Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2023Das allumfassende Metaversum
Über eine Zukunftsvision und deren Potential
Matthew Ball ist definitiv ein Apostel. Seine Vorstellungen vom Metaversum sind groß. Von Schulklassen, die durch den menschlichen Körper reisen können bis zum Eintauchen in dreidimensionale Digitalräume, in denen man mit Superhelden die Welt retten kann. Das real anmutende Geschäftstreffen im virtuellen Raum gibt es natürlich auch in seiner Vision. Aber wenn er ein Apostel ist, predigt er zumindest nicht allein. Größen der Computer- und Videospielindustrie wie Nvidia-Chef Jensen Huang oder Epic-Games-Chef Tim Sweeney messen dem kommenden Metaversum große Bedeutung zu. Auch die Unternehmensberatung McKinsey hat für die Wirtschaft im Metaversum bis 2030 einen Gesamtwert von 5 Billionen Dollar prognostiziert.
Ball selbst ist Autor und Investor. Vormals war er Strategiechef des Medienarmes Amazon Studios des Onlineversandhändlers. Auf seiner Webseite schreibt er über die wirtschaftliche Bedeutung des Videospielsektors und darüber, wie das Metaversum "alles revolutionieren wird". Aus den Essays, die dort erscheinen, erwuchs sein Buch "Das Metaverse".
Das Wichtigste, was Ball mit seiner Schrift leistet, ist wahrscheinlich die Definition des Wortes "Metaversum", das eigentlich der dystopischen Zukunftsphantasie "Snow Crash" des Science-Fiction-Autoren Neal Stephenson entspringt. Dort war das Metaversum ein virtueller Raum, in den sich Menschen flüchteten, um der düsteren Realität zu entkommen. Ball spricht vom Metaversum als "massiv skaliertes und interoperables Netzwerk von in Echtzeit gerenderten virtuellen 3D-Welten, die synchron und dauerhaft von einer praktisch unbegrenzten Anzahl von Nutzern mit einem individuellen Gefühl der Präsenz und mit einer Kontinuität der Daten wie Identität, Geschichte, Berechtigungen, Objekte, Kommunikation und Zahlungen erlebt werden können".
Infolge der Definition macht er sich daran, deren Einzelteile zu erklären. Und er fragt: Was ist notwendig, um das Metaversum herbeizuführen? Vor allem wird eine enorme Rechenleistung gebraucht, um ein Metaversum, in dem sich tatsächlich unbegrenzt viele Nutzer ständig bewegen können, zu betreiben. Daneben braucht es große Bandbreiten der Internetverbindungen und schnellen Datenverkehr. Zudem wird erschwingliche Hardware nötig sein, mit der möglichst viele Menschen das Metaversum betreten können. Die Brillen für virtuelle Realität (VR), die im Moment am Markt verfügbar sind, hält er noch für zu teuer und wenig verbreitet.
Ball zieht zudem Parallelen zwischen der Entstehung des Internets in seiner heutigen Form und der Entstehung des Metaversums. Für das Internet war entscheidend, dass Regierungen und regierungsunabhängige Organisationen zusammengearbeitet und offene Standards für die Datenübertragung festgelegt haben. Etwas Ähnliches würde er sich übertragen auf das Metaversum für die Interoperabilität verschiedener virtueller Welten wünschen. Etwa damit sich digitale Besitztümer wie Kleidung oder spezielle Bewegungen des digitalen Konterfeis einfach von einer virtuellen Welt in die andere übertragen lassen.
Im Weg stehen einer solchen Entwicklung die Unternehmen, die an den Technologien für das Metaversum arbeiten. Ball nennt zum Beispiel Apple und Sony als Spieler im Metaversum, die stark auf geschlossene Systeme setzen. Damit schützen sie ihre eigenen Geschäftsmodelle und halten Entwickler in ihrer Gebührenstruktur, die den Nutzern eher zum Nachteil gelangt.
