Everybody who is anybody is seen at the glittering parties held in millionaire Jay Gatsby's mansion in West Egg, east of New York. The riotous throng congregates in his garden, coolly debating Gatsby's origins and mysterious past. None of the frivolous socialites understands him and among various rumours is the conviction that 'he killed a man'.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2011Er meint weit mehr
als bloß dies!
Ohne Abstriche geht es nicht: „Der Große Gatsby“ von
F. Scott Fitzgerald im Wettstreit neuer Übersetzungen
Es gibt Bücher, die drohen unter ihrem Ruhm zu verschwinden. Auch wer sie nie gelesen hat, hat sie doch auf gewissermaßen osmotischem Weg aufgenommen, indem ein zentrales Motiv daraus völlig in den kulturellen Allgemeinbesitz übergegangen ist. Beispiele wären Don Quixote in seinem Kampf gegen die Windmühlen, „1984“ mit der Figur des Großen Bruders, das kakerlakenhafte Ungeziefer in Kafkas „Verwandlung“. Und eben „Der große Gatsby“. Auch dieses Buch, das alle anderen des doch außerordentlich produktiven Francis Scott Fitzgerald in den Schatten gestellt hat, ist in einer einzelnen Szene gewissermaßen eingefroren – der Gartenparty, der der mysteriöse Gastgeber selbst sich entzieht.
Warum und wie, das wüssten wenige auf Anhieb zu sagen. Stattdessen ist eine gewisse Atmosphäre, ein Air oder Flair im Gedächtnis haften geblieben: der Geist der Roaring Twenties, die rauschhafte Verschwendung, deren mitreißender Vulgarität ein mäßigendes Moment der Melancholie beigemischt ist. „Roman“ heißt das Buch und umfasst auch wirklich mehr als zweihundert Seiten; aber seinem ganzen Wesen nach muss man es eher als eine Novelle bezeichnen. Mit großer Konsequenz wird der erzählerische Rahmen für die eine unerhörte Begebenheit errichtet, um die es in Wahrheit geht und für die der Bilderbogen einer wild zum Amüsement entschlossenen Society nur die Folie liefert.
Die formalen Erfordernisse der Novelle hat Fitzgerald (und man muss ihn wirklich bewundern dafür) in den Charakter seines Erzählers Nick Carraway eingesenkt, der von sich selbst sagt, er habe gelernt, sich mit dem Urteilen über Menschen zurückzuhalten. Das dient zugleich als eine Warnung an den Leser: Was geschieht, ist klar genug – aber was es zu bedeuten hat und wie es zu bewerten sei, darüber erhält er keine verlässliche Auskunft.
Dem Ruhm des Buchs hat es nicht geschadet, im Gegenteil. Man kann es auf mindestens drei verschiedene Arten lesen und kommt immer auf seine Kosten: als groteskes Sittenbild; als bittersüße Liebesgeschichte (also den blanken Kitsch, der sich jedoch über den Zynismus der Partygäste erhaben dünkt, bestimmt die beliebteste Lesart); oder als eine Studie über den Zusammenhang von Geld und Seelenleben. Die novelleske Begebenheit besteht in Folgendem: Gatsby (bürgerlich James Gatz) hat sich, als er noch ein armer Junge war, unsterblich in die reiche Daisy verliebt, wurde aber von ihr getrennt; jetzt, wo er durch undurchsichtige Geschäfte noch reicher als sie damals geworden ist und er sie endlich wiederfindet, stellt sich nachträglich (und gegen seinen heftigen Widerstand) heraus, dass er eigentlich gar nicht sie gemeint hat, sondern die ganze Sphäre, der sie angehört, ihren Reichtum also.
