Das neue Meisterwerk des vielfach preisgekrönten Illustrators Roberto Innocenti entführt uns auf eine außergewöhnliche Bilderreise durch die Geschichte. Innocenti hat ein unvergessliches Haus geschaffen, das uns in poetischen Vierzeilern des Dichters J. Patrick Lewis wunderbar ins Deutsch übertragen von Mirjam Pressler sein Leben erzählt. 1656 Stein auf Stein auf einem Hügel in der Toskana erbaut, hat es viel erlebt: wie die Pest das Land erschütterte, zahlreiche Generationen Zuflucht suchten, Familienfeste gefeiert wurden, Kriege den Hügel verwüsteten, Steine immer wieder aufgebaut werden mussten, altes Handwerk verschwand, das Haus verlassen wurde und am Ende zu neuem Leben erwacht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2011Nichtleser sind im Vorteil
Was haben sie sich nur dabei gedacht: Obwohl Roberto Innocentis schöne Bilder für sich sprechen, erläutert sie J. Patrick Lewis mit kruden Gedichten.
Von Andreas Platthaus
Dieses Buch besteht aus drei Teilen: aus fünfzehn Seiten mit Gedichten, aus fünfzehn Seiten mit Miniaturbildern und aus fünfzehn doppelseitigen Illustrationen. Die Gedichte stammen vom amerikanischen Kinderbuchautor J. Patrick Lewis (übersetzt hat sie Mirjam Pressler), die Miniaturen und großen Bilder sind von dem italienischen Zeichner Roberto Innocenti. Es ist nicht die erste Zusammenarbeit der beiden. Vor neun Jahren erschien "Das Hotel zur Sehnsucht", in dem ein einsames Haus auf einer hohen Klippe über dem Meer zum Schauplatz einer etwas zu anspielungsreichen Geschichte um einen Maler gewählt wurde. Auf dem Cover prangten fünf Ansichten des Hotels in verschiedenen Lichtverhältnissen, vom selben Standpunkt aus gezeichnet. Daraus entwickelte sich die Idee zu "Ein Haus erzählt".
Oder zu einem der drei Teile dieses Bilderbuchs, dem besten. Auf den fünfzehn doppelseitigen Illustrationen sieht man immer aus derselben Perspektive ein italienisches Haus an einem bewaldeten Hang. Auf dem ersten Bild ist es verfallen, überwachsene Terrassen künden noch von früherer landwirtschaftlicher Nutzung des Grundstücks. Im Hintergrund sagen sich Fuchs und Hase Guten Tag. Kinder haben das verlassene Anwesen gerade entdeckt. Ihre Kleidung verweist ins frühe zwanzigste Jahrhundert.
Auf dem nächsten Doppelblatt beginnt die Renovierung des Hauses. Bäume werden gefällt, die Terrassen wiederhergestellt, ein Feld wird am Hang angelegt, und auf dem Türsturz kann man nun die Jahreszahl 1656 lesen. Es ist also ein sehr altes Haus, das manches erlebt hat. Und jedes der nun folgenden großen Bilder dokumentiert einen weiteren Moment: Hochzeiten und Todesfälle, Ankommende und Abreisende, Aus- und Rückbauten. Mit jeder Ansicht schreitet die Zeit fort, wie man an den Kleidungsmoden, den wachsenden Pflanzen, der Technik und natürlich dem Haus selbst in seiner Entwicklung erkennt. Was auch geschieht im Lauf der Jahrzehnte, es bleibt die Kulisse für alles. Am Schluss haben wir verstanden, dass wir einen Zyklus begleitet haben, der sich so seit 1656 immer neu wiederholt hat und sich auch in Zukunft wiederholen wird.
