This book addresses the long term of German history, tracing ideas and politics across what have commonly been viewed as sharp chronological breaks. Against conventional wisdom, Smith argues for reexamining German continuities - nation and nationalism, religion and religious exclusion, racism and violence.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2008Verengter Blick zurück ins Kaiserreich
Führte der Wille, Juden aus der deutschen Gesellschaft auszugrenzen und auszustoßen, direkt zum Holocaust?
Wer nach Kontinuitäten in der deutschen Geschichte fragt, blickt auf den Nationalsozialismus und den Holocaust. Komplexe Antworten sind der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln, provozierende finden leichter Gehör. Spektakulär war in Deutschland die Resonanz, als Daniel Goldhagen 1996 in seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust" den nationalsozialistischen Vernichtungsantisemitismus mit tiefen Wurzeln in der deutschen Geschichte verankerte. Davon grenzt sich Helmut Walser Smith ab. Doch auch ihm geht es darum, nach den historischen Voraussetzungen zu fragen, die den staatlich organisierten Massenmord an den europäischen Juden möglich werden ließ.
Worin kann Kontinuität liegen, wenn die 1941 einsetzende systematische Ermordung der Juden keinen historischen Vorläufer hat? Die Antwort von Walser Smith: Nicht in der Bereitschaft zum Genozid, sondern in dem Willen von Deutschen, Juden aus der Gesellschaft auszugrenzen und auszustoßen. Seit dem Mittelalter äußerte sich dieser Wille immer wieder; zunächst im lokalen Umfeld, später auf der Ebene von Nation und Nationalstaat, radikalisiert in den Forderungen und Gewalttaten des Rassenantisemitismus des späten 19. Jahrhunderts, und schließlich der organisierte Massenmord im nationalsozialistischen Rassenstaat. Das 19. Jahrhundert erhält in diesem Geschichtsbild eine Schlüsselstellung, doch die Kontinuitätslinien zieht der Autor zurück bis ins Mittelalter - eine lange Geschichte fortschreitender Inhumanität. Die Haltung der deutschen Gesellschaft zu den Juden dient dem Autor als Lackmustest für den Verlauf dieser Verlustgeschichte und ihre Radikalisierung. Für einen solchen Blick in die Geschichte ist Helmut Walser Smith - er lehrt an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee - als angesehener Experte für die deutsche Religionsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert bestens vorbereitet. Sein Ergebnis befriedigt jedoch nicht.
Zunächst zum Aufbau des Buches: Die fünf Kapitel legen unterschiedliche Längsschnitte durch die deutsche und auch die europäische Geschichte. Im ersten fragt der Autor nach "dem Fluchtpunkt der deutschen Geschichte" - für ihn ist es der Holocaust; im zweiten erinnert er an die Vorstellungen von Nation vor der Ära des Nationalismus, um dann im dritten Kapitel die Erinnerungen an den Dreißigjährigen Krieg mit einer Form von Nationsbildung zu verbinden, die auf der Erfahrung von religiöser Gewalt beruhe, jüdische Leiderfahrung jedoch strikt ausblende und damit Juden bereits aus der vormodernen Erfahrungsgemeinschaft deutsche Nation ausgrenze. Während bis dahin die europäische Geschichte vornehmlich als Kontrastfolie aufscheint, wird im vierten Kapitel die gesellschaftliche Gewalt gegen Juden im langen 19. Jahrhundert europäisch betrachtet. Die Europäisierung des Blicks auf die Geschichte dient hier einer Dramatisierung, die Walser Smith für die Ausrichtung langfristiger Geschichtslinien auf den Holocaust benötigt, allein aus der deutschen Geschichte jedoch nicht zu gewinnen vermag.