„,Daisys Stimme klingt so indiskret‘. Sagte ich. ,Sie ist so . . .‘. ‚Ihre Stimme klingt nach Geld‘, sagte er (Gatsby) plötzlich. Das war es. Ich hatte es nie verstanden. Sie klang nach Geld – darin lag der unerschöpfliche Charme, der in ihr an- und abschwoll, das Klimpern, der silbrige Zimbelklang. Hoch oben in einem weißen Palast, die Königstochter, das goldene Mädchen . . . .“ Hier kulminiert in unaufdringlicher Weise die hohe Ironie des Buchs: dass das Persönlichste, als welches man Liebreiz und Liebe gern reklamiert, geradewegs vom Allerallgemeinsten gezeitigt worden ist. Aber der Erzähler bringt das Geld zum Tanzen. Und er verwirft seine Figuren nicht. Sie tun sehr hässliche Dinge, was indes so beiläufig erwähnt wird, dass man die Stelle noch einmal liest, um wirklich zu glauben, was dasteht. Es ist, mit einem Wort, trotz seines klaren Handlungsgangs ein schlechthin unerschöpfliches Buch.
Ein solches kommt in seiner Ursprungssprache gar nicht recht zu sich selbst. Das Paradox, dass das Werk eine Einheit darstellt, seine Bedeutung aber eine vielfache sein muss, erlangt sichtbare Gestalt erst dort, wo die Übersetzung sich seiner annimmt. Die Übersetzung löst sich vom manifesten Leib des Texts wie die Seele vom sterbenden Körper und flattert in nervösen Gesten um ihn herum; erst jetzt wird sie, die sich bisher im Körper versteckt hielt, als Seele eigentlich sichtbar. Reine Bequemlichkeit ist es, die kanonische Übersetzung zu fordern, die ein für alle Mal gälte und an der man dann nicht mehr zu zweifeln und herumzukritteln braucht; gerade als multiple und daher spürbar stets unvollkommene erweist sie dem Werk ihre größte Huldigung. Und so ist es zu begrüßen, dass es vom großen Gatsby gegenwärtig nicht weniger als vier lieferbare deutsche Versionen gibt, darunter zwei nagelneue (Francis Scott Fitzgerald: Der große Gatsby. Roman. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser. Insel Verlag, Berlin 2011, 213 S., 22,90 Euro, und F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby. Roman. Neu übersetzt, mit einem Nachwort und Anmerkungen von Lutz-W. Wolff. dtv, München 2011, 256 S., 9,90 Euro).
Das Buch beginnt: „In my younger and more vulnerable years my father gave me some advice that I’ve been turning over in my mind ever since. ,Whenever you feel like criticizing any one‘, he told me, ,just remember that all the people in this world haven’t had the advantages that you have had.‘ He didn’t say any more, but we’ve always been unusually communicative in a reserved way, and I understood that he meant a great deal more than that.“
So führt sich der Erzähler ein, dessen Naturell, wie gesagt, sich ganz in den Dienst der novellistischen Aufgabe gestellt hat. Die Einfachheit dieser Sprache täuscht, indem sie den Hinweis darauf verbirgt, dass auch die Einfachheit dieser Geschichte täuschen wird. Das implizite Einverständnis zwischen Erzähler und Hörer, in dem das Geheimnis einer guten Geschichte liegt, hat hier das Gleichnis der gelingenden Beziehung von Vater und Sohn gefunden: Sie lieben einander, aber zu dieser Liebe gehört es unverbrüchlich, dass sie sich nicht direkt äußert, sondern in einer Spurensprache, die nur die beiden selbst dekodieren können. Dies ist das Formgesetz ihrer Liebe. So ergibt sich der scheinbare Widerspruch, dass die beiden „in a reserved way“ „unusually communicative“ waren, und „he meant a great deal more than that“. Das Gemeinte ist also im Text zugleich da und weg – eine echte Herausforderung für den Übersetzer!