Das kann man sehen, aber J. Patrick Lewis erzählt es zur Sicherheit noch einmal. In seinen fünfzehn Gedichten spricht das Haus zu uns. Ob das Versmaß auch im englischen Original so verhunzt ist wie in der deutschen Übersetzung? Ob sich auch dort so hässliche Reime finden wie "Heim" auf "allein" oder "hierher" auf "Heer"? Aber vermutlich darf man von Gebäuden einfach keine große Poesie erwarten. Häusern entspricht eher die Sachlichkeit, mit der Roberto Innocenti zeichnet, und in seinen Bildern stecken zahllose Details, die man im Zeitablauf der fünfzehn großen Illustrationen verfolgen kann: zum Beispiel das Altern der Bewohner, ihre verschiedenen Katzen, die Umgestaltung des Ziehbrunnens. Und noch viel, viel mehr.
Bleiben die Miniaturen. Sie bereiten die jeweils zugehörigen Doppelseiten vor, und ihnen beigegeben ist auch die Jahreszahl der Szene: Von 1900 bis 1999 wird das gesamte zwanzigste Jahrhundert durchmessen. Das hätten wir auch ohne explizite Nennung begriffen, aber die kleinformatigen Bilder sind immerhin insofern eine willkommene Ergänzung, als sie uns bisweilen andere Perspektiven auf das Haus zeigen. In Miniaturen steckt paradoxerweise das große Ganze.
Warum muss es aber für das Jahr 1942 auf einmal zwei solcher Bildchen geben? Nur, damit wir neben den italienischen Partisanen auch noch Mussolini-Schergen in ein Kinderbuch bekommen? Und warum steht auf dem neuen Türsturz des Hauses das Jahr 1936, obwohl die Umbauten dazu bereits 1929 ausgeführt waren? Wieso passen die Gedichte auf die Jahre 1973 und 1993 inhaltlich nicht zu den jeweiligen Großillustrationen? Und was haben sich Lewis und Innocenti überhaupt dabei gedacht, ein so redundantes Buch zu konzipieren? Warum hat Lewis sich nicht mit der schönen Idee begnügt und die Größe bewiesen, auf Innocentis Illustrationskunst zu vertrauen? Und warum war Innocenti so kleinmütig, seinem amerikanischen Ideengeber die Gedichte nicht auszureden?
Egal, man kann ja von Doppelseite zu Doppelseite blättern. Oder das Buch Kindern geben, die noch nicht lesen können.
Roberto Innocenti, J. Patrick Lewis: "Ein Haus erzählt".
Aus dem Englischen von Mirjam Pressler. Verlag Sauerländer, Mannheim 2011. 64 S., geb., 24,90 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was haben sie sich nur dabei gedacht: Obwohl Roberto Innocentis schöne Bilder für sich sprechen, erläutert sie J. Patrick Lewis mit kruden Gedichten.
Von Andreas Platthaus
Dieses Buch besteht aus drei Teilen: aus fünfzehn Seiten mit Gedichten, aus fünfzehn Seiten mit Miniaturbildern und aus fünfzehn doppelseitigen Illustrationen. Die Gedichte stammen vom amerikanischen Kinderbuchautor J. Patrick Lewis (übersetzt hat sie Mirjam Pressler), die Miniaturen und großen Bilder sind von dem italienischen Zeichner Roberto Innocenti. Es ist nicht die erste Zusammenarbeit der beiden. Vor neun Jahren erschien "Das Hotel zur Sehnsucht", in dem ein einsames Haus auf einer hohen Klippe über dem Meer zum Schauplatz einer etwas zu anspielungsreichen Geschichte um einen Maler gewählt wurde. Auf dem Cover prangten fünf Ansichten des Hotels in verschiedenen Lichtverhältnissen, vom selben Standpunkt aus gezeichnet. Daraus entwickelte sich die Idee zu "Ein Haus erzählt".
Oder zu einem der drei Teile dieses Bilderbuchs, dem besten. Auf den fünfzehn doppelseitigen Illustrationen sieht man immer aus derselben Perspektive ein italienisches Haus an einem bewaldeten Hang. Auf dem ersten Bild ist es verfallen, überwachsene Terrassen künden noch von früherer landwirtschaftlicher Nutzung des Grundstücks. Im Hintergrund sagen sich Fuchs und Hase Guten Tag. Kinder haben das verlassene Anwesen gerade entdeckt. Ihre Kleidung verweist ins frühe zwanzigste Jahrhundert.
