The American master's first novel since Winter's Bone tells of a deadly dance hall fire and its impact over several generations. Alma DeGeer Dunahew, the mother of three young boys, works as the maid for a prominent citizen and his family in West Table, Missouri. Her husband is mostly absent, and, in 1929, her scandalous, beloved younger sister is one of the 42 killed in an explosion at the local dance hall. Who is to blame? Mobsters from St. Louis? The embittered local gypsies? The preacher who railed against the loose morals of the waltzing couples? Or could it have been a colossal accident? Alma thinks she knows the answer-and that its roots lie in a dangerous love affair. Her dogged pursuit of justice makes her an outcast and causes a long-standing rift with her own son. By telling her story to her grandson, she finally gains some solace-and peace for her sister. He is advised to "Tell it. Go on and tell it"-tell the story of his family's struggles, suspicions, secrets, and triumphs.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2014Dieser Kleinstadt entkommt keiner
Die Explosion war meilenweit zu hören, sie tötete Dutzende Unschuldige, die beim Tanzen waren. Daniel Woodrell nimmt uns gefangen mit einem bis heute ungesühnten Fall.
Am 13. April 1928 flog in West Plains, Missouri eine Tanzhalle in die Luft. Siebenunddreißig Tote, zwanzig so zerfetzt, dass sie nicht identifiziert werden konnten, zweiundzwanzig Schwerverletzte waren zu beklagen; wie es zu der Explosion kam, ist bis heute Gegenstand von Spekulationen. Möglicherweise ein Selbstmord des Automechanikers, dessen Werkstatt unter dem Tanzlokal lag.
Das 12000 Einwohner zählende Städtchen West Plains ist die Heimat des Schriftstellers Daniel Woodrell, einem der besten Krimiautoren, die zurzeit unterwegs sind. Auch mit seinem neunten Roman - dem ersten seit dem auch verfilmten Roman "Winters Knochen" von 2006 - bleibt er also einem seiner Stammgelände treu. Der 1953 geborene Nachfahre irisch-schottischer Einwanderer ist zum Dichter der Ozarks geworden, einem Hochplateau in den Bergen Missouris. Hier leben die nicht so glanzvollen Amerikaner, der white trash, zumal in der Zeit, in der Woodrell seinen Roman "In Almas Augen" spielen lässt, während der Großen Depression (bei Woodrell findet die Explosion 1929 in einem Ort namens West Table statt). Für die Titelheldin hat sich der Autor bei seiner Großmutter bedient, die zum Tatzeitpunkt dort als Dienstmädchen arbeitete.
Im Roman wie im richtigen Leben ist das Ereignis nie aus dem kollektiven Bewusstsein der Kleinstadt verschwunden. Vom Täter fehlt auch Jahrzehnte später jede Spur, auch ein Motiv ist nicht erkennbar. Gleichwohl gibt es zunächst jede Menge Verdächtige sowie eine Reihe von Bürgern, die sich selbst bezichtigen - so tief ist die Wunde, so traumatisierend, dass sie Jahrzehnte nicht verheilen will. Verstrickt sind in West Table alle, familiär, geschäftlich, nachbarschaftlich.
Traumatisiert ist auch Alma DeGeer Dunahew, die bei der Explosion ihre Schwester Ruby verlor. Und im Gegensatz zu allen anderen, weiß Alma, was sich zugetragen hat, oder zumindest glaubt sie, im Besitz der Wahrheit zu sein. Es dauert viele Jahre, bis sie scheibchenweise mit ihrer Version der Geschichte herausrückt. Sie tut es gegenüber ihrem zwölfjährigen Enkel Alek, im Sommer 1965. Die alte Frau mit ihrem bodenlangen Haar ist Alek unheimlich, aber auch er erkennt im Rückblick: "Alma DeGeer Dunahew war mit ihrer verkniffenen, feindlichen Natur, ihren dunklen Obsessionen und ihrem grundlegenden Verlangen nach Rache das große rote Herz unserer Familie, das wir geheim hielten und das uns Kraft gab."
