Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.06.2003Der Teufel wohnt im Westen
Warum der Heilige Krieg gegen die USA und ihre Verbündeten in vollem Gange ist
BERNARD LEWIS: The Crisis of Islam. Holy War and Unholy Terror. Weidenfeld & Nicholson, London 2003. 144 Seiten, 12,99 Pfund.
Die amerikanische Regierung hat versucht, den Nahen Osten durch einen Krieg gegen ihren früheren Protegé Saddam Hussein neu zu ordnen. Während die Politik Fakten schafft, ist die Debatte über die Gründe der Feindlichkeit der islamischen Welt gegenüber dem Westen noch im vollen Gange. Das neue Buch von Bernard Lewis – „The Crisis of Islam” – ist in diese Diskussion einzuordnen. Es versucht eine Antwort auf die Frage nach den Gründen für den Hass und den islamistischen Terrorismus, der sich vor allem gegen die USA richtet.
Lewis, 1916 in London geboren, ist ein berühmter Orientalist und lehrte bis 1986 an der Universität von Princeton. Vergangenes Frühjahr legte er mit der kurzen Abhandlung „What Went Wrong?” (in Deutschland erschienen als „Der Untergang des Morgenlandes”) über den Verfall der islamischen Welt seit dem 17. Jahrhundert einen eher unverhofften Bestseller vor. Sein jüngstes Werk, ein ebenfalls schmaler Band, knüpft daran an. Schwerpunkt ist das 20. Jahrhundert, ausgehend von einer Äußerung Osama bin Ladens, der von der „Demütigung und Schande” sprach, die der Islam „seit 80 Jahren” erleide – also seit dem Untergang des Osmanischen Reiches 1918.
Sprung ins Jetzt
Das Rückgrat des Bandes bildet ein Essay, den Lewis im November 2001 unter dem Eindruck der Anschläge auf New York und Washington für den New Yorker verfasst hatte. Kaum aktualisiert und mit Gelegenheitstexten angereichert, hat das Werk den Sprung in die Buchform nicht gut überstanden. Außerdem merkt man die Eile bei der Produktion. Zahlreiche, etwas ermüdende Wiederholungen und rar gesäte Belege zeugen davon. Es ging dem Verlag wohl auch darum, „ein Buch zum Krieg” anbieten zu können.
Lewis ordnet seine Darstellung in thematische Abschnitte. Seine Grundthese lautet, dass die islamische Welt keine Modernisierung erlebt hat. Dies sei überwiegend selbst verschuldet und habe zur Verarmung der Bevölkerung und zur Errichtung diktatorischer Systeme geführt. Von dort verlaufe die Linie zum anti-westlichen Terrorismus. Die inner-islamische Auseinandersetzung findet Lewis zufolge zwischen denen statt, die darauf hoffen, das Nachholen von „modernity” würde die Lage verbessern, und denen, für die Modernität und Verwestlichung der Ursprung allen Übels sind.
Lewis macht die zivilisatorischen Leistungen des Islam deutlich, streicht aber auch die kriegerische Grundhaltung der Religion heraus, ihre Umfassung der weltlichen und geistlichen Sphäre, ihre relative Abschottung und ihre doppelten Standards. Zum letzteren gehört beispielsweise, dass die islamische Eroberung der „Welt der Ungläubigen” als legitim gilt, umgekehrt die christliche oder westliche Einnahme muslimischer Territorien aber Verbrechen und Sünde sind.
Mit dem Abschnitt über die „Entdeckung Amerikas” durch die islamische Welt, die Lewis auf die 50er Jahre datiert, kommt dem Orientalisten Lewis der Zeithistoriker Lewis in die Quere. Die Prägung des Bildes von Amerika als „sündhaftes” und „degeneriertes” Land schreibt Lewis vor allem dem ägyptischen Ideologen Said Qutb zu.
Seine Schilderung der Geschichte der arabischen Welt ist dann passagenweise grotesk verkürzt. Die Einverleibung islamischer Länder in europäische Weltreiche und spätere verdeckte oder offene Interventionen westlicher Staaten scheinen für Lewis wenig gravierend zu sein für die Entstehung anti-westlicher Einstellungen. Wichtiger waren in seinen Augen die kurzlebigen Verbindungen NS-Deutschlands in den arabischen Raum und die spätere Politik der Sowjetunion, die das „Feindbild Amerika” vorgaben. Eine spezielle Rolle spielt für ihn auch Israel.
