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Brennpunkt Baltimore: Crack und Heroin überfluten die Straßen Amerikas. An der berüchtigten Ecke von West Fayette und Monroe Street wird sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag auf offener Straße verkauft - der Drogenhandel ist der ökonomische Treibstoff einer sterbenden Nachbarschaft mitten in der Stadt. Durch die Augen einer zerbrochenen Familie - drogensüchtiger Eltern und ihres Sohns DeAndre McCullogh - zeigt uns "The Corner" die harte Realität der Drogenkultur und die ergreifenden Szenen von Hoffnung, Mitgefühl und Liebe, an einem Ort, den Amerika schon längst abgeschrieben hat. David…mehr

Produktbeschreibung
Brennpunkt Baltimore: Crack und Heroin überfluten die Straßen Amerikas. An der berüchtigten Ecke von West Fayette und Monroe Street wird sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag auf offener Straße verkauft - der Drogenhandel ist der ökonomische Treibstoff einer sterbenden Nachbarschaft mitten in der Stadt. Durch die Augen einer zerbrochenen Familie - drogensüchtiger Eltern und ihres Sohns DeAndre McCullogh - zeigt uns "The Corner" die harte Realität der Drogenkultur und die ergreifenden Szenen von Hoffnung, Mitgefühl und Liebe, an einem Ort, den Amerika schon längst abgeschrieben hat.
David Simon und Edward Burns, Autoren von "The Wire", verbrachten ein Jahr mit den McCulloghs - ihre glänzende Reportage ist sowohl eine erschütternde Familiengeschichte als auch ein aufrüttelndes Porträt des amerikanischen "War on Drugs". Die aus dem Buch entwickelte HBO-Miniserie 'The Corner' wurde mit drei Emmy-Awards ausgezeichnet.
Autorenporträt
David Simon, Journalist, Drehbuchautor und Produzent, wurde 1960 in Washington D.C. geboren und lebt in Baltimore. Er war lange Jahre Polizeireporter bei der Baltimore Sun und schrieb die Bücher "Homicide" und "The Corner", die die Grundlage der von ihm geschaffenen Fernsehserie "The Wire" bilden. Sein aktuelles Projekt ist die Fernsehserie "Treme". Ed Burns, Autor, Drehbuchschreiber und Produzent, war 20 Jahre Detective bei der Mordkommission Baltimores und danach Lehrer an einer öffentlichen Schule in Baltimore. Er schrieb mit David Simon "The Corner" und war maßgeblich an den Serien "The Wire" und "Generation Kill" beteiligt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Kein Gewese um Gattungsfragen, bitte. Christiane Müller-Lobeck interessiert sich mehr für Inhalte, und die haben sich bei den beiden "The Wire"-Autoren David Simon und Ed Burns gewaschen. Recherche? Recherche! Müller-Lobeck zieht den Hut vor so viel Chuzpe im Milieu schwerst Drogenabhängiger. Die fliegenden Perspektivwechsel erscheinen ihr angemessen, Junkies, Dealer, Cops kommen zu Wort in diesem Reportageroman, dieser Anthropologie der amerikanischen City, der Soziologie der black community, wie die Rezensentin es vielgestaltig bezeichnet. Gut gefallen haben ihr auch die essayistischen Einsprengsel, mit denen die Autoren Kritik üben am offensichtlich gescheiterten "war on drugs", ebenso schätzt sie allerdings, dass das Buch prallvoll ist mit Geschichten über Versuche, die Perspektivlosigkeit zu überwinden. Prädikat: Spannend!

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2012

Mit heißer Nadel und kaltem Herz

Der Albtraum amerikanischer Großstädte: David Simon, der die Serie "The Wire" schuf, und der Polizist Ed Burns beleben die literarische Reportage und versenken sich in die Welt der Junkies.

Heroin und Koks. Koks und Heroin. Rund um die Uhr, sieben Tage die Woche." Die heruntergekommene Reihenhausgegend rund um die Fayette und Monroe Street in West Baltimore war schon Dreh- und Angelpunkt in David Simons HBO-Serie "The Wire". Mehr als sechzig Sendestunden lang konnte man den Dealern, Junkies, Mördern und Polizisten der Stadt dabei zusehen, wie sie als winzige Teile eines gigantischen Zahnradsystems in ihrer "Corner" versuchten, Haltung zu bewahren, eine Moral oder zumindest Rechtfertigung zu finden für ihr sinnloses Tun. Aber wie sollte das gelingen in einer Situation, die ausweglos ist, die auch den zur Drogenbekämpfung abgestellten Polizisten ausweglos erscheint, weil diese Halbwelt längst so unrettbar verloren ist wie ein in der Hitze des Sommers umgekippter See?

