Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2013Operation Overlord und die Kosten des Sieges
Geschichtserzählungen: Rick Atkinsons Weltkriegsepos schließt mit einem Band über das Ende im Westen
Am Ende steht ein Wunsch. Dass das, wofür die Soldaten des Zweiten Weltkriegs gekämpft haben, weiterleben und auf Generationen hinaus erinnert werden solle. So endet nach mehr als zweitausend Seiten Rick Atkinsons "Liberation Trilogy", die Geschichte des Zweiten Weltkrieges auf dem westlichen Kriegsschauplatz.
2002 erschien der erste, mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Band "An Army at Dawn", welcher die Geschichte der alliierten Armeen, vor allem aber die der amerikanischen, während der Invasion und der Kämpfe gegen die Achsenmächte in Nordafrika erzählt. 2007 folgte "The Day of Battle", in dem Atkinson die Kämpfe auf Sizilien und in Italien der Jahre 1943/44 Revue passieren lässt. In "The Guns at Last Light" beschließt Atkinson nun sein monumentales Unterfangen mit der Beschreibung der alliierten Landung in der Normandie, den Schlachten in Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland und dem endgültigen Sieg über die deutsche Wehrmacht.
Die Stärke von Atkinson liegt nicht darin, historisch genau die Vorgänge zu analysieren, sondern sie für den Leser mit Leben zu erfüllen. Er stützt sich für seine Erzählung auf Briefe aus den Schützengräben, auf Tagebuchaufzeichnungen, unveröffentlichte Manuskripte und Zeitungsartikel genauso wie auf die offizielle Geschichtsschreibung der kriegführenden Mächte. Dabei kommen sowohl die einfachen Soldaten als auch die höchsten Ränge zu Wort. Und sie werden lebendig: Wenn Atkinson zu Beginn die Konferenz beschreibt, auf der die Planer der Invasion am 8. Mai 1944 in der Hammersmith Road in London noch einmal das Landungsunternehmen besprechen, kommt das Gefühl auf, mit im Raum zu sitzen, Churchills Zigarrenrauch zu riechen, Eisenhowers Rede zu hören und Patton bei seinem verspäteten Auftritt die Tür aufschlagen zu hören.
Viele Handelnde sind schon aus den beiden Vorgänger-Bänden der Trilogie bekannt: General Dwight Eisenhower, der Oberbefehlshaber über die gesamten Streitkräfte seit der Invasion in Nordafrika; Feldmarschall Bernard Montgomery, in Afrika Befehlshaber der achten Armee, in Europa dann der einundzwanzigsten Armeegruppe, und General George Patton. Auch auf bekannte deutsche Kommandeure trifft man wieder: Die Feldmarschälle Rommel und Kesselring sind zeitweise für die Verteidigung im Westen verantwortlich. Die Front kommt mit Figuren wie dem Brigadegeneral Theodore Roosevelt jr., Sohn des ehemaligen und Cousin des damaligen amerikanischen Präsidenten, ins Bild. Roosevelt war der einzige General, der mit der ersten Welle der Invasion an Land ging und mit sechsundfünfzig Jahren auch der älteste Soldat in einem Landungsboot. Er hatte schon an den Kämpfen in Nordafrika, Sizilien und Italien teilgenommen, bevor er mit Cherbourg den ersten Hafen in Frankreich für die Alliierten einnahm.
Die Geschehnisse auf dem europäischen Kriegsschauplatz stehen denen während des Ersten Weltkrieges, an fast denselben Schauplätzen, in kaum etwas nach. Die Verluste der Befreiungsarmeen waren genauso hoch wie in den Blutmühlen der Westfront weniger als drei Jahrzehnte zuvor. In den ersten vierzehn Tagen der "Operation Overlord" gab es mehr als 1800 Verluste täglich, was einem toten, verwundeten oder vermissten Soldaten alle fünfundvierzig Sekunden entspricht und selbst die Schlacht an der Somme im Jahr 1917 in den Schatten stellt.
Die psychischen Belastungen und Folgeschäden waren enorm, mehr als eine Million alliierte Soldaten mussten wegen Kampfesmüdigkeit psychiatrisch betreut werden. Im Winter wurden die Bedingungen für die Soldaten unhaltbar; die Armee hatte nicht aus ihren Fehlern in Afrika und Italien gelernt und ging wieder unvorbereitet in einen Kriegswinter. Hunderttausende Soldaten mussten evakuiert werden, weil ihre Füße aufgequollen waren, die sie mehrere Tage lang nicht getrocknet hatten, viele hatten Erfrierungen. Hemmungen, den Toten Kleidung und Schuhwerk abzunehmen, waren bald vergessen; unter den Befehlshabern knirschte es.
Die Befreiung Europas wird bei Rick Atkinson zu einer packenden Geschichte, die dem erfahrenen Historiker freilich wenig Neues bieten mag. Seine Erzählung handelt von einem großartigen Sieg, aber auch von Hybris und falscher Planung und von den Beschwernissen und Leiden, die es gekostet hat, diesen Sieg zu erringen.
OLIVER KÜHN.
Rick Atkinson: "The Guns at Last Light". The War in Western Europe 1944-1945.
