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Nach fast fünfzig Jahren als Ehefrau und Mutter ist Enid Lambert entschlossen, ihr Leben ein wenig zu genießen. Alles könnte so angenehm sein, gemütlich, harmonisch - einfach schön. Doch die Parkinsonsche Krankheit hat ihren Mann Alfred immer fester im Griff, und die drei Kinder haben das traute Familienheim längst verlassen - um ihre eigenen tragikomischen Malaisen zu durchleben. Der älteste, Gary, stellvertretender Direktor einer Bank und Familienvater, steckt in einer Ehekrise und versucht mit aller Macht, seine Depressionen kleinzureden. Der mittlere, Chip, steht am Anfang einer…mehr

Produktbeschreibung
Nach fast fünfzig Jahren als Ehefrau und Mutter ist Enid Lambert entschlossen, ihr Leben ein wenig zu genießen. Alles könnte so angenehm sein, gemütlich, harmonisch - einfach schön. Doch die Parkinsonsche Krankheit hat ihren Mann Alfred immer fester im Griff, und die drei Kinder haben das traute Familienheim längst verlassen - um ihre eigenen tragikomischen Malaisen zu durchleben. Der älteste, Gary, stellvertretender Direktor einer Bank und Familienvater, steckt in einer Ehekrise und versucht mit aller Macht, seine Depressionen kleinzureden. Der mittlere, Chip, steht am Anfang einer vielversprechenden Karriere als Literaturprofessor, aber Liebestollheit wirft ihn aus der Bahn, und er findet sich in Litauen wieder als verlängerter Arm eines Internet-Betrügers.Und das jüngste der Lambert-Kinder, die erfolgreiche Meisterköchin Denise, sinkt ins Bett eines verheirateten Mannes und setzt so, in den Augen der Mutter zumindest, Jugend und Zukunft aufs Spiel. In dem Wunsch, es sich endlich einmal so richtig gutgehen zu lassen - und Alfred aus seinem blauen Sessel zu locken, in dem er immer schläft -, verfolgt Enid nun ein hochgestecktes Ziel: Bald nach der Luxus-Kreuzfahrt, zu der sie voller Vorfreude mit Alfred aufbricht, möchtesie die ganze Familie zu einem letzten Weihnachtsfest zu Hause um sich scharen.
Autorenporträt
Jonathan Franzen, 1959 geboren, erhielt für seinen Weltbestseller "Die Korrekturen" 2001 den National Book Award. Er veröffentlichte weitere Romane. Seit 2010 ist er Mitglied der Berliner Akademie der Künste, 2013 wurde ihm für sein Gesamtwerk der WELT-Literaturpreis verliehen. Jonathan Franzen lebt in New York und Santa Cruz, Kalifornien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2002

