Ein Überfall auf eine zwielichtige Bar, die Beute: Mafiageld. Die Täter sind schnell gefasst, doch wer steckt wirklich hinter dieser selbstmörderischen Aktion? Ein übereifriger Polizist, ein aufgebrachter Mafiaboss, ein psychopathischer Gangster, und plötzlich sieht der stille Barkeeper Bob Saginowski ein Geheimnis ans Licht gezerrt, das er jahrzehntelang gehütet hat.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dennis Lehane hat den Roman "The Drop" erst nach dem gleichnamigen Film geschrieben, der auf seiner Kurzgeschichte "Animal Rescue" basierte. Von einer perfekten Verwertungkette will Rezensent Peter Körte aber nicht sprechen. Für ihn zeigt der Roman nur, was schon alles Großartiges in der Kurzgeschichte steckte. Von Mittelmäßigkeit keine Spur. Begeistert erzählt Körte die Geschichte des Barkeeper Bob nach, der in die Machenschaften der tschetschenischen Mafia in Boston verwickelt werde, seine Anständigkeit jedoch mit der Rettung eines Pitbull-Welpen beweise. Für Körte ergibt das eine tief im Katholizismus verwurzelte Geschichte um Sünde und Reue, Gewalt und Grausamkeit, die ihm einmal mehr zeigt, zu welcher Größe der Krimi imstande ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2015Aus dem Leben eines Habenichts
Mit jedem neuen Roman beweist der amerikanische Schriftsteller Dennis Lehane, dass ihn die Grenzen des Genres nicht interessieren: Auch "The Drop - Bargeld" macht da keine Ausnahme.
Vielleicht bräuchte er einen Schub wie damals in den Vereinigten Staaten. Er bräuchte die Kanzlerin oder einen der bekannteren Minister, die mit einem seiner Bücher in der Hand fotografiert werden. Wie Bill Clinton 1999 mit dem Roman "Prayers for Rain" (dt. "Regenzauber"). Von da an ging es mit Dennis Lehanes Karriere steil bergauf. In Deutschland allerdings ist noch immer viel Luft nach oben. Dass Clint Eastwood den Roman "Mystic River" und Martin Scorsese "Shutter Island" verfilmten, hat Lehane längst nicht so bekannt gemacht, wie er es verdient hätte.
Auch jetzt muss das Kino nachhelfen, mit seinen kleinen Epiphanien, die der gelernte Katholik Lehane zu schätzen weiß. Der 2013 verstorbene James Gandolfini, vielen besser unter dem Namen Tony Soprano bekannt, hat seine letzte Rolle in "The Drop - Bargeld" gespielt, dem eine Kurzgeschichte von Lehane zugrunde liegt. "The Drop", den man mit ein wenig Glück jetzt noch im Kino sehen kann, ist untypisch für die Produktionsweise des Autors aus Boston, den man sich, mit seinem Akzent, seiner gedrungenen, sehr wehrhaft wirkenden Gestalt und seiner Wachheit, gut als einen Charakter aus seinen Büchern vorstellen kann.
Lehane, der im August fünfzig Jahre alt wird, hat die Kurzgeschichte "Animal Rescue", aus der "The Drop" wurde, vor ein paar Jahren veröffentlicht. Als die Filmrechte verkauft wurden, erklärte er sich bereit, das Drehbuch zu schreiben, nachdem er zuvor zwar Folgen von "The Wire" geschrieben, aber nie eigene Prosa adaptiert hatte. Und als Regisseur Michael Roskam den Film inszenierte, ließ sich Lehane dazu bewegen, den Roman zum Film zu schreiben. Klar, dass daraus keine dieser mediokren "novelizations" geworden ist, welche die Verwertungskette eines Films verlängern sollen. In diesem Fall ist das Kino Geburtshelfer: Es bringt den Roman zur Welt, der in der Story steckte.
"The Drop" ist die Geschichte von Bob, dem Barkeeper; Tom Hardy spielt ihn im Film. Der stille, einsame Bob arbeitet für seinen Cousin Marv, dessen Kneipe "Cousin Marv's" heißt, aber schon seit Jahren nicht mehr ihm gehört, sondern der tschetschenischen Mafia. Sie ist eine "Drop Bar", wo die Einnahmen aus Wett- und anderen illegalen Geschäften aus der ganzen Stadt deponiert und dann von den Tschetschenen abgeholt werden. Während der Film die Kneipe nach Brooklyn verlegt, versetzt Lehane sie im Roman zurück nach Boston, wo all seine Bücher spielen oder ihren Ausgangspunkt haben.
