Produktdetails
- Penguin Twentieth-Century Classics
- Verlag: Import / Penguin Books UK
- Seitenzahl: 228
- Englisch
- Abmessung: 200mm
- Gewicht: 186g
- ISBN-13: 9780140180817
- Artikelnr.: 22008494
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2000Die allerkomischste Geschichte
Ford Madox Ford schafft bedrückende Wahlverwandtschaft
"Eduard - so nennen wir einen reichen Baron im besten Mannesalter - Eduard hatte in seiner Baumschule die schönste Stunde eines Aprilnachmittags zugebracht", aber dann war's auch schon vorbei mit dem beschaulichen Leben an der Seite seiner Frau Charlotte. Eduards Freund Otto, der "Hauptmann", und Charlottes Mündel Ottilie, "das Kind", standen ins Haus, und das Schicksal nahm seinen Lauf - nach den Gesetzen der Scheidungen und Verbindungen in der Natur, die mit den Geboten der Sittlichkeit so oft kollidieren.
Und schon sind wir, via Goethes "Wahlverwandtschaften", in eine hundert Jahre spätere Geschichte eingetreten, einen englischen Roman, der zum Großteil nicht allzu fern von Goethes imaginärer mitteldeutscher Landschaft spielt, nämlich in Bad Nauheim am Taunusrand: Hotel Exzelsior, das Kasino, der Kurpark, "das Plätschern der Fontänen aus dem Mund der steinernen Delfine" - hier trifft sich am Ende der Belle Époque die vornehme Welt, und Frankfurt liegt ganz nahe, wo man - es muss einmal gesagt werden - "so gut angezogen ist wie in Paris".
Zu denen, die in jedem Sommer ein paar Monate in Bad Nauheim verbringen, gehören seit 1904 auch zwei befreundete Ehepaare, der englische Gentleman Edward Ashburnham mit seiner Frau Leonora, beide Anfang dreißig, und der amerikanische Millionär Dowell (der Erzähler) mit seiner Frau Florence. So wie Eduard und Ottilie in den "Wahlverwandtschaften" an Kopfweh leiden, leiden Edward und Florence an Herzschwäche oder behaupten dies. Vor allem die dreißigjährige Florence, die sich seit der Hochzeitsnacht ihrem Mann verweigert, bedarf dringend der Schonung. In Wahrheit ist sie schon 1904, kaum dass sie Edward in Bad Nauheim kennen gelernt hatte, seine Mätresse geworden. Davon ahnt Mr. Dowell, ihr Mann und Pfleger, nichts - bis zu jenem verhängnisvollen Tag im August 1913, der der Angelpunkt der Geschichte ist. Dowell begreift überhaupt sehr wenig und macht aus dem "Ich weiß nicht" ein Leitmotiv, wenn er uns diese Geschichte erzählt, nachdem sie - zusammen mit der guten alten Zeit - ein böses Ende gefunden hat. (Der 1913/14 geschriebene Roman erschien 1915, aber nicht unter dem von Ford Madox Ford gewünschten Titel "The Saddest Story", sondern patriotisch "The Good Soldier" benannt.)
Florence war keineswegs die erste Leidenschaft Edwards. Er begann bescheiden mit einem Dienstmädchen und steigerte sich über eine Kurtisane zu den "anständigen" Frauen. So landete er in dem Bett, das dem guten Mr. Dowell versagt blieb. Dieser richtete seinen - nachträglichen - Hass nicht etwa auf den Verführer, dessen Libertinage er sogar als Lauterkeit deutete, zum Beispiel so: "Edward war ein so ernsthafter Mensch", er glaubte, wenn er seine Hand auf die einer Frau lege, gebe ihr das "einen unabdingbaren Anspruch darauf - verführt zu werden". Und waren seine Verführungen nicht Vorwände für Schuldgefühle? Außerdem machte Florence ihm ja das Leben zur Hölle. "Von früh bis spät verlangte sie, dass er sie küsste." Im Banne solcher Betrachtungen verliert sich der anfängliche Hass des Betrogenen auf die treulose Frau.