Trotz aller Hindernisse zieht sich durch das Buch ein grimmer Optimismus. Ball nimmt in Kauf, dass sein Ideal eines offenen Metaversums nicht zustande kommen wird, da zu viele Geschäftsinteressen und Vorstellungen einzelner Regierungen wie der Amerikas und Chinas gegeneinanderstehen. Aber dass eine oder mehrere Versionen des Metaversums kommen werden, dessen ist er sich sicher. Dafür nehmen das Wort im Moment zu viele Unternehmenslenker und Politiker gleichzeitig in den Mund. Der Facebook-Konzern Meta sieht in der Vision gar seine gesamte Zukunft.
An manchen Stellen, an denen Ball über die momentanen und künftigen Spieler in der Wirtschaft des Metaversums schreibt, liest sich sein Buch wie ein Ratgeber für Investoren. Egal ob Unternehmen Hardware, Software oder Infrastruktur entwickeln - er gibt viele Beispiele für Kandidaten, die in Zukunft im Metaversum selbst glänzen können oder an dessen Unterstützung verdienen werden. Und er nennt jene, die schlecht dafür aufgestellt sind.
Das Leseerlebnis wird durch eine mangelhafte deutsche Übersetzung getrübt. Der ein oder andere Rechtschreibfehler wäre zu verkraften, aber Grammatikfehler sowie schiefe Sprachbilder und falsch übersetzte Vokabeln lassen den Leser immer wieder stocken. Auf Nachfrage der F.A.Z. gibt der Verlag an, eine Übersetzung im Haus angefertigt zu haben, um möglichst nah am Veröffentlichungszeitpunkt der Originalausgabe zu liegen.
Das Argument immerhin ist schlüssig: Einige Informationen im Buch sind schon veraltet. Zum Beispiel ist der von Ball oft genannte John Carmack nicht mehr Chefberater in Sachen VR bei Meta, sondern befasst sich in seinem Start-up Keen Technologies mit Künstlicher Intelligenz. Allein das zeigt vielleicht: Das Thema Metaversum atmet und bewegt sich schnell. Ball liefert solide Grundlagen über die neue technologische Entwicklung. GREGOR BRUNNER
Matthew Ball: Das Metaverse. Und wie es alles revolutionieren wird, Franz Vahlen, München 2022, 328 Seiten, 25 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über eine Zukunftsvision und deren Potential
Matthew Ball ist definitiv ein Apostel. Seine Vorstellungen vom Metaversum sind groß. Von Schulklassen, die durch den menschlichen Körper reisen können bis zum Eintauchen in dreidimensionale Digitalräume, in denen man mit Superhelden die Welt retten kann. Das real anmutende Geschäftstreffen im virtuellen Raum gibt es natürlich auch in seiner Vision. Aber wenn er ein Apostel ist, predigt er zumindest nicht allein. Größen der Computer- und Videospielindustrie wie Nvidia-Chef Jensen Huang oder Epic-Games-Chef Tim Sweeney messen dem kommenden Metaversum große Bedeutung zu. Auch die Unternehmensberatung McKinsey hat für die Wirtschaft im Metaversum bis 2030 einen Gesamtwert von 5 Billionen Dollar prognostiziert.
Ball selbst ist Autor und Investor. Vormals war er Strategiechef des Medienarmes Amazon Studios des Onlineversandhändlers. Auf seiner Webseite schreibt er über die wirtschaftliche Bedeutung des Videospielsektors und darüber, wie das Metaversum "alles revolutionieren wird". Aus den Essays, die dort erscheinen, erwuchs sein Buch "Das Metaverse".
Das Wichtigste, was Ball mit seiner Schrift leistet, ist wahrscheinlich die Definition des Wortes "Metaversum", das eigentlich der dystopischen Zukunftsphantasie "Snow Crash" des Science-Fiction-Autoren Neal Stephenson entspringt. Dort war das Metaversum ein virtueller Raum, in den sich Menschen flüchteten, um der düsteren Realität zu entkommen. Ball spricht vom Metaversum als "massiv skaliertes und interoperables Netzwerk von in Echtzeit gerenderten virtuellen 3D-Welten, die synchron und dauerhaft von einer praktisch unbegrenzten Anzahl von Nutzern mit einem individuellen Gefühl der Präsenz und mit einer Kontinuität der Daten wie Identität, Geschichte, Berechtigungen, Objekte, Kommunikation und Zahlungen erlebt werden können".
