The Hitch: das bewegte Leben eines der einflussreichsten und streitbarsten Denker.
Ikonen von ihrem Sockel zu stürzen ist ein Anliegen, das Christopher Hitchens mit der Nonchalance eines Salonlöwen und der Unerbittlichkeit eines Rottweilers verfolgt - wie seine Biografien über Mutter Teresa, Henry Kissinger und Bill Clinton beweisen. Jetzt hinterfragt der Bestsellerautor, Journalist, Bonvivant und Provokateur seinen eigenen, fast schon ikonenhaften Status als "wahrscheinlich klügster Kopf seiner Generation" (DIE WELT).
In seiner Autobiografie tritt "The Hitch" selbst ungeschminkt vor den Spiegel. Wie ein britischer Trotzkist, in der ersten Reihe der Vietnamkriegsgegner, nach dem 11. September die amerikanische Staatsbürgerschaft annimmt und bis heute zu den prominentesten und umstrittensten Befürwortern des Irakkriegs zählt. Wie der zum christlichen Glauben erzogene Sohn einer freigeistigen Mutter, die bis zu ihrem Selbstmord ihre jüdische Herkunft geheim hielt, seine atheistischen Ansichten zum Weltbestseller macht. Wie ein auf Kuba kaffeepflückender junger Linksintellektueller gegen das Establishment anstürmt und sich beim Cocktail mit Margaret Thatcher wiederfindet. "The Hitch" ist die Roadmap für ein Leben, das nichts, wirklich nichts ausgelassen hat.
Ikonen von ihrem Sockel zu stürzen ist ein Anliegen, das Christopher Hitchens mit der Nonchalance eines Salonlöwen und der Unerbittlichkeit eines Rottweilers verfolgt - wie seine Biografien über Mutter Teresa, Henry Kissinger und Bill Clinton beweisen. Jetzt hinterfragt der Bestsellerautor, Journalist, Bonvivant und Provokateur seinen eigenen, fast schon ikonenhaften Status als "wahrscheinlich klügster Kopf seiner Generation" (DIE WELT).
In seiner Autobiografie tritt "The Hitch" selbst ungeschminkt vor den Spiegel. Wie ein britischer Trotzkist, in der ersten Reihe der Vietnamkriegsgegner, nach dem 11. September die amerikanische Staatsbürgerschaft annimmt und bis heute zu den prominentesten und umstrittensten Befürwortern des Irakkriegs zählt. Wie der zum christlichen Glauben erzogene Sohn einer freigeistigen Mutter, die bis zu ihrem Selbstmord ihre jüdische Herkunft geheim hielt, seine atheistischen Ansichten zum Weltbestseller macht. Wie ein auf Kuba kaffeepflückender junger Linksintellektueller gegen das Establishment anstürmt und sich beim Cocktail mit Margaret Thatcher wiederfindet. "The Hitch" ist die Roadmap für ein Leben, das nichts, wirklich nichts ausgelassen hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011Es sollte halt immer der Tusch erklingen
Er erfüllte den Auftrag seiner Mutter, ein irgendwie spektakuläres und pointenreiches Leben zu führen: Christopher Hitchens hat seine Autobiographie verfasst.
Von Nils Minkmar
Christopher Hitchens, dessen Bücher, Essays und Pamphlete weltweit gelesen werden, ist eigentlich ein Mann der Bühne. Mit seinen Debattierkünsten erwarb er frühen studentischen Ruhm, bis zu seiner Erkrankung im vergangenen Jahr war er auf den Podien und in den Studios der englischsprachigen Welt im Dauereinsatz. Er war dort von geradezu furchterregender Virtuosität. Unvergessen ist mir, wie er einmal auf dem Literaturfestival von Hay-on-Wye gegen den konservativen Kolumnisten und früheren Chef des "Spectator", James Oborne, antrat. Es war am Vormittag, Hitchens hing in seinem Sessel, ganz der übernächtigte Bohemien, und schien seinem Körper sogar noch mehr Gewicht geben zu wollen, nur um dem Publikum klarzumachen, wie gelassen er dem Duell entgegensah.