Ähnlich verhält sich die betrogene Leonora, die natürlich alles weiß, aber weiterhin mit Florence, der "Hure", freundschaftlich verkehrt, während sie Edward mit besitzgierigem Hass belauert, als Katholikin stets darauf aus, den Gatten, dem Gebot ihrer Seelsorger folgend, "zurückzuholen" - notfalls dadurch, dass sie ihm seine Liebste förmlich ins Bett legt. Denn schlimmer als die Untreue des Fleisches ist die der Seele. Im Übrigen spielt der Geschlechtstrieb bei keinem der Beteiligten eine entscheidende Rolle, jedenfalls nicht in den Augen des Erzählers. Darin gleicht diese Geschichte wiederum jener anderen, hundert Jahre älteren, wo bekanntlich nur ein Geschlechtsakt vollzogen wird, ein ehelicher, an dem aber die beiden Geliebten imaginär beteiligt sind. Das überbietet die Erotik der traurig-komischen Geschichte, vor allem, was Mr. Dowell betrifft, der die perfekte Leonora zwar liebt, aber nicht begehrt. Er schiebt das, so ist er eben, auf Leonoras Schultern: "Wenn ich sie ansah, hatte ich das Gefühl, diese Schultern müssten, sollte ich je meine Lippen darauf drücken, kühl sein - nicht eisig, aber, wie man von Bädern sagt, erfrischend." Zu Bad Nauheim passend.
Erst im letzten Nauheimer Sommer, zu dem die Ashburnhams in Begleitung der jungen, bezaubernden Nancy angereist kommen, erfüllt sich das durch Goethe vorgegebene Muster. Es sei hier erwähnt, dass in keinem der beiden dem Roman angehängten Aufsätze, die uns so manches über Fords Verehrung für Flaubert, Maupassant, James und über seine Zusammenarbeit mit Joseph Conrad berichten, die Nähe der "Allertraurigsten Geschichte" zu den "Wahlverwandtschaften" erwähnt wird. Aus Unkenntnis oder aus Gleichgültigkeit? Es versteht sich, dass Fords Roman sich nicht einfach auf das Goethe'sche Muster reduzieren lässt, sondern vielfach eigene Wege geht. Trotzdem: Nancy gleicht völlig Ottilie, "dem Mädchen". Das Mädchen tritt im Nauheimer Vierecksverhältnis an die Stelle von Florence, die sich an jenem Augusttag 1913 das Leben nahm. Somit besteht die Liebes- und Hassordnung - "ein Gefängnis voll schreiender Hysterien" - nicht mehr aus zwei Paaren über Kreuz, sondern so wie in den "Wahlverwandtschaften" aus nur einem Paar und zwei Singles. Anders als bei Goethe ist bei Ford auch der ledige Mann an dem Mädchen interessiert, aber so zurückhaltend, dass es in der Erzählung kaum zu Buche schlägt.
Entscheidend ist Edwards Kampf mit sich selbst - er gelobt, Nancy nicht anzurühren, wenn sie ihn, möglichst von Indien aus, ewig liebt - und damit sein Kampf gegen Leonora, die dies unbedingt verhindern will. Sie geht weiter als Charlotte, die schließlich geneigt ist, Eduard mit Ottilie zu verheiraten. Leonora drängt Nancy geradezu, Edward "anzugehören"; ob mit oder ohne Scheidung: es sei allzumal Ehebruch, aber das sei notwendig, "die Buße, die Nancy für ihre Sünde auf sich nehmen müsse - für die Sünde, dass sie Edward dazu gebracht habe, sie zu lieben", also dafür, dass sie "so schön, so anmutig, so lieb" sei. Kurz, Leonora quält Edward zu Tode. Als er sich die Kehle durchschneidet, geschieht das nicht zuletzt aus Hass auf seine Peinigerin. Die Nachricht von Edwards Tod erreicht das Mädchen auf seiner Reise nach Indien. Sie wird wahnsinnig. Wahnsinn ist eine andere Form jener Heiligkeit, die Goethe der entseelten Ottilie andichtete.
Nancy kehrt zurück nach Branshow Manor, dem Gutssitz Edwards, wohin vorher schon Mr. Dowell aus Amerika gerufen worden war, gleichsam als Zeuge der bevorstehenden Katastrophe. Er lebt dort fortan an der Seite des irren Mädchens, Krankenwärter wie einst bei Florence. Leonora aber, die wahre Heroine, heiratet einen gewissen Rodney, "eine Art sympathisches Schaf" und so normal, "dass er den größten Teil seiner Kleidung fertig kaufen kann. Das ist das große Ziel, wonach das Leben strebt, und das ist das Ende meiner Geschichte" - die Bösewichter sind bestraft, mit Selbstmord oder Wahnsinn, die normale, tugendhafte Leonora hingegen wird glücklich.
