In The Long Game, Rush Doshi demonstrates that China is in fact playing a long, methodical game to displace America from regional and global order. Drawing from a rich base of Chinese primary sources, including decades worth of party documents and memoirs by party leaders, he traces the history of China's grand strategy from the end of the Cold War to the present day and puts forward an asymmetric strategy for the United States to deal with it -- one that ironically borrows from Beijing's own playbook.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2022Was will China?
Rush Doshi skizziert die "Grand Strategy" der chinesischen Außen- und Sicherheitspolitik
Im pandemiegeplagten Deutschland fiel die Meldung kaum auf: Dem "Wall Street Journal" zufolge musste Washington jüngst energisch intervenieren, um den Bau einer Militärbasis zu stoppen, die die Volksrepublik China in den Vereinigten Arabischen Emiraten errichten wollte. Im ostafrikanischen Dschibuti, nahe dem Golf von Aden, unterhält Chinas Marine bereits seit 2017 einen Stützpunkt. In Äquatorialguinea an der afrikanischen Atlantikküste könnte laut US-Angaben der nächste entstehen.
Binnen dreißig Jahren ist China vom zögerlichen Neuling auf der internationalen Bühne zu einem selbstbewussten, zunehmend angriffslustigen Akteur geworden. Welche Strategie dem zugrunde liegt und was das für die Zukunft heißt, untersucht der Politikwissenschaftler Rush Doshi. Es beschreibt den auf Langfristigkeit angelegten Plan der chinesischen Führung, die US-dominierte Weltordnung abzulösen durch eine, die sie selbst wesentlich mitbestimmt.
Den Anstoß dazu gaben drei voneinander unabhängige Ereignisse: 1989 zog das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens Sanktionen nach sich, die Chinas Wirtschaft zu strangulieren drohten. Wenig später zeigte der Zerfall der Sowjetunion, dass kommunistische Staaten untergehen können, wenn sie - Stichwort Wettrüsten - ihr Handeln nicht nach ihren Möglichkeiten ausrichten. Der Golfkrieg 1991 demonstrierte die konkurrenzlose militärische Schlagkraft einer China feindlich gesinnten Macht, nämlich der USA.
Auf diesen dreifachen Schock antwortete Peking mit einer grundsätzlichen Neuausrichtung seiner Außen- und Sicherheitspolitik. Sie fußte auf der Einsicht, dass man es mit der amerikanischen Übermacht nicht direkt aufnehmen konnte, sondern zunächst versuchen musste, ihre Ausbreitung zu verhindern, zumal vor der eigenen Haustür: Das unter Bill Clinton verstärkte Engagement der USA in Ostasien galt es zu hintertreiben.
Der Beitritt zur Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) war ein wichtiger Schritt. Peking sah die Organisation als Versuch, die amerikanische Vormachtstellung im pazifischen Raum auszubauen, und man trat ihr bei, um sowohl das sicherheitspolitische Mandat als auch die ökonomische Agenda von APEC zu beschneiden. Statt einer handlungsfähigen Organisation wollte China einen bloßen Mechanismus für Konsultationen. Dabei war das Land so erfolgreich, dass sich Washington in der Folge auf gesonderte Abkommen mit anderen Mitgliedstaaten verlegte, um die chinesische Blockade innerhalb von APEC zu umgehen.
Auch militärisch verfolgte China eine von Doshi als blunting bezeichnete Strategie der Verhinderung. Rufen der Admiralität nach eigenen Flugzeugträgern - ohne die etwa ein Angriff auf Taiwan unmöglich wäre - kam die Staatsführung nicht nach, sondern setzte eher auf neue Seeminen und U-Boote. Damit wollte sie den Aktionsradius der US-Marine im Pazifischen Ozean begrenzen oder dies im Ernstfall zumindest können.
All dies markiert die erste Phase einer Strategie, die Chinas Führung unter dem unscheinbaren Diktum "Seine Fähigkeiten verstecken und Zeit gewinnen" formulierte. Darin lag sowohl das Gebot der Stunde, sich nicht zu exponieren und angreifbar zu machen, als auch der Hinweis, dass es nur um eine Phase ging: Die gewonnene Zeit galt es zu nutzen, um eine offensivere Politik vorzubereiten.