Es fällt auf, dass westliche, beziehungsweise amerikanische Interessen in Lewis' Darstellung fast vollkommen unter den Tisch fallen. Der Ölreichtum der Golfstaaten kommt nur am Rande vor, seine Bedeutung für den Erhalt von Macht und Wohlstand der westlichen Welt fehlt. Dass die USA in der Region präsent sind, liegt laut Lewis daran, dass Amerika stets zum Handeln gezwungen wurde: zunächst durch die sowjetische Expansion, dann durch „Ereignisse” wie die Iranische Revolution 1979, die sowjetische Invasion in Afghanistan im gleichen Jahr, und den Irak-Iran-Krieg. Die amerikanische Unterstützung für die afghanischen Gotteskrieger liest sich bei ihm übrigens so: „Es blieb den USA überlassen, den islamischen Gegenangriff auf den sowjetischen Imperialismus zu organisieren, mit einigem Erfolg.” Vorher hätten sich die muslimischen Staaten als unfähig erwiesen, dem „Brudervolk” zur Hilfe zu kommen. Zusammenhänge mit dem 11. September sieht er nicht.Dann aber vollführt Lewis einen überraschenden Schwenk. Er bekräftigt den auch von islamistischer Seite erhobenen Vorwurf von westlicher Doppelmoral im Umgang mit korrupten, repressiven und diktatorischen Regimes der Region. Für Lewis kommt in dieser westlichen Politik, die Menschenrechtsverletzungen ignoriere, die „Geringschätzung” und „Gleichgültigkeit” gegenüber der arabischen Bevölkerung zum Ausdruck.
Nicht so zimperlich
Die al-Qaida sieht er wiederum in der Tradition des palästinensischen Terrorismus, allerdings sei sie „fundamentalistisch” geprägt und mit pan-islamischer Ausrichtung versehen. Zwei Schlussfolgerungen deutet Lewis, daraus folgend, an: Die USA sollten diejenigen Moslems unterstützen, welche die Werte des Westens teilten, und ansonsten „weniger zimperlich” im Umgang mit der islamischen Welt sein.
Obwohl das Buch in seiner Gesamtheit enttäuscht, ist „The Crisis of Islam” von Interesse – als Momentaufnahme derzeit gängiger amerikanischer Geschichtsbilder und Wahrnehmungen. Das Buch ist für den gehobenen amerikanischen Massenmarkt konzipiert, und es ist bedenklich in seiner Tendenz, die Rolle der USA eher unkritisch zu betrachten.
HENNING HOFF
Poster schiitischer Führer aus Iran und Irak schmücken diesen Stand auf einem Basar in Bagdad. Unter Saddam Hussein waren solche Darstellungen in der Öffentlichkeit verboten.
Foto:
AFP
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Warum der Heilige Krieg gegen die USA und ihre Verbündeten in vollem Gange ist
BERNARD LEWIS: The Crisis of Islam. Holy War and Unholy Terror. Weidenfeld & Nicholson, London 2003. 144 Seiten, 12,99 Pfund.
Die amerikanische Regierung hat versucht, den Nahen Osten durch einen Krieg gegen ihren früheren Protegé Saddam Hussein neu zu ordnen. Während die Politik Fakten schafft, ist die Debatte über die Gründe der Feindlichkeit der islamischen Welt gegenüber dem Westen noch im vollen Gange. Das neue Buch von Bernard Lewis – „The Crisis of Islam” – ist in diese Diskussion einzuordnen. Es versucht eine Antwort auf die Frage nach den Gründen für den Hass und den islamistischen Terrorismus, der sich vor allem gegen die USA richtet.
Lewis, 1916 in London geboren, ist ein berühmter Orientalist und lehrte bis 1986 an der Universität von Princeton. Vergangenes Frühjahr legte er mit der kurzen Abhandlung „What Went Wrong?” (in Deutschland erschienen als „Der Untergang des Morgenlandes”) über den Verfall der islamischen Welt seit dem 17. Jahrhundert einen eher unverhofften Bestseller vor. Sein jüngstes Werk, ein ebenfalls schmaler Band, knüpft daran an. Schwerpunkt ist das 20. Jahrhundert, ausgehend von einer Äußerung Osama bin Ladens, der von der „Demütigung und Schande” sprach, die der Islam „seit 80 Jahren” erleide – also seit dem Untergang des Osmanischen Reiches 1918.
Sprung ins Jetzt
Das Rückgrat des Bandes bildet ein Essay, den Lewis im November 2001 unter dem Eindruck der Anschläge auf New York und Washington für den New Yorker verfasst hatte. Kaum aktualisiert und mit Gelegenheitstexten angereichert, hat das Werk den Sprung in die Buchform nicht gut überstanden. Außerdem merkt man die Eile bei der Produktion. Zahlreiche, etwas ermüdende Wiederholungen und rar gesäte Belege zeugen davon. Es ging dem Verlag wohl auch darum, „ein Buch zum Krieg” anbieten zu können.