Je mehr sich Oborne aufregte, desto schwerer machte sich Hitchens. Und als der Tory eine lange und schrille Tirade gegen die Gesamtmoderne, gegen Marx und Freud und schließlich das Bauhaus abgeschlossen hatte, die so viele provokante Pauschalisierungen enthielt, dass man erwarten durfte, Hitchens in einem roten Feuerwerk explodieren zu sehen, da schwieg er stattdessen. Es dauerte nur wenige Sekunden, aber er markierte die Pause perfekt, um dann augenklimpernd und im Ton vollendeter Dankbarkeit zu flöten: "Ewig werde ich den Moment im Herzen bewahren, an dem Sie Le Corbusier meinten, aber Courvoisier sagten" - eine auch in England bekannte Cognacmarke. Lacher auch von Oborne, Jubel im Saal, Ende der Debatte nach k. o.
Doch diese jahrzehntelange Karriere als professioneller Meinungsringer macht es auch schwer, ein Gespür für den roten Faden seines Werks und seines Denkens zu bewahren. Hitchens hat wüste Polemiken in Buchform gegen drei der in Deutschland am meisten verehrten Menschen geschrieben, nämlich Henry Kissinger, den er für einen Kriegsverbrecher hält, gegen Bill Clinton, den er der Vergewaltigung einer Mitarbeiterin bezichtigt, und gegen Mutter Teresa, der er ein Bändchen unter dem Titel "Die Missionarsstellung" gewidmet hat. Doch welcher Begriff verbindet diese drei Gestalten? Wogegen zieht er eigentlich ins Feld?
Gerade Hitchens-Bewunderer kannten sich irgendwann nicht mehr aus: Warum war er noch mal für den Irak-Krieg gewesen? Was genau fand er an Paul Wolfowitz und Ahmed Chalabi lobenswert? Um den langen, gewundenen Weg zwischen all diesen extravaganten Positionen, seinen vielfältigen literarischen und philosophischen Interessen und seiner persönlichen Geschichte zu beschreiben, war schon lange eine Autobiographie vonnöten. Doch bei der Lektüre von "The Hitch" geschieht Erstaunliches: Seine politischen und historischen Positionen lassen sich zwar zu einer Linie verbinden, die ist aber nicht die wichtigste in Christopher Hitchens' Lebensgeschichte. Es öffnen sich ganz andere Türen, etwa zum Schicksal seiner Mutter hin. Dieses wahrhaft herzzerreißende Kapitel umfasst nur fünfundzwanzig von über sechshundert Seiten, aber es verändert alles.
Als Christopher Hitchens sein Studium beendet hatte und nach London gezogen war, trennten sich die Eltern. Hitchens beschreibt den Moment, in dem seine Mutter es ihm mitteilt, mit bitterer Komik: "Meiner Erinnerung nach hatte ich vor allem einen Gedanken, während die Sonnenstrahlen ihre Bahn durch unsere alte Familienwohnung im ersten Stock zogen: ,Bitte erzähl mir jetzt nicht, dass du gewartet hast, bis Peter und ich alt genug waren.' Im selben Moment erklärte sie mit zutiefst aufrichtiger Stimme, dass sie gewartet habe, bis mein Bruder und ich alt genug wären."
Der neue Mann im Leben seiner Mutter ist ein ehemaliger anglikanischer Geistlicher namens Timothy Brian. Bald darauf lädt Hitchens, der es in London schnell zu gewissem Ruhm brachte, seine Mutter und ihren Freund in sein Lieblingsrestaurant ein. Er gibt ganz den lässigen Lebenskünstler, lässt die Namen berühmter Schriftsteller aus seinem neuen Bekanntenkreis fallen und übernimmt die Rechnung, ohne hinzusehen, er gibt also an, weil er ahnt, dass seine Mutter sich solch ein Leben für ihn immer erträumt hat. Flüchtig verabschieden sie sich an jenem Abend, Hitchens hat sich den Freund seiner Mutter gar nicht genau angesehen. Es war ihr letztes Treffen.
