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In 1945, an improbable relationship between the fallen Reichsmarschall, Hermann Goering, and ambitious US Army physician, Douglas Kelley, becomes a hazardous quest into the nature of evil, amid the devastation of Europe at the end of World War II

Produktbeschreibung
In 1945, an improbable relationship between the fallen Reichsmarschall, Hermann Goering, and ambitious US Army physician, Douglas Kelley, becomes a hazardous quest into the nature of evil, amid the devastation of Europe at the end of World War II
Autorenporträt
Jack El-Hai is an author and journalist who has written for The Atlantic, Smithsonian, GQ, Wired, Scientific American, Discover, and many other publications. His books, including The Lobotomist, The Lost Brothers, and Face in the Mirror, have been translated into twenty foreign languages. He often gives lectures and workshops on writing and medical history, and he publishes the Damn History newsletter for readers and writers of history.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2014

Göring gefiel ihm besonders gut

Der amerikanische Psychiater Douglas M. Kelley untersuchte 1947 die inhaftierten NS-Größen. Sein Befund: ganz normale Verbrecher. Jack El-Hai erzählt Kelleys tragische Geschichte.

Am Neujahrstag 1958 stritt sich Douglas M. Kelley in der Küche mit seiner Frau, stürmte hinauf in den ersten Stock seiner kalifornischen Villa, zerbrach dabei eine Glastür, deren Scherben ins Erdgeschoss prasselten, erschien dann mit Zyankali in der Hand auf der Treppe wieder. Vor den Augen seiner Gattin, seines Vaters und seiner drei kleinen Kinder schluckte er das Gift und starb. Mit der dramatischen Selbsttötung des Protagonisten beginnt Jack El-Hai sein packendes Buch über die Lebensgeschichte des in den Vereinigten Staaten zu Lebzeiten weithin bekannten Militärpsychiaters.

Das Buch ist vieles zugleich - eine Familienbiographie der Kelleys, eine Studie über die Nachkriegsgeschichte der Psychiatrie, ihrer Methoden und Deutungskontroversen und eine Erzählung von den Anfängen des Nürnberger Prozesses. Denn Douglas M. Kelley war im luxemburgischen Bad Mondorf und später im Gefängnis in Nürnberg damit betraut, die psychische Gesundheit von Göring und Konsorten zu prüfen und sicherzustellen, dass den Hauptangeklagten des Internationalen Militärtribunals der Prozess gemacht werden konnte.

Der vor Ehrgeiz strotzende junge Mediziner, der bereits psychiatrische Kliniken für kriegstraumatisierte Soldaten geleitet hatte, machte sich im Sommer 1945 mit Eifer an die Sache. Die Nürnberger Gefangenen galten als Jahrhundertverbrecher, und Kelley, von seinen Kollegen um den Job beneidet, nahm sich vor, nicht nur den Auftrag des amerikanischen Militärs zu erfüllen, sondern auch eigene wissenschaftliche Studien zu betreiben. Herausfinden wollte er, ob es so etwas wie eine "NS-Persönlichkeit" gab.

Psychische Erkrankungen wurden in der zeitgenössischen Psychiatrie auf biologische Ursachen zurückgeführt; dass die eingesperrten Täter vom Normalzustand abwichen, also krank waren, schien offensichtlich. So suchte Kelley nach Antworten auf die Fragen, die ihn und seine Disziplin umtrieben: Waren die Nürnberger Gefangenen auf besondere Weise anfällig für das Böse? Hatte sie womöglich eine Geisteskrankheit befallen? Ließ sich mithin ein psychisches Defizit feststellen, das ihnen allen gemeinsam war? Um Einblick in ihre Psyche zu gewinnen, führte er in aufwendigen Gesprächssitzungen den Rorschachtest durch, wandte das Verfahren der Allgemeinen Semantik an und andere damals moderne Methoden.

Ziel war es, dem Erfolg des Nationalsozialismus auf den Grund zu gehen, um präventiv weitere Gewaltregime verhindern zu können. Das Nürnberger Gefängnis wurde Kelley dafür, wie der Autor schreibt, "zum einzigartigen Laboratorium". Besonders mit Göring befasste sich der Psychiater intensiv. Von ihm fühlte er sich zwar abgestoßen, war aber auch fasziniert. Hoher Geltungsdrang und eine ausgeprägte Neigung zu Egoismus und Exzentrik war beiden Männern eigen, was wohl der Grund dafür war, dass sie aneinander Gefallen fanden.