Bob findet einen Pitbull-Welpen in einer Mülltonne und hat Mitleid. Obwohl er in Marvs Geschäfte verstrickt ist, will er ein anständiger Mensch sein. Dieser Widerspruch macht ihn zum wortkargen Kauz, der im fast unverändert gebliebenen Haus seiner verstorbenen Eltern wohnt und jeden Morgen zur Messe geht. Sein Cousin Marv dagegen ist ein zu häufig gedemütigtes Großmaul, ein Hehler, der seine besten Jahre hinter sich hat, der bei seiner Schwester wohnt und inzwischen auch für Sex bezahlen muss. Für die Rolle kann man sich kaum einen Besseren als James Gandolfini vorstellen. Aber auch wenn man den Film nicht gesehen hat, lässt Lehane diesen Marv auf eine Weise anschaulich werden, die typisch ist für seine Prosa und seinen Humor: "Marv zog sich kopfschüttelnd den kurzen Ledermantel an, den er dauernd trug. Der Mantel war angesagt gewesen, als die beiden Flugzeuge in die Twin Towers krachten, und er war schon wieder out, als die Türme in sich zusammenfielen."
"The Drop" ist aber nicht nur Gangster- und Familiengeschichte. Es geht auch nicht um verspätete Tierliebe, sondern um Sünde, Reue und die Suche nach Vergebung und Erlösung. Der Kosmos von Lehanes Prosa ist ein zutiefst katholischer, auch wenn oder gerade weil ihn Gangster, Kleingauner, kinderschänderische Priester und jede Menge Agnostiker bevölkern. Und deswegen gönnt er Bob auch den Anflug einer spröden Liebesgeschichte mit der schwierigen Nadia (Noomi Rapace spielt sie im Film). Und schenkt Marv die Hoffnung, noch einmal den großen Run am Super-Bowl-Sonntag zu schaffen, obwohl Marv zu den Leuten gehört, deren Vorhaben immer mindestens eine Nummer zu groß ausfallen.
Wie meist bei Lehane ist viel unerbittliche Grausamkeit im Spiel, die er gewohnt nüchtern und präzise beschreibt, was ihre Wirkung nur verstärkt. Die Gewalttätigkeit wächst aus den Verhältnissen, sie hat mit den Menschen zu tun, die sich kaum anders zu artikulieren wissen, wenn ihr Leben aus der Spur geraten ist oder sie sich ungerecht behandelt fühlen. Man habe das, hat Lehane kürzlich in einem Interview gesagt, auch in Ferguson beobachten können. Er schreibe über die "Habenichtse", das seien die Menschen, deren Welt ihn interessiere. Menschen aus dem proletarischen, katholischen Boston, die auch seine Helden sind, wenn er historische Romane schreibt, wie das 700-Seiten-Buch "Im Aufruhr jener Tage", das Ende des Ersten Weltkriegs einsetzt und bis zum Bostoner Polizeistreik 1919 reicht.
Und es ist, neben dem Gespür für Klassenunterschiede und soziale Verwerfungen, immer wieder der Verlust der Unschuld, der Lehane beschäftigt, die "Korruption der Seele schon in jungen Jahren". Seine Romane bewegen sich im Raum des Genres, ohne sich darin zu erschöpfen. Das erklärt zum einen ihre Beliebtheit bei Produzenten und Regisseuren, zeigt aber auch mal wieder, welch ideales Element des Erzählens das Genre des Kriminalromans oder Thrillers ist. Wen kümmert es da noch, dass Lehane eigentlich nie Genre-Autor sein wollte, um dann gleich in seinem ersten Roman, der den schönen Titel "A Drink Before the War" (deutsch "Streng vertraulich", 1994) trug, das Privatdetektivpaar Kenzie und Gennaro ermitteln zu lassen? Jedes seiner Bücher seither demonstriert, dass Genre als Distinktionsbegriff ziemlich wenig besagt.