Angesichts der Geschichte der antijüdischen Gewalt und ihrer Zuspitzung um 1900 sei die Kluft, die sie von der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik trennt, "schmaler, als wir oft vermuten", meint der Autor. Von den 31 antijüdischen Gewalttaten, die er zwischen 1881 und 1903 auflistet, entfallen allerdings nur vier auf Deutschland. Deshalb wechselt er nun die Betrachtungsebene: nicht der einzelne Staat, sondern Europa. So kann er die Wirkungen der antijüdischen Gewalt, die überwiegend außerhalb Deutschlands verübt wurde, der deutschen Geschichte zuweisen. Nur deshalb wird es möglich, hier eine langfristige Gewaltlinie zu konstruieren, die in das Bedingungsgeflecht für den Holocaust führt. Zu diesem Geflecht gehört der Vernichtungsrassismus, der im fünften Kapitel untersucht wird. Nun wieder auf Deutschland beschränkt, allerdings vor einem europäischen Horizont, der aber nur pauschal angesprochen wird.
Die Kontinuitäten deutscher Geschichte werden also nicht vergleichend ermittelt. Wo Walser Smith seine Betrachtung gehaltvoll europäisiert, führt sie von Deutschland weg. Überall sonst erscheint Europa als eine Art moralischer Kontrast zu Deutschland - empirisch nicht gefüllt und deshalb analytisch unergiebig. Wer geschichtliche Entwicklungen über viele Jahrhunderte hinweg auf ein singuläres Ereignis ausrichten will, muss der Geschichte klare Konturen geben. Das ist notwendig. Aber man sollte als Autor vor sich und den Lesern Rechenschaft ablegen, was dabei ausgeblendet, vielleicht auch verzerrt wird. Das ist hier gravierend.
Walser Smith entwirft eine lange Geschichtslinie, die durch einen fortschreitenden "Verlust der Menschlichkeit" bestimmt wird. Seine europäischen Zeitgenossen hatten das 19. Jahrhundert als Zeitalter des Fortschritts wahrgenommen. Nun wird es ins Zentrum einer Verlustgeschichte gerückt. Demokraten, Liberale, Sozialisten, vor allem aber die deutschen Juden sahen sich auf der Seite des Fortschritts. Deren Zeitdiagnosen berücksichtigt der Autor nicht, obwohl er zu Recht das Verhalten der Deutschen gegenüber den Juden als Maßstab nimmt, um die Fähigkeit der deutschen Gesellschaft zu messen, mit Menschen zusammenzuleben, die als religiös und kulturell fremd empfunden wurden. War die Hoffnung deutscher Juden auf eine deutsch-jüdische Symbiose von Beginn an ein "Schrei ins Leere", der vergebliche Versuch der Juden zu einem Dialog, den die nichtjüdische Mehrheit verweigert hat? So hat es Gershom Scholem gesehen. Die deutschen Juden des 19. Jahrhunderts haben es in ihrer großen Mehrheit anders empfunden. Dieser Gegensatz, der auch die Forschung prägt, taucht bei Walser Smith nicht auf. Er setzt sein Geschichtsbild keinerlei Zweifel aus. In ihm werden die Juden zu einem bloßen Objekt der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft.
Beiseitegedrängt werden auch die intensiven innerjüdischen Debatten des 19. Jahrhunderts über den künftigen Ort der Juden. Es reicht aber nicht, jene Deutsche christlichen Glaubens zu zitieren, die in ihren Vorstellungen von deutscher Nation Juden ausschlossen. Man muss auch die innerjüdischen Debatten betrachten, in denen mit Blick in Vergangenheit und Zukunft ernst darum gerungen wurde: Sind deutsche Juden Glieder einer eigenen Nation oder ein "Stamm" in der deutschen Nation oder eine Religion beziehungsweise Konfession in den deutschen Staaten beziehungsweise seit 1871 im deutschen Nationalstaat? Man muss, um die innerdeutsche Diskussion unter Juden und Nichtjuden einschätzen zu können, die Kontroversen unter den Juden Europas betrachten, welche Position sie in einem Zeitalter anstreben sollten, in dem sich das Prinzip eine Nation - ein Staat unaufhaltsam durchzusetzen schien. Man muss die unterschiedlichen Antworten kennen, die Juden im nationalstaatlichen Westeuropa und in den vielnationalen Großreichen Europas auf diese neue Herausforderung fanden. Deutschland hatte lange an beiden Räumen Europas Anteil. All dies taucht in den Kontinuitätskonstruktionen von Walser Smith nicht auf, obwohl diese europäische Dimension in den deutschen Debatten präsent war und sie auf Seiten derer, welche die Juden aus der deutschen Nation ausschließen wollten, zunehmend vergiftet hat.