Auch die „more vulnerable years“ stellen ein nicht geringes Problem dar. Wolff will am Original möglichst dicht dranbleiben und spricht von den „verletzlicheren Jahren“. Ähnlich halten es Johanna Ellsworth (Nikol Verlag, Hamburg 2011. 159 S., 4,95 Euro) und Bettina Abarbanell (Diogenes Verlag, Zürich 2001. 249 S., 9,90 Euro), die für „verwundbarer“ optieren. Aber das schießt im Deutschen übers Ziel hinaus, denn es sollen hier gerade keine Wunden gezeigt, sondern eine Verständigung auf Basis des Understatements vorgeführt werden.
Kaiser erkennt die Gefahr; bei ihm ist Nick lediglich „leichter zu beeindrucken“. Dabei jedoch schleicht sich ein gewisser kaltschnäuziger Verdacht ein: Als ob der Erzähler es inzwischen besser wüsste, als den Morallehren seines alten Herrn auf den Leim zu gehen. Beides liegt in entgegengesetzter Richtung ungefähr gleich weit von dem, was der Text sagt, in einer unerreichbaren Mitte.
„Whenever you feel like criticizing any one“ – da erlaubt sich Kaiser mit Rücksicht auf die Üblichkeit mündlichen Sprechens ein abkürzendes Verfahren: „Wenn du an jemandem etwas auszusetzen hast“ (ähnlich Ellsworth). Die Zweiheit der Vorgänge, des „feeling“ (still) und des „criticizing“ (laut) ist damit freilich vernichtet. Abarbanell bewahrt sie in „Wann immer du jemanden kritisieren willst“, überinstrumentiert damit allerdings den mentalen Akt als einen des Wollens und haut auch mit dem „wann immer“ zu stark auf die Pauke, dem nur scheinbaren Äquivalent für „whenever“. Wulff macht aus der Zweiheit gar eine Dreiheit: „Jedes Mal, wenn du glaubst, jemanden kritisieren zu müssen“ und gerät, indem er zusätzlich „müssen“ und „glauben“ trennt, aufs Gelände der Haarspalterei.
Am schwierigsten ist natürlich „unusually communicative in a reserved way“. Hier müssen alle Übersetzer Abstriche an der Komplexität des Gedankens machen. Wulff: „aber wir haben uns schon immer auf sehr zurückhaltende Weise verstanden“ – hier ist die paradoxale Struktur des Satzes so ziemlich zerstört. Kaiser: „aber auf eine zurückhaltende Weise verstanden wir uns immer ungemein gut“. Hier ist sie teilweise erhalten, aber um den Preis einer gewissen Umständlichkeit. Abarbanell: „doch da wir uns auf eine diskrete Weise stets hervorragend verstanden haben“ – im „hervorragend“ hat sich das Verschwiegene und höchstens Andeutende, das in „unusually“ steckt, in die offene Prahlerei verwandelt. Etwas gedämpfter und darum dem Gehalt des Originals wohl am nächsten wählt Ellsworth: „doch da wir uns auf eine zurückhaltende Art immer sehr gut verstanden haben“. Warum jedoch will keiner der vier sich ernsthaft auf das „unusually“ einlassen? Denn dass diese Beziehung, unter ihrem unscheinbaren Deckmantel, in Wirklichkeit etwas Ungewöhnliches sei, macht ihr Glück und ihren geheimen Stolz aus – und, wie man hinzusetzen darf, den dieser Geschichte.
So könnte man die vier Übersetzungen Satz für Satz und Zeile für Zeile vergleichen, wäre nie zufrieden und bezöge immer neue Erleuchtungen über den umstrittenen Gegenstand. Denn dies ist das Schöne an ihrer einfallsreichen Unzulänglichkeit: Wie wenn man Ministern zuhörte, die sich um Ohr und Gunst des Monarchen zanken, gewinnt man vertieften Respekt vor dem Absoluten des Werks und zugleich erschrockene Einsicht ins immer Prekäre seines Gelingens.
BURKHARD MÜLLER
Dies ist, trotz seines klaren
Handlungsgangs, ein
schlechthin unerschöpfliches Buch
Reine Bequemlichkeit ist es, die
kanonische Übersetzung zu
fordern, die ein für alle Mal gälte
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als bloß dies!
