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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2011

Aufstieg und Fall der Zedernrevolution
Im Libanon ist das Vorspiel der arabischen Umwälzungen gescheitert

Das Buch beginnt mit einer Trauerfeier. Zu Grabe getragen wird Samir Kassir, ermordeter Kolumnist von "Al Nahar", der großen liberalen libanesischen Tageszeitung. Am Rande von Beiruts Märtyrerplatz, in der griechisch-orthodoxen St.-Georgs-Kirche, sind politische Führer und Angehörige versammelt, große und kleine Protagonisten des "Beiruter Frühlings". Sie alle wissen, dass an diesem Junitag 2005 etwas zu Ende geht: der Traum der libanesischen Demokratiebewegung, sich von syrischer Fremdherrschaft zu befreien; der Traum von einem friedlichen Libanon. Mit dem Sohn einer syrischen Mutter und eines palästinensischen Vaters stirbt auch ein Stück arabischer Freiheitshoffnung.

Einen Abgesang auf die "Zedernrevolution" stimmt Michael Young in "The Ghosts of Martyrs Square" jedoch nicht an. Im Gegenteil: Das Buch, das den Untertitel "Ein Augenzeugenbericht des libanesischen Überlebenskampfes" trägt, hält die Ideale der von Libanesen als "Unabhängigkeitsaufstand" bezeichneten Bewegung hoch. "Freiheit, Souveränität, Unabhängigkeit!", riefen die Demonstranten in den Wochen nach dem Mord an Libanons langjährigem Ministerpräsidenten Rafiq Hariri im Februar 2005 - Forderungen, die so oder so ähnlich sechs Jahre später in Alexandria, Tunis, Bahrein und Sanaa erschallen. Zumindest dann, wenn man Souveränität als Wunsch nach Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit, als Sehnsucht nach einem Ende westlicher Bevormundung liest.

Was die libanesische Freiheitsbewegung 2005 von den arabischen Revolten 2011 unterscheidet, macht Young deutlich, ohne dass er beim Verfassen seines Buches die jüngsten Umbrüche erahnen konnte: "Die amerikanische Invasion des Iraks hatte im Libanon 2003 zwar kein freiheitliches Donnern ausgelöst, bei Arabern, denen die Botschaft selbst wichtiger war als der amerikanische Botschafter, eröffnete der Sturz Saddams aber Aussicht auf Wandel." Die Erfahrung, seit Jahrzehnten Schauplatz fremder Konflikte und Spielball nicht nur kolonialer, sondern auch regionaler Akteure gewesen zu sein, sorgte so von Anfang an für viel Flexibilität. Young zitiert Walid Dschumblat, der diese Haltung wie kein zweiter libanesischer Politik verkörpert: "Was den Irak anbelangt, war ich zynisch. Aber als ich das irakische Volk vor drei Wochen wählen sah, acht Millionen von ihnen, war das der Beginn einer neuen arabischen Welt."

Wie der Drusenführer fand auch das Fußvolk der "Zedernrevolution", das auf Beiruts Märtyrerplatz seine Zelte aufschlug - so wie ihre Gesinnungsgenossen in Tunis und auf Kairos Tahrir-Platz heute -, rasch zu einem pragmatischen Umgang mit der Nahost-Politik Präsident George W. Bushs: Die Irak-Invasion brachte mit sich, dass amerikanische Soldaten nun unmittelbar an der Ostgrenze Syriens stationiert waren - zur angestrebten Schwächung syrischen Einflusses durchaus nützlich. Zudem brachte das Stocken der irakischen Demokratisierungsbemühungen dem Libanon einen höheren Wert auf Bushs regionaler Agenda ein - auch dazu sagte man nicht nein. Selbst das Label "Zedernrevolution" war ein amerikanischer Import: Die Außenamtsmitarbeiterin Paula Dobriansky schuf den Begriff zu einem Zeitpunkt, als die demokratischen Umbrüche in Georgien und der Ukraine noch nicht lange zurücklagen.

Selbst Sohn einer libanesischen Mutter und eines amerikanischen Vaters, der während des Bürgerkriegs - als Christ im muslimisch dominierten Westbeirut - aufwuchs, gelingt es Young, die extrem divergierenden inneren und äußeren Einflüsse zu beschreiben, die den Libanon zusammenhalten - und immer wieder auseinanderreißen: "Was den Libanon relativ frei macht in einem unfreien Mittleren Osten, ist die Tatsache, dass sein konfessionelles System trotz aller Defizite dafür gesorgt hat, dass Teile der Gesellschaft stärker sind als der Staat." Und wo der Staat schwach sei, so Young, "sind Individuen in der Regel freier in ihrem Handeln". Young zeichnet nach, wie der basisdemokratische Geist, der im Zeltlager des Märtyrerplatzes herrschte, langsam erstickt wird von den alten konfessionellen Mustern - es überleben die mal verbündeten, mal verfeindeten Warlords, die Dschumblats, Berris und Dschemeijils.

Zwar hielt der sunnitisch-christliche Schulterschluss, der die Jugendbewegungen der einstigen Bürgerkriegsmilizen auf dem Märtyrerplatz zusammenbrachte. Doch der inzwischen alles überlagernde sunnitisch-schiitische Konflikt begann in diesen Tagen: Am 8. März 2005 strömten Hunderttausende Gefolgsleute Hassan Nasrallahs ins Zentrum Beiruts, um Syriens Präsident Baschar al Assad ihres Rückhalts zu versichern. Eine Woche später, am 14. März, folgte eine Million dem Aufruf der antisyrischen Kräfte zur Demonstration auf dem Märtyrerplatz - ein Viertel der libanesischen Bevölkerung. Sechs Jahre später, während der Wind des Wandels durch die arabische Welt weht, stehen sich beide Blöcke unversöhnlicher denn je gegenüber. Und die Hoffnung der später in "14. März"-Bewegung umbenannten "Zedernrevolutionäre", mit ihrem Protest den libanesischen "Konfessionalismus zu transzendieren", wie Young schreibt, ist erloschen.

MARKUS BICKEL

Michael Young: The Ghosts of Martyrs Square. An Eyewitness Account of Lebanon's Life Struggle. New York: Simon & Schuster, 295 Seiten, 26 Dollar.

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