Produktdetails
- Verlag: New English Library
- ISBN-13: 9780340765593
- ISBN-10: 0340765593
- Artikelnr.: 08693410
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2006Angst und Nähe
Stephen Kings "Love" ist der anrührende Roman einer Ehe
Stephen und Tabitha King sind seit 1971 verheiratet - Kings Weltruhm als Autor scheint der Verbindung nichts anhaben zu können. Sein Roman "Love", der heute weltweit erscheint, setzt ihr nun ein Denkmal.
"Es ist eine Liebesgeschichte mit Monstern. Einige davon sind Menschen." Wenn ein alles andere als maulfauler Schriftsteller wie Stephen King eine Lesung unveröffentlichter Romanpassagen so wortkarg ankündigt, darf man sich auf einen Text gefaßt machen, an dem selbst für die Verhältnisse dieses notorisch arbeitswütigen Menschen außergewöhnlich ernsthaft gefeilt worden ist.
Als King im Juni letzten Jahres auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten des von seinem Freund John Irving und dessen Frau gegründeten "Maple Street School"-Projekts in Manchester, Vermont, nach dieser nüchternen Ankündigung aus "Lisey's Story" las, fiel Kennern im Publikum auf, daß da ein Tonfall wiedergefunden war, den man, was immer King als Schriftsteller seither sonst an Kunstfertigkeit und Reife dazugewonnen haben mochte, seit "The Shining" (1977) von ihm so nicht mehr hat erleben dürfen: dicht, vorsichtig, als ob jemand mit ruhiger Hand langsam ein Tuch von etwas wegzieht, von dem man nicht weiß, ob man bereit ist, es anzusehen oder gar zu berühren. "Zu wissen, daß es gleich nebenan eine weitere Welt gibt . . . und daß die Trennwand so dünn ist . . ."
"Lisey's Story", der Roman, der heute unter dem Titel "Love" auf deutsch bei Heyne erscheint, erzählt von Lisey, der Witwe des hochproduktiven, vielseitigen und sehr erfolgreichen Schriftstellers Scott Landon. Sie weiß, was sonst niemand ahnt: Seine Kindheit durchlitt Scott als Opfer eines Familienunheils, das unter anderem seinen geliebten älteren Bruder und den psychotischen Vater getötet hat. In manischen Schüben haben nahe Angehörige dem späteren Autor sowohl buchstäbliche wie seelische Verletzungen zugefügt, von denen er nie genesen ist. Er hat diese Wunden mit in die Ehe genommen: "Finanziell werden wir ein ziemlich reiches Ehepaar sein, glaube ich, aber emotional bleibe ich bestimmt mein Leben lang bettelarm. Ich habe eine Menge Geld zu erwarten, aber was den Rest betrifft, besitze ich so gerade eben genug für dich, und das werde ich nie durch Lügen beschmutzen oder verwässern."
Als Scott starb, hat er das, was ihn beschädigt und geschaffen hat, seiner Frau gleichsam vererbt; jetzt muß sie damit zurechtkommen, ebenso wie mit den Nachlaßjägern. Ein unberechenbarer Irrer macht das Anliegen eines blasierten Gelehrten - Scott Landons unveröffentlichte Arbeiten müssen seiner Witwe irgendwie entwunden werden - zu seiner heiligen Rächerpflicht. Der Rest ist Terror.
Die grellen Schrecken, die daraus folgen, schildert King aus der Sicht der Frau, die man gleichwohl nicht "Opfer" nennen kann. Denn ihr Kampf mit dem mal gestaltlosen, mal in banalsten Alltagsgegenständen und -erfahrungen punktförmig aufglühenden Schmerz, aber auch ihr Trotz und ihr Mut, kurz: der ganze Resonanzreichtum dieser Figur läßt sich nicht unters Regiment eines polizeilichen und moralischen Begriffs zwingen, der ihr die bloße passive Rolle eines Objekts von Furcht und Mitleid zuweist.
Lisey wehrt sich, gegen das Greifbare und das Unbegriffliche. Dabei helfen ihr die Lebenden - vor allem ihre Schwestern - und die Toten. Daß letztere in dieser Lage manchmal mehr ausrichten als erstere, verrät viel von Kings Wissen darüber, wie Trauer entsteht - und über das, was sie überwindet.
