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Geoffrey Turnovsky teaches French at the University of Washington.

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Geoffrey Turnovsky teaches French at the University of Washington.
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Autorenporträt
Geoffrey Turnovsky teaches French at the University of Washington.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2010

Die Freuden des freien Schriftstellerberufs

Helden der Aufklärung leben von der Feder in den Mund: Zwei gelehrte Bücher illustrieren die Macht dieser Ursprungslegende des literarischen Marktes.

Als der Autor dieser Zeilen vor drei Jahren nach Cambridge kam, machte unter den lokalen Historikern gerade das Gerücht die Runde, Richard Evans habe für seine dreibändige Geschichte des Dritten Reiches ein Honorar von einer Million Pfund erhalten. Erstaunlich war an diesem Gerücht für den Neuankömmling nicht nur der Betrag, sondern auch das Prestige, das es Evans einbrachte. Niemand schloss vom großen Geld auf einen geringen Gehalt des Buches, im Gegenteil, Missgunst drückte sich höchstens im Gegengerücht aus, die Summe sei in Wirklichkeit kleiner gewesen. Evans enthielt sich geschickt jeglichen Kommentars, vermittelte aber seinen Literaturagenten, den berühmt-berüchtigten Andrew Wylie, an enge Kollegen an der Fakultät. Mittlerweile hat das eine oder andere Professorenhäuschen in Cambridge einen "Wylie-Wing" und Richard Evans den "Regius Chair".

Dem literarischen Markt, soviel lässt die Episode erkennen, kommt in der englischsprachigen Gelehrtenkultur ein anderer Stellenwert zu als in der kontinentaleuropäischen - auch symbolisch. Wie aber ist der Unterschied historisch zu erklären? Selbst jene britischen Historiker, die heute akademischen und kommerziellen Erfolg elegant verbinden, sind sich nicht sicher: Zum einen stellen sie sich in eine nationale Tradition schriftstellerischen Unternehmertums, die bis zu David Hume und Samuel Johnson ("No man but a blockhead ever wrote, except for money") zurückreiche, zum andern aber sehen sie ihre Position im literarischen Markt als etwas grundsätzlich Neues.

Der Rückbezug auf das Aufklärungszeitalter kommt nicht von ungefähr, steht dieses doch im Zentrum der klassischen Ursprungslegende des literarischen Marktes. Ihr zufolge ging im achtzehnten Jahrhundert das Wachstum des Buchhandels mit der Entstehung eines neuen Autorentyps einher, der auch in seinem Leben eine kritische Unabhängigkeit von staatlichen und kirchlichen Autoritäten begründet habe. Sie habe ihren praktischen Ausdruck im Versuch gefunden, aus dem goldenen Käfig der höfischen Patronage auszubrechen und "von der eigenen Feder" zu leben. Zwar habe der Versuch regelmäßig in finanziellem Elend und gesellschaftlicher Verachtung geendet, aber mit ihrem heroischen Scheitern hätten die Aufklärer den "freien" Schriftstellern der Moderne den Weg geebnet. Diese Legende wird in einer Reihe nationalgeschichtlicher Variationen erzählt; die Pionierrolle, die in England Johnson und Hume zugeordnet ist, gehört in Frankreich den philosophes und Rousseau, in Deutschland Klopstock und Schiller. Die Erzähllogik ist überall die Gleiche: Politisches Rebellentum verlangt freies Schriftstellertum.

Wie mächtig die Legende noch immer ist, zeigt das Buch "The Enlightenment Past" von Daniel Brewer. Inspiriert von Foucault, will der amerikanische Literaturwissenschaftler "unsere historische Determiniertheit" durch die Aufklärung zum Gegenstand des Nachdenkens machen. Seine Ausführungen spiegeln jedoch eher, wie sehr Brewer selbst im modernen Aufklärungsnarrativ gefangen ist. Gedankenlos identifiziert er die Aufklärung mit dem Wirken der Pariser philosophes - eine Blickverengung auch im innerfranzösischen Kontext, die allein der "Selektionsleistung" des modernen Aufklärungsdiskurses zuzuschreiben ist. Diesem bleibt Brewer auch verhaftet, wenn er unter den philosophes jene Autoren zu finden meint, die sich vom Patronagesystem erfolgreich gelöst hätten.

Von ganz anderem Kaliber ist "The Literary Market" von Brewers Landsmann und Fachkollege Geoffrey Turnovsky. Ebenfalls am Beispiel Frankreichs nimmt Turnovsky die Legende des literarischen Marktes gründlich auseinander. Er beginnt mit einer Statistik über die Einkünfte heutiger Buchautoren: Demnach gibt es kaum Schriftsteller, die "von der Feder" leben; vielmehr herrscht, selbst bei kommerziell erfolgreichen Autoren, das eklektische Anzapfen verschiedener Einkommensquellen oder die kontinuierliche Ausübung eines anderen Brotberufs vor. Damit unterscheiden sich heute französische Autoren, wenn es um das Auskommen geht, nur geringfügig von den schriftstellernden Amateuren des Ancien Régime.