Illustriert wird dies durch die schließlich doch gestartete Entwicklung chinesischer Flugzeugträger. Die filmreife Geschichte, wie Strohmänner in Pekings Auftrag den ausrangierten russischen Flugzeugträger Varyag erwarben - angeblich, um daraus in Macau ein Spielkasino zu machen -, wird von Doshi ausführlich rekonstruiert. Sie zeigt, dass Geheimhaltung ein wichtiger Teil der Strategie war. Mehrere Jahre lag die Varyag ungenutzt in einem nordchinesischen Hafen. Ingenieure studierten ihr Design, aber den Zeitpunkt für einen Strategiewechsel sah Peking noch nicht gekommen.
Erst 2009 gab Staatschef Hu Jintao das Motto "Aktiv etwas erreichen" aus und deutete damit an, dass China seine Fähigkeiten künftig auch einzusetzen gedachte. War die erste Phase der Strategie eine Reaktion auf die ökonomische und militärische Überlegenheit der USA gewesen, bot die Finanzkrise 2008 die Chance, eine eigene Ordnung aufzubauen; erst im pazifischen Raum, bald auch darüber hinaus. Mit building überschreibt Doshi folglich, wie China in Amerikas Schwächung seine Chance erblickte.
Aus dem Studium der Varyag entstand eine Blaupause, mit der das Land fortan eigene Flugzeugträger produzierte. In Parteikreisen setzte sich das Narrativ durch, dass die USA eine absteigende Macht seien, China hingegen die aufsteigende. Wer das chinesische Supermachtstreben bisher dem amtierenden Staatschef Xi Jinping zugeschrieben hat, sollte mit Doshi einen Blick auf die Amtszeit des Vorgängers Hu Jintao werfen.
Am deutlichsten transportiert den chinesischen Machtanspruch gleichwohl die 2013 von Xi Jinping gestartete Belt and Road Initiative (BRI), unter deren Schirm inzwischen Infrastrukturprojekte auf drei Kontinenten finanziert werden - oft begleitet von Warnungen, die beteiligten ärmeren Länder könnten in eine von China gestellte Schuldenfalle tappen. Nicht zu Unrecht, wie das Beispiel des Hafens von Colombo zeigt, den China über seine Staatsfirmen kontrolliert, nachdem Sri Lanka die aufgenommenen Kredite nicht bedienen konnte. Die Wahl des Ortes verrät wiederum strategisches Kalkül: In Colombo werden dreißig Prozent des indischen Seehandels abgewickelt, was den Hafen zum idealen choke point macht - da, wo man drücken muss, um dem Gegner wehzutun.
Die dritte Phase der chinesischen Strategie begann 2016 mit der Brexit-Abstimmung und der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten. Letzteren preisen seine Anhänger immer noch dafür, dass er "tough on China" gewesen sei und das chinesische Regime in die Schranken gewiesen habe. Das Gegenteil ist richtig, wie Doshi zeigt. Der Rückzug der USA aus internationalen Organisationen und Abkommen schuf Freiräume, die China umgehend zu nutzen verstand. Beispiel UN: Vier von deren fünfzehn Unterorganisationen werden inzwischen von Chinesen geleitet, was dem Land unter anderem dabei hilft, Taiwan zu isolieren und NGOs zu bekämpfen, die Peking zu kritisieren wagen.
Trump und der Brexit haben China ermutigt, sein nationales Interesse noch entschiedener als bisher zu verfolgen, weil sie zeigten, dass die Gegenseite genau das nicht länger vermag. So jedenfalls verstehen chinesische Beobachter den in westlichen Nationen grassierenden Populismus: Er emotionalisiert den politischen Diskurs, vertieft die inneren Gräben und hindert ein Land daran, seine Politikziele rational zu formulieren. Dass Großbritanniens internationale Statur durch den Brexit geschmälert wurde, ist aus chinesischer Sicht völlig klar; wer beim Referendum für Leave gestimmt hat, konnte das entweder nicht erkennen oder fand es sekundär.
