saramago setzt den lange aus der Mode gekommenen wissenden und wunderbar listigen Erzähler ein, oft freut er sich, dass er mehr weiß als sein Personal, zum Beispiel, dass dies die Nacht war, in der Marta schwanger wurde.
„Das Zentrum” ist ein Höhepunkt im Werk des manchmal unerträglich schwermütigen José Saramago. Es gibt eine Inflation ephemerer Meisterwerke, viele schmeißen mit dem Begriff „Meisterwerk” um sich wie mit Luftschlangen. Als José Saramago 1998 den Nobelpreis erhielt, zweifelten viele an seinem Können. Hatte sich das Nobelpreis-Komitee wie meistens geirrt und unter zwei Kandidaten mit sicherer Hand den falschen erwählt? Statt des brillant funkelnden Bürgersohn, António Lobo Antunes, den anklagenden Bauernsohn José Saramago? Die beiden prominenten portugiesischen Schriftsteller kann man aber so wenig vergleichen, wie Goethe und Schiller oder Grass und Wolf. Die bildhafte Sprache von António Lobo Antunes singt, sirrt, tanzt und tobt. Saramagos Sprache ist klar und eindeutig, um ihren vereinnahmend ruhigen Rhythmus voranzutreiben, sind die Sätze mit Kommas wie mit Taktstrichen unterteilt. Wörter sind für Saramago Steine, Brücken, um den reißenden Fluss zu durchqueren. Die Wörter sind dazu da, das andere Ufer zu erreichen: „das andere Ufer”, sagt er, „ist es, was zählt.”
Wissen und Können
Er kommt mit wenigen Requisiten, Meditationsbank, Krug, Friedhof, Maulbeerbaum, aus. Chic zeitgeistig ist bei dem knapp achtzigjährigen Schriftsteller höchstens die eigene große Brille, die wie ein Schutzschild auf seiner kleinen Nase sitzt. „Die Menschen”, sagt der Töpfer Cipriano Algor, „sind kleine Dinge, die Menschen wollen stets die ersten Plätze einnehmen”, „sie wollen auch, dass man darüber spricht und dass die anderen es bemerken”.
Was „Das Zentrum” groß und weise macht, sind Saramagos lapidar in die Geschichte eingebetteten Erkenntnisse. „Es ist wohl wahr, dass weder die Jugend weiß, was sie kann, noch das Alter kann, was es weiß”. Weil Saramago eine Vorliebe für das Parabelhafte hat, sind Zeit und Ort des „Zentrums” ohne Bedeutung. Trotz seiner realistischen Erzählweise geht es dem Autor niemals darum, einen realistischen Roman über die rauchenden Schornsteine, die Fabriken, in denen die Plastikprodukte hergestellt werden, die das Ende für Cipriano Algors Töpferware bedeuten, zu erzählen. Saramago sagt, dass wir mehr über die Komplexität des Lebens erfahren, wenn wir die Widersprüche sozialer Klassen ernsthaft studieren, statt so viel Zeit mit den Übereinstimmungen und Zusammenhängen zu verlieren.
Cipriano Algor ist kein Mensch, der viel lacht, „und selbst ein offenes Lächeln sieht man an seinem Mund nur selten”, er reflektiert, und wenn er stecken bleibt, hilft ihm der Erzähler weiter, oder der Alte setzt sich auf den „Meditationsstein”. Cipriano fährt seinen Schwiegersohn, der Wachmann im Zentrum ist und hofft, zum Wachmann mit Dienstwohnung im Zentrum aufzusteigen, mit seinem alten Lieferwagen in diese „Stadt in der Stadt” und gibt bei der Warenannahmestelle seine Töpferprodukte ab, bis man ihm eines Tages sagt, dass kein Bedarf mehr besteht. Cipriano kippt die ausrangierte Töpferware in eine Höhle, wenn Jahrhunderte nach uns, überlegt er, Archäologen die Scherben finden, was wird die Forschung sagen?
Cipriano und seine Tochter geben noch nicht auf, sie behaupten die alte Welt gegen die neue, versuchen sich mit bunten Tonfiguren. Das wäre ja noch schöner, ruft der Erzähler, „wenn eine der Hauptfiguren sich auf dem Höhepunkt der Handlung auf unästhetische Weise fallen ließe...” Saramago stellt in diesem Roman die Grundfrage, ob es zulässig ist, dem Allgemeinen eine höhere Realität als dem Einzelnen zuzusprechen, oder, fragt er, sind nur die Einzeldinge wirklich und bestehen die allgemeinen Ideen nur in unserem Kopf?