Und so liest man ein Buch, das knapper ausgefallen ist als bei Lehane üblich, schaut sich den wunderbaren Film an - und freut sich schon auf den nächsten Roman. Der wird im März erscheinen, heißt "World Gone By" und bringt einen alten Bekannten zurück, Joe Coughlin, den Polizistensohn aus Boston, der in "Live By Night" ("In der Nacht", 2013) zum großen Mafioso aufstieg - und stürzte.
PETER KÖRTE.
Dennis Lehane: "The Drop - Bargeld". Roman. Aus dem Englischen von Steffen Jacobs.
Diogenes Verlag, Zürich 2014. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit jedem neuen Roman beweist der amerikanische Schriftsteller Dennis Lehane, dass ihn die Grenzen des Genres nicht interessieren: Auch "The Drop - Bargeld" macht da keine Ausnahme.
Vielleicht bräuchte er einen Schub wie damals in den Vereinigten Staaten. Er bräuchte die Kanzlerin oder einen der bekannteren Minister, die mit einem seiner Bücher in der Hand fotografiert werden. Wie Bill Clinton 1999 mit dem Roman "Prayers for Rain" (dt. "Regenzauber"). Von da an ging es mit Dennis Lehanes Karriere steil bergauf. In Deutschland allerdings ist noch immer viel Luft nach oben. Dass Clint Eastwood den Roman "Mystic River" und Martin Scorsese "Shutter Island" verfilmten, hat Lehane längst nicht so bekannt gemacht, wie er es verdient hätte.
Auch jetzt muss das Kino nachhelfen, mit seinen kleinen Epiphanien, die der gelernte Katholik Lehane zu schätzen weiß. Der 2013 verstorbene James Gandolfini, vielen besser unter dem Namen Tony Soprano bekannt, hat seine letzte Rolle in "The Drop - Bargeld" gespielt, dem eine Kurzgeschichte von Lehane zugrunde liegt. "The Drop", den man mit ein wenig Glück jetzt noch im Kino sehen kann, ist untypisch für die Produktionsweise des Autors aus Boston, den man sich, mit seinem Akzent, seiner gedrungenen, sehr wehrhaft wirkenden Gestalt und seiner Wachheit, gut als einen Charakter aus seinen Büchern vorstellen kann.
Lehane, der im August fünfzig Jahre alt wird, hat die Kurzgeschichte "Animal Rescue", aus der "The Drop" wurde, vor ein paar Jahren veröffentlicht. Als die Filmrechte verkauft wurden, erklärte er sich bereit, das Drehbuch zu schreiben, nachdem er zuvor zwar Folgen von "The Wire" geschrieben, aber nie eigene Prosa adaptiert hatte. Und als Regisseur Michael Roskam den Film inszenierte, ließ sich Lehane dazu bewegen, den Roman zum Film zu schreiben. Klar, dass daraus keine dieser mediokren "novelizations" geworden ist, welche die Verwertungskette eines Films verlängern sollen. In diesem Fall ist das Kino Geburtshelfer: Es bringt den Roman zur Welt, der in der Story steckte.
"The Drop" ist die Geschichte von Bob, dem Barkeeper; Tom Hardy spielt ihn im Film. Der stille, einsame Bob arbeitet für seinen Cousin Marv, dessen Kneipe "Cousin Marv's" heißt, aber schon seit Jahren nicht mehr ihm gehört, sondern der tschetschenischen Mafia. Sie ist eine "Drop Bar", wo die Einnahmen aus Wett- und anderen illegalen Geschäften aus der ganzen Stadt deponiert und dann von den Tschetschenen abgeholt werden. Während der Film die Kneipe nach Brooklyn verlegt, versetzt Lehane sie im Roman zurück nach Boston, wo all seine Bücher spielen oder ihren Ausgangspunkt haben.
