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Galor ist Nobelpreiskandidat. Dies ist sein großer Wurf.
Oded Galor wagt die ganz große Theorie. Der renommierte Ökonom lüftet das Geheimnis von Wohlstand und Ungleichheit, indem er die Geschichte der Menschheit vom Beginn bis heute neu erzählt: Warum sind wir Menschen die einzige Spezies, die der Subsistenz entkommen ist? Wieso lebte die Masse noch bis Ende des 18. Jh. in Armut, wie gelang der Übergang von Stagnation zu Wachstum? Und: Warum haben wir so ungleiche Fortschritte gemacht, dass der Wohlstand der Nationen so unterschiedlich ausfällt? Galor verschmilzt Ideen aus der…mehr

Produktbeschreibung
Galor ist Nobelpreiskandidat. Dies ist sein großer Wurf.

Oded Galor wagt die ganz große Theorie. Der renommierte Ökonom lüftet das Geheimnis von Wohlstand und Ungleichheit, indem er die Geschichte der Menschheit vom Beginn bis heute neu erzählt: Warum sind wir Menschen die einzige Spezies, die der Subsistenz entkommen ist? Wieso lebte die Masse noch bis Ende des 18. Jh. in Armut, wie gelang der Übergang von Stagnation zu Wachstum? Und: Warum haben wir so ungleiche Fortschritte gemacht, dass der Wohlstand der Nationen so unterschiedlich ausfällt? Galor verschmilzt Ideen aus der Wirtschaftswissenschaft mit Erkenntnissen aus Anthropologie, Geschichte und den Naturwissenschaften und liefert erstmals eine allumfassende, evidenzbasierte Theorie. Ein Big-Idea-Buch von fesselnder Originalität.

Von 'The Times' ausgewählt als eines der besten Bücher 2022
Autorenporträt
Oded Galor, geboren 1953, ist israelischer Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der renommierten Brown University, USA. Seine Forschungsschwerpunkte liegen insbesondere im Bereich Wirtschaftswachstum. Er hat verschiedene Auszeichnungen erhalten, darunter den Doctor Honoris Causa der Universität Poznä und der Université Catholique de Louvain, und ist gewähltes Mitglied der Academia Europaea in London. Er war Herausgeber des ¿Journal of Economic Growth¿ und des ¿Journal of Population Economics¿ sowie Mitherausgeber anderer wissenschaftlicher Zeitschriften. Bekanntheit erlangte er vor allem als Schöpfer der Unified Growth Theory.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2023

Wie zähmt man die Tech-Giganten?

Wirtschaftliche Macht gefährdet die Demokratie. Ein Buch sucht nach Antworten.

Von Gerald ­Braunberger

Das Wirtschaftsbuch des Jahres 2022 ist vermutlich Oded Galors "The Journey to Humanity - Die Reise der Menschheit durch die Jahrtausende" gewesen. In einem kühnen Wurf zeichnete Galor die Geschichte der Menschheit als die Geschichte des technischen Fortschritts, der - häufig mit erheblicher Verzögerung - die Erde für die meisten Menschen zu einem besseren Platz gemacht hat. Der Verfasser war nicht unkritisch gegenüber negativen Begleiterscheinungen technischen Fortschritts, aber seine grundsätzliche Botschaft war von einem erfreulichen Optimismus getragen.

Ein Kandidat für den Titel des Wirtschaftsbuchs des Jahres 2023 ist gera- de erschienen. In "Power and Pro- gress" entwerfen die Ökonomen Daron Acemoglu und Simon Johnson ein sehr viel weniger optimistisches Bild von den Folgen technischen Fortschritts. Sie bestreiten nicht, dass er besonders seit der industriellen Revolution des 20. Jahrhunderts viele Menschen reicher und glücklicher gemacht hat. Sie bestreiten allerdings eine lange Zeit sehr verbreitete, von Zuversicht getragene These, nach der technischer Fortschritt quasi automatisch wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt zur Folge habe. Tatsächlich sei in der Geschichte der technische Fortschritt häufig nur einer kleinen Minderheit nützlich gewesen. Er habe politische und gesellschaftliche Spannungen verursacht. In manchen Ausprägungen der aktuellen digitalen Revolution sehen sie nichts weniger als eine Gefahr für Freiheit und Demokratie. Technischer Fortschritt dürfe nicht wenigen Menschen in der Privatwirtschaft überlassen werden. Er bedürfe der politischen und gesellschaftlichen Lenkung und Kontrolle.