So grausam ist dieses Gesicht
Und doch wie weich – Heute erscheint Jonathan Franzens großer Roman „Die Korrekturen”
Wie klein, wie sentimental, wie lächerlich das Motiv ist, aus dem einer der größten und wichtigsten Romane der jüngsten Zeit seine Kraft nimmt, das Motiv, das ihn zusammenhält von der ersten bis zur siebenhunderteinundachtzigsten Seite, das ihn mit Macht und großer Geschwindigkeit vorantreibt, so als ließe sich ein gigantischer Passagierdampfer mit einem von Hand betriebenen Haushaltsquirl durch Sturm und Wogen jagen. Um ein Weihnachtsfest geht es im Roman „Die Korrekturen” von Jonathan Franzen, um das letzte Weihnachtsfest, das die Familie Lambert nach dem Willen von Mutter Enid gemeinsam in ihrem Haus in St. Jude, in einer Stadt irgendwo im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, verbringen soll: die Mutter und der Vater Alfred, die drei längst erwachsenen Kinder Chip, Denise und Gary, Anhang und Enkel.
Im März schon beginnen die Telefonanrufe, mit denen Enid ihre Nachkommen traktiert, die sich längst in die großen, eleganten Städte an der Ostküste abgesetzt haben. Während die Wochen und Monate vergehen, entwickelt sich das Weihnachtsfest zu einer terroristischen Phantasie, deren Verwirklichung die Mutter mit großer Intriganz, Perfidie und unermüdlichem Einsatz betreibt. Mit der gleichen unerbittlichen Konsequenz misslingt das Fest, genauso, wie man es hätte voraussehen können, wie es mit Henrik Ibsen, Thomas Mann oder Heinrich Böll zum literarischen Standard einer Familiengeschichte gehört. Und doch kommt alles ganz anders. Wie, das kann man ab heute auch auf deutsch nachlesen (Jonathan Franzen: Die Korrekturen. Rowohlt Verlag, 24,90 Euro). Nie ist ein Buch eines zuvor vollkommen unbekannten Autors in Deutschland so begierig erwartet worden wie dieser Roman.
Eine Gesellschaft wird besichtigt
Als „The Corrections” im vergangenen Herbst in den Vereinigten Staaten erschienen, ging ein maßloses Erstaunen durch das Land. Natürlich fragten die Kritiker, ob hier nun endlich wieder ein neues Exemplar der „Great American Novel” vorliege, ein Buch, das man neben den „Großen Gatsby” von F. Scott Fitzgerald, John Updikes Romane von Harry „Rabbit” Angstrom oder das „Weiße Rauschen” von Don DeLillo stellen könne. Um es gleich zu sagen: man kann, aber solche Vergleiche sind nur von bedingtem Wert, denn jedes dieser Bücher spricht für sich, gerade weil in ihnen, jeweils für eine Epoche, für einen Kulturraum, ein ganzer Gesellschaftszustand erfasst und bis zur äußersten Deutlichkeit herausgearbeitet wird.
Eben dies gelingt aber auch Jonathan Franzen mit einem Buch, das auf überraschende Weise konventionell daherkommt, das die literarische Moderne in sich aufgenommen hat und mit den Mitteln des neunzehnten Jahrhunderts übertrumpft – und eine erschütternd gelungene Erneuerung des angloamerikanischen Gesellschaftsromans ist, eine Familienchronik, mit Witz, Ironie und stupender Beobachtungsgabe geschrieben. Nicht einmal der 11. September hat dem grandiosen Erfolg dieses Buches schaden können. Denn die Geschichte, die es erzählt, ist auf grausam schöne, schrecklich lustige Weise wahr. Und nachvollziehbar für jeden Vater, jede Mutter, jedes Kind.
Vor sechs Jahren veröffentlichte Jonathan Franzen in der Zeitschrift Harper’s einen langen Essay, in dem er behauptete, in einer ästhetischen Welt, die von den Bildmedien mit ihrem rasenden Takt beherrscht werde, könne es keine Gesellschaftsromane mehr geben. Das große literarische Werk habe seine Macht an die Instanzen der Oberfläche abgegeben. Der letzte Roman, der einen Kulturzustand habe definieren können, der eine Veränderung in der Gesellschaft ausgelöst habe, sei Joseph Hellers „Catch-22” aus dem Jahr 1961 gewesen. Nunmehr aber sei es unmöglich, „das Persönliche und das Soziale miteinander zu verbinden”. Von heute aus betrachtet, wirkt dieser Essay wie das Trommeln vor dem Auftritt des Artisten.
Denn Jonathan Franzen, im Jahr 1959 in Western Springs, Illinois, geboren und in Webster Groves, Missouri, aufgewachsen, hat sich auf das Kräftemessen mit den modernen Medien eingelassen. Dass er aber dabei nicht gestürzt ist, hat viel mit Weihnachten zu tun, mit der Profanität, ja mit der Albernheit dieses Motivs. Denn der große Roman funktioniert hier wie ein Mikrofon und eine Verstärkeranlage: Das Quengeln und Drängeln der Mutter, die Härte und die Halsstarrigkeit des Vaters, die Verlegenheit der Kinder – diese ebenso gequälten wie gewöhnlichen Seelen – erscheinen in Groß- und Nahaufnahme, und sie mögen, so erbarmungslos genau betrachtet, schief, grausam und hässlich wirken. Aber darunter schimmert es weich und spricht von einer Sehnsucht, die nie wird finden können, was sie eigentlich braucht. Der Roman „Die Korrekturen” ist ein Denkmal der Intimität, und damit auch einer Sympathie, die so groß ist, dass man damit auch gegen Weltnachrichten bestehen kann.
