Leaves rustle underfoot in a dark wood: two middle-aged women walk into a forest, as they did when they were girls, confronting their fears and memories and the strange thing they saw in their childhood - or thought they saw - so long ago.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2005Der englische Geist ist traurig
Wie erzählt man von gewaltigen Dingen, die man allein und auch nur einmal gesehen hat? A. S. Byatt und ihre Geschichten von der Überwindung der Naturgesetze
Es waren einmal zwei kleine Mädchen. . .” Eine Geschichte, die so anfängt, scheint zu verheißen, dass sie, wie im Märchen, vielleicht ein böses, aber jedenfalls ein Ende nimmt. Doch schon wie dieser erste Satz in der Geschichte „Das Ding im Wald” von Antonia S. Byatt weitergeht, weckt Zweifel: „. . .die sahen ein Ding im Wald oder glaubten es zu sehen.” Und genau mit demselben Satz hört die Geschichte auch auf.
Was nun? Sehen sie es oder glauben sie es bloß? Die ganze ausführliche Geschichte, die dazwischenliegt, handelt von nichts anderem, als dass dies auf quälende Weise unbestimmbar bleibt. Peggy und Primrose, zwei etwa zehnjährige Mädchen, werden während der deutschen Bombenangriffe zusammen mit vielen anderen Kindern aus London in ein Landhaus evakuiert, bevor man sie auf verschiedene Familien weiterverteilt. Sie schließen sofort Freundschaft miteinander und fühlen sich so beschützt; und da niemand auf sie aufpasst, entwischen sie in den Wald, der gleich hinter dem Landhaus beginnt. In einem Wald waren sie noch nie gewesen; alles, der Farn, die weißen Espenblätter, die smaragdgrünen und karmesinroten Beeren, kommt ihnen fremd und überdeutlich vor. Da merken sie, an seltsamen Gerüchen und Geräuschen, dass sich irgendein Wesen nähert.
Sie fassen sich bei der Hand und gehen hinter einem gestürzten Baumstumpf in Deckung. Und es kommt: „Sein Kopf schien sich in einiger Entfernung zwischen den Bäumen erst zu bilden oder erkennbar zu werden. Sein Gesicht - dreieckig - war wie eine Maske aus Gummi oder Fleisch über einer formlos aufragenden Knolle, einer monströsen Rübe. Es hatte die Farbe geschundenen Fleisches, wurmstichig, und die Miene zeigte weder Zorn noch Gier, sondern nichts als Jammer. Der deutlichste Zug war ein breites Maul mit unendlich heruntergezogenen Mundwinkeln, schmerzverzerrt. Die Lippen waren schmal und wulstig wie Peitschenwunden. Es hatte blinde, trübe, weißliche Augen mit fleischigen Wimpern und Brauen wie Fühler einer Seeanemone.” Sein Körper ist lang und röhrenförmig, „wie Kot röhrenförmig ist”, unfertig zusammengeklebt aus allem Möglichem, wie halbgetrocknetes Pappmaché, verrottende Vegetation steckt darin, aber auch Müll, Spüllappen, Topfkratzer, verrostete Schrauben und Muttern. Ganz dicht an den Mädchen kriecht das Ding vorbei; bedrohlich wirkt es eigentlich nicht. Die beiden wechseln kein Wort, gehen zurück, am nächsten Tag werden sie getrennt und sehen einander nicht mehr.
Die Erscheinung übt eine ungeheuer beklemmende Gewalt aus. Nicht nur dass das, was es nicht geben kann, mit solchem Eigensinn durchgeformt ist bis ins letzte wahllose Detail: die gesprengte Wirklichkeit öffnet keinen neuen Raum, und sei es den des Schreckens, sondern mündet in eine konvulsivische, die Phantasie entmachtende Enge, die sich in ihrem Zentrum zum schmerzvollen Menschenmund des Monstrums verkrampft. Dass die Mädchen dieses unmögliche Erlebnis zusammen haben, macht ihnen die Sache nicht leichter, im Gegenteil. Jede muss der anderen die unverbrüchliche Zeugin sein, dass es sich nicht um eine Einbildung gehandelt hat, sondern dass das Ding da war; so versperrt sie der anderen die Rettung, es als Hirngespinst abtun zu dürfen. Sie bleiben, jede für sich, in der Pein ihres Erlebnisses gefangen, lebenslang. Jahrzehnte später treffen sich beide wieder, als jede für sich einen Ausflug zu genau diesem Landhaus macht, das inzwischen für Touristen offen ist, und erblicken und erkennen einander in der Spiegelung einer Vitrine, geisterhaft. „Als Engländerinnen suchten sie Zuflucht im Tee.” Aber die Gemeinsamkeit erlöst sie nicht; jede allein sucht noch einmal den Wald auf, und findet - nichts.