Scott Landon ist nicht Stephen King, auch wenn die literarischen Vorlieben, Auszeichnungen und sonstigen Lebensumstände der beiden einander in vielem berühren, ja sich decken. Lisa "Lisey" Landon, geborene Debusher, ist nicht Tabitha "Tabby" King, geborene Spruce, auch wenn ihre seinerzeit breit publizierte gefährliche Begegnung mit einem durchgeknallten Bewunderer ihres Mannes im gemeinsamen Haus 1991 bis ins Detail der Bedrohungskonstellation von "Love" entspricht.
Die echten und die erfundenen Menschen sind also nicht identisch - das ist Grundschülerwissen über Literatur. Aber ebenso sicher ist die Wahrhaftigkeit dieses Romans, das Anrührende und Zärtliche, was darin über die harte Arbeit zu lesen steht, die es bedeutet, eine Liebe als Kraftzentrum, Widerstandsnest, Katastrophenschauplatz, Haus der wechselseitigen Heilung, Herausforderung und Belohnung über viele Jahre am Leben zu halten, von King wirklich erfahren worden: an der Seite seiner Frau. Das zeigt nicht nur die Widmung - "für Tabby" -, sondern auch der schlichte Tatbestand, daß dieser Multimillionär seit 1971 alle seine beispiellosen Erfolge, die Erziehung dreier Kinder, die Überwindung einer Drogenkrise und eines lebensbedrohlichen Unfalls mir ihr zusammen erlebt hat.
Um künstlerisch zu gestalten, was dieser erstaunliche Tatbestand bedeutet, hat King seinen bildschöpferischen Vorrat und seinen Sprachwitz in "Love" so freigiebig verfeuert wie selten. Ob da, in Kinderperspektive, Blut im Mund "wie das Innere eines Sparschweins" schmeckt, nämlich kupfern, ob die nahtlose Überblendung mehrerer Zeitebenen die cinematische Unmittelbarkeit des Kingschen Stils von der elegantesten Seite zeigt oder Popmusik und phantastische Literatur Zitate für eine dezent, aber eben deshalb ungeheuer effektiv gestreute Leitmotivik liefern - der Roman zeigt den Autor durchgängig so sehr auf der Höhe seines Könnens, daß sich die "New York Times" gar an James Joyce erinnert fühlte.
Da greift sie freilich nicht sosehr zu hoch als vielmehr daneben - die passendere Referenz wäre wohl Alfred Bester gewesen, der große Trickster unter den Science-fiction-Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn in "Love" das Brüllende und Mordlüsterne, das aus Besessenen faucht, vokalmalend als "bad-gunky" vorkommt - von Wulf Bergners Übersetzung sehr schön mit "Bösmülligkeit" wiedergegeben -, dann denken Leute, die mit denselben Büchern aufgewachsen sind wie King, eben nicht an Leopold Bloom und Tim Finnegan, sondern an Besters Sprachfeuerwerke in "Der brennende Mann" (in "Love" von Scott Landon zitiert) oder "Demolition". King kann, was er zu sagen hat, nun mal am besten und triftigsten im Idiom der Phantastik sagen - gut, daß er die erschöpfte Ankündigung, nach Vollendung des "Dark Tower"-Zyklus 2004 vom Romanhandwerk Abstand zu nehmen, nicht wahr gemacht hat.
Daß die beiden wichtigsten Bücher in den phantastischen Genres im Jahr 2006, Mark Z. Danielewskis "Only Revolutions", die Geschichte zweier sechzehnjähriger Liebender unter einem Unstern auf der Flucht durch die Zeit, und Kings "Love", von Paaren und deren mythischem Format handeln, verrät eine Grundtatsache über die unwirklichen Künste: Sie waren von frühesten Dichtungen an Austragungsorte von Veränderungen, die sich persönlich anfühlen, aber wesentlich historischen Charakter haben.
Ehen und Familien zum Beispiel: Sie sind zwar einerseits etwas, in das man hineingeboren wird, samt dem "Gewicht der toten Geschlechter" (Marx), das daran hängt; aber sie sind andererseits auch etwas, das man gründen kann, um die Welt, in die man hineingeboren wird, zu verlassen oder zu verändern. An dieser Grenzscheide zwischen "immer schon" und "von uns erst zu erschaffen" entsteht Phantastik. Dort spielt alles, was King schreibt.