Alek fungiert denn auch als Ich-Erzähler, kommt aber nur unregelmäßig zum Einsatz, weil Woodrell das Pferd multiperspektivisch von einem allwissenden Erzähler aufzäumen lässt. Der sieht von unten und oben auf das weitläufige Personal dieser Geschichte, blickt in Familienabgründe, in Leidenschaften, Gier, Armut, Hunger und die ungleiche Verteilung irdischer Güter in West Table. Wie so viele Kleinstädte ist das Städtchen zur Beute weniger einflussreicher und finanzstarker Clans geworden, die sich ohne politische Legitimation anmaßen, die Geschicke ihrer Mitmenschen zu bestimmen. Sie stellen sicher, dass der amerikanische Traum nur ein Köder bleibt, den die Leute schlucken, bevor sie begreifen, dass sie am Haken hängen.
Woodrells Romane hat man mit den Etiketten "southern noir" oder "country noir" belegt, der Autor selbst kann mit solchen Zuschreibungen wenig anfangen. Dass seine Bücher dem Genre zugeschlagen werden, zeigt nur, wie dehnbar der Magen heutiger Krimileser ist. Handelt es sich doch vielmehr um ein historisches Gesellschaftsporträt. Dass es von der ersten bis zur letzten Seite spannend nicht an Zug verliert, verdankt sich dem Können eines Autors, der schon mal in die Nachfolge Faulkners gerückt wird. Woodrell kann kurze, trickreiche Plots, und er kann verdichten, weil er Poesie und Umgangssprache zu einem Sound verknüpft, der einen hohen Wiedererkennungswert hat. Gleich auf der ersten Seite beschreibt Woodrell Almas Haare, die sie sich, nachdem sie vorübergehend dem Irrsinn anheimgefallen war, nie mehr schnitt: "Das Haar war weiß, mit Grau verschmiert, die Farbe einer Zeitung, die im Regen liegt, bis die Schlagzeilen über das Papier geflossen sind."
Die einfältige und die durchtriebene Schwester - da klingen auch Märchenmotive an. Alma, die Dienstmagd, Ruby, das leichte Mädchen, das sich von wechselnden Männern aushalten lässt und das "Romantik" und nicht Prostitution nennt. Dass Ruby Arthur Glenncross um den Verstand bringt, den örtlichen Bankdirektor, in dessen Diensten Alma steht, hat sehr viel mit dem Ausgang der Geschichte zu tun, die sich um die Täterfrage lange Zeit nicht zu kümmern scheint.
Für die schmalen, großen Romane von Daniel Woodrell aber gilt, was sein Erzähler Alek über Alma sagt: "Sie setzte mir Bilder in den Kopf, wo sie epische Ausmaße annahmen und nie mehr verblassten."
HANNES HINTERMEIER
Daniel Woodrell: "In Almas Augen". Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2014. 192 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Explosion war meilenweit zu hören, sie tötete Dutzende Unschuldige, die beim Tanzen waren. Daniel Woodrell nimmt uns gefangen mit einem bis heute ungesühnten Fall.
Am 13. April 1928 flog in West Plains, Missouri eine Tanzhalle in die Luft. Siebenunddreißig Tote, zwanzig so zerfetzt, dass sie nicht identifiziert werden konnten, zweiundzwanzig Schwerverletzte waren zu beklagen; wie es zu der Explosion kam, ist bis heute Gegenstand von Spekulationen. Möglicherweise ein Selbstmord des Automechanikers, dessen Werkstatt unter dem Tanzlokal lag.
Das 12000 Einwohner zählende Städtchen West Plains ist die Heimat des Schriftstellers Daniel Woodrell, einem der besten Krimiautoren, die zurzeit unterwegs sind. Auch mit seinem neunten Roman - dem ersten seit dem auch verfilmten Roman "Winters Knochen" von 2006 - bleibt er also einem seiner Stammgelände treu. Der 1953 geborene Nachfahre irisch-schottischer Einwanderer ist zum Dichter der Ozarks geworden, einem Hochplateau in den Bergen Missouris. Hier leben die nicht so glanzvollen Amerikaner, der white trash, zumal in der Zeit, in der Woodrell seinen Roman "In Almas Augen" spielen lässt, während der Großen Depression (bei Woodrell findet die Explosion 1929 in einem Ort namens West Table statt). Für die Titelheldin hat sich der Autor bei seiner Großmutter bedient, die zum Tatzeitpunkt dort als Dienstmädchen arbeitete.