Alle diese acht Geschichten atmen eine besondere Art von Traurigkeit, die man sich außerhalb Englands gar nicht denken kann. Wenn Penny, inzwischen eine Frau um die Fünfzig, noch einmal in den verhängnisvollen Wald zurückkehrt, kann sie das nur tun, weil sie plötzlich einen „Zauntritt” entdeckt - so wird beiläufig der selbstverständlichen Tatsache Rechnung getragen, dass auf dieser hoffnungslos feudalen Insel freies Gelände grundsätzlich eingehegt und unzugänglich gehalten ist. Vor einigen Jahren, als der Rinderwahn seinen Höhepunkt erreichte, wurde hier auf Monate das flache Land für die Städter einfach zugemacht - wo sonst als in England wäre das gegangen?
Die Vergangenheit und der physische Raum sind geschlossenes Terrain, aber Behagen und Sicherheit gewähren sie nicht. Wenn die Erzählung „Der Juligeist” mit einem Idyll anzuheben scheint und einen vazierenden Geisteswissenschaftler als Untermieter in einem abgeschiedenen Garten zeigt, dann dauert es nicht lang, bis sich ein lächelnder, engelhafter, blonder Junge einstellt, der sich als der Sohn der Vermieterin erweist; aber der ist vor zwei Jahren auf der vierspurigen Straße vor der Gartenmauer totgefahren worden. Nur der Untermieter sieht ihn; der Mutter, die sich alles berichten lassen muss, bleibt der Blick auf das liebe Gespenst verwehrt, und der Leser empfindet es als die schlimmstmögliche Wendung.
Sein Gegenstück hat dieses Kind, das sich nie mehr fortentwickeln wird, an der alzheimerkranken Ehefrau der letzten Erzählung, „Das rosafarbene Band”. Sie versucht, mit einem Avocadokern statt eines Löffels, ein selbstgerührtes Gemenge aus Mehl und Kaffeepulver zu verzehren, und schlägt damit nach ihrem Mann, der sie davon abbringen will. „Das war wenigstens eine absurde Geschichte, die er einem Freund im Pub erzählen konnte. Sie hatte eine Dimension ästhetischen Schreckens, die sie reizvoll machte. Darüber war er inzwischen hinaus; es war nichts mehr in ihm, was irgend jemandem irgend etwas erzählen wollte, weder in einem Pub noch sonstwo.” An diesem Punkt, wo es aussieht, als müsste alles Erzählen reizlos werden, an diesem Punkt der äußersten Ermattung, fängt Byatts Erzählen erst an; das verleiht ihm eine Qualität wie die Tapferkeit eines Todkranken, der keine Hoffnung hat.
Protagonisten sind meist Frauen mittleren und höheren Alters, denen ihre Sensibilität und Intelligenz nichts mehr nützt. Die Alzheimerpatientin hat früher beim Geheimdienst gearbeitet, englisch „intelligence”; jetzt schaut sie im Fernsehen den abscheulichen Teletubbies zu, wenn sie sich in ihre „sargförmigen Wiegen” schlafen legen. Wie kann die Geschichte der pensionierten Lehrerin enden, die sich lachhafterweise bei jedem Schritt vor die Tür vor Dem Mann, dem universalen Vergewaltiger ängstigt? Gar nicht, als in der immer neu verhängten Drohung.
