Produktdetails
- Verlag: GB Gardners Books / Murray
- Seitenzahl: 636
- Englisch
- Abmessung: 240mm
- Gewicht: 1180g
- ISBN-13: 9780719555817
- Artikelnr.: 43968890
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.11.2001Ganz gewöhnlich
Eine wenig erhellende Studie zum nationalsozialistischen Terror
ERIC A. JOHNSON: Der nationalsozialistische Terror. Gestapo, Juden und gewöhnliche Deutsche, Siedler Verlag, Berlin 2001. 640 Seiten, 68 Mark.
Eric A. Johnsons Buch kommt mit einem hohen Anspruch daher: Nichts weniger als eine „gesicherte Basis” für die Forschung des 21. Jahrhunderts über den nationalsozialistischen Terror soll es darstellen und zugleich die bisherige Forschung in eine angemessene und klare Perspektive rücken. Im Kern handelt es sich indes – das erfährt der Leser nach 20 Seiten Einleitung – um nichts anderes als eine kombinierte Lokalstudie zu den Städten Köln, Krefeld und Bergheim auf der Grundlage der dort umfangreich überlieferten Gestapo- und Sondergerichtsakten.
Nach Meinung des Autors repräsentieren diese drei Orte das ganze Spektrum von Gemeinden in Deutschland während der NS-Zeit. Dass in den drei rheinischen Städten das relativ geschlossene katholische Milieu dominierte, welches wiederum in dem zu zwei Dritteln protestantischen deutschen Reich eine Minderheit darstellte, irritiert ihn nicht.
Nun können Lokalstudien, die ja qua Definition nie umfassend und repräsentativ sind, vieles zum Verständnis des Großen und Ganzen beitragen, sofern sie den gewählten Untersuchungsraum genau ausleuchten. Leider ist Johnson diesen Weg nicht gegangen. So sagen die von ihm eingangs präsentierten Lebensläufe von Gestapo-Beamten verschiedener Ränge relativ wenig aus, weil der institutionelle Rahmen, innerhalb dessen sie handelten, weitgehend im Unklaren bleibt. Psychologisierende Charakterinterpretationen – wobei en passant noch die inzwischen definitiv widerlegte Legende von Heydrichs angeblichen jüdischen Ahnen aufgewärmt wird – können dieses Defizit nicht wettmachen.
In den weiteren Kapiteln, die sich mit der Verfolgung von Juden, des (linken) politischen Widerstands und der religiösen Opposition beschäftigen, verwendet Johnson häufig eine Art Zoom-Technik; er geht also nicht von den lokalen Gegebenheiten aus, sondern referiert zunächst allgemeine Zusammenhänge, um sie dann mit seinen Detailbefunden zu konfrontieren. Dabei kann er manch überzogene These zurechtrücken, die in jüngerer Zeit Konjunktur hatte, insbesondere die Ansicht, im Dritten Reich hätte eine „sich selbst überwachende Gesellschaft” bestanden und die personell schwache Gestapo habe sich im Wesentlichen auf eine Vielzahl von Denunziationen gestützt.
Gerade bei der Verfolgung politischer und religiöser Opponenten, betont Johnson, sei die Gestapo durchaus selbst aktiv geworden und habe gezielt Spitzel eingesetzt. Demgegenüber seien „ganz normale Deutsche” gar nicht in ihr Visier geraten. Kennzeichnend für den NS-Terror sei, dass er selektiv ausgeübt worden sei. Das ist nicht unbedingt sensationell neu, aber in der Zusammenschau verschiedener Stränge der NS-Repressionspolitik durchaus nützlich, nur leider allzu unscharf und fehlerhaft präsentiert. Der viel zitierte „ganz normale Deutsche” bleibt bis zum Ende ein unbekanntes, weil nicht definiertes Wesen; auch ist dem Autor die politische Landschaft in Deutschland verschlossen geblieben. Allen Ernstes behauptet er, die SPD hätte 1925 und 1932 durch die Unterstützung der Präsidentschaftskandidaturen des KPD- Vorsitzenden Thälmann einen Hindenburg verhindern können – sowohl politisch wie auch rein wahlarithmetisch ein völliges Unding.
