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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.12.2015

Hohelied des Alltags
Das Fotobuch „The Democratic Forest“ von William Eggleston veränderte den Blick auf die Welt.
Nun wurde die Arbeit auf zehn Bände erweitert. Kann man ein Meisterwerk neu ordnen?
VON ANDRIAN KREYE
Als William Eggleston im Winter vor sieben Jahren nach München reiste, um im Haus der Kunst die Ausstellung „Democratic Camera“ zu eröffnen, die seinen Weg vom künstlerisch begabten Fotografen zum ästhetischen Revolutionär nachzeichnete, trieb er ein paar Journalisten an den Rand der Verzweiflung. Er führte sie zwar einzeln durch die Säle. Sagen wollte er aber nichts. Den Rest des Nachmittags saß er dann zwischen Kuratoren, Kritikern und seiner Entourage im Museumslokal und trank. Einen einzigen Satz sprach er da: „Heute Abend gehen wir in Hitlers Pizzeria.“
Für wenige Sekunden blitzte da sein Gespür auf, die Stimmung, Schwächen und Stärken eines Ortes mit einem Blick zu erfassen und auf einen Kern zu komprimieren. Wozu in München eben dieser bizarr verklemmte Stolz gehört, dass die Osteria in der Schellingstraße ja immer noch so aussieht wie bei der Eröffnung 1890, und Hitler da doch mal zu den Stammgästen gehörte. Er sagte das ohne einen Anflug von Lächeln. Dann schwieg er wieder. Die Ausstellung, die auch in New York, Chicago und Los Angeles gezeigt wurde, war aus gutem Grund nach Egglestons zweitem Buch „The Democratic Forest“ benannt. Als der Band 1989 erschien, zementierte er Egglestons Ästhetik im Kunstkanon. Die Reduktion der Bilder auf fast schon abstrakte Ausschnitte des Alltags – das war damals noch eine Bildsprache, die nicht nur die Tradition der Fotografie als Erzählform infrage stellte, sondern der Farbfotografie auch den Weg zur Kunst ebnete.
Wenn nun also eine zehnbändige Neuausgabe von „The Democratic Forest“ erscheint, ist das zunächst eine Sensation. Die 166 Seiten der Originalausgabe wurden auf insgesamt 1328 Seiten erweitert. Mehr als eintausend Bilder sind nun zu sehen. Die Wucht zeigt Wirkung.
Beim ersten Blättern entdeckt man in fast jedem der zehn Bände Bilder, von denen jedes das Potenzial hat, sich zu einem solchen Klassiker zu entwickeln wie der Schilderwald vor der Karco-Autowerkstatt, das Dreirad vor dem Vorstadt-Bungalow in Memphis oder die Decke des tiefroten Zimmers im Haus eines Freundes. In dem Band „Interiors“ findet man zum Beispiel eines der seltenen Bilder einer bestimmten Person – Egglestons Sohn Winston ist da zu sehen, wie er sich die Werbeanzeigen für Pistolen in einer Zeitschrift ansieht. Ein paar Seiten zuvor illustriert ein roter Ecktisch in einem leeren Imbisslokal in Perfektion den Satz, den der Kulturkritiker Dave Hickey über Egglestons Bilder geschrieben hat: „Neben ihnen wirkt Edward Hopper wie Norman Rockwell und Robert Frank geradezu pittoresk.“
Es war auf dem Weg zu der Schriftstellerin Eudora Welty, die sich in Jackson, Mississippi den Ruf als William Faulkners literarische Erbin erschrieben hatte, als Eggleston einen seiner wenigen Sätze sprach, mit denen er seine Arbeit reflektierte. Welty sollte das Vorwort zu „The Democratic Forest“ schreiben (das in der neuen Ausgabe ebenfalls abgedruckt ist). Beim Frühstück vor einem Motel sagte er da zu Mark Holborn: „Ich führe einen Krieg gegen das Offensichtliche.“ Welty nahm damals seinen Gedanken auf und schrieb: „Originalität ist es, die uns überwältigt.“
Doch gerade weil William Eggleston zu den wenigen Künstlern gehört, die nicht nur den Blick auf die Kunst, sondern den Blick auf die Welt veränderten, ist diese Neuausgabe auch so schwierig. Was damals Revolution war, ist heute Alltag. „The Democratic Forest“ begründete jene Bildsprache, die eben nicht den „entscheidenden Moment“ festhält, den Henri Cartier-Bresson zum Credo der Fotografie erklärt hatte. Egglestons Demokratieverständnis im Titel war eine neue Ästhetik: Seine Kamera konnte jedes noch so banale Alltagsdetail zur Kunst heiligen.
Genau das versuchen heute Smartphonebesitzer mit Filter-Apps zu imitieren. Diese milliardenfache Flut der Mittelmäßigkeit zwingt die Überhöhung des Banalen zurück in die Banalität. Was keinem gelingt, ist der Kontext, den Eggleston mit der Auflösung der erzählerischen Ablauflogik in seinen Büchern schuf. Den aber soll es nun nicht mehr geben. Zehn Themen haben die Bände. Das reicht von den Innenräumen über die Pastorale bis zu Städten wie Dallas, Miami und Berlin. Diese Katasterordnung bricht das Genie des Irrationalen. So ermüden die Bildfolgen, und an mancher Stelle wirken Egglestons Bilder, wie sie noch nie gewirkt haben – banal. Seine Fans wird diese Ausgabe beglücken. Seinem Werk kann sie nur schaden.
William Eggleston: The Democratic Forest. Steidl Verlag, Göttingen 2015. 1328 Seiten, 550 Euro.
Bilder mit dem Potenzial zu Klassikern: Porträt von Egglestons Sohn William und Interieur eines Imbisslokals.
Fotos: William Eggleston
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2016

Alles ist schön

Zehn Bände im Schuber zu 550 Euro sind nicht jedermanns Sache, auch wenn man William Egglestons Bild- und Buchreihe "The Democratic Forest" nicht anders nennen kann als: Großartig! Nun ist eine Art "Best of the Democratic Forest" erschienen, eine Auswahl amerikanischer Motive aus fast sechzig Jahren, für die Eggleston den Banalitäten der Straße geradezu magische Momente entlockt hat und Gegenstände des Alltags in Farbexplosionen verwandelt. Alles ist schön, beweist er - ganz und gar hierarchiefrei. (F.L.)

"The Democratic Forest" von William Eggleston. Steidl Verlag, Göttingen 2016. 120 Seiten, 68 Abbildungen. Gebunden, 45 Euro.

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