Ohne Abstriche geht es nicht: „Der Große Gatsby“ von
F. Scott Fitzgerald im Wettstreit neuer Übersetzungen
Es gibt Bücher, die drohen unter ihrem Ruhm zu verschwinden. Auch wer sie nie gelesen hat, hat sie doch auf gewissermaßen osmotischem Weg aufgenommen, indem ein zentrales Motiv daraus völlig in den kulturellen Allgemeinbesitz übergegangen ist. Beispiele wären Don Quixote in seinem Kampf gegen die Windmühlen, „1984“ mit der Figur des Großen Bruders, das kakerlakenhafte Ungeziefer in Kafkas „Verwandlung“. Und eben „Der große Gatsby“. Auch dieses Buch, das alle anderen des doch außerordentlich produktiven Francis Scott Fitzgerald in den Schatten gestellt hat, ist in einer einzelnen Szene gewissermaßen eingefroren – der Gartenparty, der der mysteriöse Gastgeber selbst sich entzieht.
Warum und wie, das wüssten wenige auf Anhieb zu sagen. Stattdessen ist eine gewisse Atmosphäre, ein Air oder Flair im Gedächtnis haften geblieben: der Geist der Roaring Twenties, die rauschhafte Verschwendung, deren mitreißender Vulgarität ein mäßigendes Moment der Melancholie beigemischt ist. „Roman“ heißt das Buch und umfasst auch wirklich mehr als zweihundert Seiten; aber seinem ganzen Wesen nach muss man es eher als eine Novelle bezeichnen. Mit großer Konsequenz wird der erzählerische Rahmen für die eine unerhörte Begebenheit errichtet, um die es in Wahrheit geht und für die der Bilderbogen einer wild zum Amüsement entschlossenen Society nur die Folie liefert.
Die formalen Erfordernisse der Novelle hat Fitzgerald (und man muss ihn wirklich bewundern dafür) in den Charakter seines Erzählers Nick Carraway eingesenkt, der von sich selbst sagt, er habe gelernt, sich mit dem Urteilen über Menschen zurückzuhalten. Das dient zugleich als eine Warnung an den Leser: Was geschieht, ist klar genug – aber was es zu bedeuten hat und wie es zu bewerten sei, darüber erhält er keine verlässliche Auskunft.
Dem Ruhm des Buchs hat es nicht geschadet, im Gegenteil. Man kann es auf mindestens drei verschiedene Arten lesen und kommt immer auf seine Kosten: als groteskes Sittenbild; als bittersüße Liebesgeschichte (also den blanken Kitsch, der sich jedoch über den Zynismus der Partygäste erhaben dünkt, bestimmt die beliebteste Lesart); oder als eine Studie über den Zusammenhang von Geld und Seelenleben. Die novelleske Begebenheit besteht in Folgendem: Gatsby (bürgerlich James Gatz) hat sich, als er noch ein armer Junge war, unsterblich in die reiche Daisy verliebt, wurde aber von ihr getrennt; jetzt, wo er durch undurchsichtige Geschäfte noch reicher als sie damals geworden ist und er sie endlich wiederfindet, stellt sich nachträglich (und gegen seinen heftigen Widerstand) heraus, dass er eigentlich gar nicht sie gemeint hat, sondern die ganze Sphäre, der sie angehört, ihren Reichtum also.