DIETMAR DATH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stephen Kings "Love" ist der anrührende Roman einer Ehe
Stephen und Tabitha King sind seit 1971 verheiratet - Kings Weltruhm als Autor scheint der Verbindung nichts anhaben zu können. Sein Roman "Love", der heute weltweit erscheint, setzt ihr nun ein Denkmal.
"Es ist eine Liebesgeschichte mit Monstern. Einige davon sind Menschen." Wenn ein alles andere als maulfauler Schriftsteller wie Stephen King eine Lesung unveröffentlichter Romanpassagen so wortkarg ankündigt, darf man sich auf einen Text gefaßt machen, an dem selbst für die Verhältnisse dieses notorisch arbeitswütigen Menschen außergewöhnlich ernsthaft gefeilt worden ist.
Als King im Juni letzten Jahres auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten des von seinem Freund John Irving und dessen Frau gegründeten "Maple Street School"-Projekts in Manchester, Vermont, nach dieser nüchternen Ankündigung aus "Lisey's Story" las, fiel Kennern im Publikum auf, daß da ein Tonfall wiedergefunden war, den man, was immer King als Schriftsteller seither sonst an Kunstfertigkeit und Reife dazugewonnen haben mochte, seit "The Shining" (1977) von ihm so nicht mehr hat erleben dürfen: dicht, vorsichtig, als ob jemand mit ruhiger Hand langsam ein Tuch von etwas wegzieht, von dem man nicht weiß, ob man bereit ist, es anzusehen oder gar zu berühren. "Zu wissen, daß es gleich nebenan eine weitere Welt gibt . . . und daß die Trennwand so dünn ist . . ."
"Lisey's Story", der Roman, der heute unter dem Titel "Love" auf deutsch bei Heyne erscheint, erzählt von Lisey, der Witwe des hochproduktiven, vielseitigen und sehr erfolgreichen Schriftstellers Scott Landon. Sie weiß, was sonst niemand ahnt: Seine Kindheit durchlitt Scott als Opfer eines Familienunheils, das unter anderem seinen geliebten älteren Bruder und den psychotischen Vater getötet hat. In manischen Schüben haben nahe Angehörige dem späteren Autor sowohl buchstäbliche wie seelische Verletzungen zugefügt, von denen er nie genesen ist. Er hat diese Wunden mit in die Ehe genommen: "Finanziell werden wir ein ziemlich reiches Ehepaar sein, glaube ich, aber emotional bleibe ich bestimmt mein Leben lang bettelarm. Ich habe eine Menge Geld zu erwarten, aber was den Rest betrifft, besitze ich so gerade eben genug für dich, und das werde ich nie durch Lügen beschmutzen oder verwässern."
Als Scott starb, hat er das, was ihn beschädigt und geschaffen hat, seiner Frau gleichsam vererbt; jetzt muß sie damit zurechtkommen, ebenso wie mit den Nachlaßjägern. Ein unberechenbarer Irrer macht das Anliegen eines blasierten Gelehrten - Scott Landons unveröffentlichte Arbeiten müssen seiner Witwe irgendwie entwunden werden - zu seiner heiligen Rächerpflicht. Der Rest ist Terror.
Die grellen Schrecken, die daraus folgen, schildert King aus der Sicht der Frau, die man gleichwohl nicht "Opfer" nennen kann. Denn ihr Kampf mit dem mal gestaltlosen, mal in banalsten Alltagsgegenständen und -erfahrungen punktförmig aufglühenden Schmerz, aber auch ihr Trotz und ihr Mut, kurz: der ganze Resonanzreichtum dieser Figur läßt sich nicht unters Regiment eines polizeilichen und moralischen Begriffs zwingen, der ihr die bloße passive Rolle eines Objekts von Furcht und Mitleid zuweist.
Lisey wehrt sich, gegen das Greifbare und das Unbegriffliche. Dabei helfen ihr die Lebenden - vor allem ihre Schwestern - und die Toten. Daß letztere in dieser Lage manchmal mehr ausrichten als erstere, verrät viel von Kings Wissen darüber, wie Trauer entsteht - und über das, was sie überwindet.