Die Geschichtsschreibung hat diese Probleme kontrovers diskutiert, und sie macht es auch weiterhin. Im Geschichtsbild, das Walser Smith entwirft, hinterlassen diese Debatten keine Spuren. Sie hätten ihn veranlassen können, seine Spurensuche offener zu gestalten und sie mit den Kontinuitätslinien zu konfrontieren, die Yosef Hayim Yerushalmi, einer der Großen unter den Historikern des Judentums, durch die jüdische Geschichte seit ihren Anfängen bis zum Holocaust zieht: Seit den Zeiten des Exils, seit mehr als zwei Jahrtausenden also, hatten die Juden aus der Geschichte "die Lehre gezogen, dass letzten Endes der Staat sie schützte und dass man selbst mit einer feindseligen Regierung verhandeln und an ihr Eigeninteresse appellieren konnte". Dass ein Staat die Juden ausrotten will, gehörte nicht zur jüdischen Geschichtserfahrung, weil es das nie gegeben hatte. Dieses "beispiellose Phänomen eines Staates, der die gezielte Vernichtung der Juden betrieb", so fügt Yerushalmi hinzu, kam "umso unerwarteter ..., als es sich bei diesem Staat um Deutschland handelte". In dem vom Walser Smith gebotenen Weg durch die deutsche Geschichte - und gelegentlich auch durch die europäische - gibt es dieses historisch Unerwartete nicht.
DIETER LANGEWIESCHE
Helmut Walser Smith: The Continuities of German History. Nation, Religion, and Race Across the Long Nineteenth Century. Cambridge University Press, Cambridge 2008. 254 S., 20,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Führte der Wille, Juden aus der deutschen Gesellschaft auszugrenzen und auszustoßen, direkt zum Holocaust?
Wer nach Kontinuitäten in der deutschen Geschichte fragt, blickt auf den Nationalsozialismus und den Holocaust. Komplexe Antworten sind der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln, provozierende finden leichter Gehör. Spektakulär war in Deutschland die Resonanz, als Daniel Goldhagen 1996 in seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust" den nationalsozialistischen Vernichtungsantisemitismus mit tiefen Wurzeln in der deutschen Geschichte verankerte. Davon grenzt sich Helmut Walser Smith ab. Doch auch ihm geht es darum, nach den historischen Voraussetzungen zu fragen, die den staatlich organisierten Massenmord an den europäischen Juden möglich werden ließ.
Worin kann Kontinuität liegen, wenn die 1941 einsetzende systematische Ermordung der Juden keinen historischen Vorläufer hat? Die Antwort von Walser Smith: Nicht in der Bereitschaft zum Genozid, sondern in dem Willen von Deutschen, Juden aus der Gesellschaft auszugrenzen und auszustoßen. Seit dem Mittelalter äußerte sich dieser Wille immer wieder; zunächst im lokalen Umfeld, später auf der Ebene von Nation und Nationalstaat, radikalisiert in den Forderungen und Gewalttaten des Rassenantisemitismus des späten 19. Jahrhunderts, und schließlich der organisierte Massenmord im nationalsozialistischen Rassenstaat. Das 19. Jahrhundert erhält in diesem Geschichtsbild eine Schlüsselstellung, doch die Kontinuitätslinien zieht der Autor zurück bis ins Mittelalter - eine lange Geschichte fortschreitender Inhumanität. Die Haltung der deutschen Gesellschaft zu den Juden dient dem Autor als Lackmustest für den Verlauf dieser Verlustgeschichte und ihre Radikalisierung. Für einen solchen Blick in die Geschichte ist Helmut Walser Smith - er lehrt an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee - als angesehener Experte für die deutsche Religionsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert bestens vorbereitet. Sein Ergebnis befriedigt jedoch nicht.