Vom Nazi und seinem Psychiater zeichnet Jack El-Hai denn auch höchst gekonnt ein Doppelporträt. Der Wissenschaftsjournalist versteht es, fesselnd zu schreiben. In zehn Kapiteln schildert er, was Nazi und Psychiater verband. Dabei ist nicht neu, was er über die Nürnberger Gefangenen zu erzählen hat. Die psychiatrischen Studien des amerikanischen Militärs sind seit Gustave Mark Gilberts "Nürnberger Tagebuch" bekannt, das 1947 im amerikanischen Original und Anfang der sechziger Jahre auch in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Der Psychologe Gilbert war Kelleys Untergebener und sein ärgster Konkurrent, dem Kelley den wissenschaftlichen Ruhm über die Erkenntnisse zur nationalsozialistischen Psyche nicht gönnte, so dass er das Buch, das sie zunächst noch gemeinsam hatten schreiben wollen, am Ende allein verfasste. "22 Männer um Hitler" lautete dessen Titel; es erschien ebenfalls 1947, noch vor Gilberts Werk und ging sogleich in die zweite Auflage. Kelley kam darin zu dem in der psychiatrischen Wissenschaft für verblüffend erachteten Schluss, dass es keine spezifische NS-Psyche gebe, sondern die Verbrecher des Dritten Reiches so "normal" wie jeder andere seien.

Göring beispielsweise sei von Macht- und Habgier getrieben, Gewissensbisse habe er nie gekannt. Ehrgeizige und gerissene Politiker und Manager, so Kelley, agierten in der Gegenwart oftmals nicht anders, kurz: Die NS-Verbrecher seien nichts als durchschnittliche Leute, und ein verbrecherischer Staat wie der deutsche sei auch anderswo denkbar, gerade in den Vereinigten Staaten. Diese Befunde machten Kelley weithin bekannt und trugen ihm im Alter von 37 Jahren einen Lehrstuhl an der Universität von Berkeley ein. Er verstand es, sein Publikum in Bann zu halten, in Vorträgen, Radiosendungen und Fernsehshows.

Für Polizei und Justiz war er als Berater tätig, er erfand Wahrheitsseren und stellte seine Expertise selbst Hollywood zur Verfügung - der Tausendsassa verstand es, sich in Szene zu setzen. Sein Widersacher war der Auffassung, die NS-Täter seien psychisch durchaus höchst auffällig. Gilbert stand nie in ähnlicher Weise im Rampenlicht. Der Streit um die richtige Interpretation der psychiatrischen Testergebnisse von Nürnberg zog sich noch jahrzehntelang hin.

Jack El-Hai muss gar nichts Neues über die Prozessangeklagten berichten, um ein höchst lesenswertes Buch zu schreiben. Er hat allerlei Archivrecherchen angestellt und Dokumente gesichtet. Als Grundlage dient ihm die bislang nicht ausgewertete Sammlung, die Kelley hinterlassen hat: die Gesprächsnotizen, Testaufzeichnungen und Krankenberichte aus Nürnberg. Das Archiv des Psychiaters, der Göring auf Entzug gesetzt und von seiner Medikamentensucht sowie seiner Fettleibigkeit befreit hatte, enthält ein paar kuriose Stücke, darunter beispielsweise hundert Paracodeintabletten aus Görings Drogen-Apotheke, eine Menge, die etwa zwei Drittel von dessen Tagesdosis deckte. Die Sammlung blieb im Familienbesitz erhalten, verwahrt von Douglas, Kelleys ältestem Sohn, der unter den Erziehungsmethoden seines auf Erfolg getrimmten, chronisch überarbeiteten und oftmals aggressiven Vaters besonders zu leiden hatte.

Der Sohn machte sie dem Autor zugänglich, und der versteht es trefflich, atmosphärische Dichte herzustellen und eindrückliche Personenporträts zu zeichnen, vom prunkverliebten Göring beispielsweise, der mit einem Diener und großem Gepäck in der Haft erschien, darunter ein Dutzend Koffer mit Monogramm und eine Hutschachtel; zu den Habseligkeiten des einstigen Reichsmarschalls zählten juwelenbesetzte Ringe und seidene Unterwäsche. Auch wird von Rudolf Heß' gespielter Amnesie und dem weinerlichen Ernst Kaltenbrunner berichtet, der Millionen Juden in den Tod geschickt hatte und nun sein eigenes Schicksal beklagte. Viel ist auch darüber zu erfahren, was die Nürnberger Gefängnisinsassen übereinander dachten und dem Psychiater anvertrauten.

Dass Kelley sich schließlich wie Göring mit Zyankali das Leben nahm, hält El-Hai nicht für einen Zufall. Beide wählten einen derart dramatischen Abgang aus ihrem Leben, weil sie sich für Helden hielten und als solche gesehen werden wollten. Dies klingt überzogen, ist aber schön erzählt. Die Andere Bibliothek, die diverse wichtige Veröffentlichungen über den Nürnberger Prozess und seinen politischen und gesellschaftlichen Kontext veröffentlicht hat, tat gut daran, "Der Nazi und der Psychiater" in ihr Programm aufzunehmen.

SYBILLE STEINBACHER

Jack El-Hai: "Der Nazi und der Psychiater". Aus dem Amerikanischen von Henriette Heise. Verlag Die Andere Bibliothek, Berlin 2014. 317 S., geb., 38,- [Euro].

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