„,Daisys Stimme klingt so indiskret‘. Sagte ich. ,Sie ist so . . .‘. ‚Ihre Stimme klingt nach Geld‘, sagte er (Gatsby) plötzlich. Das war es. Ich hatte es nie verstanden. Sie klang nach Geld – darin lag der unerschöpfliche Charme, der in ihr an- und abschwoll, das Klimpern, der silbrige Zimbelklang. Hoch oben in einem weißen Palast, die Königstochter, das goldene Mädchen . . . .“ Hier kulminiert in unaufdringlicher Weise die hohe Ironie des Buchs: dass das Persönlichste, als welches man Liebreiz und Liebe gern reklamiert, geradewegs vom Allerallgemeinsten gezeitigt worden ist. Aber der Erzähler bringt das Geld zum Tanzen. Und er verwirft seine Figuren nicht. Sie tun sehr hässliche Dinge, was indes so beiläufig erwähnt wird, dass man die Stelle noch einmal liest, um wirklich zu glauben, was dasteht. Es ist, mit einem Wort, trotz seines klaren Handlungsgangs ein schlechthin unerschöpfliches Buch.
Ein solches kommt in seiner Ursprungssprache gar nicht recht zu sich selbst. Das Paradox, dass das Werk eine Einheit darstellt, seine Bedeutung aber eine vielfache sein muss, erlangt sichtbare Gestalt erst dort, wo die Übersetzung sich seiner annimmt. Die Übersetzung löst sich vom manifesten Leib des Texts wie die Seele vom sterbenden Körper und flattert in nervösen Gesten um ihn herum; erst jetzt wird sie, die sich bisher im Körper versteckt hielt, als Seele eigentlich sichtbar. Reine Bequemlichkeit ist es, die kanonische Übersetzung zu fordern, die ein für alle Mal gälte und an der man dann nicht mehr zu zweifeln und herumzukritteln braucht; gerade als multiple und daher spürbar stets unvollkommene erweist sie dem Werk ihre größte Huldigung. Und so ist es zu begrüßen, dass es vom großen Gatsby gegenwärtig nicht weniger als vier lieferbare deutsche Versionen gibt, darunter zwei nagelneue (Francis Scott Fitzgerald: Der große Gatsby. Roman. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser. Insel Verlag, Berlin 2011, 213 S., 22,90 Euro, und F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby. Roman. Neu übersetzt, mit einem Nachwort und Anmerkungen von Lutz-W. Wolff. dtv, München 2011, 256 S., 9,90 Euro).
Das Buch beginnt: „In my younger and more vulnerable years my father gave me some advice that I’ve been turning over in my mind ever since. ,Whenever you feel like criticizing any one‘, he told me, ,just remember that all the people in this world haven’t had the advantages that you have had.‘ He didn’t say any more, but we’ve always been unusually communicative in a reserved way, and I understood that he meant a great deal more than that.“
So führt sich der Erzähler ein, dessen Naturell, wie gesagt, sich ganz in den Dienst der novellistischen Aufgabe gestellt hat. Die Einfachheit dieser Sprache täuscht, indem sie den Hinweis darauf verbirgt, dass auch die Einfachheit dieser Geschichte täuschen wird. Das implizite Einverständnis zwischen Erzähler und Hörer, in dem das Geheimnis einer guten Geschichte liegt, hat hier das Gleichnis der gelingenden Beziehung von Vater und Sohn gefunden: Sie lieben einander, aber zu dieser Liebe gehört es unverbrüchlich, dass sie sich nicht direkt äußert, sondern in einer Spurensprache, die nur die beiden selbst dekodieren können. Dies ist das Formgesetz ihrer Liebe. So ergibt sich der scheinbare Widerspruch, dass die beiden „in a reserved way“ „unusually communicative“ waren, und „he meant a great deal more than that“. Das Gemeinte ist also im Text zugleich da und weg – eine echte Herausforderung für den Übersetzer!
Auch die „more vulnerable years“ stellen ein nicht geringes Problem dar. Wolff will am Original möglichst dicht dranbleiben und spricht von den „verletzlicheren Jahren“. Ähnlich halten es Johanna Ellsworth (Nikol Verlag, Hamburg 2011. 159 S., 4,95 Euro) und Bettina Abarbanell (Diogenes Verlag, Zürich 2001. 249 S., 9,90 Euro), die für „verwundbarer“ optieren. Aber das schießt im Deutschen übers Ziel hinaus, denn es sollen hier gerade keine Wunden gezeigt, sondern eine Verständigung auf Basis des Understatements vorgeführt werden.
