The third edition of this renowned English-language guide to German constitutional law has been fully updated and significantly expanded to incorporate previously omitted topics and recent decisions of the German Federal Constitutional Court.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2013Damit auch Amerikaner das deutsche Grundgesetz verstehen können
In der Würde liegt die Kraft: Donald P. Kommers und Russell A. Miller erklären als transatlantische Brückenbauer das deutsche Verfassungsrecht
Mit der ersten Auflage seines Lehrbuchs zum deutschen Verfassungsrecht hat Donald Kommers Pionierarbeit geleistet. Über Jahrzehnte hatten amerikanische Verfassungsrechtler kaum Notiz genommen vom Grundgesetz, von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Transformationen, die die Karlsruher Entscheidungen bewirkten. Oft verhinderte auch die Sprachkluft den Zugang. Eine der besten Brücken, die Juristen und Rechtsinteressierten aus dem angloamerikanischen Rechtskreis den Weg zum Grundgesetz erschlossen, hat Donald Kommers mit seinem Werk "The Constitutional Jurisprudence of the Federal Republic of Germany" gebaut, einer didaktisch angeleiteten, versiert kommentierten Entscheidungssammlung.
Das Buch ist eine gelungene Synthese von "Casebook" nach amerikanischem Vorbild und juristischem Lehrbuch deutscher Prägung zur Überbrückung transatlantischer Unterschiede im Rechtsdenken und in der Juristenausbildung. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass die Entscheidungssammlung erstmalig 1989, also im Jahr des Mauerfalls, erschien, als die historischen Umwälzungen in Europa der noch jungen Disziplin der Verfassungsrechtsvergleichung und speziell dem Interesse am deutschen Verfassungsrecht in den Vereinigten Staaten einen Schub verliehen. Kommers' Buch wurde zum Katalysator dieser Entwicklung, zur "unverzichtbaren Quelle" für englischsprachige Verfassungsrechtler, Richter und Jurastudenten.
Mittlerweile bieten sich Juristen aus dem angloamerikanischen Rechtskreis vielfältige Möglichkeiten, die deutsche Verfassungsrechtsentwicklung zu studieren, vor allem über das Internet: Das Bundesverfassungsgericht gibt seine Pressemitteilungen und wichtige Entscheidungen in englischer Sprache heraus, die kostenlose Online-Zeitschrift "German Law Journal" - die keineswegs nur deutsche Rechtsentwicklungen beschreibt - avancierte zu einer der führenden akademischen Publikationen auf dem Gebiet transnationaler Rechtsentwicklungen. Und in englischsprachigen Verfassungsrechtsblogs findet eine lebhafte Debatte über verfassungsrechtliche Entscheidungen aus Deutschland statt.
Würde es in diesem digitalen Umfeld überhaupt noch Bedarf für eine aktualisierte gedruckte Ausgabe der "Constitutional Jurisprudence" geben, die zuletzt 1997 in überarbeiteter Fassung erschienen war? Glücklicherweise wurde die Frage positiv beantwortet. Die Neuauflage besticht durch vorzügliche Einarbeitung eines erweiterten, den nationalen und globalen Entwicklungen angepassten Themenspektrums, welches den europäischen Integrationsprozess, terroristische Bedrohungen sowie Fragen des Datenschutzes und des Schutzes vor Diskriminierung einschließt. Die sachkundige und sensible Aktualisierung ist der Entscheidung des mittlerweile achtzig Jahre alten Donald Kommers zu verdanken, als Koautor Russell Miller an seine Seite zu holen.
Miller, der an der Washington and Lee University in Virginia lehrt, ist nicht nur einer der besten jüngeren amerikanischen Kenner des deutschen Verfassungsrechts. Der Mitherausgeber des "German Law Journal" hat auch einen hervorragenden Überblick über grenzüberschreitende verfassungsrechtliche Herausforderungen und neuere verfassungsrechtliche Entwicklungen. Davon profitiert auch "The Constitutional Jurisprudence", etwa dort, wo darauf verwiesen wird, dass der Schutz der Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trotz der komplizierten Abwägungsprozesse "ohne weiteres mithalten kann mit dem Schutz freier Rede in den fortschrittlichsten Demokratien der Welt". Kommers und Miller erschließen das deutsche Verfassungsrecht jedoch nicht durch Gegenüberstellung anderer Verfassungsrechtsordnungen, sondern primär aus sich selbst heraus. Den Auftakt bildet ein Überblick über Grundzüge des deutschen Verfassungsrechts mit Erläuterungen zum Bundesverfassungsgericht, zum Grundgesetz und zu seiner Auslegung.