Erst im vergangenen Jahr wurde Simons sensationelle Vorstudie zu diesem Fernsehspektakel ins Deutsche übersetzt. "Homicide - ein Jahr auf mörderischen Straßen" war der mehr als achthundert Seiten starke Bericht aus Baltimores Slums, mitgeschnitten auf den Fluren und während der Streifen des zuständigen Drogendezernats. Der Text ließ sich als Schlüsselwerk zu Simons späterem filmischen Schaffen lesen und war gleichzeitig die Probe aufs Exempel: Funktioniert die komplex gebrochene Handlung von "The Wire" eigentlich auch als Buch? Ja, das tut sie.

Man wollte von der ersten bis zur letzten Seite tatsächlich alles erfahren über dieses infernalische Personal, das in Simons hyperpräziser Schilderung zu epischer Größe sublimiert wurde, ohne dass man eine irgendwie pathetische Sprache hätte dafür verantwortlich machen können. Es war vielmehr Simons geniales Gespür für Dialoge, das sein Buch zu einem Ereignis machte - sein Talent, soziale Distinktionsprozesse durch Slang, Vulgaritäten und Zynismen wiederzugeben und so einen angewandten Bourdieu für das cracksüchtige West Baltimore der neunziger Jahre zu schaffen.

David Simon hatte bis 1995 als Polizeireporter gearbeitet und unter dem Eindruck des siechenden amerikanischen Zeitungsjournalismus ein einjähriges "Praktikum" bei der örtlichen Mordkommission absolviert. In seinem Bericht "Homicide" schilderte er nicht nur die Polizeiarbeit seiner neuen Kollegen; er drang vielmehr so tief in den Kosmos der Drogengesellschaft ein, dass man sich manchmal fragt, ob David Simon nicht selbst längst an der Nadel hängt. Nicht im unmittelbaren Sinne, aber die "Corner" ist über mindestens zwei Jahrzehnte auch zu seinem Lebensmittelpunkt geworden.

Soeben ist eine zweite Achthundert-Seiten-Reportage auf Deutsch erschienen. "The Corner" war seinerzeit (Mitte der neunziger Jahre) eine Langzeitbeobachtung von David Simon und dem ehemaligen Polizisten Ed Burns. Sie schloss an "Homicide" an und verfolgte nun das Schicksal einer vom Heroin zerfressenen Familie, die täglich an der "Corner" ums Überleben kämpft.

Der McCullough-Clan besteht aus Fran, der ehemaligen Ehefrau des wie sie selbst drogensüchtigen Gary, deren Söhnen DeAndre und DeRodd sowie einem unseligen Kreis aus Freunden, Partnern, Beschaffungs- und Bewährungshelfern. Eine Ameisengesellschaft, in der emsige Junkies leerstehende Gebäude ausschlachten, immer auf der Suche nach ein bisschen Kupfer, Edelstahl oder Aluminium, das auf der Wage des örtlichen Schrotthändlers ein paar Dollar einbringt, denn "die United Iron and Metal Company zahlt bar und stellt keine Fragen". Das Beste an dieser glänzenden Reportage ist ihre Figurenführung. Es werden nicht einfach kriminelle Praktiken geschildert. Simon und Burns rekonstruieren über Dialoge und Innenschauen das moralische Dilemma der Süchtigen. Beispielsweise als Gary McCullough in die Wohnung eines der letzten Steuerzahler der Gegend einbricht, um dessen Kühlschrank beim Trödel zu versetzen. Er schämt sich für diese niederträchtige Tat, lenkt sein schlechtes Gewissen schließlich aber auf einen korrupten Nachbarn um, der alles gesehen hat, für einen Gratisschuss jedoch bereit ist, die Klappe zu halten. "Ich meine", sagt Gary, "er sollte keinen Schuss dafür bekommen, dass er diese Scheiße macht. Er sollte damit nicht durchkommen."