Kaiser erkennt die Gefahr; bei ihm ist Nick lediglich „leichter zu beeindrucken“. Dabei jedoch schleicht sich ein gewisser kaltschnäuziger Verdacht ein: Als ob der Erzähler es inzwischen besser wüsste, als den Morallehren seines alten Herrn auf den Leim zu gehen. Beides liegt in entgegengesetzter Richtung ungefähr gleich weit von dem, was der Text sagt, in einer unerreichbaren Mitte.
„Whenever you feel like criticizing any one“ – da erlaubt sich Kaiser mit Rücksicht auf die Üblichkeit mündlichen Sprechens ein abkürzendes Verfahren: „Wenn du an jemandem etwas auszusetzen hast“ (ähnlich Ellsworth). Die Zweiheit der Vorgänge, des „feeling“ (still) und des „criticizing“ (laut) ist damit freilich vernichtet. Abarbanell bewahrt sie in „Wann immer du jemanden kritisieren willst“, überinstrumentiert damit allerdings den mentalen Akt als einen des Wollens und haut auch mit dem „wann immer“ zu stark auf die Pauke, dem nur scheinbaren Äquivalent für „whenever“. Wulff macht aus der Zweiheit gar eine Dreiheit: „Jedes Mal, wenn du glaubst, jemanden kritisieren zu müssen“ und gerät, indem er zusätzlich „müssen“ und „glauben“ trennt, aufs Gelände der Haarspalterei.
Am schwierigsten ist natürlich „unusually communicative in a reserved way“. Hier müssen alle Übersetzer Abstriche an der Komplexität des Gedankens machen. Wulff: „aber wir haben uns schon immer auf sehr zurückhaltende Weise verstanden“ – hier ist die paradoxale Struktur des Satzes so ziemlich zerstört. Kaiser: „aber auf eine zurückhaltende Weise verstanden wir uns immer ungemein gut“. Hier ist sie teilweise erhalten, aber um den Preis einer gewissen Umständlichkeit. Abarbanell: „doch da wir uns auf eine diskrete Weise stets hervorragend verstanden haben“ – im „hervorragend“ hat sich das Verschwiegene und höchstens Andeutende, das in „unusually“ steckt, in die offene Prahlerei verwandelt. Etwas gedämpfter und darum dem Gehalt des Originals wohl am nächsten wählt Ellsworth: „doch da wir uns auf eine zurückhaltende Art immer sehr gut verstanden haben“. Warum jedoch will keiner der vier sich ernsthaft auf das „unusually“ einlassen? Denn dass diese Beziehung, unter ihrem unscheinbaren Deckmantel, in Wirklichkeit etwas Ungewöhnliches sei, macht ihr Glück und ihren geheimen Stolz aus – und, wie man hinzusetzen darf, den dieser Geschichte.
So könnte man die vier Übersetzungen Satz für Satz und Zeile für Zeile vergleichen, wäre nie zufrieden und bezöge immer neue Erleuchtungen über den umstrittenen Gegenstand. Denn dies ist das Schöne an ihrer einfallsreichen Unzulänglichkeit: Wie wenn man Ministern zuhörte, die sich um Ohr und Gunst des Monarchen zanken, gewinnt man vertieften Respekt vor dem Absoluten des Werks und zugleich erschrockene Einsicht ins immer Prekäre seines Gelingens.
BURKHARD MÜLLER
Dies ist, trotz seines klaren
Handlungsgangs, ein
schlechthin unerschöpfliches Buch
Reine Bequemlichkeit ist es, die
kanonische Übersetzung zu
fordern, die ein für alle Mal gälte
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Not only a page-turner and a heartbreaker, it's one of the most quintessentially American novels ever written Time