Saramago, der Platons „Höhlengleichnis” in die Geschichte vom Töpfer Cipriano einschleust, lässt Cipriano sagen, dass er in seiner Kindheit fest daran geglaubt habe, mit dem Tor zur Höhle das Tor in eine andere Welt zu durchschreiten. Wie im „Memorial” zeigt Saramago auf die Toten, die in den Höhlen unter den neuen Städten begraben sind. „Zentrum” ist ein Buch der Erkenntnis. Saramago kommt ohne Farben, ohne Gerüche und Gewürze, ohne die Beschreibung von Gesichtern und Kleidern aus. Psychologie, sagt Cipriano Algor, liegt mir nicht, José Saramago auch nicht. Die Philosophie sehr wohl. Selten liegt einfache Klugheit in einer Geschichte, selten findet man Bücher, die man von jetzt bis später bei sich tragen möchte, denn: „wenn wir nicht reden, sind wir unglücklich, und wenn wir reden, gibt es Missverständnisse”. Solche Sätze retten nichts, aber erklären viel.
VERENA AUFFERMANN
JOSÉ SARAMAGO: Das Zentrum. Roman. Deutsch von Marianne Gareis. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002. 396 Seiten, 22,90 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
José Saramago schickt in seinem Roman „Zentrum” vier Personen und einen Hund in Platons Höhle
Die Welt ist, wie sie ist, ihre Bewegungen schwanken, ihre Explosionen und Tragödien sehen Seismographen heute ebenso wenig vorher wie vor hundert Jahren. Mit Kennerblick und Fernbedienung sitzen wir da und sortieren die Ereignisse in die Kategorien „Behalten” und „Vergessen”. Und das Glück, das für unsere Nachrichtenmaschinen eine unkalkulierbare Domäne ist, weil es durch alle Raster flutscht und erst prominent wird, wenn es vorbeigerauscht ist, dem Glück misstrauen wir. So ist die Welt, über die so viel hohles Gerede im Umlauf ist, und dann taucht ein Buch auf, einfach geschrieben und leicht wie das Glück, um es mit einem kurzen Wort auf die einfachste Art zu sagen. Und man denkt, da ist es ja endlich, und wer es nicht liest, ist selbst daran schuld.
José Saramagos Roman „Das Zentrum” ist ein Buch über das Fühlen und Denken und über die Kluft zwischen dem einfachen Leben und der Existenz in der gespenstischen modernen Welt. Vier Personen und ein Hund proben den Aufstand. Der vierundsechzigjährige Cipriano Algor, seine Tochter Marta, sein Schwiegersohn Marçal Gachos und Isaura Estudiosa. Noch leben sie in einem vom Friedhof dominierten Dorf. Der Witwer Cipriano hat der Witwe Isaura einen selbstgemachten Krug geschenkt, denn Cipriano ist Töpfer und brennt zusammen mit seiner Tochter Marta Teller, Tassen und Krüge im selben Brennofen wie die Generationen vor ihm. Cipriano, Marta und Marçal sitzen unter dem selben Maulbeerbaum, wohnen in dem selben einfachen Haus. Mit dem Krug betritt Eros die Geschichte, erst unerkannt, so gehört es sich für einen wie ihn, dann beginnt das Spiel von Heimlichkeit und Scham. Die Bedrohung dieses beschaulich- ländlichen Lebens liegt im Industriegürtel der nahen Stadt und nennt sich „Zentrum”. Ein Wohn- und Arbeitssilo, 48 Stockwerke über und zehn Stockwerke unter der Erde. Die Zentrumsbewohner sind die Auserwählten, sie leben in engster Gemeinschaft einer hygienisch von der Außenwelt isolierten Kunstwelt.
Saramago hat in seinem Roman Dialoge als Darstellungsform philosophischer Gedanken eingebaut und Eros als die treibende Kraft in Szene gesetzt. Der Hund, ein Nachfahr von Odysseus’ treuem Argos, ist groß, dunkel und klug, die Algors nennen ihn, weil niemand weiß, woher er kommt, Achado, das heißt Schatten. Saramago setzt den lange aus der Mode gekommenen wissenden und wunderbar listigen Erzähler ein, oft freut er sich, dass er mehr weiß als sein Personal, zum Beispiel, dass dies die Nacht war, in der Marta schwanger wurde.
„Das Zentrum” ist ein Höhepunkt im Werk des manchmal unerträglich schwermütigen José Saramago. Es gibt eine Inflation ephemerer Meisterwerke, viele schmeißen mit dem Begriff „Meisterwerk” um sich wie mit Luftschlangen. Als José Saramago 1998 den Nobelpreis erhielt, zweifelten viele an seinem Können. Hatte sich das Nobelpreis-Komitee wie meistens geirrt und unter zwei Kandidaten mit sicherer Hand den falschen erwählt? Statt des brillant funkelnden Bürgersohn, António Lobo Antunes, den anklagenden Bauernsohn José Saramago? Die beiden prominenten portugiesischen Schriftsteller kann man aber so wenig vergleichen, wie Goethe und Schiller oder Grass und Wolf. Die bildhafte Sprache von António Lobo Antunes singt, sirrt, tanzt und tobt. Saramagos Sprache ist klar und eindeutig, um ihren vereinnahmend ruhigen Rhythmus voranzutreiben, sind die Sätze mit Kommas wie mit Taktstrichen unterteilt. Wörter sind für Saramago Steine, Brücken, um den reißenden Fluss zu durchqueren. Die Wörter sind dazu da, das andere Ufer zu erreichen: „das andere Ufer”, sagt er, „ist es, was zählt.”