Und der Erzähler dieser allerkomischsten Geschichte? In seinem Nachwort wirft Mark Schorer ihm seine Trägheit vor, als wäre eine erdichtete Figur für ihren Charakter verantwortlich: "Es ist die dumpfe Hysterie des Faultiers, die ihn ergreift, schleichende Verrücktheit aus mangelnder Liebeskraft." Grobe Worte. Gleich darauf preist Schorer zu Recht die "große Kunst" des Romans: "Da herrscht ein unerschöpflicher Witz in Stil und Ausdruck, der nur noch witziger wird durch seine pathetische Verkleidung." Ja hat er denn schon vergessen, dass er den Mann, der diesen Witz erzeugt, eben noch "erbärmlich" nannte? Ist der Erzähler nur das Sprachrohr Fords, wird er nicht charakterisiert durch die Art, wie er erzählt: wie er sich windet in diesem Labyrinth aus Erinnertem, Mitgeteiltem, Erdachtem, aus dem er einen Ausweg sucht, ohne ihn wirklich finden zu wollen? Ein Beispiel: Als Nancy nach Indien aufbricht, begleiten die drei anderen sie zum Zug. "Das Signal für die Abfahrt des Zuges war von einem sehr grellen Rot; dies ist die einzige leidenschaftliche Note, die ich in diese Szene bringen kann . . . Sie sagte zu Edward: ,Leb wohl!' Edward antwortete: ,Leb wohl!' Er drehte sich auf dem Absatz um . . ." Recht besehen ist am Ende nicht Leonora die Heldin, der wahre Held ist vielmehr Mr. Dowell aus Philadelphia, der Erzähler.
Die schöne Ausgabe in der Anderen Bibliothek folgt in der beschwingten Übersetzung und dem etwas müden Anhang dem Text der 1962 bei Walter erschienenen Edition.
KARL MARKUS MICHEL.
Ford Madox Ford: "Die allertraurigste Geschichte". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Fritz Lorch und Helene Henze. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000. 348 S., geb., 49,50 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ford Madox Ford schafft bedrückende Wahlverwandtschaft
"Eduard - so nennen wir einen reichen Baron im besten Mannesalter - Eduard hatte in seiner Baumschule die schönste Stunde eines Aprilnachmittags zugebracht", aber dann war's auch schon vorbei mit dem beschaulichen Leben an der Seite seiner Frau Charlotte. Eduards Freund Otto, der "Hauptmann", und Charlottes Mündel Ottilie, "das Kind", standen ins Haus, und das Schicksal nahm seinen Lauf - nach den Gesetzen der Scheidungen und Verbindungen in der Natur, die mit den Geboten der Sittlichkeit so oft kollidieren.
Und schon sind wir, via Goethes "Wahlverwandtschaften", in eine hundert Jahre spätere Geschichte eingetreten, einen englischen Roman, der zum Großteil nicht allzu fern von Goethes imaginärer mitteldeutscher Landschaft spielt, nämlich in Bad Nauheim am Taunusrand: Hotel Exzelsior, das Kasino, der Kurpark, "das Plätschern der Fontänen aus dem Mund der steinernen Delfine" - hier trifft sich am Ende der Belle Époque die vornehme Welt, und Frankfurt liegt ganz nahe, wo man - es muss einmal gesagt werden - "so gut angezogen ist wie in Paris".