Zunächst zum Aufbau des Buches: Die fünf Kapitel legen unterschiedliche Längsschnitte durch die deutsche und auch die europäische Geschichte. Im ersten fragt der Autor nach "dem Fluchtpunkt der deutschen Geschichte" - für ihn ist es der Holocaust; im zweiten erinnert er an die Vorstellungen von Nation vor der Ära des Nationalismus, um dann im dritten Kapitel die Erinnerungen an den Dreißigjährigen Krieg mit einer Form von Nationsbildung zu verbinden, die auf der Erfahrung von religiöser Gewalt beruhe, jüdische Leiderfahrung jedoch strikt ausblende und damit Juden bereits aus der vormodernen Erfahrungsgemeinschaft deutsche Nation ausgrenze. Während bis dahin die europäische Geschichte vornehmlich als Kontrastfolie aufscheint, wird im vierten Kapitel die gesellschaftliche Gewalt gegen Juden im langen 19. Jahrhundert europäisch betrachtet. Die Europäisierung des Blicks auf die Geschichte dient hier einer Dramatisierung, die Walser Smith für die Ausrichtung langfristiger Geschichtslinien auf den Holocaust benötigt, allein aus der deutschen Geschichte jedoch nicht zu gewinnen vermag.
Angesichts der Geschichte der antijüdischen Gewalt und ihrer Zuspitzung um 1900 sei die Kluft, die sie von der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik trennt, "schmaler, als wir oft vermuten", meint der Autor. Von den 31 antijüdischen Gewalttaten, die er zwischen 1881 und 1903 auflistet, entfallen allerdings nur vier auf Deutschland. Deshalb wechselt er nun die Betrachtungsebene: nicht der einzelne Staat, sondern Europa. So kann er die Wirkungen der antijüdischen Gewalt, die überwiegend außerhalb Deutschlands verübt wurde, der deutschen Geschichte zuweisen. Nur deshalb wird es möglich, hier eine langfristige Gewaltlinie zu konstruieren, die in das Bedingungsgeflecht für den Holocaust führt. Zu diesem Geflecht gehört der Vernichtungsrassismus, der im fünften Kapitel untersucht wird. Nun wieder auf Deutschland beschränkt, allerdings vor einem europäischen Horizont, der aber nur pauschal angesprochen wird.
Die Kontinuitäten deutscher Geschichte werden also nicht vergleichend ermittelt. Wo Walser Smith seine Betrachtung gehaltvoll europäisiert, führt sie von Deutschland weg. Überall sonst erscheint Europa als eine Art moralischer Kontrast zu Deutschland - empirisch nicht gefüllt und deshalb analytisch unergiebig. Wer geschichtliche Entwicklungen über viele Jahrhunderte hinweg auf ein singuläres Ereignis ausrichten will, muss der Geschichte klare Konturen geben. Das ist notwendig. Aber man sollte als Autor vor sich und den Lesern Rechenschaft ablegen, was dabei ausgeblendet, vielleicht auch verzerrt wird. Das ist hier gravierend.
Walser Smith entwirft eine lange Geschichtslinie, die durch einen fortschreitenden "Verlust der Menschlichkeit" bestimmt wird. Seine europäischen Zeitgenossen hatten das 19. Jahrhundert als Zeitalter des Fortschritts wahrgenommen. Nun wird es ins Zentrum einer Verlustgeschichte gerückt. Demokraten, Liberale, Sozialisten, vor allem aber die deutschen Juden sahen sich auf der Seite des Fortschritts. Deren Zeitdiagnosen berücksichtigt der Autor nicht, obwohl er zu Recht das Verhalten der Deutschen gegenüber den Juden als Maßstab nimmt, um die Fähigkeit der deutschen Gesellschaft zu messen, mit Menschen zusammenzuleben, die als religiös und kulturell fremd empfunden wurden. War die Hoffnung deutscher Juden auf eine deutsch-jüdische Symbiose von Beginn an ein "Schrei ins Leere", der vergebliche Versuch der Juden zu einem Dialog, den die nichtjüdische Mehrheit verweigert hat? So hat es Gershom Scholem gesehen. Die deutschen Juden des 19. Jahrhunderts haben es in ihrer großen Mehrheit anders empfunden. Dieser Gegensatz, der auch die Forschung prägt, taucht bei Walser Smith nicht auf. Er setzt sein Geschichtsbild keinerlei Zweifel aus. In ihm werden die Juden zu einem bloßen Objekt der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft.
