Nach dem Tod ihres Vaters will Julie Jacobson nur noch eins: raus aus der Tristesse ihres provinziellen Zuhauses. Das Sommercamp an der Ostküste eröffnet ihr eine neue Welt. Eine Welt der Kunst, Kreativität und Freiheit, verkörpert durch die interessantesten Menschen, denen sie je begegnet ist: Ethan, Jonah, Cathy, Ash und Goodman, fünf junge New Yorker, die Julie ihrer Schlagfertigkeit und ihres schwarzen Humors wegen in ihre privilegierte Clique aufnehmen.
Die Jahre und Jahrzehnte vergehen, aber nicht jeder der "Interessanten", wie sie sich selbst halb ironisch nennen, kann aus seinen Begabungen das machen, was er sich als Jugendlicher erträumte. Was bestimmt das Leben Talent, Glück oder das Resultat der eigenen Entschlossenheit?
Meg Wolitzer zeigt an ihren Figuren die Tragik und Komik des Daseins und erzählt davon, wie es sich anfühlt, wenn man plötzlich versteht vielleicht zu spät , wer man einmal war und wer man geworden ist. Die Interessanten ist ein großer Gesellschafts- und Ideenroman über das Wesen der Kunst und der Freundschaft vor dem Panorama der USA in den letzten vierzig Jahren.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Die Jahre und Jahrzehnte vergehen, aber nicht jeder der "Interessanten", wie sie sich selbst halb ironisch nennen, kann aus seinen Begabungen das machen, was er sich als Jugendlicher erträumte. Was bestimmt das Leben Talent, Glück oder das Resultat der eigenen Entschlossenheit?
Meg Wolitzer zeigt an ihren Figuren die Tragik und Komik des Daseins und erzählt davon, wie es sich anfühlt, wenn man plötzlich versteht vielleicht zu spät , wer man einmal war und wer man geworden ist. Die Interessanten ist ein großer Gesellschafts- und Ideenroman über das Wesen der Kunst und der Freundschaft vor dem Panorama der USA in den letzten vierzig Jahren.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.09.2014Im ewigen Sommercamp
Kaleidoskop des Lebens, 1974-2009: Meg Wolitzers Roman „Die Interessanten“ zeichnet ein amerikanisches Gruppenporträt
Als wäre es möglich, einfach nur die Zeit wirken zu lassen, so ruhig nimmt die Amerikanerin Meg Wolitzer in ihrem neuen Roman ein gewaltiges Projekt in Angriff. Sechs junge Menschen bringt sie in einem Sommercamp an der Ostküste zusammen und begleitet sie fünfunddreißig Jahre lang, von 1974 bis 2009: das verwöhnte Geschwisterpaar Ash und Goodman Wolf, den unansehnlichen, hochbegabten Komikzeichner Ethan Figman, die leidenschaftliche Tänzerin Cathy Kiplinger, den schwulen Sohn einer bekannten Folksängerin, Jonah Bay, und Julie Jacobson, die sich als Außenseiterin fühlt, im Camp ihr komisches Talent entdeckt und als „Jules“ Schauspielerin werden will. Dabei legt Meg Wolitzer nicht auf alle Figuren das gleiche Gewicht. Goodman und Cathy lässt sie über die Jahre an der langen Leine mitlaufen. Die anderen vier bindet sie enger zusammen, zu einem feinmaschigen Netz aus Freundschaft und Liebe, Zuneigung, Vertrauen, aber auch Neid.
Julie Jacobson – ihre Eltern sind wie Ethans Eltern Juden – ist die Einzige, die nicht in New York City lebt, sondern in einem hundert Kilometer östlich gelegenen Vorort. Ihr Vater ist gerade an Krebs gestorben, als sie ein Stipendium für „Spirit-in-the-Woods“ erhält, wo Schüler während der Ferien ihre Kreativität entfalten sollen. Sie ist auch die Einzige, für die das Camp jahrzehntelang eine Art Utopia bleibt, bis sie mit Anfang fünfzig dort als Leiterin anheuert und entdecken muss, dass sie sich erneut als Außenseiterin fühlt: nicht mehr ihrer sozialen Herkunft, sondern ihres Alters wegen.