Zu denen, die in jedem Sommer ein paar Monate in Bad Nauheim verbringen, gehören seit 1904 auch zwei befreundete Ehepaare, der englische Gentleman Edward Ashburnham mit seiner Frau Leonora, beide Anfang dreißig, und der amerikanische Millionär Dowell (der Erzähler) mit seiner Frau Florence. So wie Eduard und Ottilie in den "Wahlverwandtschaften" an Kopfweh leiden, leiden Edward und Florence an Herzschwäche oder behaupten dies. Vor allem die dreißigjährige Florence, die sich seit der Hochzeitsnacht ihrem Mann verweigert, bedarf dringend der Schonung. In Wahrheit ist sie schon 1904, kaum dass sie Edward in Bad Nauheim kennen gelernt hatte, seine Mätresse geworden. Davon ahnt Mr. Dowell, ihr Mann und Pfleger, nichts - bis zu jenem verhängnisvollen Tag im August 1913, der der Angelpunkt der Geschichte ist. Dowell begreift überhaupt sehr wenig und macht aus dem "Ich weiß nicht" ein Leitmotiv, wenn er uns diese Geschichte erzählt, nachdem sie - zusammen mit der guten alten Zeit - ein böses Ende gefunden hat. (Der 1913/14 geschriebene Roman erschien 1915, aber nicht unter dem von Ford Madox Ford gewünschten Titel "The Saddest Story", sondern patriotisch "The Good Soldier" benannt.)
Florence war keineswegs die erste Leidenschaft Edwards. Er begann bescheiden mit einem Dienstmädchen und steigerte sich über eine Kurtisane zu den "anständigen" Frauen. So landete er in dem Bett, das dem guten Mr. Dowell versagt blieb. Dieser richtete seinen - nachträglichen - Hass nicht etwa auf den Verführer, dessen Libertinage er sogar als Lauterkeit deutete, zum Beispiel so: "Edward war ein so ernsthafter Mensch", er glaubte, wenn er seine Hand auf die einer Frau lege, gebe ihr das "einen unabdingbaren Anspruch darauf - verführt zu werden". Und waren seine Verführungen nicht Vorwände für Schuldgefühle? Außerdem machte Florence ihm ja das Leben zur Hölle. "Von früh bis spät verlangte sie, dass er sie küsste." Im Banne solcher Betrachtungen verliert sich der anfängliche Hass des Betrogenen auf die treulose Frau.
Ähnlich verhält sich die betrogene Leonora, die natürlich alles weiß, aber weiterhin mit Florence, der "Hure", freundschaftlich verkehrt, während sie Edward mit besitzgierigem Hass belauert, als Katholikin stets darauf aus, den Gatten, dem Gebot ihrer Seelsorger folgend, "zurückzuholen" - notfalls dadurch, dass sie ihm seine Liebste förmlich ins Bett legt. Denn schlimmer als die Untreue des Fleisches ist die der Seele. Im Übrigen spielt der Geschlechtstrieb bei keinem der Beteiligten eine entscheidende Rolle, jedenfalls nicht in den Augen des Erzählers. Darin gleicht diese Geschichte wiederum jener anderen, hundert Jahre älteren, wo bekanntlich nur ein Geschlechtsakt vollzogen wird, ein ehelicher, an dem aber die beiden Geliebten imaginär beteiligt sind. Das überbietet die Erotik der traurig-komischen Geschichte, vor allem, was Mr. Dowell betrifft, der die perfekte Leonora zwar liebt, aber nicht begehrt. Er schiebt das, so ist er eben, auf Leonoras Schultern: "Wenn ich sie ansah, hatte ich das Gefühl, diese Schultern müssten, sollte ich je meine Lippen darauf drücken, kühl sein - nicht eisig, aber, wie man von Bädern sagt, erfrischend." Zu Bad Nauheim passend.
Erst im letzten Nauheimer Sommer, zu dem die Ashburnhams in Begleitung der jungen, bezaubernden Nancy angereist kommen, erfüllt sich das durch Goethe vorgegebene Muster. Es sei hier erwähnt, dass in keinem der beiden dem Roman angehängten Aufsätze, die uns so manches über Fords Verehrung für Flaubert, Maupassant, James und über seine Zusammenarbeit mit Joseph Conrad berichten, die Nähe der "Allertraurigsten Geschichte" zu den "Wahlverwandtschaften" erwähnt wird. Aus Unkenntnis oder aus Gleichgültigkeit? Es versteht sich, dass Fords Roman sich nicht einfach auf das Goethe'sche Muster reduzieren lässt, sondern vielfach eigene Wege geht. Trotzdem: Nancy gleicht völlig Ottilie, "dem Mädchen". Das Mädchen tritt im Nauheimer Vierecksverhältnis an die Stelle von Florence, die sich an jenem Augusttag 1913 das Leben nahm. Somit besteht die Liebes- und Hassordnung - "ein Gefängnis voll schreiender Hysterien" - nicht mehr aus zwei Paaren über Kreuz, sondern so wie in den "Wahlverwandtschaften" aus nur einem Paar und zwei Singles. Anders als bei Goethe ist bei Ford auch der ledige Mann an dem Mädchen interessiert, aber so zurückhaltend, dass es in der Erzählung kaum zu Buche schlägt.