Antonia S. Byatt
Stern- und Geisterstunden Erzählungen. Aus dem Englischen von Melanie Walz. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2005. 340 Seiten, 28,50 Euro.
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Wie erzählt man von gewaltigen Dingen, die man allein und auch nur einmal gesehen hat? A. S. Byatt und ihre Geschichten von der Überwindung der Naturgesetze
Es waren einmal zwei kleine Mädchen. . .” Eine Geschichte, die so anfängt, scheint zu verheißen, dass sie, wie im Märchen, vielleicht ein böses, aber jedenfalls ein Ende nimmt. Doch schon wie dieser erste Satz in der Geschichte „Das Ding im Wald” von Antonia S. Byatt weitergeht, weckt Zweifel: „. . .die sahen ein Ding im Wald oder glaubten es zu sehen.” Und genau mit demselben Satz hört die Geschichte auch auf.
Was nun? Sehen sie es oder glauben sie es bloß? Die ganze ausführliche Geschichte, die dazwischenliegt, handelt von nichts anderem, als dass dies auf quälende Weise unbestimmbar bleibt. Peggy und Primrose, zwei etwa zehnjährige Mädchen, werden während der deutschen Bombenangriffe zusammen mit vielen anderen Kindern aus London in ein Landhaus evakuiert, bevor man sie auf verschiedene Familien weiterverteilt. Sie schließen sofort Freundschaft miteinander und fühlen sich so beschützt; und da niemand auf sie aufpasst, entwischen sie in den Wald, der gleich hinter dem Landhaus beginnt. In einem Wald waren sie noch nie gewesen; alles, der Farn, die weißen Espenblätter, die smaragdgrünen und karmesinroten Beeren, kommt ihnen fremd und überdeutlich vor. Da merken sie, an seltsamen Gerüchen und Geräuschen, dass sich irgendein Wesen nähert.
Sie fassen sich bei der Hand und gehen hinter einem gestürzten Baumstumpf in Deckung. Und es kommt: „Sein Kopf schien sich in einiger Entfernung zwischen den Bäumen erst zu bilden oder erkennbar zu werden. Sein Gesicht - dreieckig - war wie eine Maske aus Gummi oder Fleisch über einer formlos aufragenden Knolle, einer monströsen Rübe. Es hatte die Farbe geschundenen Fleisches, wurmstichig, und die Miene zeigte weder Zorn noch Gier, sondern nichts als Jammer. Der deutlichste Zug war ein breites Maul mit unendlich heruntergezogenen Mundwinkeln, schmerzverzerrt. Die Lippen waren schmal und wulstig wie Peitschenwunden. Es hatte blinde, trübe, weißliche Augen mit fleischigen Wimpern und Brauen wie Fühler einer Seeanemone.” Sein Körper ist lang und röhrenförmig, „wie Kot röhrenförmig ist”, unfertig zusammengeklebt aus allem Möglichem, wie halbgetrocknetes Pappmaché, verrottende Vegetation steckt darin, aber auch Müll, Spüllappen, Topfkratzer, verrostete Schrauben und Muttern. Ganz dicht an den Mädchen kriecht das Ding vorbei; bedrohlich wirkt es eigentlich nicht. Die beiden wechseln kein Wort, gehen zurück, am nächsten Tag werden sie getrennt und sehen einander nicht mehr.
Die Erscheinung übt eine ungeheuer beklemmende Gewalt aus. Nicht nur dass das, was es nicht geben kann, mit solchem Eigensinn durchgeformt ist bis ins letzte wahllose Detail: die gesprengte Wirklichkeit öffnet keinen neuen Raum, und sei es den des Schreckens, sondern mündet in eine konvulsivische, die Phantasie entmachtende Enge, die sich in ihrem Zentrum zum schmerzvollen Menschenmund des Monstrums verkrampft. Dass die Mädchen dieses unmögliche Erlebnis zusammen haben, macht ihnen die Sache nicht leichter, im Gegenteil. Jede muss der anderen die unverbrüchliche Zeugin sein, dass es sich nicht um eine Einbildung gehandelt hat, sondern dass das Ding da war; so versperrt sie der anderen die Rettung, es als Hirngespinst abtun zu dürfen. Sie bleiben, jede für sich, in der Pein ihres Erlebnisses gefangen, lebenslang. Jahrzehnte später treffen sich beide wieder, als jede für sich einen Ausflug zu genau diesem Landhaus macht, das inzwischen für Touristen offen ist, und erblicken und erkennen einander in der Spiegelung einer Vitrine, geisterhaft. „Als Engländerinnen suchten sie Zuflucht im Tee.” Aber die Gemeinsamkeit erlöst sie nicht; jede allein sucht noch einmal den Wald auf, und findet - nichts.