Infolge der Definition macht er sich daran, deren Einzelteile zu erklären. Und er fragt: Was ist notwendig, um das Metaversum herbeizuführen? Vor allem wird eine enorme Rechenleistung gebraucht, um ein Metaversum, in dem sich tatsächlich unbegrenzt viele Nutzer ständig bewegen können, zu betreiben. Daneben braucht es große Bandbreiten der Internetverbindungen und schnellen Datenverkehr. Zudem wird erschwingliche Hardware nötig sein, mit der möglichst viele Menschen das Metaversum betreten können. Die Brillen für virtuelle Realität (VR), die im Moment am Markt verfügbar sind, hält er noch für zu teuer und wenig verbreitet.
Ball zieht zudem Parallelen zwischen der Entstehung des Internets in seiner heutigen Form und der Entstehung des Metaversums. Für das Internet war entscheidend, dass Regierungen und regierungsunabhängige Organisationen zusammengearbeitet und offene Standards für die Datenübertragung festgelegt haben. Etwas Ähnliches würde er sich übertragen auf das Metaversum für die Interoperabilität verschiedener virtueller Welten wünschen. Etwa damit sich digitale Besitztümer wie Kleidung oder spezielle Bewegungen des digitalen Konterfeis einfach von einer virtuellen Welt in die andere übertragen lassen.
Im Weg stehen einer solchen Entwicklung die Unternehmen, die an den Technologien für das Metaversum arbeiten. Ball nennt zum Beispiel Apple und Sony als Spieler im Metaversum, die stark auf geschlossene Systeme setzen. Damit schützen sie ihre eigenen Geschäftsmodelle und halten Entwickler in ihrer Gebührenstruktur, die den Nutzern eher zum Nachteil gelangt.
Trotz aller Hindernisse zieht sich durch das Buch ein grimmer Optimismus. Ball nimmt in Kauf, dass sein Ideal eines offenen Metaversums nicht zustande kommen wird, da zu viele Geschäftsinteressen und Vorstellungen einzelner Regierungen wie der Amerikas und Chinas gegeneinanderstehen. Aber dass eine oder mehrere Versionen des Metaversums kommen werden, dessen ist er sich sicher. Dafür nehmen das Wort im Moment zu viele Unternehmenslenker und Politiker gleichzeitig in den Mund. Der Facebook-Konzern Meta sieht in der Vision gar seine gesamte Zukunft.
An manchen Stellen, an denen Ball über die momentanen und künftigen Spieler in der Wirtschaft des Metaversums schreibt, liest sich sein Buch wie ein Ratgeber für Investoren. Egal ob Unternehmen Hardware, Software oder Infrastruktur entwickeln - er gibt viele Beispiele für Kandidaten, die in Zukunft im Metaversum selbst glänzen können oder an dessen Unterstützung verdienen werden. Und er nennt jene, die schlecht dafür aufgestellt sind.
Das Leseerlebnis wird durch eine mangelhafte deutsche Übersetzung getrübt. Der ein oder andere Rechtschreibfehler wäre zu verkraften, aber Grammatikfehler sowie schiefe Sprachbilder und falsch übersetzte Vokabeln lassen den Leser immer wieder stocken. Auf Nachfrage der F.A.Z. gibt der Verlag an, eine Übersetzung im Haus angefertigt zu haben, um möglichst nah am Veröffentlichungszeitpunkt der Originalausgabe zu liegen.
Das Argument immerhin ist schlüssig: Einige Informationen im Buch sind schon veraltet. Zum Beispiel ist der von Ball oft genannte John Carmack nicht mehr Chefberater in Sachen VR bei Meta, sondern befasst sich in seinem Start-up Keen Technologies mit Künstlicher Intelligenz. Allein das zeigt vielleicht: Das Thema Metaversum atmet und bewegt sich schnell. Ball liefert solide Grundlagen über die neue technologische Entwicklung. GREGOR BRUNNER
Matthew Ball: Das Metaverse. Und wie es alles revolutionieren wird, Franz Vahlen, München 2022, 328 Seiten, 25 Euro.
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