Bob findet einen Pitbull-Welpen in einer Mülltonne und hat Mitleid. Obwohl er in Marvs Geschäfte verstrickt ist, will er ein anständiger Mensch sein. Dieser Widerspruch macht ihn zum wortkargen Kauz, der im fast unverändert gebliebenen Haus seiner verstorbenen Eltern wohnt und jeden Morgen zur Messe geht. Sein Cousin Marv dagegen ist ein zu häufig gedemütigtes Großmaul, ein Hehler, der seine besten Jahre hinter sich hat, der bei seiner Schwester wohnt und inzwischen auch für Sex bezahlen muss. Für die Rolle kann man sich kaum einen Besseren als James Gandolfini vorstellen. Aber auch wenn man den Film nicht gesehen hat, lässt Lehane diesen Marv auf eine Weise anschaulich werden, die typisch ist für seine Prosa und seinen Humor: "Marv zog sich kopfschüttelnd den kurzen Ledermantel an, den er dauernd trug. Der Mantel war angesagt gewesen, als die beiden Flugzeuge in die Twin Towers krachten, und er war schon wieder out, als die Türme in sich zusammenfielen."
"The Drop" ist aber nicht nur Gangster- und Familiengeschichte. Es geht auch nicht um verspätete Tierliebe, sondern um Sünde, Reue und die Suche nach Vergebung und Erlösung. Der Kosmos von Lehanes Prosa ist ein zutiefst katholischer, auch wenn oder gerade weil ihn Gangster, Kleingauner, kinderschänderische Priester und jede Menge Agnostiker bevölkern. Und deswegen gönnt er Bob auch den Anflug einer spröden Liebesgeschichte mit der schwierigen Nadia (Noomi Rapace spielt sie im Film). Und schenkt Marv die Hoffnung, noch einmal den großen Run am Super-Bowl-Sonntag zu schaffen, obwohl Marv zu den Leuten gehört, deren Vorhaben immer mindestens eine Nummer zu groß ausfallen.
Wie meist bei Lehane ist viel unerbittliche Grausamkeit im Spiel, die er gewohnt nüchtern und präzise beschreibt, was ihre Wirkung nur verstärkt. Die Gewalttätigkeit wächst aus den Verhältnissen, sie hat mit den Menschen zu tun, die sich kaum anders zu artikulieren wissen, wenn ihr Leben aus der Spur geraten ist oder sie sich ungerecht behandelt fühlen. Man habe das, hat Lehane kürzlich in einem Interview gesagt, auch in Ferguson beobachten können. Er schreibe über die "Habenichtse", das seien die Menschen, deren Welt ihn interessiere. Menschen aus dem proletarischen, katholischen Boston, die auch seine Helden sind, wenn er historische Romane schreibt, wie das 700-Seiten-Buch "Im Aufruhr jener Tage", das Ende des Ersten Weltkriegs einsetzt und bis zum Bostoner Polizeistreik 1919 reicht.
Und es ist, neben dem Gespür für Klassenunterschiede und soziale Verwerfungen, immer wieder der Verlust der Unschuld, der Lehane beschäftigt, die "Korruption der Seele schon in jungen Jahren". Seine Romane bewegen sich im Raum des Genres, ohne sich darin zu erschöpfen. Das erklärt zum einen ihre Beliebtheit bei Produzenten und Regisseuren, zeigt aber auch mal wieder, welch ideales Element des Erzählens das Genre des Kriminalromans oder Thrillers ist. Wen kümmert es da noch, dass Lehane eigentlich nie Genre-Autor sein wollte, um dann gleich in seinem ersten Roman, der den schönen Titel "A Drink Before the War" (deutsch "Streng vertraulich", 1994) trug, das Privatdetektivpaar Kenzie und Gennaro ermitteln zu lassen? Jedes seiner Bücher seither demonstriert, dass Genre als Distinktionsbegriff ziemlich wenig besagt.
Und so liest man ein Buch, das knapper ausgefallen ist als bei Lehane üblich, schaut sich den wunderbaren Film an - und freut sich schon auf den nächsten Roman. Der wird im März erscheinen, heißt "World Gone By" und bringt einen alten Bekannten zurück, Joe Coughlin, den Polizistensohn aus Boston, der in "Live By Night" ("In der Nacht", 2013) zum großen Mafioso aufstieg - und stürzte.
PETER KÖRTE.
Dennis Lehane: "The Drop - Bargeld". Roman. Aus dem Englischen von Steffen Jacobs.
Diogenes Verlag, Zürich 2014. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
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»Dennis Lehane ist ein Meister des Thrillers.« Manfred Papst / NZZ am Sonntag NZZ am Sonntag