In Teil zwei werden maßgebliche Verfassungsgerichtsentscheidungen zu den Kernprinzipien der bundesstaatlichen Verfassungsordnung vorgestellt. Der dritte Teil ist schließlich der Karlsruher Judikatur zu Fragen des Schutzes von Grund- und Freiheitsrechten gewidmet. Der Schutz der Persönlichkeit, das Recht auf Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Ehe und Familie und schließlich wirtschaftliche und soziale Rechte bilden die Schwerpunkte. Der aus amerikanischer Sicht naheliegenden Versuchung einer Personalisierung deutscher Verfassungsrechtsprechung, ähnlich wie sie Entscheidungen und Bewertungen des Supreme Court prägt, haben die Autoren klugerweise nicht nachgegeben. Wenn sporadisch Bezug genommen wird auf die Vereinigten Staaten, so geschieht dies, um amerikanische Leser für rechtskulturelle Unterschiede zu sensibilisieren, etwa bei der Gewichtung von Freiheit und Gerechtigkeit, beim Verständnis von Gewaltenteilung oder beim Schutz des Grundrechts auf Meinungsfreiheit.
Reziprok lüftet sich auf den kurzen Ausflügen ins amerikanische Recht für Leser des hiesigen Rechtskreises der Grauschleier der Gewohnheit, der sich mit den Jahren über das eigene Rechtssystem gelegt hat. Wer Kommers und Miller auf ihrer Entdeckungsreise durch das deutsche Verfassungsrecht folgt, wird an Plätze geführt, die einen neuen, frischen Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bieten. Auswahl und Systematisierung der Karlsruher Entscheidungen machen deutlich, was das deutsche Verfassungsrecht aus ausländischer Sicht zu bieten hat. Daraus ergeben sich neue Anknüpfungspunkte für die deutsche Verfassungsdiskussion.
Fasziniert zeigen sich die amerikanischen Autoren insbesondere von der objektiven Wertordnung, die das Bundesverfassungsgericht dem Grundgesetz zur Sicherung und Entfaltung des Menschenwürde- und Menschenrechtsgehalts der Grundrechte entnommen hat. In der Betonung menschlicher Würde liegt nach Überzeugung von Kommers und Miller der zentrale Schlüssel zum Verständnis des deutschen Verfassungsrechts - in Antithese zum Freiheitsgedanken als prägendem Element des amerikanischen Verfassungsrechts. Die Autoren bleiben ihrem Prinzip respektvoll-zurückhaltender Kommentierung treu, wenn sie keine eigene Einschätzung dazu abgeben wollen, welche Sichtweise den Vorzug verdiene: die würdebetonte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder die stärker freiheitsakzentuierte Linie des Supreme Court.
Bezeichnend ist jedoch der Hinweis der beiden Rechtsprofessoren, dass es den Anschein habe, als ob die Verfassungsgerichte anderer moderner Demokratien das deutsche Würdekonzept gegenüber dem amerikanischen Freiheitskonzept favorisierten.
KATJA GELINSKY
Donald P. Kommers, Russell A. Miller: "The Constitutional Jurisprudence of the Federal Republic of Germany".
Third Edition. Duke University Press, Durham, London 2012. 904 S., geb., 106,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In der Würde liegt die Kraft: Donald P. Kommers und Russell A. Miller erklären als transatlantische Brückenbauer das deutsche Verfassungsrecht
Mit der ersten Auflage seines Lehrbuchs zum deutschen Verfassungsrecht hat Donald Kommers Pionierarbeit geleistet. Über Jahrzehnte hatten amerikanische Verfassungsrechtler kaum Notiz genommen vom Grundgesetz, von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Transformationen, die die Karlsruher Entscheidungen bewirkten. Oft verhinderte auch die Sprachkluft den Zugang. Eine der besten Brücken, die Juristen und Rechtsinteressierten aus dem angloamerikanischen Rechtskreis den Weg zum Grundgesetz erschlossen, hat Donald Kommers mit seinem Werk "The Constitutional Jurisprudence of the Federal Republic of Germany" gebaut, einer didaktisch angeleiteten, versiert kommentierten Entscheidungssammlung.
Das Buch ist eine gelungene Synthese von "Casebook" nach amerikanischem Vorbild und juristischem Lehrbuch deutscher Prägung zur Überbrückung transatlantischer Unterschiede im Rechtsdenken und in der Juristenausbildung. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass die Entscheidungssammlung erstmalig 1989, also im Jahr des Mauerfalls, erschien, als die historischen Umwälzungen in Europa der noch jungen Disziplin der Verfassungsrechtsvergleichung und speziell dem Interesse am deutschen Verfassungsrecht in den Vereinigten Staaten einen Schub verliehen. Kommers' Buch wurde zum Katalysator dieser Entwicklung, zur "unverzichtbaren Quelle" für englischsprachige Verfassungsrechtler, Richter und Jurastudenten.
Mittlerweile bieten sich Juristen aus dem angloamerikanischen Rechtskreis vielfältige Möglichkeiten, die deutsche Verfassungsrechtsentwicklung zu studieren, vor allem über das Internet: Das Bundesverfassungsgericht gibt seine Pressemitteilungen und wichtige Entscheidungen in englischer Sprache heraus, die kostenlose Online-Zeitschrift "German Law Journal" - die keineswegs nur deutsche Rechtsentwicklungen beschreibt - avancierte zu einer der führenden akademischen Publikationen auf dem Gebiet transnationaler Rechtsentwicklungen. Und in englischsprachigen Verfassungsrechtsblogs findet eine lebhafte Debatte über verfassungsrechtliche Entscheidungen aus Deutschland statt.