Im Roman wie im richtigen Leben ist das Ereignis nie aus dem kollektiven Bewusstsein der Kleinstadt verschwunden. Vom Täter fehlt auch Jahrzehnte später jede Spur, auch ein Motiv ist nicht erkennbar. Gleichwohl gibt es zunächst jede Menge Verdächtige sowie eine Reihe von Bürgern, die sich selbst bezichtigen - so tief ist die Wunde, so traumatisierend, dass sie Jahrzehnte nicht verheilen will. Verstrickt sind in West Table alle, familiär, geschäftlich, nachbarschaftlich.
Traumatisiert ist auch Alma DeGeer Dunahew, die bei der Explosion ihre Schwester Ruby verlor. Und im Gegensatz zu allen anderen, weiß Alma, was sich zugetragen hat, oder zumindest glaubt sie, im Besitz der Wahrheit zu sein. Es dauert viele Jahre, bis sie scheibchenweise mit ihrer Version der Geschichte herausrückt. Sie tut es gegenüber ihrem zwölfjährigen Enkel Alek, im Sommer 1965. Die alte Frau mit ihrem bodenlangen Haar ist Alek unheimlich, aber auch er erkennt im Rückblick: "Alma DeGeer Dunahew war mit ihrer verkniffenen, feindlichen Natur, ihren dunklen Obsessionen und ihrem grundlegenden Verlangen nach Rache das große rote Herz unserer Familie, das wir geheim hielten und das uns Kraft gab."
Alek fungiert denn auch als Ich-Erzähler, kommt aber nur unregelmäßig zum Einsatz, weil Woodrell das Pferd multiperspektivisch von einem allwissenden Erzähler aufzäumen lässt. Der sieht von unten und oben auf das weitläufige Personal dieser Geschichte, blickt in Familienabgründe, in Leidenschaften, Gier, Armut, Hunger und die ungleiche Verteilung irdischer Güter in West Table. Wie so viele Kleinstädte ist das Städtchen zur Beute weniger einflussreicher und finanzstarker Clans geworden, die sich ohne politische Legitimation anmaßen, die Geschicke ihrer Mitmenschen zu bestimmen. Sie stellen sicher, dass der amerikanische Traum nur ein Köder bleibt, den die Leute schlucken, bevor sie begreifen, dass sie am Haken hängen.
Woodrells Romane hat man mit den Etiketten "southern noir" oder "country noir" belegt, der Autor selbst kann mit solchen Zuschreibungen wenig anfangen. Dass seine Bücher dem Genre zugeschlagen werden, zeigt nur, wie dehnbar der Magen heutiger Krimileser ist. Handelt es sich doch vielmehr um ein historisches Gesellschaftsporträt. Dass es von der ersten bis zur letzten Seite spannend nicht an Zug verliert, verdankt sich dem Können eines Autors, der schon mal in die Nachfolge Faulkners gerückt wird. Woodrell kann kurze, trickreiche Plots, und er kann verdichten, weil er Poesie und Umgangssprache zu einem Sound verknüpft, der einen hohen Wiedererkennungswert hat. Gleich auf der ersten Seite beschreibt Woodrell Almas Haare, die sie sich, nachdem sie vorübergehend dem Irrsinn anheimgefallen war, nie mehr schnitt: "Das Haar war weiß, mit Grau verschmiert, die Farbe einer Zeitung, die im Regen liegt, bis die Schlagzeilen über das Papier geflossen sind."
Die einfältige und die durchtriebene Schwester - da klingen auch Märchenmotive an. Alma, die Dienstmagd, Ruby, das leichte Mädchen, das sich von wechselnden Männern aushalten lässt und das "Romantik" und nicht Prostitution nennt. Dass Ruby Arthur Glenncross um den Verstand bringt, den örtlichen Bankdirektor, in dessen Diensten Alma steht, hat sehr viel mit dem Ausgang der Geschichte zu tun, die sich um die Täterfrage lange Zeit nicht zu kümmern scheint.
Für die schmalen, großen Romane von Daniel Woodrell aber gilt, was sein Erzähler Alek über Alma sagt: "Sie setzte mir Bilder in den Kopf, wo sie epische Ausmaße annahmen und nie mehr verblassten."
HANNES HINTERMEIER
Daniel Woodrell: "In Almas Augen". Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2014. 192 S., geb., 16,90 [Euro].
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