Meg Wolitzer, die 1959 geboren wurde, also so alt ist wie ihre Hauptfiguren, er-zählt ihren elften Roman nicht chronologisch. Sie springt zwischen den Zeiten hin und her. Dabei entsteht eine dichte Atmosphäre, in der Lebensfragen mitlaufen, ohne dass sie explizit formuliert werden müssen: Wie gestalten sich Lebensläufe? Welche Rolle spielen Glück und Talent, Herkunft und Geld, Wünsche, Vorsätze, Planung und Leistung? Und wann ist es Zeit, einen Lebenstraum zu verabschieden, um mit dem, was man hat, zufrieden zu sein?
Meg Wolitzers Erzählstimme bleibt zurückhaltend, kaum redet sie ihren Figuren dazwischen. Geschickt arrangiert sie die Kapitel zu einem Kaleidoskop von Lebensaltern, in dem zwei Zeitabläufe ineinander greifen: Zum einen die biografische Zeit mit ihren markanten Lebensphasen – der Jugend, in der alles möglich scheint und Freundschaften nur nach dem Kriterium der Sympathie geschlossen werden, dem Alter zwischen zwanzig und dreißig, in dem man noch nicht am Erfolg gemessen wird, und den Jahren danach, in denen es sich entscheidet, ob man eine Familie haben wird und sich berufliche Hoffnungen erfüllen. Zum anderen der Lauf der Zeitgeschichte mit ihren politischen Veränderungen, dem Wechsel von Moden und Werten.
Der Rücktritt Nixons, der Vietnamkrieg, Ronald Reagan, die Kriege im Irak, die Wirtschaftskrisen, der Terroranschlag von 9/11, der Aufstieg des Internets und der Überwachung – all das bildet lediglich das Hintergrundrauschen. Doch beeinflussen gesellschaftliche Stimmungen das Leben der Protagonisten, wie etwa die seit den 1990er-Jahren stärker werdende Koppelung von Kreativität und Kommerz.
Ethan macht eine steile Karriere als Trickfilmzeichner. Seine Fernsehserie „Figland“, deren Erfolg man sich wohl wie den der „Simpsons“ vorstellen muss, ist der Grundstein eines Film- und Merchandising-Imperiums, das ihn immer ruheloser in der Welt herumreisen lässt. Die schöne Ash, die seine Frau wurde, muss es hinnehmen, dass ihre Arbeit als „feministische Theaterregisseurin“ nie ohne den Hinweis auf ihren Mann besprochen wird. Julie hat ihre Schauspielträume früh begraben. Sie ist eine von ihren „Kunden“ sehr geschätzte Therapeutin geworden, schlecht bezahlt und überarbeitet – bis die Arbeit ganz von alleine abnimmt, weil der Wunsch nach Psychopharmaka häufiger wird als der nach Gesprächen.
Ihr Mann ist Ultraschalltechniker, er leidet an Depressionen, seit sie ihn kennt. Lange haben ihm MAO-Hemmer geholfen. Nach einem allergischen Schock muss er das Präparat wechseln. Doch auf andere Medikamente spricht er nicht an. Also versorgt er die gemeinsame Tochter, während sie das Familieneinkommen erwirtschaftet. Irgendwie hat sie sich ihr Leben anders vorgestellt.
Mit der kaleidoskopartigen Gestaltung ihres Romans, die frühe und spätere Lebensphasen immer wieder eng zusammenrückt, erweckt Meg Wolitzer für jede ihrer Figuren Sympathie. Dass Jules nicht anders kann, als Ash und Ethan, das erfolgreiche Paar mit zwei Kindern, zu beneiden, obwohl die beiden ihre besten Freunde sind, versteht man wohl. Und ebenso, dass Jonah, der als Elfjähriger vom Lebensgefährten der Mutter heimlich unter Drogen gesetzt wurde, um seine Kreativität als Songtexter abzuschöpfen, nicht einmal mit den Freunden darüber sprechen kann. Dass sein Lebensgefährte Aids hat, ist ihm gerade recht, so hat er einen Vorwand, beim Sex die Kontrolle zu behalten.
Wie unkalkulierbar die Gründe sind, warum wir uns in jemanden verlieben, wie stabilisierend sich Freundschaften auf Ehen auswirken, wie gefährlich Geheimnisse sein können, selbst wenn man sie im Namen eines anderen wahrt: davon erzählt dieser Roman ebenso wie vom Wandel der Zeiten. Meg Wolitzer schreibt nicht so abgründig wie Jennifer Egan und nicht so ambitioniert wie Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides. Doch ihr Roman hat Charme, Intelligenz und Charakter. „Die Interessanten“ heißt er mit Recht, auch wenn sich die sechs Freunde diesen Namen ironisch gaben – damals, als sie jung waren, bei ihrem ersten Treffen in „Spirit-in-the-Woods“.