Ausgeblendet bleibt in dieser Deutung freilich, dass die Volksrepublik dabei ist, sich auf anderem Weg ein ganz ähnliches Problem einzuhandeln: Je mehr Xi seine Machtposition ausbaut und wichtige Gremien nur noch zum Absegnen seiner Pläne braucht, desto anfälliger wird auch Chinas System für irrationale Entscheidungen. Was dem Mann an der Spitze gefällt, muss der Nation als Ganzem nicht dienlich sein. Vieles spricht schon jetzt dafür, dass sein aggressives Gebaren China zusehends in die Isolation treibt.
Mit der Corona-Krise erreicht "The Long Game" die Gegenwart. Das amerikanische Versagen in der Frühphase der Pandemie hat Pekings Zuversicht, den alten Rivalen bald zu überflügeln, noch einmal kräftig befeuert. Ob es tatsächlich dazu kommt, hält Doshi für eine offene Frage. Sein Buch beschließt er mit Vorschlägen für eine amerikanische Gegenstrategie: Da es langfristig nicht möglich sein wird, mit Chinas enormen Investitionen in seine Machtposition mitzuhalten, sollte Washington ein paar Seiten aus dem Drehbuch des chinesischen Aufstiegs kopieren und versuchen, diesen zu verlangsamen und zu beschränken. Blunting hat ja schon einmal gut funktioniert.
Und Europa? Kommt in Doshis Buch aus gutem Grund kaum vor. Obwohl das Beispiel Litauen die Dringlichkeit jüngst noch einmal verdeutlicht hat, ist die EU von einer gemeinsamen China-Politik weit entfernt. Dabei sollte eins unstrittig sein: Falls sich der Aufstieg der Volksrepublik ebenso fortsetzt wie ihre Neigung, jede Form von Dissens mit überzogenen Drohungen und Sanktionen zu beantworten, werden wir uns schon sehr bald in einer anderen Welt wiederfinden. Chinas Herrscher wollen das, und sie haben einen Plan. Die USA wollen es nicht und arbeiten fieberhaft an einer Antwort. Falls Europa es für seine Strategie hält, nicht zu entscheiden, was es will, sollte es diese schleunigst überdenken. STEPHAN THOME
Rush Doshi: The Long Game. China's Grand Strategy to Displace American Order.
Oxford University Press, Oxford 2021. 336 S., 21,99 £.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rush Doshi skizziert die "Grand Strategy" der chinesischen Außen- und Sicherheitspolitik
Im pandemiegeplagten Deutschland fiel die Meldung kaum auf: Dem "Wall Street Journal" zufolge musste Washington jüngst energisch intervenieren, um den Bau einer Militärbasis zu stoppen, die die Volksrepublik China in den Vereinigten Arabischen Emiraten errichten wollte. Im ostafrikanischen Dschibuti, nahe dem Golf von Aden, unterhält Chinas Marine bereits seit 2017 einen Stützpunkt. In Äquatorialguinea an der afrikanischen Atlantikküste könnte laut US-Angaben der nächste entstehen.
Binnen dreißig Jahren ist China vom zögerlichen Neuling auf der internationalen Bühne zu einem selbstbewussten, zunehmend angriffslustigen Akteur geworden. Welche Strategie dem zugrunde liegt und was das für die Zukunft heißt, untersucht der Politikwissenschaftler Rush Doshi. Es beschreibt den auf Langfristigkeit angelegten Plan der chinesischen Führung, die US-dominierte Weltordnung abzulösen durch eine, die sie selbst wesentlich mitbestimmt.
Den Anstoß dazu gaben drei voneinander unabhängige Ereignisse: 1989 zog das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens Sanktionen nach sich, die Chinas Wirtschaft zu strangulieren drohten. Wenig später zeigte der Zerfall der Sowjetunion, dass kommunistische Staaten untergehen können, wenn sie - Stichwort Wettrüsten - ihr Handeln nicht nach ihren Möglichkeiten ausrichten. Der Golfkrieg 1991 demonstrierte die konkurrenzlose militärische Schlagkraft einer China feindlich gesinnten Macht, nämlich der USA.