Bald darauf sollten Mr Brian und Mrs Hitchens in einem Athener Hotel tot aufgefunden werden, offenbar hatten sie eine Art Selbstmordpakt geschlossen und vollzogen. Im letzten Telefongespräch vor ihrer Reise nach Athen hatte die Mutter ihrem Sohn den Plan mitgeteilt, nach Israel zu emigrieren. Der reagierte nur mit Spott auf diesen Plan und riet ihr davon ab, "sich zu all ihren eigenen Problemen auch noch das blutende Gelobte Land eines anderen Volkes aufzubürden". Er wusste zu jenem Zeitpunkt noch nicht, dass seine Mutter einer jüdischen Familie entstammte, und fragt sich seitdem, warum sie es ihm damals nicht gesagt hat. Er hätte sich seinen Spott gespart. Es folgt einer der klarsten und traurigsten Sätze des Buches: "Ich würde sehr viel darum geben, dieses Gespräch noch einmal von vorne beginnen zu können."
Es ist ein Satz, der das ganze folgende Leben und dieses Buch erklärt, mit all den Abenteuern und Albernheiten. Hitchens lässt nichts aus, bereist die ganze Welt, notiert die unglaublichsten Begegnungen und die krassesten Szenen: Einmal wird er der frischgewählten Vorsitzenden der Konservativen, Margaret Thatcher, vorgestellt, die er in einem linken Magazin sogar als recht "sexy" beschrieben hatte. Die beiden fangen sofort an zu streiten, bis Hitchens großmütig einen sachlichen Fehler eingesteht und sich verbeugt. "Tiefer!", tönt die Thatcher, holt dabei mit der Linken aus und lässt die zusammengerollte parlamentarische Tagesordnung auf den Hintern ihres Kontrahenten krachen. Im Weggehen soll sie ihm noch "Naughty boy" zugehaucht haben, und für all das gebe es Zeugen. In zahllosen solcher burlesken Szenen mit berühmten Menschen erfüllt er den Auftrag der Mutter, ein irgendwie spektakuläres und pointenreiches Leben zu führen: "Ihre Niederlage und Verzweiflung waren lange Zeit auch die meinen, aber ich habe Anlass zu wissen, dass sie mich dem Weh widerstehen sehen wollte."
So ist auch das Buch geraten: unterhaltsam, pikaresk und darin manchmal zu bunt gescheckt. Einmal beschreibt er überflüssigerweise das unter seinen Kumpeln beliebte Gesellschaftsspiel, in bekannten Songs das Wort Herz durch "dick", Schwanz, zu ersetzen, da hat man schlicht den Eindruck, einem mäßig begabten Büttenredner zu lauschen. Es soll halt immerzu der Tusch erklingen.
Als diese Autobiographie fertig war, überreichte der Verlag dem Autor den Plan zu einer weltumspannenden Lesetournee, die ihn durch die Vereinigten Staaten, Kanada, das Vereinigte Königreich und Australien führen sollte. Schon beim Lesen der Stationen beschlich ihn der Eindruck, das Programm nicht durchhalten zu können, und er hatte es gerade mal bis New York geschafft, bevor er zusammenbrach. Die Ärzte diagnostizierten Speiseröhrenkrebs. Über seinen heutigen Zustand schreibt er nur, der Krebs befinde sich im vierten Stadium: "Es gibt kein fünftes."