Alfred hat als Ingenieur einer Eisenbahngesellschaft gearbeitet, und wie eine amerikanische Eisenbahn hat er sein Leben eingerichtet: mit anachronistischem Gerät, mit eiserner Härte, auf schmalen, unbeweglichen Gleisen. Enid hat ihr Leben an seiner Seite damit verbracht, den langsamen sozialen Aufstieg zu betreuen, schrill, nörgelnd, ein Virtuosin des schlechten Gewissens und der berechnenden Fürsorge. Stets will sie zuviel, und was sie will, ist nicht das, was ihre Kinder wollen. Seit Jahren sind die beiden nun Rentner, die ehemaligen Freunde und Nachbarn sind längst in angenehmere, reichere Teile der Stadt verschwunden, und während das Haus verfällt, richten sich ihre Hoffnungen auf die Kinder. Sie sollen stellvertretend leben, was ihnen in ihrem Unverständnis, ihrem Unglück und ihren Irrtümern nicht zu leben vergönnt war. Und die daher fälligen Korrekturen werden dringend: Denn Alfred leidet an der Parkinsonschen Krankheit, er verliert die Kontrolle über seinen Körper und sein Gedächtnis. Und Enid, die ihn versorgen muss, wird durch seine Hilflosigkeit geschwächt. Immer schriller werden daher ihre Versuche, das Idyll einer Familie zu erzwingen.
Dunkel und traurig ist diese Geschichte. Doch mit welcher Anmut, mit welcher Aufmerksamkeit erzählt Jonathan Franzen vom Leben der drei Kinder, die zwar, jedes für sich, ein scheinbar eigenes Leben führen. Aber unfrei sind diese Leben, denn jede Entscheidung nimmt ihren Weg, ob bewusst oder nicht, über das Haus der Eltern. Da ist Gary, ein Investmentbanker aus Philadelphia, der einzige Verheiratete, Vater von drei Kindern, mit einem Hang zur Depression und zum Alkohol. Das ist Chip, ein promovierter Literaturwissenschaftler, dessen einst Erfolg versprechende Laufbahn durch ein erst erotisches und dann nur noch demütigendes Abenteuer mit einer Studentin zerstört wurde.
Mittellos lebt er in New York, liest gelegentlich Korrektur, schreibt an einem entsetzlich schäbigen Drehbuch, in dem er die Geschichte seines akademischen Untergangs erzählen will und verschwindet schließlich nach Litauen, um jenseits der Legalität ein wenig Geld zu verdienen. Und da ist Denise, eine erfolgreiche Köchin, die erst ein Restaurant in Philadelphia leitet und dann an einer doppelten Liebesgeschichte fast zugrunde geht. Erwachsene sind diese drei nur zum Schein, durch ihr Alter. Kinder sind sie geblieben, und sei es, weil sie vor allem anderen das Unglück der Eltern geerbt haben.
Denkmal des Humanen
Von Stendhal stammt der Satz: „Ei ja, mein Herr, ein Roman ist ein Spiegel, der sich auf einer großen Straße ergeht. Bald spiegelt er das Blau des Himmels, bald den Schlamm der Pfützen am Weg.” Er ist eine Programmerklärung des literarischen Realismus und das gilt auch für „Die Korrekturen”. Denn nicht nur, dass Jonathan Franzen ein Universum von Wissen und Kenntnissen in seinem Roman birgt, angefangen von den betriebswirtschaftlichen Interna eines jungen Unternehmens in der Biotechnologie bis hin zu den Eigenheiten skandinavischer Kreuzfahrtschiffe vor der Küste von Neuschottland.
Nicht nur, das Jonathan Franzen ein Meister des Hinhörens ist, ein Mann mit einem absoluten Gehör für die zurückgehaltene Aggressivität in Familiengesprächen, für die Zwischentöne des liebevollen Erpressens und des offenbarenden Verbergens. Realistisch ist Jonathan Franzen vor allem, weil er sich tatsächlich als Spiegel betätigt, weil er sich dem Diffusen, Willkürlichen, plötzlich Hereinbrechenden, dem Subtilen und Disparaten ergibt – und doch alles in sich birgt und in einem Rahmen zusammenfasst, eben wie ein Spiegel. Es ist diese Demut und Zurückhaltung, die diesen Roman auch zu einem Denkmal des Humanen werden lässt.
Korrigiert wird vieles in diesem Buch, nicht zuletzt die Entwicklung des modernen Romans. Aber „Die Korrekturen” tragen einen zutiefst ironischen Titel. Denn zwar soll in diesem Buch unablässig korrigiert werden – ein jeder sein eigenes Leben und noch viel mehr: Die Kinder wollen ein Leben führen, in dem das Leben der Eltern verbessert wird. Das wollen auch die Eltern, aber unter umgekehrten Voraussetzungen. Die amerikanische Volkswirtschaft wird durch das Zusammenbrechen der Aktienmärkte korrigiert, das unglückliche Bewusstsein durch die Medikamente der pharmazeutischen Industrie.
Und doch findet Enid am Ende klare Worte für ihr Schicksal, und doch übersieht der Vater einen großen Irrtum seiner Tochter. Und doch findet Weihnachten statt. Denn am Ende gibt es, in einer radikalen Abwendung von der Tradition des Familienromans, keine Abrechnung, sondern ein zartes, schwaches, den ultimativen Verfall mit stoischer Weisheit hinnehmendes Vergeben und Verzeihen. Zuhause sei dort, meinte einst der amerikanische Lyriker Robert Frost, wo sie dir die Tür aufmachen müssen. Das klingt wie eine kleine Sentimentalität. Jonathan Franzen lässt eine große Wahrheit daraus werden. THOMAS STEINFELD
Jonathan Franzen
Foto: Holger André
William Egglestons amerikanische Alltagswelt . Abbildung: Katalog Documenta 11, Hatje Cantz Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2002