Ein Restchen Humanität, ein letztes Aufflackern moralischer Integrität ist hier und da zu erkennen, und genau in diesen von Simon und Burns so grandios eingefangenen Momenten werden menschliche Wracks zu Helden des Alltags. Immer wieder aufs Neue müssen sie ihr Wertekoordinatensystem justieren gegen die Korruptheit der Sucht, gegen die Brutalität der Straße und dieses vollständig perspektivlose Leben. Die besonders häufigen Teenager-Schwangerschaften erklären die Autoren nicht mit mangelnder Aufklärung. Noch nicht einmal der konservative Impuls, durch Kürzung der Sozialhilfe, die Menschen von der Idee abzubringen, immer mehr Kinder in diese Hoffnungslosigkeit hineinzugebären, ist von Erfolg gekrönt. Es muss also andere Gründe dafür geben, dass es die dreizehn Jahre alte Tyreeka, DeAndres Freundin, auf eine Schwangerschaft ankommen lässt. "Die Babys sprechen zu ihren Kind-Müttern und Kind-Vätern, geben ihnen eine Daseinsberechtigung, berühren ihr Herz in einer Weise, wie nichts anderes in ihrem Leben es je wieder tun wird", heißt es im Buch.

Und ein paar Seiten weiter findet sich die klarsichtige Analyse, dass sämtliche Sozialreformen, die auf eine Verbesserung der Lage, in diesen verlorenen Gegenden zielen, in Wahrheit Lösungen für eine aufstiegsorientierte Mittelschicht sind. "Aber wie schon bei den Drogen und beim Drogenhandel haben die Männer und Frauen der Corner unseren Moralcodex unter den gegebenen Umständen als nutzlos disqualifiziert." Sie haben keine Ziele und sind nicht in der Lage, welche zu entwickeln, die über den Tag hinausgehen. Da ist die bedingungslose Liebe und Abhängigkeit eines Babys ein nachvollziehbarer Wunsch.

Die Benennung dieser und vieler anderer, vor allem politischer Zusammenhänge macht "The Corner" zu einer solch aufregenden Lektüre. "Vom Leben in der Fayette Street mehr zu verlangen, von seinem Boyfriend, seiner Frau oder den Eltern mehr zu erwarten - sogar mehr für seine Kinder zu erhoffen - heißt, ohne auch nur die geringste Chance zu kämpfen, das lebende Beispiel praktisch aller Menschen zu ignorieren, die früher hier lebten und die heute hier leben. Schlimmer noch: Mehr zu wollen bedeutet, bewusst die Grenzen dessen zu überschreiten, was man selbst - und jeder andere, der hier das Pflaster tritt - als im Bereich des Möglichen erkannt hat." Das ist ein bitteres Fazit, und doch ist "The Corner" nicht nur das deprimierende Soziogramm eines amerikanischen Großstadtslums.

An vielen Stellen merkt man den brillanten Drehbuchautor, der die teilweise irrwitzigen Dialoge und Gedankengänge der Junkies und der präpotenten Teenager einfängt wie sonst vielleicht nur noch Quentin Tarantino. So ist die "Corner" bei aller Tragik (Baltimore ist 1997 die Stadt mit der höchsten Fixerrate der Vereinigten Staaten) auch ein fabelhaftes Unterhaltungsstück. Wer diese beiden Seiten so spielerisch zusammenbringt wie das Duo Simon/Burns hat die Leser auf seiner Seite.

"The Corner" ist im Jahr 2000 als Vorläufer der Serie "The Wire" verfilmt worden. Im Abspann gibt es ein kleines Making of, in dem die realen Vorbilder der Serie zu Wort kommen. Vielleicht hat die unermüdliche Arbeit der Autoren an der "Corner" dazu beigetragen, die Perspektive dieser Menschen etwas zu öffnen - allein dadurch, dass ihr Leben in der Totalität eines Fernsehstücks plötzlich objektivierbarer wird so wie ein von oben betrachtetes Labyrinth. Als "love of my life" bezeichnet die inzwischen cleane Fran ihren auf die schiefe Bahn geratenen Sohn DeAndre. Er wolle seinem Sohn ein besserer Vater werden, sagt er. Noch immer sind die Gefängnisse Baltimores überfüllt von Menschen, die weder dort noch draußen eine Chance sehen, diese Pläne jemals in die Tat umzusetzen.

KATHARINA TEUTSCH

David Simon & Ed Burns: "The Corner - Bericht aus dem dunklen Herzen der amerikanischen Stadt". Reportage.

Kunstmann Verlag, München 2012. 797 S., br., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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