Beiseitegedrängt werden auch die intensiven innerjüdischen Debatten des 19. Jahrhunderts über den künftigen Ort der Juden. Es reicht aber nicht, jene Deutsche christlichen Glaubens zu zitieren, die in ihren Vorstellungen von deutscher Nation Juden ausschlossen. Man muss auch die innerjüdischen Debatten betrachten, in denen mit Blick in Vergangenheit und Zukunft ernst darum gerungen wurde: Sind deutsche Juden Glieder einer eigenen Nation oder ein "Stamm" in der deutschen Nation oder eine Religion beziehungsweise Konfession in den deutschen Staaten beziehungsweise seit 1871 im deutschen Nationalstaat? Man muss, um die innerdeutsche Diskussion unter Juden und Nichtjuden einschätzen zu können, die Kontroversen unter den Juden Europas betrachten, welche Position sie in einem Zeitalter anstreben sollten, in dem sich das Prinzip eine Nation - ein Staat unaufhaltsam durchzusetzen schien. Man muss die unterschiedlichen Antworten kennen, die Juden im nationalstaatlichen Westeuropa und in den vielnationalen Großreichen Europas auf diese neue Herausforderung fanden. Deutschland hatte lange an beiden Räumen Europas Anteil. All dies taucht in den Kontinuitätskonstruktionen von Walser Smith nicht auf, obwohl diese europäische Dimension in den deutschen Debatten präsent war und sie auf Seiten derer, welche die Juden aus der deutschen Nation ausschließen wollten, zunehmend vergiftet hat.
Die Geschichtsschreibung hat diese Probleme kontrovers diskutiert, und sie macht es auch weiterhin. Im Geschichtsbild, das Walser Smith entwirft, hinterlassen diese Debatten keine Spuren. Sie hätten ihn veranlassen können, seine Spurensuche offener zu gestalten und sie mit den Kontinuitätslinien zu konfrontieren, die Yosef Hayim Yerushalmi, einer der Großen unter den Historikern des Judentums, durch die jüdische Geschichte seit ihren Anfängen bis zum Holocaust zieht: Seit den Zeiten des Exils, seit mehr als zwei Jahrtausenden also, hatten die Juden aus der Geschichte "die Lehre gezogen, dass letzten Endes der Staat sie schützte und dass man selbst mit einer feindseligen Regierung verhandeln und an ihr Eigeninteresse appellieren konnte". Dass ein Staat die Juden ausrotten will, gehörte nicht zur jüdischen Geschichtserfahrung, weil es das nie gegeben hatte. Dieses "beispiellose Phänomen eines Staates, der die gezielte Vernichtung der Juden betrieb", so fügt Yerushalmi hinzu, kam "umso unerwarteter ..., als es sich bei diesem Staat um Deutschland handelte". In dem vom Walser Smith gebotenen Weg durch die deutsche Geschichte - und gelegentlich auch durch die europäische - gibt es dieses historisch Unerwartete nicht.
DIETER LANGEWIESCHE
Helmut Walser Smith: The Continuities of German History. Nation, Religion, and Race Across the Long Nineteenth Century. Cambridge University Press, Cambridge 2008. 254 S., 20,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Taking 1941 as the decisive culmination point in modern German history, this book offers a truly masterful analysis of the links between nationalism, racism and anti-Semitism. I know of no other study that examines in a more circumspect way and within a broad comparative framework the complex and controversial subject of how earlier discourses about the exclusion of Jews are ultimately related to their mass murder. A major scholarly achievement and challenge to both pre- and post-Goldhagen historiography." -V.R. Berghahn, Columbia University