Das Correx-Phänomen
Aus einer Familie? Der gewaltige Erfolg von Jonathan Franzens Roman "Die Korrekturen" erinnert an die "Buddenbrooks"

Das neue Jahrhundert ist noch keine zwei Jahre alt, da erscheint ein Roman, der seinen Autor fast über Nacht berühmt macht. Die Zeiten sind unsicher, in der Wirtschaft geht die Furcht vor einer Rezession um, die Menschen schwanken zwischen Fin-de-siècle-Nervosität und Hoffnung für das neue Jahrhundert. Der Glaube an die bannende Macht von Sprache und Dichtung scheint gebrochen. Im Oktober 1901 erschien mit Thomas Manns "Buddenbrooks" ein Wunder der deutschen Literatur. Hundert Jahre später, im September 2001 erschien in den Vereinigten Staaten mit Jonathan Franzens Roman "The Corrections" ein Werk, das mit dem Label "der neue amerikanische Roman" nur unzureichend benannt ist.

Manns und Franzens Gesellschaftsromane ähneln sich nicht nur, was ihre Erscheinungsumstände betrifft. Beide Bücher sind umfangreich, beide schildern den tragikomischen Verfall einer Familie, aus beiden sprechen tiefer Ernst und eine ungewöhnliche Reife. Dabei verstehen es beide zuvor fast unbekannte Schriftsteller, dem Scheitern ihrer Protagonisten auch witzige Seiten abzugewinnen. Beide Autoren sind sich der außerordentlichen Qualität ihres Werks durchaus bewußt, hatte doch jeder von ihnen zuvor erklärt, ein Meisterwerk verfassen zu wollen, einen Roman, der mit zeitgenössischen Mitteln die großen Themen - Liebe, Krankheit, Tod und finanzieller Ruin - behandeln würde, der seine Leser unterhalten, aber auch fordern sollte. Beiden gelang die Darstellung ihrer Charaktere so gut, daß rasch die Frage nach den realen Vorbildern für ihre Figuren aufkam. In beiden Fällen wandte man ein, der Roman sei zu lang; beide Autoren weigerten sich zu kürzen. Man fürchtete, ihre gewichtigen Anliegen würden die Leserschaft einschüchtern; beide Romane verkaufen sich blendend. Man nannte ihre Autoren vermessen; die Menschen hörten weg und lasen weiter. Inzwischen sind die "Buddenbrooks" in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und haben auf der ganzen Welt Millionen Leser gefunden, und die "Korrekturen" sind auf dem besten Weg, es ihnen auch in dieser Hinsicht nachzutun.