Alle diese acht Geschichten atmen eine besondere Art von Traurigkeit, die man sich außerhalb Englands gar nicht denken kann. Wenn Penny, inzwischen eine Frau um die Fünfzig, noch einmal in den verhängnisvollen Wald zurückkehrt, kann sie das nur tun, weil sie plötzlich einen „Zauntritt” entdeckt - so wird beiläufig der selbstverständlichen Tatsache Rechnung getragen, dass auf dieser hoffnungslos feudalen Insel freies Gelände grundsätzlich eingehegt und unzugänglich gehalten ist. Vor einigen Jahren, als der Rinderwahn seinen Höhepunkt erreichte, wurde hier auf Monate das flache Land für die Städter einfach zugemacht - wo sonst als in England wäre das gegangen?
Die Vergangenheit und der physische Raum sind geschlossenes Terrain, aber Behagen und Sicherheit gewähren sie nicht. Wenn die Erzählung „Der Juligeist” mit einem Idyll anzuheben scheint und einen vazierenden Geisteswissenschaftler als Untermieter in einem abgeschiedenen Garten zeigt, dann dauert es nicht lang, bis sich ein lächelnder, engelhafter, blonder Junge einstellt, der sich als der Sohn der Vermieterin erweist; aber der ist vor zwei Jahren auf der vierspurigen Straße vor der Gartenmauer totgefahren worden. Nur der Untermieter sieht ihn; der Mutter, die sich alles berichten lassen muss, bleibt der Blick auf das liebe Gespenst verwehrt, und der Leser empfindet es als die schlimmstmögliche Wendung.
Sein Gegenstück hat dieses Kind, das sich nie mehr fortentwickeln wird, an der alzheimerkranken Ehefrau der letzten Erzählung, „Das rosafarbene Band”. Sie versucht, mit einem Avocadokern statt eines Löffels, ein selbstgerührtes Gemenge aus Mehl und Kaffeepulver zu verzehren, und schlägt damit nach ihrem Mann, der sie davon abbringen will. „Das war wenigstens eine absurde Geschichte, die er einem Freund im Pub erzählen konnte. Sie hatte eine Dimension ästhetischen Schreckens, die sie reizvoll machte. Darüber war er inzwischen hinaus; es war nichts mehr in ihm, was irgend jemandem irgend etwas erzählen wollte, weder in einem Pub noch sonstwo.” An diesem Punkt, wo es aussieht, als müsste alles Erzählen reizlos werden, an diesem Punkt der äußersten Ermattung, fängt Byatts Erzählen erst an; das verleiht ihm eine Qualität wie die Tapferkeit eines Todkranken, der keine Hoffnung hat.
Protagonisten sind meist Frauen mittleren und höheren Alters, denen ihre Sensibilität und Intelligenz nichts mehr nützt. Die Alzheimerpatientin hat früher beim Geheimdienst gearbeitet, englisch „intelligence”; jetzt schaut sie im Fernsehen den abscheulichen Teletubbies zu, wenn sie sich in ihre „sargförmigen Wiegen” schlafen legen. Wie kann die Geschichte der pensionierten Lehrerin enden, die sich lachhafterweise bei jedem Schritt vor die Tür vor Dem Mann, dem universalen Vergewaltiger ängstigt? Gar nicht, als in der immer neu verhängten Drohung.
Antonia S. Byatt
Stern- und Geisterstunden Erzählungen. Aus dem Englischen von Melanie Walz. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2005. 340 Seiten, 28,50 Euro.
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