MEIKE FESSMANN
Wann aber sollte man
sich von einem Lebenstraum
verabschieden?
Meg Wolitzer: Die Interessanten. Roman. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. DuMont Buchverlag, Köln 2014. 608 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kaleidoskop des Lebens, 1974-2009: Meg Wolitzers Roman „Die Interessanten“ zeichnet ein amerikanisches Gruppenporträt
Als wäre es möglich, einfach nur die Zeit wirken zu lassen, so ruhig nimmt die Amerikanerin Meg Wolitzer in ihrem neuen Roman ein gewaltiges Projekt in Angriff. Sechs junge Menschen bringt sie in einem Sommercamp an der Ostküste zusammen und begleitet sie fünfunddreißig Jahre lang, von 1974 bis 2009: das verwöhnte Geschwisterpaar Ash und Goodman Wolf, den unansehnlichen, hochbegabten Komikzeichner Ethan Figman, die leidenschaftliche Tänzerin Cathy Kiplinger, den schwulen Sohn einer bekannten Folksängerin, Jonah Bay, und Julie Jacobson, die sich als Außenseiterin fühlt, im Camp ihr komisches Talent entdeckt und als „Jules“ Schauspielerin werden will. Dabei legt Meg Wolitzer nicht auf alle Figuren das gleiche Gewicht. Goodman und Cathy lässt sie über die Jahre an der langen Leine mitlaufen. Die anderen vier bindet sie enger zusammen, zu einem feinmaschigen Netz aus Freundschaft und Liebe, Zuneigung, Vertrauen, aber auch Neid.
Julie Jacobson – ihre Eltern sind wie Ethans Eltern Juden – ist die Einzige, die nicht in New York City lebt, sondern in einem hundert Kilometer östlich gelegenen Vorort. Ihr Vater ist gerade an Krebs gestorben, als sie ein Stipendium für „Spirit-in-the-Woods“ erhält, wo Schüler während der Ferien ihre Kreativität entfalten sollen. Sie ist auch die Einzige, für die das Camp jahrzehntelang eine Art Utopia bleibt, bis sie mit Anfang fünfzig dort als Leiterin anheuert und entdecken muss, dass sie sich erneut als Außenseiterin fühlt: nicht mehr ihrer sozialen Herkunft, sondern ihres Alters wegen.
Meg Wolitzer, die 1959 geboren wurde, also so alt ist wie ihre Hauptfiguren, er-zählt ihren elften Roman nicht chronologisch. Sie springt zwischen den Zeiten hin und her. Dabei entsteht eine dichte Atmosphäre, in der Lebensfragen mitlaufen, ohne dass sie explizit formuliert werden müssen: Wie gestalten sich Lebensläufe? Welche Rolle spielen Glück und Talent, Herkunft und Geld, Wünsche, Vorsätze, Planung und Leistung? Und wann ist es Zeit, einen Lebenstraum zu verabschieden, um mit dem, was man hat, zufrieden zu sein?
Meg Wolitzers Erzählstimme bleibt zurückhaltend, kaum redet sie ihren Figuren dazwischen. Geschickt arrangiert sie die Kapitel zu einem Kaleidoskop von Lebensaltern, in dem zwei Zeitabläufe ineinander greifen: Zum einen die biografische Zeit mit ihren markanten Lebensphasen – der Jugend, in der alles möglich scheint und Freundschaften nur nach dem Kriterium der Sympathie geschlossen werden, dem Alter zwischen zwanzig und dreißig, in dem man noch nicht am Erfolg gemessen wird, und den Jahren danach, in denen es sich entscheidet, ob man eine Familie haben wird und sich berufliche Hoffnungen erfüllen. Zum anderen der Lauf der Zeitgeschichte mit ihren politischen Veränderungen, dem Wechsel von Moden und Werten.
Der Rücktritt Nixons, der Vietnamkrieg, Ronald Reagan, die Kriege im Irak, die Wirtschaftskrisen, der Terroranschlag von 9/11, der Aufstieg des Internets und der Überwachung – all das bildet lediglich das Hintergrundrauschen. Doch beeinflussen gesellschaftliche Stimmungen das Leben der Protagonisten, wie etwa die seit den 1990er-Jahren stärker werdende Koppelung von Kreativität und Kommerz.