Hitchens wurde mit einer Abrechnung gegen alle Formen der Religion zum Bestsellerautor. Es gibt für ihn also keinen Trost aus dem Jenseits, umso heftiger fällt sein Lob der irdischen Freuden aus, als deren zuverlässigste Quelle er die Freundschaft benennt. Selten hat man so hingebungsvolle und begeisterte Porträts von Freunden gelesen wie jene, die Hitchens über Martin Amis, Salman Rushdie oder Edward Said schreibt. In diesem Sinne schreibt Hitchens einen bemerkenswerten und pointenfreien Satz in das Vorwort zur deutschen Ausgabe: "Wenn es einen Menschen gibt, von dem Sie wissen, dass ihm ein Brief oder ein Besuch guttun würde, dann schieben sie es unter gar keinen Umständen auf die lange Bank. Es wird etwas bewirken, das nahezu sicher weit mehr ist, als Sie es sich vorstellen können."
Christopher Hitchens: "The Hitch". Geständnisse
eines Unbeugsamen.
Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Karl
Blessing Verlag, München 2011. 672 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Er erfüllte den Auftrag seiner Mutter, ein irgendwie spektakuläres und pointenreiches Leben zu führen: Christopher Hitchens hat seine Autobiographie verfasst.
Von Nils Minkmar
Christopher Hitchens, dessen Bücher, Essays und Pamphlete weltweit gelesen werden, ist eigentlich ein Mann der Bühne. Mit seinen Debattierkünsten erwarb er frühen studentischen Ruhm, bis zu seiner Erkrankung im vergangenen Jahr war er auf den Podien und in den Studios der englischsprachigen Welt im Dauereinsatz. Er war dort von geradezu furchterregender Virtuosität. Unvergessen ist mir, wie er einmal auf dem Literaturfestival von Hay-on-Wye gegen den konservativen Kolumnisten und früheren Chef des "Spectator", James Oborne, antrat. Es war am Vormittag, Hitchens hing in seinem Sessel, ganz der übernächtigte Bohemien, und schien seinem Körper sogar noch mehr Gewicht geben zu wollen, nur um dem Publikum klarzumachen, wie gelassen er dem Duell entgegensah.
Je mehr sich Oborne aufregte, desto schwerer machte sich Hitchens. Und als der Tory eine lange und schrille Tirade gegen die Gesamtmoderne, gegen Marx und Freud und schließlich das Bauhaus abgeschlossen hatte, die so viele provokante Pauschalisierungen enthielt, dass man erwarten durfte, Hitchens in einem roten Feuerwerk explodieren zu sehen, da schwieg er stattdessen. Es dauerte nur wenige Sekunden, aber er markierte die Pause perfekt, um dann augenklimpernd und im Ton vollendeter Dankbarkeit zu flöten: "Ewig werde ich den Moment im Herzen bewahren, an dem Sie Le Corbusier meinten, aber Courvoisier sagten" - eine auch in England bekannte Cognacmarke. Lacher auch von Oborne, Jubel im Saal, Ende der Debatte nach k. o.
Doch diese jahrzehntelange Karriere als professioneller Meinungsringer macht es auch schwer, ein Gespür für den roten Faden seines Werks und seines Denkens zu bewahren. Hitchens hat wüste Polemiken in Buchform gegen drei der in Deutschland am meisten verehrten Menschen geschrieben, nämlich Henry Kissinger, den er für einen Kriegsverbrecher hält, gegen Bill Clinton, den er der Vergewaltigung einer Mitarbeiterin bezichtigt, und gegen Mutter Teresa, der er ein Bändchen unter dem Titel "Die Missionarsstellung" gewidmet hat. Doch welcher Begriff verbindet diese drei Gestalten? Wogegen zieht er eigentlich ins Feld?