Das Buch ist erkennbar aus einer amerikanischen Perspektive geschrieben, in der die behandelten Phänomene ausgeprägter vorliegen mögen als in vielen europäischen Ländern. Acemoglu und Johnson lehren am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Acemoglu zählt mit einer beeindruckenden Liste von Fachpublikationen zudem zu den forschungsstärksten und meistzitierten Ökonomen der Welt. Interesse verdient das Buch aber auch außerhalb der Vereinigten Staaten.

Die herkömmliche Überzeugung von der Vorteilhaftigkeit technischen Fortschritts beruht auf dem sogenannten "Mitläufereffekt", den Acemoglu und Johnson wie folgt definieren: "Nach dieser Idee sorgen neue Maschinen und Produktionsverfahren, die mit einem Anstieg der Produktivität einhergehen, auch für höhere Löhne. In dem Maße, in dem die Produktivität steigt, wird der Mitläufereffekt alle ergreifen, nicht nur Unternehmen und Kapitaleigner." Wie dies funktioniert, findet sich in jedem besseren Lehrbuch: Die Unternehmen wollen von einer steigenden Produktivität durch eine Ausweitung ihrer Geschäfte profitieren. Dazu benötigen sie zusätzliche Beschäftigte, und diese Nachfrage nach Arbeit sorgt für steigende Löhne.

Es fällt leicht, Beispiele für solche Prozesse in der Ausweitung der industriellen Massenfertigung zu finden. Acemoglu und Johnson nennen das von technischem Fortschritt begleitete Wachstum der amerikanischen Automobilindustrie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Zudem muss sich der "Mitläufereffekt" keineswegs auf einen Wirtschaftszweig beziehen. Technischer Fortschritt und steigende Beschäftigung in der Automobilindustrie dürften sich positiv auf Zulieferer aus der Industrie auswirken, aber auch auf Dienstleister unterschiedlichen Typs vom Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bis zum Wachdienst und Kantinenbetreiber. "Das Produktivitätswachstum in den Automobilfabriken war in diesen Jahrzehnten ein wichtiger Antrieb für das Wachstum der Öl-, Stahl und Chemieindustrie", schreiben die Autoren. Die Massenherstellung revolutionierte ebenso die Transportmöglichkeiten, was den Aufstieg des Einzelhandels, der Unterhaltungsbranche und anderer Dienstleistungen begünstigte. Acemoglu und Johnson konzedieren, dass vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Mitte der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts die Arbeitseinkommen nicht sehr gut ausgebildeter amerikanischer Arbeitnehmer mit einer ähnlichen Rate zugenommen haben wie die Einkommen von Universitätsabsolventen. Um ein bekanntes Bild zu benutzen: Die Flut hebt alle Boote.

Dieser Befund gelte jedoch bei Weitem nicht immer, wenden Acemoglu und Johnson ein. Bescheidene Produktivitätsfortschritte im Spätmittelalter ermöglichten weltlichen und kirchlichen Mächtigen den Bau von Schlössern, Burgen und Kathedralen, aber die Masse der Bevölkerung blieb bettelarm. Die industrielle Revolution kam zunächst vor allem den Unternehmern zugute, während viele Arbeiter für lange Zeit zu niedrigen Löhnen schufteten.

David Ricardo, einer der besten Ökonomen jener Zeit, hatte technischen Fortschritt zunächst als grundsätzlich positiv begrüßt. In der dritten Auflage seines Standardwerks "Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung" zeigte er sich plötzlich skeptisch. Technischer Fortschritt dürfte für Landbesitzer und Kapitalisten immer vorteilhaft sein, aber für die Arbeiter lasse sich eine solche Prognose nicht stellen, warnte er. Arbeiter, die als Folge technischen Fortschritts ihren Job verlören, fänden nicht automatisch eine neue Beschäftigung.