Franzens Roman, dessen Bedeutung für die amerikanische Literatur in den Vereinigten Staaten immer wieder mit jener der "Buddenbrooks" für die deutsche verglichen wurde, erlebt seit seinem Erscheinen vor zehn Monaten eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht. In einer Zeit, in der sich die Buchmoden überstürzen und es Verleger, Händler und Leser kaum noch schaffen, die Fülle der Neuerscheinungen zu bewältigen, scheinen es Romane, die keine Zauberlehrlinge vorzuweisen haben und ausschließlich die erwachsene Leserschaft ansprechen, schwerer zu haben denn je, einen Platz im kollektiven Lesegedächtnis zu erringen - es sei denn, sie behandeln ein so geschichtlich bedeutsames Thema wie Günter Grass in seiner Novelle "Im Krebsgang".

Als "Die Korrekturen" Ende Juni in deutscher Übersetzung erschienen, landeten sie prompt unter den ersten zehn der Bestsellerliste. Jetzt steht der Roman in der vierten Woche auf Platz zwei, einstweilen noch von der Spitze verdrängt durch Walsers "Tod eines Kritikers". Die Startauflage betrug 50 000 Exemplare, inzwischen druckt der Rowohlt Verlag die sechste Auflage. In Österreich führt Franzen die Bestseller an. Als das Buch im Herbst in Großbritannien erschien, war es ebenso ein instant No. 1 Bestseller wie in den Vereinigten Staaten, Kanada oder Irland. Er sei zwar sicherlich nicht die beste Person, um Auskunft über das "Correx-Phänomen" zu geben, sagt Jonathan Franzen, listet aber auf Nachfrage bescheiden 27 Länder auf, in denen "The Corrections" entweder bereits erschienen sind oder wo die Übersetzung gerade vorbereitet wird. Die geographische Ausdehnung des Romans ist schier atemberaubend: Die Australier sind von dem Buch ebenso begeistert wie die Norweger oder die Holländer, in Italien führte es die Bestsellerliste für fremdsprachige Literatur an. Ob Frankreich, Griechenland, Türkei, Dänemark, Israel, Polen, China oder Japan - Franzens Buch geht um die Welt. Soeben hat ein thailändischer Verlag sein Interesse bekundet.

Leben, Lieben und Sterben der amerikanischen Familie Lambert sind universell verständlich: Auch darin erweisen sich die Eltern Enid und Lambert und ihre Kinder Gary, Chip und Denise als würdige Nachfolger der Buddenbrooks. Dennoch ist es nicht leicht, eindeutige Gründe für den ungeheuren Erfolg der "Korrekturen" zu benennen - ihre literarische Qualität allein kann es nicht sein, schließlich gibt es viele außerordentliche Bücher, denen kein solcher globaler Kultstatus beschieden ist, auch wenn sie ihn verdienen. Eher fallen Aspekte ins Auge, die gegen einen internationalen Triumphzug sprechen. So ist es nicht in jedem Fall selbstverständlich, daß ein Buch, das in der Vereinigten Staaten für Aufsehen sorgt, auch diesseits des Atlantiks zum Bestseller wird - Jeffrey Lents "In the Fall" etwa war bei uns nicht eben ein Verkaufsschlager. Auch eine Auszeichnung wie der National Book Award, der Franzen verliehen wurde, zieht bei uns keine Massen in die Buchhandlung. Außerdem ist der Roman mit 780 Seiten in der deutschen Übersetzung alles andere als rasch zu lesen. Und schließlich macht Franzen es dem Leser keineswegs leicht, die Lamberts zu lieben: Diese Familie ist weder besonders reich noch besonders arm, ihre Mitglieder sind nicht klüger, schöner oder erfolgreicher als andere Menschen, im Gegenteil. Die Lamberts sind eine amerikanische Durchschnittsfamilie aus dem Mittleren Westen - und sind es doch nicht. Darin liegt der Schlüssel zum Geheimnis ihres Erfolgs.