Gerade Hitchens-Bewunderer kannten sich irgendwann nicht mehr aus: Warum war er noch mal für den Irak-Krieg gewesen? Was genau fand er an Paul Wolfowitz und Ahmed Chalabi lobenswert? Um den langen, gewundenen Weg zwischen all diesen extravaganten Positionen, seinen vielfältigen literarischen und philosophischen Interessen und seiner persönlichen Geschichte zu beschreiben, war schon lange eine Autobiographie vonnöten. Doch bei der Lektüre von "The Hitch" geschieht Erstaunliches: Seine politischen und historischen Positionen lassen sich zwar zu einer Linie verbinden, die ist aber nicht die wichtigste in Christopher Hitchens' Lebensgeschichte. Es öffnen sich ganz andere Türen, etwa zum Schicksal seiner Mutter hin. Dieses wahrhaft herzzerreißende Kapitel umfasst nur fünfundzwanzig von über sechshundert Seiten, aber es verändert alles.
Als Christopher Hitchens sein Studium beendet hatte und nach London gezogen war, trennten sich die Eltern. Hitchens beschreibt den Moment, in dem seine Mutter es ihm mitteilt, mit bitterer Komik: "Meiner Erinnerung nach hatte ich vor allem einen Gedanken, während die Sonnenstrahlen ihre Bahn durch unsere alte Familienwohnung im ersten Stock zogen: ,Bitte erzähl mir jetzt nicht, dass du gewartet hast, bis Peter und ich alt genug waren.' Im selben Moment erklärte sie mit zutiefst aufrichtiger Stimme, dass sie gewartet habe, bis mein Bruder und ich alt genug wären."
Der neue Mann im Leben seiner Mutter ist ein ehemaliger anglikanischer Geistlicher namens Timothy Brian. Bald darauf lädt Hitchens, der es in London schnell zu gewissem Ruhm brachte, seine Mutter und ihren Freund in sein Lieblingsrestaurant ein. Er gibt ganz den lässigen Lebenskünstler, lässt die Namen berühmter Schriftsteller aus seinem neuen Bekanntenkreis fallen und übernimmt die Rechnung, ohne hinzusehen, er gibt also an, weil er ahnt, dass seine Mutter sich solch ein Leben für ihn immer erträumt hat. Flüchtig verabschieden sie sich an jenem Abend, Hitchens hat sich den Freund seiner Mutter gar nicht genau angesehen. Es war ihr letztes Treffen.
Bald darauf sollten Mr Brian und Mrs Hitchens in einem Athener Hotel tot aufgefunden werden, offenbar hatten sie eine Art Selbstmordpakt geschlossen und vollzogen. Im letzten Telefongespräch vor ihrer Reise nach Athen hatte die Mutter ihrem Sohn den Plan mitgeteilt, nach Israel zu emigrieren. Der reagierte nur mit Spott auf diesen Plan und riet ihr davon ab, "sich zu all ihren eigenen Problemen auch noch das blutende Gelobte Land eines anderen Volkes aufzubürden". Er wusste zu jenem Zeitpunkt noch nicht, dass seine Mutter einer jüdischen Familie entstammte, und fragt sich seitdem, warum sie es ihm damals nicht gesagt hat. Er hätte sich seinen Spott gespart. Es folgt einer der klarsten und traurigsten Sätze des Buches: "Ich würde sehr viel darum geben, dieses Gespräch noch einmal von vorne beginnen zu können."
Es ist ein Satz, der das ganze folgende Leben und dieses Buch erklärt, mit all den Abenteuern und Albernheiten. Hitchens lässt nichts aus, bereist die ganze Welt, notiert die unglaublichsten Begegnungen und die krassesten Szenen: Einmal wird er der frischgewählten Vorsitzenden der Konservativen, Margaret Thatcher, vorgestellt, die er in einem linken Magazin sogar als recht "sexy" beschrieben hatte. Die beiden fangen sofort an zu streiten, bis Hitchens großmütig einen sachlichen Fehler eingesteht und sich verbeugt. "Tiefer!", tönt die Thatcher, holt dabei mit der Linken aus und lässt die zusammengerollte parlamentarische Tagesordnung auf den Hintern ihres Kontrahenten krachen. Im Weggehen soll sie ihm noch "Naughty boy" zugehaucht haben, und für all das gebe es Zeugen. In zahllosen solcher burlesken Szenen mit berühmten Menschen erfüllt er den Auftrag der Mutter, ein irgendwie spektakuläres und pointenreiches Leben zu führen: "Ihre Niederlage und Verzweiflung waren lange Zeit auch die meinen, aber ich habe Anlass zu wissen, dass sie mich dem Weh widerstehen sehen wollte."