Wissen und Können
Er kommt mit wenigen Requisiten, Meditationsbank, Krug, Friedhof, Maulbeerbaum, aus. Chic zeitgeistig ist bei dem knapp achtzigjährigen Schriftsteller höchstens die eigene große Brille, die wie ein Schutzschild auf seiner kleinen Nase sitzt. „Die Menschen”, sagt der Töpfer Cipriano Algor, „sind kleine Dinge, die Menschen wollen stets die ersten Plätze einnehmen”, „sie wollen auch, dass man darüber spricht und dass die anderen es bemerken”.
Was „Das Zentrum” groß und weise macht, sind Saramagos lapidar in die Geschichte eingebetteten Erkenntnisse. „Es ist wohl wahr, dass weder die Jugend weiß, was sie kann, noch das Alter kann, was es weiß”. Weil Saramago eine Vorliebe für das Parabelhafte hat, sind Zeit und Ort des „Zentrums” ohne Bedeutung. Trotz seiner realistischen Erzählweise geht es dem Autor niemals darum, einen realistischen Roman über die rauchenden Schornsteine, die Fabriken, in denen die Plastikprodukte hergestellt werden, die das Ende für Cipriano Algors Töpferware bedeuten, zu erzählen. Saramago sagt, dass wir mehr über die Komplexität des Lebens erfahren, wenn wir die Widersprüche sozialer Klassen ernsthaft studieren, statt so viel Zeit mit den Übereinstimmungen und Zusammenhängen zu verlieren.
Cipriano Algor ist kein Mensch, der viel lacht, „und selbst ein offenes Lächeln sieht man an seinem Mund nur selten”, er reflektiert, und wenn er stecken bleibt, hilft ihm der Erzähler weiter, oder der Alte setzt sich auf den „Meditationsstein”. Cipriano fährt seinen Schwiegersohn, der Wachmann im Zentrum ist und hofft, zum Wachmann mit Dienstwohnung im Zentrum aufzusteigen, mit seinem alten Lieferwagen in diese „Stadt in der Stadt” und gibt bei der Warenannahmestelle seine Töpferprodukte ab, bis man ihm eines Tages sagt, dass kein Bedarf mehr besteht. Cipriano kippt die ausrangierte Töpferware in eine Höhle, wenn Jahrhunderte nach uns, überlegt er, Archäologen die Scherben finden, was wird die Forschung sagen?
Cipriano und seine Tochter geben noch nicht auf, sie behaupten die alte Welt gegen die neue, versuchen sich mit bunten Tonfiguren. Das wäre ja noch schöner, ruft der Erzähler, „wenn eine der Hauptfiguren sich auf dem Höhepunkt der Handlung auf unästhetische Weise fallen ließe...” Saramago stellt in diesem Roman die Grundfrage, ob es zulässig ist, dem Allgemeinen eine höhere Realität als dem Einzelnen zuzusprechen, oder, fragt er, sind nur die Einzeldinge wirklich und bestehen die allgemeinen Ideen nur in unserem Kopf?
Saramago, der Platons „Höhlengleichnis” in die Geschichte vom Töpfer Cipriano einschleust, lässt Cipriano sagen, dass er in seiner Kindheit fest daran geglaubt habe, mit dem Tor zur Höhle das Tor in eine andere Welt zu durchschreiten. Wie im „Memorial” zeigt Saramago auf die Toten, die in den Höhlen unter den neuen Städten begraben sind. „Zentrum” ist ein Buch der Erkenntnis. Saramago kommt ohne Farben, ohne Gerüche und Gewürze, ohne die Beschreibung von Gesichtern und Kleidern aus. Psychologie, sagt Cipriano Algor, liegt mir nicht, José Saramago auch nicht. Die Philosophie sehr wohl. Selten liegt einfache Klugheit in einer Geschichte, selten findet man Bücher, die man von jetzt bis später bei sich tragen möchte, denn: „wenn wir nicht reden, sind wir unglücklich, und wenn wir reden, gibt es Missverständnisse”. Solche Sätze retten nichts, aber erklären viel.
VERENA AUFFERMANN
JOSÉ SARAMAGO: Das Zentrum. Roman. Deutsch von Marianne Gareis. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002. 396 Seiten, 22,90 Euro.
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What distinguishes the book is the concern Saramago breathes over his characters; like potter's clay, they are patiently moulded into their best shape, retaining soft marks of memory David Jays Guardian 20031218