Lewis ordnet seine Darstellung in thematische Abschnitte. Seine Grundthese lautet, dass die islamische Welt keine Modernisierung erlebt hat. Dies sei überwiegend selbst verschuldet und habe zur Verarmung der Bevölkerung und zur Errichtung diktatorischer Systeme geführt. Von dort verlaufe die Linie zum anti-westlichen Terrorismus. Die inner-islamische Auseinandersetzung findet Lewis zufolge zwischen denen statt, die darauf hoffen, das Nachholen von „modernity” würde die Lage verbessern, und denen, für die Modernität und Verwestlichung der Ursprung allen Übels sind.
Lewis macht die zivilisatorischen Leistungen des Islam deutlich, streicht aber auch die kriegerische Grundhaltung der Religion heraus, ihre Umfassung der weltlichen und geistlichen Sphäre, ihre relative Abschottung und ihre doppelten Standards. Zum letzteren gehört beispielsweise, dass die islamische Eroberung der „Welt der Ungläubigen” als legitim gilt, umgekehrt die christliche oder westliche Einnahme muslimischer Territorien aber Verbrechen und Sünde sind.
Mit dem Abschnitt über die „Entdeckung Amerikas” durch die islamische Welt, die Lewis auf die 50er Jahre datiert, kommt dem Orientalisten Lewis der Zeithistoriker Lewis in die Quere. Die Prägung des Bildes von Amerika als „sündhaftes” und „degeneriertes” Land schreibt Lewis vor allem dem ägyptischen Ideologen Said Qutb zu.
Seine Schilderung der Geschichte der arabischen Welt ist dann passagenweise grotesk verkürzt. Die Einverleibung islamischer Länder in europäische Weltreiche und spätere verdeckte oder offene Interventionen westlicher Staaten scheinen für Lewis wenig gravierend zu sein für die Entstehung anti-westlicher Einstellungen. Wichtiger waren in seinen Augen die kurzlebigen Verbindungen NS-Deutschlands in den arabischen Raum und die spätere Politik der Sowjetunion, die das „Feindbild Amerika” vorgaben. Eine spezielle Rolle spielt für ihn auch Israel.
Es fällt auf, dass westliche, beziehungsweise amerikanische Interessen in Lewis' Darstellung fast vollkommen unter den Tisch fallen. Der Ölreichtum der Golfstaaten kommt nur am Rande vor, seine Bedeutung für den Erhalt von Macht und Wohlstand der westlichen Welt fehlt. Dass die USA in der Region präsent sind, liegt laut Lewis daran, dass Amerika stets zum Handeln gezwungen wurde: zunächst durch die sowjetische Expansion, dann durch „Ereignisse” wie die Iranische Revolution 1979, die sowjetische Invasion in Afghanistan im gleichen Jahr, und den Irak-Iran-Krieg. Die amerikanische Unterstützung für die afghanischen Gotteskrieger liest sich bei ihm übrigens so: „Es blieb den USA überlassen, den islamischen Gegenangriff auf den sowjetischen Imperialismus zu organisieren, mit einigem Erfolg.” Vorher hätten sich die muslimischen Staaten als unfähig erwiesen, dem „Brudervolk” zur Hilfe zu kommen. Zusammenhänge mit dem 11. September sieht er nicht.Dann aber vollführt Lewis einen überraschenden Schwenk. Er bekräftigt den auch von islamistischer Seite erhobenen Vorwurf von westlicher Doppelmoral im Umgang mit korrupten, repressiven und diktatorischen Regimes der Region. Für Lewis kommt in dieser westlichen Politik, die Menschenrechtsverletzungen ignoriere, die „Geringschätzung” und „Gleichgültigkeit” gegenüber der arabischen Bevölkerung zum Ausdruck.
Nicht so zimperlich
Die al-Qaida sieht er wiederum in der Tradition des palästinensischen Terrorismus, allerdings sei sie „fundamentalistisch” geprägt und mit pan-islamischer Ausrichtung versehen. Zwei Schlussfolgerungen deutet Lewis, daraus folgend, an: Die USA sollten diejenigen Moslems unterstützen, welche die Werte des Westens teilten, und ansonsten „weniger zimperlich” im Umgang mit der islamischen Welt sein.
Obwohl das Buch in seiner Gesamtheit enttäuscht, ist „The Crisis of Islam” von Interesse – als Momentaufnahme derzeit gängiger amerikanischer Geschichtsbilder und Wahrnehmungen. Das Buch ist für den gehobenen amerikanischen Massenmarkt konzipiert, und es ist bedenklich in seiner Tendenz, die Rolle der USA eher unkritisch zu betrachten.
HENNING HOFF
Poster schiitischer Führer aus Iran und Irak schmücken diesen Stand auf einem Basar in Bagdad. Unter Saddam Hussein waren solche Darstellungen in der Öffentlichkeit verboten.
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