So ist auch das Buch geraten: unterhaltsam, pikaresk und darin manchmal zu bunt gescheckt. Einmal beschreibt er überflüssigerweise das unter seinen Kumpeln beliebte Gesellschaftsspiel, in bekannten Songs das Wort Herz durch "dick", Schwanz, zu ersetzen, da hat man schlicht den Eindruck, einem mäßig begabten Büttenredner zu lauschen. Es soll halt immerzu der Tusch erklingen.
Als diese Autobiographie fertig war, überreichte der Verlag dem Autor den Plan zu einer weltumspannenden Lesetournee, die ihn durch die Vereinigten Staaten, Kanada, das Vereinigte Königreich und Australien führen sollte. Schon beim Lesen der Stationen beschlich ihn der Eindruck, das Programm nicht durchhalten zu können, und er hatte es gerade mal bis New York geschafft, bevor er zusammenbrach. Die Ärzte diagnostizierten Speiseröhrenkrebs. Über seinen heutigen Zustand schreibt er nur, der Krebs befinde sich im vierten Stadium: "Es gibt kein fünftes."
Hitchens wurde mit einer Abrechnung gegen alle Formen der Religion zum Bestsellerautor. Es gibt für ihn also keinen Trost aus dem Jenseits, umso heftiger fällt sein Lob der irdischen Freuden aus, als deren zuverlässigste Quelle er die Freundschaft benennt. Selten hat man so hingebungsvolle und begeisterte Porträts von Freunden gelesen wie jene, die Hitchens über Martin Amis, Salman Rushdie oder Edward Said schreibt. In diesem Sinne schreibt Hitchens einen bemerkenswerten und pointenfreien Satz in das Vorwort zur deutschen Ausgabe: "Wenn es einen Menschen gibt, von dem Sie wissen, dass ihm ein Brief oder ein Besuch guttun würde, dann schieben sie es unter gar keinen Umständen auf die lange Bank. Es wird etwas bewirken, das nahezu sicher weit mehr ist, als Sie es sich vorstellen können."
Christopher Hitchens: "The Hitch". Geständnisse
eines Unbeugsamen.
Aus dem Englischen von Yvonne Badal. Karl
Blessing Verlag, München 2011. 672 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Christopher Hitchens, der sich als Autor und Journalist mit der halben Welt angelegt hat, ist für die Rezensentin Sylvia Staude eine faszinierende Figur. Die vorliegenden Memoiren sind in ihren Augen keine Autobiografie im strengen Sinn, denn mit seinem Privatleben geht der Autor ihrem Urteil nach recht diskret um. Gleichwohl bietet das Werk die Gelegenheit, die Entwicklung Hitchens vom Trotzkisten, Sozialisten zum irgendwie Linken und schließlich Neokonservativen zu verfolgen, was Staude recht spannend findet. Hitchens löst bei ihr ein ambivalentes Gefühl aus: einerseits bewundert sie seinen Mut, seinen Kampfgeist, seinen scharfen Verstand, seine Offenheit. Andererseits kann sie durchaus nachvollziehen, dass mancher ihn unerträglich findet. Denn auch in vorliegendem Werk findet sie immer wieder lange Passagen, die von der Eitelkeit des Autors zeugen, etwa wenn er Namedropping betreibt und hervorhebt, welch wichtigen Persönlichkeiten (vor allem Männer) er kennt. Am meisten berührt zeigt sich Staude von den Passagen über Hitchens Eltern, in denen sich ein anderer "Hitch" zeigt. Nicht ganz zufrieden ist die Rezensentin allerdings mit dem Lektorat und der immer mal wieder holprigen Übersetzung.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Man muss dieses Buch nicht lesen, aber dann würde man etwas versäumen. ...