Wie aber steht es dann um die philosophes? Turnovsky portraitiert sie als Agenten eines Kulturwandels ohne Strukturwandel. Der stolze Selbstbestimmungsanspruch eines Voltaire, die beißende Patronagekritik eines d'Alembert, die trotzigen Unabhängigkeitsdemonstrationen eines Rousseau waren nicht im Geringsten vom Traum einer freien Schriftstellerexistenz im literarischen Markt beseelt. Im Gegenteil, wer von seinen Bucherlösen leben musste, galt den philosophes als gescheiterte Kreatur, unfähig zur Schöpfung großer Werke. Ein "freier" Autor zu sein, hieß für sie noch immer, die eigenen Publikationen von kommerziellem Kalkül rein zu halten. Entsprechend sahen die philosophes keinen Widerspruch darin, in ihren Schriften als unabhängige Autoritätskritiker aufzutreten und gleichzeitig ihren Lebensunterhalt aus Pensionen und Gratifikationen zu bestreiten. Ihre Modernität, so könnte man Turnovskys Argumentation noch weitertreiben, bestand eher darin, dass sie ihrem Status als öffentliche Kritiker durch Staatsgelder und Staatsämter offizielle Anerkennung verleihen wollten.

Anstatt nun aber die Geschichte des literarischen Marktes von den philosophes abzukoppeln, schreibt sie Turnovsky so um, dass diese die Protagonisten bleiben. Wie geht das? Turnovsky plädiert dafür, den literarischen Markt und den Buchhandel begrifflich auseinanderzuhalten: die symbolische Sphäre, in der Autoren mit ihren Publikationen öffentlichen Kredit erwerben oder verlieren, und die ökonomische Sphäre auffasst, in der sie finanziell belohnt oder ausgebeutet werden. Die philosophes hätten die Entstehung des literarischen Marktes insofern befördert, als sie den Leistungsausweis über den persönlichen "record of published writings" bestimmten. Damit hätten sie sich aus dem Dilemma früherer Gelehrtengenerationen gelöst, die als Autoren in Konflikt mit dem höfischen Bescheidenheitskodex geraten seien und daher eigene Werke oft anonym oder gar nicht veröffentlicht hätten.

Diese Überlegungen sind zwar hochinteressant, aber wenig überzeugend. Turnovskys Einordnung der philosophes als Pioniere der Publikationsliste verträgt sich schlecht mit dem Umstand, dass viele von ihnen anonym publiziert haben - sogar dann noch, als sie kaum mehr im Visier der Zensur standen. Noch problematischer ist, dass sich Turnovsky mit der Abtrennung des literarischen Marktes vom Buchhandel und der Beschränkung auf Frankreich von der Legende des literarischen Marktes nur bedingt lösen kann. Um sie zu überwinden, müsste man gerade das Gegenteil tun: den Buchhandel in den Mittelpunkt stellen und eine vergleichende Betrachtung wählen.

Der europäische Büchermarkt wurde im achtzehnten Jahrhundert weniger von Paris als von Amsterdam, Brüssel und London aus modernisiert. In Großbritannien, wo die staatliche Vorzensur 1695 aufgegeben und das Copyright 1709 eingeführt worden war, forderte der Historiker und Journalist James Ralph schon 1758, man solle Autoren nicht dafür kritisieren, dass sie sich für ihre Bücher bezahlen lassen, sondern "jene am meisten wertschätzen, die mit ihren Werken am meisten Geld verdienen". Hier wird der literarische Markt also bereits mit jener Sanktionsgewalt ausgestattet, die heute unter britischen Historikern wirksam ist.

Dass er diese Gewalt ausüben konnte, ist jenen Figuren zuzuschreiben, denen Turnovsky nur eine Statistenrolle gibt: Druckern, Verlegern und Buchhändlern. So wie es heute die Wylies, nicht die Evanses sind, die den literarischen Markt umgestalten, waren es im achtzehnten Jahrhundert die Verleger, nicht die Schriftsteller, die die Expansion des Büchermarktes vorantrieben, auf den Schutz von Urheberrechten drängten und die Zensur zum Erliegen brachten. In der Geschichte des literarischen Marktes sind die Autoren mehr Bewegte als Beweger.

CASPAR HIRSCHI

Daniel Brewer: "The Enlightenment Past: Reconstructing Eighteenth-Century French Thought". Cambridge University Press, 2008. 272 S., geb., 67,99 [Euro].

Geoffrey Turnovsky: "The Literary Market: Authorship and Modernity in the Old Regime". University of Pennsylvania Press, 2009. 280 S., geb., 49,99 [Euro].

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