Henry Holt and Company, New York 2013. 896 S., Abb. und Karten, geb., 30,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geschichtserzählungen: Rick Atkinsons Weltkriegsepos schließt mit einem Band über das Ende im Westen
Am Ende steht ein Wunsch. Dass das, wofür die Soldaten des Zweiten Weltkriegs gekämpft haben, weiterleben und auf Generationen hinaus erinnert werden solle. So endet nach mehr als zweitausend Seiten Rick Atkinsons "Liberation Trilogy", die Geschichte des Zweiten Weltkrieges auf dem westlichen Kriegsschauplatz.
2002 erschien der erste, mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Band "An Army at Dawn", welcher die Geschichte der alliierten Armeen, vor allem aber die der amerikanischen, während der Invasion und der Kämpfe gegen die Achsenmächte in Nordafrika erzählt. 2007 folgte "The Day of Battle", in dem Atkinson die Kämpfe auf Sizilien und in Italien der Jahre 1943/44 Revue passieren lässt. In "The Guns at Last Light" beschließt Atkinson nun sein monumentales Unterfangen mit der Beschreibung der alliierten Landung in der Normandie, den Schlachten in Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland und dem endgültigen Sieg über die deutsche Wehrmacht.
Die Stärke von Atkinson liegt nicht darin, historisch genau die Vorgänge zu analysieren, sondern sie für den Leser mit Leben zu erfüllen. Er stützt sich für seine Erzählung auf Briefe aus den Schützengräben, auf Tagebuchaufzeichnungen, unveröffentlichte Manuskripte und Zeitungsartikel genauso wie auf die offizielle Geschichtsschreibung der kriegführenden Mächte. Dabei kommen sowohl die einfachen Soldaten als auch die höchsten Ränge zu Wort. Und sie werden lebendig: Wenn Atkinson zu Beginn die Konferenz beschreibt, auf der die Planer der Invasion am 8. Mai 1944 in der Hammersmith Road in London noch einmal das Landungsunternehmen besprechen, kommt das Gefühl auf, mit im Raum zu sitzen, Churchills Zigarrenrauch zu riechen, Eisenhowers Rede zu hören und Patton bei seinem verspäteten Auftritt die Tür aufschlagen zu hören.
Viele Handelnde sind schon aus den beiden Vorgänger-Bänden der Trilogie bekannt: General Dwight Eisenhower, der Oberbefehlshaber über die gesamten Streitkräfte seit der Invasion in Nordafrika; Feldmarschall Bernard Montgomery, in Afrika Befehlshaber der achten Armee, in Europa dann der einundzwanzigsten Armeegruppe, und General George Patton. Auch auf bekannte deutsche Kommandeure trifft man wieder: Die Feldmarschälle Rommel und Kesselring sind zeitweise für die Verteidigung im Westen verantwortlich. Die Front kommt mit Figuren wie dem Brigadegeneral Theodore Roosevelt jr., Sohn des ehemaligen und Cousin des damaligen amerikanischen Präsidenten, ins Bild. Roosevelt war der einzige General, der mit der ersten Welle der Invasion an Land ging und mit sechsundfünfzig Jahren auch der älteste Soldat in einem Landungsboot. Er hatte schon an den Kämpfen in Nordafrika, Sizilien und Italien teilgenommen, bevor er mit Cherbourg den ersten Hafen in Frankreich für die Alliierten einnahm.
Die Geschehnisse auf dem europäischen Kriegsschauplatz stehen denen während des Ersten Weltkrieges, an fast denselben Schauplätzen, in kaum etwas nach. Die Verluste der Befreiungsarmeen waren genauso hoch wie in den Blutmühlen der Westfront weniger als drei Jahrzehnte zuvor. In den ersten vierzehn Tagen der "Operation Overlord" gab es mehr als 1800 Verluste täglich, was einem toten, verwundeten oder vermissten Soldaten alle fünfundvierzig Sekunden entspricht und selbst die Schlacht an der Somme im Jahr 1917 in den Schatten stellt.
Die psychischen Belastungen und Folgeschäden waren enorm, mehr als eine Million alliierte Soldaten mussten wegen Kampfesmüdigkeit psychiatrisch betreut werden. Im Winter wurden die Bedingungen für die Soldaten unhaltbar; die Armee hatte nicht aus ihren Fehlern in Afrika und Italien gelernt und ging wieder unvorbereitet in einen Kriegswinter. Hunderttausende Soldaten mussten evakuiert werden, weil ihre Füße aufgequollen waren, die sie mehrere Tage lang nicht getrocknet hatten, viele hatten Erfrierungen. Hemmungen, den Toten Kleidung und Schuhwerk abzunehmen, waren bald vergessen; unter den Befehlshabern knirschte es.
Die Befreiung Europas wird bei Rick Atkinson zu einer packenden Geschichte, die dem erfahrenen Historiker freilich wenig Neues bieten mag. Seine Erzählung handelt von einem großartigen Sieg, aber auch von Hybris und falscher Planung und von den Beschwernissen und Leiden, die es gekostet hat, diesen Sieg zu erringen.
OLIVER KÜHN.
Rick Atkinson: "The Guns at Last Light". The War in Western Europe 1944-1945.
Henry Holt and Company, New York 2013. 896 S., Abb. und Karten, geb., 30,95 [Euro].
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