Für unsere Zeit sehen Acemoglu und Johnson keine bedeutenden positiven Beschäftigungseffekte, wenn sich technischer Fortschritt beispielsweise in besserer Überwachung äußert. Die Möglichkeit von Kunden, ihre Waren im Lebensmittelladen selbst einzuscannen, führe auch nicht zu zusätzlicher Arbeit: "Die Lebensmittel werden nicht deutlich billiger, es folgt keine Ausweitung der Produktion von Lebensmitteln und die Konsumenten leben nicht anders als vorher." Acemoglu hat in Arbeiten mit einem anderen Kollegen, Pascual Restrepo, für solche Beispiele den Begriff "Soso-Automatisierung" geprägt. "Industrieroboter, die bereits die moderne Industrie revolutioniert haben, erzeugen für Arbeitnehmer keine oder nur geringe Vorteile, wenn sie nicht von weiteren Technologien begleitet werden, die neue Aufgaben und Möglichkeiten für menschliche Arbeit schaffen", schreiben Acemoglu und Johnson.

Mit dem Aufkommen der Giganten aus dem Silicon Valley und der von ihnen geförderten Künstlichen Intelligenz (KI) sehen die beiden Autoren nichts weniger als eine ernste Bedrohung der Demokratie, weil wie während der industriellen Revolution Eliten zulasten der Masse vom Fortschritt profitieren. "Die Tragödie ist, dass die KI die Demokratie in dem Moment weiter unterminiert, in dem wir sie besonders brauchen", klagen die Autoren. Solange die Richtung des digitalen Fortschritts keine deutliche Änderung erfahre, werde er im Westen, aber auch zunehmend im Rest der Welt die Ungleichheit fördern und große Teile der Arbeiterschaft marginalisieren.

Besonders kritisch betrachten die beiden Ökonomen das vor allem auf Werbeeinnahmen und weniger auf Abonnementgebühren fußende Geschäftsmodell sozialer Plattformen, das Tech-Giganten die Sammlung von Daten erleichtere und der Verbreitung von Hass und Fake News Vorschub leiste. Auf kostenpflichtige Abonnements setzende Plattformen seien zwar nicht perfekt, aber aus gesellschaftlicher Sicht deutlich vorteilhafter, weil sie nicht auf eine maximale Nutzung der Plattform durch die Nutzer ("Engagement") setzten, "die nachweislich zur schlimmsten Form sozialer Interaktion führe und damit sowohl der mentalen Gesundheit wie dem demokratischen Diskurs Schaden zufüge".

Ihr wirtschaftlicher Erfolg wird die Tech-Giganten nicht zu einer Änderung ihres Verhaltens veranlassen. "Man kann seine Hoffnungen auf den Mitläufereffekt richten", schreiben Acemoglu und Johnson. "Aber es bestehen keine Hinweise auf eine baldige Teilung der Produktivitätsgewinne. Manager und Unternehmer tendieren zum Gebrauch neuer Technologien, um Arbeit zu automatisieren und damit Menschen zu entmachten, solange sich keine Gegenmacht bildet. Eine gewaltige Sammlung von Daten hat diese Neigung verstärkt."

In dieser Passage taucht ein vor rund 70 Jahren von dem Ökonomen John Kenneth Galbraith popularisiertes Thema auf: Zu große Macht in einer Gesellschaft bedarf zur Neutralisierung einer Gegenmacht ("countervailing power"). Galbraith befürwortete damals die Bildung starker Gewerkschaften, um den rasch wachsenden amerikanischen Konzernen Paroli bieten zu können. Gesellschaftliches Engagement, das sich in politische Mehrheiten verwandeln lässt, wünschen sich auch Acemoglu und Johnson. Nicht zufällig bilden sie in ihrem Buch Ralph Nader ab, einen engagierten Anwalt von Verbraucherinteressen und erfolglosen grünen Kandidaten für die amerikanische Präsidentschaft. Mit Teilen ihrer politischen Analyse nähern sie sich, wie weiland Galbraith mit seinen Überzeugungen, dem linken Flügel der Demokratischen Partei an.