Ethan macht eine steile Karriere als Trickfilmzeichner. Seine Fernsehserie „Figland“, deren Erfolg man sich wohl wie den der „Simpsons“ vorstellen muss, ist der Grundstein eines Film- und Merchandising-Imperiums, das ihn immer ruheloser in der Welt herumreisen lässt. Die schöne Ash, die seine Frau wurde, muss es hinnehmen, dass ihre Arbeit als „feministische Theaterregisseurin“ nie ohne den Hinweis auf ihren Mann besprochen wird. Julie hat ihre Schauspielträume früh begraben. Sie ist eine von ihren „Kunden“ sehr geschätzte Therapeutin geworden, schlecht bezahlt und überarbeitet – bis die Arbeit ganz von alleine abnimmt, weil der Wunsch nach Psychopharmaka häufiger wird als der nach Gesprächen.
Ihr Mann ist Ultraschalltechniker, er leidet an Depressionen, seit sie ihn kennt. Lange haben ihm MAO-Hemmer geholfen. Nach einem allergischen Schock muss er das Präparat wechseln. Doch auf andere Medikamente spricht er nicht an. Also versorgt er die gemeinsame Tochter, während sie das Familieneinkommen erwirtschaftet. Irgendwie hat sie sich ihr Leben anders vorgestellt.
Mit der kaleidoskopartigen Gestaltung ihres Romans, die frühe und spätere Lebensphasen immer wieder eng zusammenrückt, erweckt Meg Wolitzer für jede ihrer Figuren Sympathie. Dass Jules nicht anders kann, als Ash und Ethan, das erfolgreiche Paar mit zwei Kindern, zu beneiden, obwohl die beiden ihre besten Freunde sind, versteht man wohl. Und ebenso, dass Jonah, der als Elfjähriger vom Lebensgefährten der Mutter heimlich unter Drogen gesetzt wurde, um seine Kreativität als Songtexter abzuschöpfen, nicht einmal mit den Freunden darüber sprechen kann. Dass sein Lebensgefährte Aids hat, ist ihm gerade recht, so hat er einen Vorwand, beim Sex die Kontrolle zu behalten.
Wie unkalkulierbar die Gründe sind, warum wir uns in jemanden verlieben, wie stabilisierend sich Freundschaften auf Ehen auswirken, wie gefährlich Geheimnisse sein können, selbst wenn man sie im Namen eines anderen wahrt: davon erzählt dieser Roman ebenso wie vom Wandel der Zeiten. Meg Wolitzer schreibt nicht so abgründig wie Jennifer Egan und nicht so ambitioniert wie Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides. Doch ihr Roman hat Charme, Intelligenz und Charakter. „Die Interessanten“ heißt er mit Recht, auch wenn sich die sechs Freunde diesen Namen ironisch gaben – damals, als sie jung waren, bei ihrem ersten Treffen in „Spirit-in-the-Woods“.
MEIKE FESSMANN
Wann aber sollte man
sich von einem Lebenstraum
verabschieden?
Meg Wolitzer: Die Interessanten. Roman. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. DuMont Buchverlag, Köln 2014. 608 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2014Alles eine Glaubensfrage
Persönlichkeit ist keine Frage des Kontostands: Die amerikanische Autorin Meg Wolitzer erzählt in ihrem Roman "Die Interessanten" von einer Jugendclique mit großen Zielen.
Der Glaube an die Möglichkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, ist ein Urthema der amerikanischen Literatur, von "Huckleberry Finn" über den "Großen Gatsby" bis hin zu Coleman Silk aus Roths "Menschlichem Makel". Mancher wird gerade dadurch zum Helden, dass er sich dem gesellschaftlichen Imperativ zu Selbstverwirklichung und fortwährender Optimierung nicht unterwirft, wie John Williams' unvergesslicher "Stoner". Andere, wie Patty in Jonathan Franzens "Freiheit", müssen erst einmal herausfinden, wer sie angesichts der Vielfalt von Berufen, Männern und weiteren Lebensentscheidungen eigentlich sein wollen, und dann lernen, was es heißt, manche dieser Entschlüsse nicht widerrufen zu können. Jetzt hat sich eine amerikanische Schriftstellerin des Themas angenommen und die Frage, was ein gutes Leben ausmacht, in den Mittelpunkt eines umfangreichen Romans gestellt. "Die Interessanten" heißt das Buch, Meg Wolitzer die Autorin, und wenn dieser Name hierzulande kein bekannter ist, so liegt das daran, dass von ihren vorherigen acht Romanen nur einer bisher übersetzt wurde und schon lange nicht mehr lieferbar ist.