Auf diesen dreifachen Schock antwortete Peking mit einer grundsätzlichen Neuausrichtung seiner Außen- und Sicherheitspolitik. Sie fußte auf der Einsicht, dass man es mit der amerikanischen Übermacht nicht direkt aufnehmen konnte, sondern zunächst versuchen musste, ihre Ausbreitung zu verhindern, zumal vor der eigenen Haustür: Das unter Bill Clinton verstärkte Engagement der USA in Ostasien galt es zu hintertreiben.
Der Beitritt zur Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) war ein wichtiger Schritt. Peking sah die Organisation als Versuch, die amerikanische Vormachtstellung im pazifischen Raum auszubauen, und man trat ihr bei, um sowohl das sicherheitspolitische Mandat als auch die ökonomische Agenda von APEC zu beschneiden. Statt einer handlungsfähigen Organisation wollte China einen bloßen Mechanismus für Konsultationen. Dabei war das Land so erfolgreich, dass sich Washington in der Folge auf gesonderte Abkommen mit anderen Mitgliedstaaten verlegte, um die chinesische Blockade innerhalb von APEC zu umgehen.
Auch militärisch verfolgte China eine von Doshi als blunting bezeichnete Strategie der Verhinderung. Rufen der Admiralität nach eigenen Flugzeugträgern - ohne die etwa ein Angriff auf Taiwan unmöglich wäre - kam die Staatsführung nicht nach, sondern setzte eher auf neue Seeminen und U-Boote. Damit wollte sie den Aktionsradius der US-Marine im Pazifischen Ozean begrenzen oder dies im Ernstfall zumindest können.
All dies markiert die erste Phase einer Strategie, die Chinas Führung unter dem unscheinbaren Diktum "Seine Fähigkeiten verstecken und Zeit gewinnen" formulierte. Darin lag sowohl das Gebot der Stunde, sich nicht zu exponieren und angreifbar zu machen, als auch der Hinweis, dass es nur um eine Phase ging: Die gewonnene Zeit galt es zu nutzen, um eine offensivere Politik vorzubereiten.
Illustriert wird dies durch die schließlich doch gestartete Entwicklung chinesischer Flugzeugträger. Die filmreife Geschichte, wie Strohmänner in Pekings Auftrag den ausrangierten russischen Flugzeugträger Varyag erwarben - angeblich, um daraus in Macau ein Spielkasino zu machen -, wird von Doshi ausführlich rekonstruiert. Sie zeigt, dass Geheimhaltung ein wichtiger Teil der Strategie war. Mehrere Jahre lag die Varyag ungenutzt in einem nordchinesischen Hafen. Ingenieure studierten ihr Design, aber den Zeitpunkt für einen Strategiewechsel sah Peking noch nicht gekommen.
Erst 2009 gab Staatschef Hu Jintao das Motto "Aktiv etwas erreichen" aus und deutete damit an, dass China seine Fähigkeiten künftig auch einzusetzen gedachte. War die erste Phase der Strategie eine Reaktion auf die ökonomische und militärische Überlegenheit der USA gewesen, bot die Finanzkrise 2008 die Chance, eine eigene Ordnung aufzubauen; erst im pazifischen Raum, bald auch darüber hinaus. Mit building überschreibt Doshi folglich, wie China in Amerikas Schwächung seine Chance erblickte.
Aus dem Studium der Varyag entstand eine Blaupause, mit der das Land fortan eigene Flugzeugträger produzierte. In Parteikreisen setzte sich das Narrativ durch, dass die USA eine absteigende Macht seien, China hingegen die aufsteigende. Wer das chinesische Supermachtstreben bisher dem amtierenden Staatschef Xi Jinping zugeschrieben hat, sollte mit Doshi einen Blick auf die Amtszeit des Vorgängers Hu Jintao werfen.
Am deutlichsten transportiert den chinesischen Machtanspruch gleichwohl die 2013 von Xi Jinping gestartete Belt and Road Initiative (BRI), unter deren Schirm inzwischen Infrastrukturprojekte auf drei Kontinenten finanziert werden - oft begleitet von Warnungen, die beteiligten ärmeren Länder könnten in eine von China gestellte Schuldenfalle tappen. Nicht zu Unrecht, wie das Beispiel des Hafens von Colombo zeigt, den China über seine Staatsfirmen kontrolliert, nachdem Sri Lanka die aufgenommenen Kredite nicht bedienen konnte. Die Wahl des Ortes verrät wiederum strategisches Kalkül: In Colombo werden dreißig Prozent des indischen Seehandels abgewickelt, was den Hafen zum idealen choke point macht - da, wo man drücken muss, um dem Gegner wehzutun.