Scott Landon ist nicht Stephen King, auch wenn die literarischen Vorlieben, Auszeichnungen und sonstigen Lebensumstände der beiden einander in vielem berühren, ja sich decken. Lisa "Lisey" Landon, geborene Debusher, ist nicht Tabitha "Tabby" King, geborene Spruce, auch wenn ihre seinerzeit breit publizierte gefährliche Begegnung mit einem durchgeknallten Bewunderer ihres Mannes im gemeinsamen Haus 1991 bis ins Detail der Bedrohungskonstellation von "Love" entspricht.
Die echten und die erfundenen Menschen sind also nicht identisch - das ist Grundschülerwissen über Literatur. Aber ebenso sicher ist die Wahrhaftigkeit dieses Romans, das Anrührende und Zärtliche, was darin über die harte Arbeit zu lesen steht, die es bedeutet, eine Liebe als Kraftzentrum, Widerstandsnest, Katastrophenschauplatz, Haus der wechselseitigen Heilung, Herausforderung und Belohnung über viele Jahre am Leben zu halten, von King wirklich erfahren worden: an der Seite seiner Frau. Das zeigt nicht nur die Widmung - "für Tabby" -, sondern auch der schlichte Tatbestand, daß dieser Multimillionär seit 1971 alle seine beispiellosen Erfolge, die Erziehung dreier Kinder, die Überwindung einer Drogenkrise und eines lebensbedrohlichen Unfalls mir ihr zusammen erlebt hat.
Um künstlerisch zu gestalten, was dieser erstaunliche Tatbestand bedeutet, hat King seinen bildschöpferischen Vorrat und seinen Sprachwitz in "Love" so freigiebig verfeuert wie selten. Ob da, in Kinderperspektive, Blut im Mund "wie das Innere eines Sparschweins" schmeckt, nämlich kupfern, ob die nahtlose Überblendung mehrerer Zeitebenen die cinematische Unmittelbarkeit des Kingschen Stils von der elegantesten Seite zeigt oder Popmusik und phantastische Literatur Zitate für eine dezent, aber eben deshalb ungeheuer effektiv gestreute Leitmotivik liefern - der Roman zeigt den Autor durchgängig so sehr auf der Höhe seines Könnens, daß sich die "New York Times" gar an James Joyce erinnert fühlte.
Da greift sie freilich nicht sosehr zu hoch als vielmehr daneben - die passendere Referenz wäre wohl Alfred Bester gewesen, der große Trickster unter den Science-fiction-Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn in "Love" das Brüllende und Mordlüsterne, das aus Besessenen faucht, vokalmalend als "bad-gunky" vorkommt - von Wulf Bergners Übersetzung sehr schön mit "Bösmülligkeit" wiedergegeben -, dann denken Leute, die mit denselben Büchern aufgewachsen sind wie King, eben nicht an Leopold Bloom und Tim Finnegan, sondern an Besters Sprachfeuerwerke in "Der brennende Mann" (in "Love" von Scott Landon zitiert) oder "Demolition". King kann, was er zu sagen hat, nun mal am besten und triftigsten im Idiom der Phantastik sagen - gut, daß er die erschöpfte Ankündigung, nach Vollendung des "Dark Tower"-Zyklus 2004 vom Romanhandwerk Abstand zu nehmen, nicht wahr gemacht hat.
Daß die beiden wichtigsten Bücher in den phantastischen Genres im Jahr 2006, Mark Z. Danielewskis "Only Revolutions", die Geschichte zweier sechzehnjähriger Liebender unter einem Unstern auf der Flucht durch die Zeit, und Kings "Love", von Paaren und deren mythischem Format handeln, verrät eine Grundtatsache über die unwirklichen Künste: Sie waren von frühesten Dichtungen an Austragungsorte von Veränderungen, die sich persönlich anfühlen, aber wesentlich historischen Charakter haben.
Ehen und Familien zum Beispiel: Sie sind zwar einerseits etwas, in das man hineingeboren wird, samt dem "Gewicht der toten Geschlechter" (Marx), das daran hängt; aber sie sind andererseits auch etwas, das man gründen kann, um die Welt, in die man hineingeboren wird, zu verlassen oder zu verändern. An dieser Grenzscheide zwischen "immer schon" und "von uns erst zu erschaffen" entsteht Phantastik. Dort spielt alles, was King schreibt.
DIETMAR DATH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main