Auf dem nächsten Doppelblatt beginnt die Renovierung des Hauses. Bäume werden gefällt, die Terrassen wiederhergestellt, ein Feld wird am Hang angelegt, und auf dem Türsturz kann man nun die Jahreszahl 1656 lesen. Es ist also ein sehr altes Haus, das manches erlebt hat. Und jedes der nun folgenden großen Bilder dokumentiert einen weiteren Moment: Hochzeiten und Todesfälle, Ankommende und Abreisende, Aus- und Rückbauten. Mit jeder Ansicht schreitet die Zeit fort, wie man an den Kleidungsmoden, den wachsenden Pflanzen, der Technik und natürlich dem Haus selbst in seiner Entwicklung erkennt. Was auch geschieht im Lauf der Jahrzehnte, es bleibt die Kulisse für alles. Am Schluss haben wir verstanden, dass wir einen Zyklus begleitet haben, der sich so seit 1656 immer neu wiederholt hat und sich auch in Zukunft wiederholen wird.
Das kann man sehen, aber J. Patrick Lewis erzählt es zur Sicherheit noch einmal. In seinen fünfzehn Gedichten spricht das Haus zu uns. Ob das Versmaß auch im englischen Original so verhunzt ist wie in der deutschen Übersetzung? Ob sich auch dort so hässliche Reime finden wie "Heim" auf "allein" oder "hierher" auf "Heer"? Aber vermutlich darf man von Gebäuden einfach keine große Poesie erwarten. Häusern entspricht eher die Sachlichkeit, mit der Roberto Innocenti zeichnet, und in seinen Bildern stecken zahllose Details, die man im Zeitablauf der fünfzehn großen Illustrationen verfolgen kann: zum Beispiel das Altern der Bewohner, ihre verschiedenen Katzen, die Umgestaltung des Ziehbrunnens. Und noch viel, viel mehr.
Bleiben die Miniaturen. Sie bereiten die jeweils zugehörigen Doppelseiten vor, und ihnen beigegeben ist auch die Jahreszahl der Szene: Von 1900 bis 1999 wird das gesamte zwanzigste Jahrhundert durchmessen. Das hätten wir auch ohne explizite Nennung begriffen, aber die kleinformatigen Bilder sind immerhin insofern eine willkommene Ergänzung, als sie uns bisweilen andere Perspektiven auf das Haus zeigen. In Miniaturen steckt paradoxerweise das große Ganze.
Warum muss es aber für das Jahr 1942 auf einmal zwei solcher Bildchen geben? Nur, damit wir neben den italienischen Partisanen auch noch Mussolini-Schergen in ein Kinderbuch bekommen? Und warum steht auf dem neuen Türsturz des Hauses das Jahr 1936, obwohl die Umbauten dazu bereits 1929 ausgeführt waren? Wieso passen die Gedichte auf die Jahre 1973 und 1993 inhaltlich nicht zu den jeweiligen Großillustrationen? Und was haben sich Lewis und Innocenti überhaupt dabei gedacht, ein so redundantes Buch zu konzipieren? Warum hat Lewis sich nicht mit der schönen Idee begnügt und die Größe bewiesen, auf Innocentis Illustrationskunst zu vertrauen? Und warum war Innocenti so kleinmütig, seinem amerikanischen Ideengeber die Gedichte nicht auszureden?
Egal, man kann ja von Doppelseite zu Doppelseite blättern. Oder das Buch Kindern geben, die noch nicht lesen können.
Roberto Innocenti, J. Patrick Lewis: "Ein Haus erzählt".
Aus dem Englischen von Mirjam Pressler. Verlag Sauerländer, Mannheim 2011. 64 S., geb., 24,90 [Euro]. Ab 4 J.
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