Die dritte Phase der chinesischen Strategie begann 2016 mit der Brexit-Abstimmung und der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten. Letzteren preisen seine Anhänger immer noch dafür, dass er "tough on China" gewesen sei und das chinesische Regime in die Schranken gewiesen habe. Das Gegenteil ist richtig, wie Doshi zeigt. Der Rückzug der USA aus internationalen Organisationen und Abkommen schuf Freiräume, die China umgehend zu nutzen verstand. Beispiel UN: Vier von deren fünfzehn Unterorganisationen werden inzwischen von Chinesen geleitet, was dem Land unter anderem dabei hilft, Taiwan zu isolieren und NGOs zu bekämpfen, die Peking zu kritisieren wagen.
Trump und der Brexit haben China ermutigt, sein nationales Interesse noch entschiedener als bisher zu verfolgen, weil sie zeigten, dass die Gegenseite genau das nicht länger vermag. So jedenfalls verstehen chinesische Beobachter den in westlichen Nationen grassierenden Populismus: Er emotionalisiert den politischen Diskurs, vertieft die inneren Gräben und hindert ein Land daran, seine Politikziele rational zu formulieren. Dass Großbritanniens internationale Statur durch den Brexit geschmälert wurde, ist aus chinesischer Sicht völlig klar; wer beim Referendum für Leave gestimmt hat, konnte das entweder nicht erkennen oder fand es sekundär.
Ausgeblendet bleibt in dieser Deutung freilich, dass die Volksrepublik dabei ist, sich auf anderem Weg ein ganz ähnliches Problem einzuhandeln: Je mehr Xi seine Machtposition ausbaut und wichtige Gremien nur noch zum Absegnen seiner Pläne braucht, desto anfälliger wird auch Chinas System für irrationale Entscheidungen. Was dem Mann an der Spitze gefällt, muss der Nation als Ganzem nicht dienlich sein. Vieles spricht schon jetzt dafür, dass sein aggressives Gebaren China zusehends in die Isolation treibt.
Mit der Corona-Krise erreicht "The Long Game" die Gegenwart. Das amerikanische Versagen in der Frühphase der Pandemie hat Pekings Zuversicht, den alten Rivalen bald zu überflügeln, noch einmal kräftig befeuert. Ob es tatsächlich dazu kommt, hält Doshi für eine offene Frage. Sein Buch beschließt er mit Vorschlägen für eine amerikanische Gegenstrategie: Da es langfristig nicht möglich sein wird, mit Chinas enormen Investitionen in seine Machtposition mitzuhalten, sollte Washington ein paar Seiten aus dem Drehbuch des chinesischen Aufstiegs kopieren und versuchen, diesen zu verlangsamen und zu beschränken. Blunting hat ja schon einmal gut funktioniert.
Und Europa? Kommt in Doshis Buch aus gutem Grund kaum vor. Obwohl das Beispiel Litauen die Dringlichkeit jüngst noch einmal verdeutlicht hat, ist die EU von einer gemeinsamen China-Politik weit entfernt. Dabei sollte eins unstrittig sein: Falls sich der Aufstieg der Volksrepublik ebenso fortsetzt wie ihre Neigung, jede Form von Dissens mit überzogenen Drohungen und Sanktionen zu beantworten, werden wir uns schon sehr bald in einer anderen Welt wiederfinden. Chinas Herrscher wollen das, und sie haben einen Plan. Die USA wollen es nicht und arbeiten fieberhaft an einer Antwort. Falls Europa es für seine Strategie hält, nicht zu entscheiden, was es will, sollte es diese schleunigst überdenken. STEPHAN THOME
Rush Doshi: The Long Game. China's Grand Strategy to Displace American Order.
Oxford University Press, Oxford 2021. 336 S., 21,99 £.
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