Die "Interessanten" nennt sich eine Clique von fünf Teenagern, die während eines künstlerisch ambitionierten Sommercamps namens Spirit-in-the-Woods im Jahr 1974 ein weiteres Mitglied aufnimmt: Julie Jacobson, die fortan Jules gerufen werden wird und für die mit dem neuen Rufnamen ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Jules weiß zwar nicht, wie sie zu der Ehre kommt, in den illustren Kreis eingeladen zu werden, denn weder entstammt sie so wohlsituierten Verhältnissen wie die auffallend gut aussehenden New Yorker Geschwister Ash und Goodman Wolf, noch hat sie eine so interessante Mutter wie Jonah Bay, Sohn einer bekannten Folksängerin, oder so hervorstechende Talente wie Cathy Kiplinger, die das Zeug zur Tänzerin hat, oder Ethan Figman, der begnadet zu zeichnen versteht. Umso mehr tut Jules alles, um sich ihrer neuen Freunde würdig zu erweisen - und das über viele Jahre, denn man bleibt einander nah, auch wenn zwei Mitglieder der Gruppe, nämlich Goodman und Cathy, auf einigermaßen dramatische Weise ausscheiden.
Jules nimmt Schauspielunterricht und hält sich - schließlich sagen es auch die anderen - bald für ein großes komisches Talent, so dass die völlig konträre Einschätzung des Coachs sie mit Mitte zwanzig völlig aus der Bahn wirft. Ähnliche Selbstbildkorrekturen müssen auch ihre Freunde verkraften. Außer dem schon mit fünfzehn auffällig unbeholfenen und auffällig begabten Ethan Figman, der durch seine Animationsfilmserie "Figland" zum Star und zum Millionär wird, erfüllt sich für keinen das Versprechen eines außergewöhnlichen Lebens, mit Ausnahme vielleicht von Ash, die Ethan heiratet und sich dank dessen Vermögen und Verbindungen manchen Traum wenn schon nicht selbst erfüllen, so doch leisten kann, zum Beispiel den von der Theaterregie. Jules und sie bleiben enge Freundinnen; was sie trennt, ist Jules' tiefsitzender, unaussprechlicher Neid darauf, "wie viel Ash und Ethan im Vergleich zu ihr und Dennis hatten", "ein fieses, wucherndes Ding", das sie auch nach Jahrzehnten nur durch Sarkasmus in Schach zu halten vermag.
Wolitzer, die mit ihrer Hauptfigur Jules nicht nur den Geburtsjahrgang 1959 und die vorstädtische Kindheit teilt, ist eine präzise Beobachterin, der man überdies die geübte Essayistin anmerkt. Immer wieder schwenkt ihr Erzählfokus vom Einzelnen zum großen Ganzen und zurück. So sind ihre Figuren bei aller Individualität immer auch Stellvertreter ihrer Generation, die sich zu politischen Krisen ebenso verhalten muss wie zu der Ausbreitung von Aids oder der zunehmenden Machtkapitalisierung an der Wall Street. Akkurat beschreibt sie, wie die hochfliegenden Ambitionen jener Teenager, die als Tänzer, Schauspieler, Regisseur, Musiker oder Architekt Furore machen und die Welt verändern wollten, zerstieben und die nachlassenden Energien aus Notwehr in weniger spektakuläre Berufe gelenkt werden. Aber ganz wie die Charaktere hebt auch der Roman nicht ab. Er vermag nicht mitzureißen, weil er sich in der ausufernden Schilderung eines von Eifersucht, Enttäuschung und Selbstzweifel geplagten Auf-der-Stelle-Tretens ergeht. Wie interessant man "Die Interessanten" findet, ist daher eine Glaubensfrage. Nämlich ob man der Autorin abnimmt, dass mit Jules Jacobson und ihren Freunden tatsächliche Talente kapitulieren - was eine Rechtfertigung wäre für die immense Trauer, mit der ihre Lebenswünsche beerdigt werden -, oder ob man den Aufwand, mit dem hier wie besessen dauernd der Abstand zwischen normal und besonders vermessen wird, etwas übertrieben findet, so wie Jules' Mann Dennis: "Etwas Besonderes sein - das wollen alle. Aber, Himmel, ist das wirklich die Hauptsache? Das Wichtigste auf der Welt? Die meisten Menschen haben keine außergewöhnlichen Talente. Was sollen sie machen? Sich umbringen?"
