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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2005

Weißer Ritter in dunkler Stadt
Und wieder schickt Michael Connelly seinen Krimihelden Harry Bosch auf die Straßen von L. A.

Serienhelden sind so etwas wie die Hausgeister der populären Kultur, ob sie nun in Romanen oder im Fernsehen erscheinen. Man hat sie gerne um sich und weiß zugleich, daß zu häufige Begegnungen das Enttäuschungsrisiko erhöhen. Sie sind wie alte Bekannte, denen man auch nicht alles glaubt, was sie von sich behaupten. Manche, wie Patricia Highsmith' Tom Ripley, haben die Jahre ziemlich unbeschädigt überlebt, anstatt sich zu überleben, andere sind infolge einer Überdosis an Präsenz zu kleinen Nervensägen geworden. Und dann gibt es jene, deren Schicksal sich noch nicht entschieden hat. Sie zeigen erste Verschleißerscheinungen, aber man hofft, daß sie sich noch einmal fangen.

Harry Bosch ist ein solcher kriselnder Held. Erfunden hat ihn der 49jährige Michael Connelly, der als Polizeireporter in Florida und bei der "Los Angeles Times" arbeitete, bevor er Anfang der neunziger Jahre seinen Harry fand und Harry ihn zum Bestsellerautor machte. Der elfte Bosch-Roman ist gerade in Amerika erschienen, fünf weitere Kriminalromane ohne Bosch hat Connelly noch dazu veröffentlicht.

Harry Bosch heißt mit Taufnamen Hieronymus, was gar nicht so absurd ist, wie es klingt, nachdem sich schon der unvermeidliche Jean Baudrillard beim Anflug auf Los Angeles an die Bilder des niederländischen Malers erinnert fühlte. Bosch arbeitet in der Mordkommission des Los Angeles Police Department, des berüchtigten LAPD, und er hat eine bewegte Karriere hinter sich. Er ist nicht nur dickköpfig, er ist ein Einzelgänger, den sein Job zur Teamarbeit zwingt, und im Grunde ist der Polizeidienst der falsche Ort für seine Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit. In Harry stecken wie die Puppe in der Puppe der weiße Ritter in der dunklen Stadt, wie ihn Raymond Chandlers Philip Marlowe verkörpert, und der alte Westerner, der mangels ausreichender Gesetze das Gesetz selbst in die Hand nimmt.

Harry hat deshalb nicht ständig den Finger am Abzug; er legt nur die Dienstvorschriften ein wenig großzügiger aus und fühlt sich oft nicht weisungsgebunden, weil er die politischen Manöver seiner Vorgesetzten verachtet. Er ist Polizist genug, um glaubwürdig zu sein, und er ist Moralist genug, um nicht in der Ermittlerroutine zu ergrauen. Harry Bosch ist einem über die Jahre ans Herz gewachsen, seit er 1992 in "Schwarzes Echo" zum ersten Mal ermittelte. Man weiß, was man an ihm hat. Man kennt seine traurige Familiengeschichte aus "Der letzte Coyote", seine Beziehungsunfähigkeit und seinen professionellen Grundsatz: "Entweder zählt jeder, oder niemand zählt." Harry war wegen eines posttraumatischen Streßsyndroms in Therapie, er hat "cold cases" geklärt, alte, abgelegte Fälle, bei denen nach Jahren jede Spur verwischt schien, er hat sich mühsam das Rauchen abgewöhnt. Wir haben ihn bei einem illegalen Abstecher über die Grenze nach Mexiko ("Schwarzes Eis") begleitet, unzählige Konflikte mit Vorgesetzten, Suspendierungen, Schlag- und Schußverletzungen erlebt und ihn bedauert, als sein Haus nach dem Erdbeben von 1994 lange Zeit unbewohnbar war. Man ist ihm immer gern bis ans Ende einer Spur gefolgt, weil Bosch einer ist, mit dem man zwar nicht gerade befreundet sein möchte, dessen Kämpferherz und dessen moralischer Rigorismus ihn jedoch nie haben langweilig werden lassen.

Und vermutlich hat Michael Connelly bei seinem Schreibtempo recht, wenn er behauptet, Kriminalschriftsteller seien so etwas wie die Leitformation des Gegenwartsromans geworden: "Sie sind die ersten, die kommentieren, was in unserer Welt passiert." Connelly hat aus eigener Anschauung als Reporter ein Gespür für Los Angeles, er hat ein verläßliches Sensorium für die feinen Bruchlinien und Verwerfungen, welche die Entwicklung der Stadt in den neunziger Jahren kennzeichneten. Das Los Angeles, in dem Bosch ermittelt, hat nur wenig mit dem zu tun, was man aus Kino oder Fernsehen kennt, und genau deshalb gehören Connellys Bücher auch zu den besten zeitgenössischen Romanen über Los Angeles.