Denn Jonathan Franzen hat mit seiner Familiengeschichte die Frage beantwortet, warum man heute noch Romane schreiben muß: Weil nur diese literarische Form die großen sozialen Erschütterungen im Zusammenspiel von Individuum und dem großen Ganzen auf tiefgründige Weise entwickeln kann. Und ganz nebenbei beantwortet er damit die Frage, warum man heute noch Romane lesen muß. Denn wer sich auf die Lamberts einläßt, der wird reich beschenkt; er ist froh, dieses Buch gelesen zu haben.

Die These, daß nur die Hälfte der Menschen, die "Die Korrekturen" kaufen, das Buch auch liest, bestätigt eine andere These: daß viele den Roman nicht zuletzt deswegen kaufen, um ihren guten Lesegeschmack zu beweisen. Ein Buch, das von der Kritik fast einhellig als große Literatur gefeiert wird und das es dem Leser zugleich nicht allzu einfach macht, gehört ins Regal jedes intellektuell Interessierten. Mancher will mit dem Kauf wohl nicht zuletzt auch seine Zugehörigkeit zu dieser Gruppe demonstrieren.

Franzen selbst ist noch immer verblüfft über die Begeisterung, mit der sein Buch aufgenommen wird. Und er ist ein bißchen müde von den vielen Werbetourneen. Außerdem möchte er sich endlich in seiner Wohnung in Manhattan einigeln, um an seinem neuen Buch zu arbeiten. Aber das, was ihn erreicht, sind durchweg gute Neuigkeiten. Der Erfolg des Buchs in Deutschland bedeute ihm besonders viel, sagt Franzen, der als Student ein Jahr in Berlin und in München lebte. "Es ist, als ob ich zwanzig Jahre darauf gewartet habe, und jetzt, unglaublicherweise, passiert es endlich." In diesen Tagen feiert er seinen dreiundvierzigsten Geburtstag.

Der Erfolg eines Romans mag nicht planbar sein, dennoch ist der Siegeszug der "Korrekturen" in Deutschland weniger überraschend, als es das Gegenteil gewesen wäre. Vielen literarisch Interessierten war der Name Jonathan Franzen bereits geläufig, bevor dieser Roman, der übrigens sein dritter ist, als erster auf deutsch erschien. Über den Erfolg von "The Corrections" wurde auch in Deutschland extensiv berichtet, nachdem Franzen sich Oprah Winfreys Bookclub verweigert hatte. Als Franzen dann im Januar zehn Tage als Gast der American Academy in Berlin zubrachte, nahm dies fast jede Zeitung zum Anlaß, über den amerikanischen shooting star zu berichten (F.A.Z. vom 26. Januar). Das Interesse war so groß, daß der Verleger Alexander Fest schon befürchtete, später würde sich niemand mehr für die Übersetzung interessieren: Der Roman wurde vorgezogen, erschien nicht, wie geplant, mit anderen wichtigen Neuerscheinungen zur Buchmesse, sondern im Hochsommer. Wichtig war vor allem die Übersetzung des Titels. Die Entscheidung, den Roman als "Die Korrekturen" ins Rennen zu schicken, obwohl der Begriff "Corrections" im englischen Original soviel mehr bedeutet, als es die deutsche Übersetzung auszudrücken vermag, war richtig, weil sie Wiedererkennbarkeit garantiert: Der Titel ist längst zum Markenzeichen des Romans geworden.

Ein Grund für den enormen Erfolg mag auch darin liegen, daß sich Familiengeschichten immer noch besonderer Beliebtheit beim Publikum erfreuen, ganz gleich, aus welchem Kulturkreis sie kommen. Familien, reich an Persönlichkeiten, bieten einen unerschöpflichen literarischen Kosmos - und sind in unserer Welt, in der Beziehungen selten von Dauer sind, die zwischenmenschliche Zone, der keiner entrinnen kann.

Viele Leser mißtrauen der Schnellkanonisierung eines erfolgreichen Buchs zum Klassiker. Die Lamberts, diese grandios desolate, eigenwillige und doch angepaßte Familie um den Patriarchen Alfred, erweisen sich als so zeitgenössisch, daß sie einstweilen keinen Staub ansetzen werden. Daß Franzens Roman schon jetzt seinen festen Platz unter den Klassikern der amerikanischen Literatur hat, muß also niemanden schrecken.

FELICITAS VON LOVENBERG

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