Hitchens ist ein in sich geschlossenes System, aus dessen Paradoxie es kein Entrinnen gibt und das man, wenn man da einmal drin ist, nur mit Johnny Walker Black Label - dem Präparat seines Vertrauens - aushalten kann.
Seine Memoiren sind unerträglich egozentrisch. Aber Hitchens' Egozentrik besteht eben auch darin, spannend über andere zu reden. Bei allem amerikanischen Pathos hat er sich etwas von seiner elegant-amüsanten englischen Niedertracht bewahrt." -- Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung
"[Hitchens] konnte angreifen wie ein britischer Bullterrier und behielt trotzdem einen Sinn für die elegante Ironie eines Oscar Wilde. Niemals langweilen, das ist sein Motto, das war das Motto seiner Mutter, Hitchens bekam es so regelmäßig serviert wie andere Engländer den Porridge. ... The Hitch, das ist die Biografie eines Renegaten mit Prinzipien: gegen jeden Totalitarismus, für die Freiheit. Gegen den Glauben, für die Vernunft." -- Thomas Hüetlin, Der Spiegel
"Um den langen gewundenen Weg zwischen all diesen extravaganten Positionen, seinen vielfältigen literarischen und philosophischen Interessen und seiner persönlichen Geschichte zu beschreiben, war schon lange eine Autobiographie vonnöten. Doch bei der Lektüre von The Hitch geschieht Erstaunliches: Seine politischen und historischen Positionen lassen sich zwar zu einer Linie verbinden, die ist aber nicht die wichtigste in Christopher Hitchens' Lebensgeschichte. Es öffnen sich ganz andere Türen, etwa zum Schicksal seiner Mutter hin. Dieses wahrhaft herzzerreißende Kapitel umfasst nur fünfundzwanzig von über sechshundert Seiten, aber es verändert alles." -- Nils Minkmar, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Hitchens ist ein in sich geschlossenes System, aus dessen Paradoxie es kein Entrinnen gibt und das man, wenn man da einmal drin ist, nur mit Johnny Walker Black Label - dem Präparat seines Vertrauens - aushalten kann.
Seine Memoiren sind unerträglich egozentrisch. Aber Hitchens' Egozentrik besteht eben auch darin, spannend über andere zu reden. Bei allem amerikanischen Pathos hat er sich etwas von seiner elegant-amüsanten englischen Niedertracht bewahrt." -- Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung
"[Hitchens] konnte angreifen wie ein britischer Bullterrier und behielt trotzdem einen Sinn für die elegante Ironie eines Oscar Wilde. Niemals langweilen, das ist sein Motto, das war das Motto seiner Mutter, Hitchens bekam es so regelmäßig serviert wie andere Engländer den Porridge. ... The Hitch, das ist die Biografie eines Renegaten mit Prinzipien: gegen jeden Totalitarismus, für die Freiheit. Gegen den Glauben, für die Vernunft." -- Thomas Hüetlin, Der Spiegel
"Um den langen gewundenen Weg zwischen all diesen extravaganten Positionen, seinen vielfältigen literarischen und philosophischen Interessen und seiner persönlichen Geschichte zu beschreiben, war schon lange eine Autobiographie vonnöten. Doch bei der Lektüre von The Hitch geschieht Erstaunliches: Seine politischen und historischen Positionen lassen sich zwar zu einer Linie verbinden, die ist aber nicht die wichtigste in Christopher Hitchens' Lebensgeschichte. Es öffnen sich ganz andere Türen, etwa zum Schicksal seiner Mutter hin. Dieses wahrhaft herzzerreißende Kapitel umfasst nur fünfundzwanzig von über sechshundert Seiten, aber es verändert alles." -- Nils Minkmar, Frankfurter Allgemeine Zeitung