Würde es in diesem digitalen Umfeld überhaupt noch Bedarf für eine aktualisierte gedruckte Ausgabe der "Constitutional Jurisprudence" geben, die zuletzt 1997 in überarbeiteter Fassung erschienen war? Glücklicherweise wurde die Frage positiv beantwortet. Die Neuauflage besticht durch vorzügliche Einarbeitung eines erweiterten, den nationalen und globalen Entwicklungen angepassten Themenspektrums, welches den europäischen Integrationsprozess, terroristische Bedrohungen sowie Fragen des Datenschutzes und des Schutzes vor Diskriminierung einschließt. Die sachkundige und sensible Aktualisierung ist der Entscheidung des mittlerweile achtzig Jahre alten Donald Kommers zu verdanken, als Koautor Russell Miller an seine Seite zu holen.
Miller, der an der Washington and Lee University in Virginia lehrt, ist nicht nur einer der besten jüngeren amerikanischen Kenner des deutschen Verfassungsrechts. Der Mitherausgeber des "German Law Journal" hat auch einen hervorragenden Überblick über grenzüberschreitende verfassungsrechtliche Herausforderungen und neuere verfassungsrechtliche Entwicklungen. Davon profitiert auch "The Constitutional Jurisprudence", etwa dort, wo darauf verwiesen wird, dass der Schutz der Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trotz der komplizierten Abwägungsprozesse "ohne weiteres mithalten kann mit dem Schutz freier Rede in den fortschrittlichsten Demokratien der Welt". Kommers und Miller erschließen das deutsche Verfassungsrecht jedoch nicht durch Gegenüberstellung anderer Verfassungsrechtsordnungen, sondern primär aus sich selbst heraus. Den Auftakt bildet ein Überblick über Grundzüge des deutschen Verfassungsrechts mit Erläuterungen zum Bundesverfassungsgericht, zum Grundgesetz und zu seiner Auslegung.
In Teil zwei werden maßgebliche Verfassungsgerichtsentscheidungen zu den Kernprinzipien der bundesstaatlichen Verfassungsordnung vorgestellt. Der dritte Teil ist schließlich der Karlsruher Judikatur zu Fragen des Schutzes von Grund- und Freiheitsrechten gewidmet. Der Schutz der Persönlichkeit, das Recht auf Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Ehe und Familie und schließlich wirtschaftliche und soziale Rechte bilden die Schwerpunkte. Der aus amerikanischer Sicht naheliegenden Versuchung einer Personalisierung deutscher Verfassungsrechtsprechung, ähnlich wie sie Entscheidungen und Bewertungen des Supreme Court prägt, haben die Autoren klugerweise nicht nachgegeben. Wenn sporadisch Bezug genommen wird auf die Vereinigten Staaten, so geschieht dies, um amerikanische Leser für rechtskulturelle Unterschiede zu sensibilisieren, etwa bei der Gewichtung von Freiheit und Gerechtigkeit, beim Verständnis von Gewaltenteilung oder beim Schutz des Grundrechts auf Meinungsfreiheit.
Reziprok lüftet sich auf den kurzen Ausflügen ins amerikanische Recht für Leser des hiesigen Rechtskreises der Grauschleier der Gewohnheit, der sich mit den Jahren über das eigene Rechtssystem gelegt hat. Wer Kommers und Miller auf ihrer Entdeckungsreise durch das deutsche Verfassungsrecht folgt, wird an Plätze geführt, die einen neuen, frischen Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bieten. Auswahl und Systematisierung der Karlsruher Entscheidungen machen deutlich, was das deutsche Verfassungsrecht aus ausländischer Sicht zu bieten hat. Daraus ergeben sich neue Anknüpfungspunkte für die deutsche Verfassungsdiskussion.
Fasziniert zeigen sich die amerikanischen Autoren insbesondere von der objektiven Wertordnung, die das Bundesverfassungsgericht dem Grundgesetz zur Sicherung und Entfaltung des Menschenwürde- und Menschenrechtsgehalts der Grundrechte entnommen hat. In der Betonung menschlicher Würde liegt nach Überzeugung von Kommers und Miller der zentrale Schlüssel zum Verständnis des deutschen Verfassungsrechts - in Antithese zum Freiheitsgedanken als prägendem Element des amerikanischen Verfassungsrechts. Die Autoren bleiben ihrem Prinzip respektvoll-zurückhaltender Kommentierung treu, wenn sie keine eigene Einschätzung dazu abgeben wollen, welche Sichtweise den Vorzug verdiene: die würdebetonte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder die stärker freiheitsakzentuierte Linie des Supreme Court.
Bezeichnend ist jedoch der Hinweis der beiden Rechtsprofessoren, dass es den Anschein habe, als ob die Verfassungsgerichte anderer moderner Demokratien das deutsche Würdekonzept gegenüber dem amerikanischen Freiheitskonzept favorisierten.
KATJA GELINSKY
Donald P. Kommers, Russell A. Miller: "The Constitutional Jurisprudence of the Federal Republic of Germany".
Third Edition. Duke University Press, Durham, London 2012. 904 S., geb., 106,- [Euro].
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