Dass technischer Fortschritt nicht alleine privaten Unternehmern überlassen, sondern durch demokratisch legitimierte Institutionen gelenkt werden sollte, ist eine von Acemoglu seit Langem vertretene Überzeugung. Einwänden, damit wende er sich gegen ein fundamentales marktwirtschaftliches Prinzip, hält er entgegen, dass in den Vereinigten Staaten ein nicht geringer Teil des von Privatunternehmen genutzten technischen Fortschritts ohnehin staatlich induziert sei. Ein Beispiel bildet die staatlich geförderte Militärforschung, von der auch der zivile Flugzeugbau profitiert hat.

Überbordende Macht von Unternehmen gehört als Thema freilich keineswegs alleine der politischen Linken, sondern wird auch seit Jahrzehnten von (Ordo-)Liberalen behandelt. Ihre Antwort auf eine solche Macht besteht in einer aktiven Wettbewerbspolitik. Acemoglu und Johnson machen sich diesen Gedanken zu eigen, indem sie für eine Zerschlagung der Tech-Giganten eintreten. Ihres Erachtens führt die Wettbewerbspolitik aber kein scharfes Schwert.

Bestandteile ihres politischen Programms sind daher auch staatliche Subventionen für Anbieter weniger schädlicher Technologien, ein Steuersystem, das Automatisierung nicht belohnt, eine bessere Bildung und Ausbildung für die Arbeitnehmer, eine Steuer auf digitale Werbung, ein besserer Schutz privater Daten sowie eine stärkere Einflussnahme des Staates in der Grundlagenforschung. Das klingt wie ein Sammelsurium des Interventionismus. Andererseits sprechen sich Acemoglu und Johnson klar gegen eine traditionelle Idee von Industriepolitik aus, bei der Bürokraten versuchen, vermeintlich zukunftsträchtige Unternehmen mit Staatsgeld aufzupäppeln.

Wer mit offenen Augen auf die Welt blickt, sieht in zahlreichen Demokratien Kräfte im Aufschwung, deren Vorstellung von Demokratie in beunruhigendem Maße autokratische Züge trägt. Durch Strukturwandel bedingte Langzeitarbeitslosigkeit und Verarmung ehemals reicher Regionen erklären nicht alleine die Anziehungskraft populistischer Kräfte, zu deren Unterstützung keineswegs nur gesellschaftliche Verlierer zählen. Doch die Verteidiger der liberalen Demokratie müssen sich schonungslos die Frage stellen, wie sie den Trend zu Populismus und Autokratie aufhalten wollen. Die Analyse von Acemoglu und Johnson mag zu stark den Fokus auf die Tech-Giganten richten, und viele ihrer Politikvorschläge sind aus liberaler Sicht eindeutig zu interventionistisch. Aber es bleibt unbestritten, dass gerade in einer Zeit tiefgreifenden Wandels Gedanken kluger Köpfe als Diskussionsanstoß willkommen sein sollten. In diesem Sinne ist dieses Buch wichtig.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Gustav Seibt freut sich über den höchst optimistischen Blick auf die Menschheitsgeschichte und -zukunft im Buch des israelischen Ökonomen Oded Galor. So wie Galor es sieht, hat es die Menschheit seit Ende des 19. Jahrhunderts geschafft, technischen Fortschritt und Bevölkerungswachstum zu entkoppeln, so Seibt. Das stimmt den Autor positiv auch im Hinblick auf den Umgang mit aktuellen Krisen wie dem Klimawandel, erklärt der Rezensent. Wenn Galors These stimmt, meint Seibt, sollten künftig immer weniger, immer besser ausgebildete Menschen den Planeten bevölkern und die technische Entwicklung beschleunigen. Dass der Autor letztere anhand vieler gut recherchierter Einzelbeispiele diskutiert, von kleinteiliger Geografie bis zu religiösen Arbeitsethiken, macht die Lektüre für Seibt anregend.

© Perlentaucher Medien GmbH
Galors Buch hat einen stringenten Gedankengang und eine überreiche Kasuistik, die Unmengen von Forschung verarbeitet. Und sie bietet einen optimistischen Ausblick. Gustav Seibt Süddeutsche Zeitung 20220611