Unsere Vergangenheit ist schwarz-weiß. Die Fotoalben der Ur-Großeltern kannten keine Farbe und so bleiben uns die Abgebildeten in gewisser Weise fremd, selbst wenn wir sie noch persönlich kannten. Das Monochrome ist wie eine Barriere, die uns von der Vergangenheit trennt.
Es gibt zahlreiche, mehr
oder weniger gelungene Versuche, alte Schwarz-Weiß-Fotos nachträglich zu kolorieren, aber ihnen…mehrUnsere Vergangenheit ist schwarz-weiß. Die Fotoalben der Ur-Großeltern kannten keine Farbe und so bleiben uns die Abgebildeten in gewisser Weise fremd, selbst wenn wir sie noch persönlich kannten. Das Monochrome ist wie eine Barriere, die uns von der Vergangenheit trennt.
Es gibt zahlreiche, mehr oder weniger gelungene Versuche, alte Schwarz-Weiß-Fotos nachträglich zu kolorieren, aber ihnen haftet immer etwas Künstliches an. Abgebildet wird eine mögliche Realität, die aber letztlich der Phantasie des Bearbeiters entspringt. Dabei existieren durchaus frühe Farbfotografien, auch wenn das 1903 von den Gebrüdern Lumière erfundene Autochromverfahren kompliziert und teuer war. Es gibt sogar noch frühere Entwicklungen, aber die waren in keiner Weise praktikabel und haben sich nie durchgesetzt.
„The Colors of Life“ zeigt etwa 250 Farbfotografien zwischen 1902 und 1927, als mit Kodachrom ein massentaugliches Verfahren verfügbar wurde. Vor 1920 sind die Motive in der Regel inszeniert, da die Belichtungszeiten lang waren und sie orientieren sich stilistisch an der Malerei der Epoche, darunter Portraits, Stillleben, aber auch gestellte Straßenszenen. Im Lauf der Zeit werden die Motive dann freier und bekommen bewusst dokumentarische Qualitäten. Ein besonderer Fokus liegt in dieser Kategorie auf den Fotos von der Front des Ersten Weltkriegs und der Reisefotografie, von der sich ausgezeichnete Beispiele aus der arabischen Welt und Asien im Buch finden.
Erstaunlich ist die Schärfe fast aller Aufnahmen, die in dem großformatigen Band auch bei voller Seitengröße immer noch überzeugt. Zusammen mit der ungewohnten Farbigkeit spürt man ganz unmittelbar, wie die oben genannte Barriere abgebaut wird und die Personen im wahrsten Sinn „lebendig“ werden. Die nachträgliche Bildbearbeitung durch Stuart Humphreys, der sich unnötigerweise selbst auf dem Titel erwähnt, beschränkt sich auf leichte Farbkorrekturen, da vor allem die lichtempfindlichen Rottöne auf alten Fotos verblassen. Bei einigen wenigen Fotos ist die Korrektur auch weniger gut gelungen und es legt sich dadurch ein violetter Schleier über die Motive (z. B. S. 12, 23, 91 oder 115), aber denen stehen viele geradezu spektakulär realistische Beispiele gegenüber. Besonders das älteste Foto von 1902 ist von so großartiger Präsenz und technischer Qualität, dass man kaum glauben kann, dass es am Anfang der Entwicklung steht.
Unter den Portraitierten sind nicht wenige Persönlichkeiten der Zeitgeschichte und auch die Fotografen sind teilweise bedeutende Vertreter ihres Faches, wie z. B. Alfred Stieglitz, der zu den ersten Verwendern der neuen Autochrom-Technik zählte. Auch er beherrschte das Medium durch seine langjährige Erfahrung mit der Schwarz-Weiß-Fotografie von Anfang an perfekt.
„The Colors of Life“ stößt eine Türe auf, die uns normalerweise verschlossen bleibt und gibt der schwarz-weißen Vergangenheit Farbe und Leben zurück.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)