Entscheidend ist Edwards Kampf mit sich selbst - er gelobt, Nancy nicht anzurühren, wenn sie ihn, möglichst von Indien aus, ewig liebt - und damit sein Kampf gegen Leonora, die dies unbedingt verhindern will. Sie geht weiter als Charlotte, die schließlich geneigt ist, Eduard mit Ottilie zu verheiraten. Leonora drängt Nancy geradezu, Edward "anzugehören"; ob mit oder ohne Scheidung: es sei allzumal Ehebruch, aber das sei notwendig, "die Buße, die Nancy für ihre Sünde auf sich nehmen müsse - für die Sünde, dass sie Edward dazu gebracht habe, sie zu lieben", also dafür, dass sie "so schön, so anmutig, so lieb" sei. Kurz, Leonora quält Edward zu Tode. Als er sich die Kehle durchschneidet, geschieht das nicht zuletzt aus Hass auf seine Peinigerin. Die Nachricht von Edwards Tod erreicht das Mädchen auf seiner Reise nach Indien. Sie wird wahnsinnig. Wahnsinn ist eine andere Form jener Heiligkeit, die Goethe der entseelten Ottilie andichtete.
Nancy kehrt zurück nach Branshow Manor, dem Gutssitz Edwards, wohin vorher schon Mr. Dowell aus Amerika gerufen worden war, gleichsam als Zeuge der bevorstehenden Katastrophe. Er lebt dort fortan an der Seite des irren Mädchens, Krankenwärter wie einst bei Florence. Leonora aber, die wahre Heroine, heiratet einen gewissen Rodney, "eine Art sympathisches Schaf" und so normal, "dass er den größten Teil seiner Kleidung fertig kaufen kann. Das ist das große Ziel, wonach das Leben strebt, und das ist das Ende meiner Geschichte" - die Bösewichter sind bestraft, mit Selbstmord oder Wahnsinn, die normale, tugendhafte Leonora hingegen wird glücklich.
Und der Erzähler dieser allerkomischsten Geschichte? In seinem Nachwort wirft Mark Schorer ihm seine Trägheit vor, als wäre eine erdichtete Figur für ihren Charakter verantwortlich: "Es ist die dumpfe Hysterie des Faultiers, die ihn ergreift, schleichende Verrücktheit aus mangelnder Liebeskraft." Grobe Worte. Gleich darauf preist Schorer zu Recht die "große Kunst" des Romans: "Da herrscht ein unerschöpflicher Witz in Stil und Ausdruck, der nur noch witziger wird durch seine pathetische Verkleidung." Ja hat er denn schon vergessen, dass er den Mann, der diesen Witz erzeugt, eben noch "erbärmlich" nannte? Ist der Erzähler nur das Sprachrohr Fords, wird er nicht charakterisiert durch die Art, wie er erzählt: wie er sich windet in diesem Labyrinth aus Erinnertem, Mitgeteiltem, Erdachtem, aus dem er einen Ausweg sucht, ohne ihn wirklich finden zu wollen? Ein Beispiel: Als Nancy nach Indien aufbricht, begleiten die drei anderen sie zum Zug. "Das Signal für die Abfahrt des Zuges war von einem sehr grellen Rot; dies ist die einzige leidenschaftliche Note, die ich in diese Szene bringen kann . . . Sie sagte zu Edward: ,Leb wohl!' Edward antwortete: ,Leb wohl!' Er drehte sich auf dem Absatz um . . ." Recht besehen ist am Ende nicht Leonora die Heldin, der wahre Held ist vielmehr Mr. Dowell aus Philadelphia, der Erzähler.
Die schöne Ausgabe in der Anderen Bibliothek folgt in der beschwingten Übersetzung und dem etwas müden Anhang dem Text der 1962 bei Walter erschienenen Edition.
KARL MARKUS MICHEL.
Ford Madox Ford: "Die allertraurigste Geschichte". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Fritz Lorch und Helene Henze. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000. 348 S., geb., 49,50 DM.
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