Seine Bewunderung für Chandler hat Connelly nie zu Chandlerismen verleitet, auch wenn der Titel eines seiner Bücher, "A Darkness More Than Night" ("Dunkler als die Nacht"), ein Chandler-Zitat ist. Connellys Dialoge sind knapp, klar und nicht auf die zitierfähige Pointe hin gestylt. Er meidet die kleinen kalifornischen Apokalypsen eines James Ellroy, die oft so haarsträubende Plots erzeugen, und Superheldenallüren sind seinem Harry fremd. Connellys Prosa ist, von gelegentlichen Lyrizismen abgesehen, nüchtern und ökonomisch wie ein gutes B-Movie - was man angesichts der ziemlich ungelenken deutschen Übersetzungen nicht vermuten sollte.

Doch Michael Connelly ist irgendwann in den Sog geraten, in den eine Erfolgsfigur wie Bosch ihren Erfinder hineinzieht. Zu schnell Neues von Bosch berichten zu wollen, das hat dem Helden nicht immer gutgetan. Es war kein Fehler, daß Harry nach acht Büchern den Polizeidienst quittierte; der Fehler lag darin, zugleich die Erzählperspektive zu verschieben. Der private Ermittler Bosch, der in "Letzte Warnung" und nun in der "Rückkehr des Poeten" auftaucht, spricht auf einmal in der ersten Person. Da Harry auch bisher in jeder Szene war, schien das kein Problem zu sein. Doch der stille Brüter Bosch, der mit seinen Dämonen ringt und bisweilen zur Selbstgerechtigkeit neigt, ist in der erzählerischen Halbnahen entschieden angenehmer - man muß nicht alles ungefiltert durch seine Augen sehen.

Diesen Blickwechsel hat Connelly inzwischen wieder korrigiert. Im neuen Roman, der bislang noch unübersetzt ist, kehrt Bosch wieder zurück in den Polizeidienst und der Erzähler in die dritte Person Singular. Connelly hat aber leider auch noch eine andere Strategie entwickelt, die kontraproduktiv ist. Er schreibe zwischendurch immer wieder Bücher ohne Bosch, um "meine Batterien für Harry aufzuladen", hat er in einem Interview gesagt. Das ist einleuchtend. Warum er dann jedoch, anstatt es weiter zu diversifizieren, sein Werk nach und nach immer enger vernetzt, begreift man nicht.

Erst brachte er Terry McCaleb, dessen Geschichte Clint Eastwood in "Blood Work" ("Das zweite Herz") verfilmt hat, in "Dunkler als die Nacht" mit Bosch zusammen. In der "Rückkehr des Poeten" (der im Original einfach nur "The Narrows" heißt) nun will McCalebs Witwe den Herztod ihres Mannes genauer untersuchen lassen und heuert Harry an - um ihn damit wiederum auf die Spur des Serienkillers zu setzen, der es in Connellys "Der Poet" auf Polizisten abgesehen hatte. Solche werkinternen Familienzusammenführungen funktionieren fast nie - gerade weil die Protagonisten in ihrer jeweiligen Welt sehr gut geerdet waren. Sie erinnern fatal an Hollywoods Versuche, erfolgreiche Marken miteinander zu kreuzen wie in dem Horrormix "Van Helsing".

"Die Rückkehr des Poeten" gehört daher zu Connellys schwächeren Büchern. Connelly ist ein solider, wenn auch nicht überragender Plotkonstrukteur. Solange einer wie Bosch die Story zusammenhält, wird diese Leichtbauweise nicht zum Problem. Doch sobald zwei Welten aufeinandertreffen und mehrere Handlungsstränge parallel verlaufen, wird es schwierig, weil sich die jeweiligen individuellen Stärken nicht einfach addieren lassen. Es ist schon kein gutes Omen, wenn der Roman rasch Los Angeles verläßt und auf die unaussprechliche Zzyzx-Road gerät, im Niemandsland nicht weit von Las Vegas, wo Harry seit kurzem regelmäßig gastiert, weil er plötzlich eine Tochter hat, von der er nichts wußte - was auch nicht gerade der originellste Einfall war.

Damit ließe sich noch leben, wenn denn die Kombination der verschiedenen Tonlagen, Milieus und Lebenswelten nicht einen disparaten Eindruck hinterließe. In Boschs Welt wirkt der "Poet" wie ein Außerirdischer, fast so, als hätte sich Hannibal Lecter in den Plot von "L. A. Confidential" verirrt. Man versteht ja, daß der Dienst beim LAPD ein hartes Geschäft ist, bei dem irgendwann Burnout-Symptome auftreten. Da muß eben eine gute Therapie her. Wir wünschen Harry Bosch daher nicht nur bessere Übersetzer, sondern vor allem eine kleine Kreativpause. Ohne alle Ironie. Im Gegensatz zu Marlowe braucht Bosch für seine Eskapaden den Polizeiapparat. Und wer es nicht abwarten kann, daß Bosch seine Dienstmarke wiederbekommt, holt sich schon mal "The Closers". Dort findet Harry langsam zu alter Form zurück.

PETER KÖRTE

Michael Connelly: "Die Rückkehr des Poeten". Deutsch von Sepp Leeb. Heyne-Verlag, München 2005. 448 Seiten, 19,90 Euro. Im Heyne-Verlag sind bis auf "Schwarzes Echo" (Ullstein) auch die übrigen Bücher von Connelly erschienen.

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