Das Problem der "Interessanten" besteht letztlich darin, dass sie genau das nicht sind. Wären sie es, würden sie aus Erfahrungen lernen, sich weiterentwickeln. Persönlichkeit ist keine Frage des Berufs oder des Kontostands. Einen Reifeprozess jedoch versagt Wolitzer ihren Figuren, die auch mit Mitte fünfzig noch stark an die Teenager erinnern, die sie einmal waren (und das nicht nur, weil es zu einer Rückkehr nach Spirit-in-the-Woods kommt). Dazu gehört auch der Schluss, in dem die Natur den ultimativen Ausgleich schafft zwischen den Reichen und Berühmten und denen, die nichts davon sind. Dies hätte ein kluges Buch über das Gefühl von Verlorenheit und Ungenügen werden können, das nicht nur für Wolitzers Generation aus dem ständigen Vergleich mit dem Erfolg und Lebensstil anderer erwächst. Aber genau wie seine Figuren bleibt der Roman hinter seinem Versprechen zurück.
FELICITAS VON LOVENBERG
Meg Wolitzer: "Die Interessanten". Roman. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Dumont Buchverlag, Köln 2014. 606 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Persönlichkeit ist keine Frage des Kontostands: Die amerikanische Autorin Meg Wolitzer erzählt in ihrem Roman "Die Interessanten" von einer Jugendclique mit großen Zielen.
Der Glaube an die Möglichkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, ist ein Urthema der amerikanischen Literatur, von "Huckleberry Finn" über den "Großen Gatsby" bis hin zu Coleman Silk aus Roths "Menschlichem Makel". Mancher wird gerade dadurch zum Helden, dass er sich dem gesellschaftlichen Imperativ zu Selbstverwirklichung und fortwährender Optimierung nicht unterwirft, wie John Williams' unvergesslicher "Stoner". Andere, wie Patty in Jonathan Franzens "Freiheit", müssen erst einmal herausfinden, wer sie angesichts der Vielfalt von Berufen, Männern und weiteren Lebensentscheidungen eigentlich sein wollen, und dann lernen, was es heißt, manche dieser Entschlüsse nicht widerrufen zu können. Jetzt hat sich eine amerikanische Schriftstellerin des Themas angenommen und die Frage, was ein gutes Leben ausmacht, in den Mittelpunkt eines umfangreichen Romans gestellt. "Die Interessanten" heißt das Buch, Meg Wolitzer die Autorin, und wenn dieser Name hierzulande kein bekannter ist, so liegt das daran, dass von ihren vorherigen acht Romanen nur einer bisher übersetzt wurde und schon lange nicht mehr lieferbar ist.
Die "Interessanten" nennt sich eine Clique von fünf Teenagern, die während eines künstlerisch ambitionierten Sommercamps namens Spirit-in-the-Woods im Jahr 1974 ein weiteres Mitglied aufnimmt: Julie Jacobson, die fortan Jules gerufen werden wird und für die mit dem neuen Rufnamen ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Jules weiß zwar nicht, wie sie zu der Ehre kommt, in den illustren Kreis eingeladen zu werden, denn weder entstammt sie so wohlsituierten Verhältnissen wie die auffallend gut aussehenden New Yorker Geschwister Ash und Goodman Wolf, noch hat sie eine so interessante Mutter wie Jonah Bay, Sohn einer bekannten Folksängerin, oder so hervorstechende Talente wie Cathy Kiplinger, die das Zeug zur Tänzerin hat, oder Ethan Figman, der begnadet zu zeichnen versteht. Umso mehr tut Jules alles, um sich ihrer neuen Freunde würdig zu erweisen - und das über viele Jahre, denn man bleibt einander nah, auch wenn zwei Mitglieder der Gruppe, nämlich Goodman und Cathy, auf einigermaßen dramatische Weise ausscheiden.
Jules nimmt Schauspielunterricht und hält sich - schließlich sagen es auch die anderen - bald für ein großes komisches Talent, so dass die völlig konträre Einschätzung des Coachs sie mit Mitte zwanzig völlig aus der Bahn wirft. Ähnliche Selbstbildkorrekturen müssen auch ihre Freunde verkraften. Außer dem schon mit fünfzehn auffällig unbeholfenen und auffällig begabten Ethan Figman, der durch seine Animationsfilmserie "Figland" zum Star und zum Millionär wird, erfüllt sich für keinen das Versprechen eines außergewöhnlichen Lebens, mit Ausnahme vielleicht von Ash, die Ethan heiratet und sich dank dessen Vermögen und Verbindungen manchen Traum wenn schon nicht selbst erfüllen, so doch leisten kann, zum Beispiel den von der Theaterregie. Jules und sie bleiben enge Freundinnen; was sie trennt, ist Jules' tiefsitzender, unaussprechlicher Neid darauf, "wie viel Ash und Ethan im Vergleich zu ihr und Dennis hatten", "ein fieses, wucherndes Ding", das sie auch nach Jahrzehnten nur durch Sarkasmus in Schach zu halten vermag.
Wolitzer, die mit ihrer Hauptfigur Jules nicht nur den Geburtsjahrgang 1959 und die vorstädtische Kindheit teilt, ist eine präzise Beobachterin, der man überdies die geübte Essayistin anmerkt. Immer wieder schwenkt ihr Erzählfokus vom Einzelnen zum großen Ganzen und zurück. So sind ihre Figuren bei aller Individualität immer auch Stellvertreter ihrer Generation, die sich zu politischen Krisen ebenso verhalten muss wie zu der Ausbreitung von Aids oder der zunehmenden Machtkapitalisierung an der Wall Street. Akkurat beschreibt sie, wie die hochfliegenden Ambitionen jener Teenager, die als Tänzer, Schauspieler, Regisseur, Musiker oder Architekt Furore machen und die Welt verändern wollten, zerstieben und die nachlassenden Energien aus Notwehr in weniger spektakuläre Berufe gelenkt werden. Aber ganz wie die Charaktere hebt auch der Roman nicht ab. Er vermag nicht mitzureißen, weil er sich in der ausufernden Schilderung eines von Eifersucht, Enttäuschung und Selbstzweifel geplagten Auf-der-Stelle-Tretens ergeht. Wie interessant man "Die Interessanten" findet, ist daher eine Glaubensfrage. Nämlich ob man der Autorin abnimmt, dass mit Jules Jacobson und ihren Freunden tatsächliche Talente kapitulieren - was eine Rechtfertigung wäre für die immense Trauer, mit der ihre Lebenswünsche beerdigt werden -, oder ob man den Aufwand, mit dem hier wie besessen dauernd der Abstand zwischen normal und besonders vermessen wird, etwas übertrieben findet, so wie Jules' Mann Dennis: "Etwas Besonderes sein - das wollen alle. Aber, Himmel, ist das wirklich die Hauptsache? Das Wichtigste auf der Welt? Die meisten Menschen haben keine außergewöhnlichen Talente. Was sollen sie machen? Sich umbringen?"
Das Problem der "Interessanten" besteht letztlich darin, dass sie genau das nicht sind. Wären sie es, würden sie aus Erfahrungen lernen, sich weiterentwickeln. Persönlichkeit ist keine Frage des Berufs oder des Kontostands. Einen Reifeprozess jedoch versagt Wolitzer ihren Figuren, die auch mit Mitte fünfzig noch stark an die Teenager erinnern, die sie einmal waren (und das nicht nur, weil es zu einer Rückkehr nach Spirit-in-the-Woods kommt). Dazu gehört auch der Schluss, in dem die Natur den ultimativen Ausgleich schafft zwischen den Reichen und Berühmten und denen, die nichts davon sind. Dies hätte ein kluges Buch über das Gefühl von Verlorenheit und Ungenügen werden können, das nicht nur für Wolitzers Generation aus dem ständigen Vergleich mit dem Erfolg und Lebensstil anderer erwächst. Aber genau wie seine Figuren bleibt der Roman hinter seinem Versprechen zurück.
FELICITAS VON LOVENBERG
Meg Wolitzer: "Die Interessanten". Roman. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Dumont Buchverlag, Köln 2014. 606 S., geb., 22,99 [Euro].
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