Ebenso verfehlt ist die Einordnung der Geschichte eines Kommunisten jüdischer Herkunft als „jüdischer Widerstand”. Auch die Institutionen, auf die er sich bezieht, kennt Johnson nur ungenügend. So ist seine Behauptung, die Zahl der Gerichtsverfahren vor dem Kölner Sondergericht habe in den Kriegsjahren abgenommen, schlicht falsch. Der Zuwachs war im Gegenteil so groß, dass die Zahl der Sondergerichte auf vier erhöht wurde. Vollends grotesk wird es, wenn der Autor seine fehlerhafte Annahme durch die Ergebnisse einer Fragebogenaktion unter rund 200 Kölnern bestätigt sieht. Nur wenige von ihnen hätten schließlich angegeben, in der NS-Zeit eine Verhaftung befürchtet zu haben. Die Hälfte der Teilnehmer dieser vor acht Jahren durchgeführten Fragebogenaktion war im Jahr 1933 gerade einmal zwischen fünf und fünfzehn Jahre alt – für Johnson kein Grund für methodische Zweifel.
Der Verfasser ist um Anschaulichkeit bemüht und zitiert ausführlich aus seinem Quellenmaterial. Dass dabei ungefiltert und wortgetreu auch Auszüge aus Ermittlungsprotokollen über die Sexualdelikte von Päderasten und Sodomiten eingeflossen sind, steigert den historischen Erkenntniswert nicht unbedingt. Auch die literarischen Bemühungen des Autors sind nicht jedermanns Sache. Um dem Leser mitzuteilen, dass eine Predigt des Jesuitenpaters Spieker in der Kirche St. Mariä Himmelfahrt von einem Gestapo-Spitzel belauscht wurde, schreibt er: „Doch während der Schatten des nahe gelegenen Kölner Doms allmählich weiterwanderte, sodass die rosa gestrichene Kirche zunehmend in der Sonne lag, hatten nicht alle, die Spiekers Predigt anhörten, das Gefühl einer Erleuchtung.” Es steht zu befürchten, dass es den Lesern von Johnsons Buch ähnlich geht.
JÜRGEN ZARUSKY
Der Rezensent ist Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München.
Der Führerkult trieb über Jahre die erstaunlichsten Blüten – so bei diesen eifrigen, jungen Mädchen aus dem Saarland.
Foto: SZ-
Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Eine wenig erhellende Studie zum nationalsozialistischen Terror
ERIC A. JOHNSON: Der nationalsozialistische Terror. Gestapo, Juden und gewöhnliche Deutsche, Siedler Verlag, Berlin 2001. 640 Seiten, 68 Mark.
Eric A. Johnsons Buch kommt mit einem hohen Anspruch daher: Nichts weniger als eine „gesicherte Basis” für die Forschung des 21. Jahrhunderts über den nationalsozialistischen Terror soll es darstellen und zugleich die bisherige Forschung in eine angemessene und klare Perspektive rücken. Im Kern handelt es sich indes – das erfährt der Leser nach 20 Seiten Einleitung – um nichts anderes als eine kombinierte Lokalstudie zu den Städten Köln, Krefeld und Bergheim auf der Grundlage der dort umfangreich überlieferten Gestapo- und Sondergerichtsakten.
Nach Meinung des Autors repräsentieren diese drei Orte das ganze Spektrum von Gemeinden in Deutschland während der NS-Zeit. Dass in den drei rheinischen Städten das relativ geschlossene katholische Milieu dominierte, welches wiederum in dem zu zwei Dritteln protestantischen deutschen Reich eine Minderheit darstellte, irritiert ihn nicht.
Nun können Lokalstudien, die ja qua Definition nie umfassend und repräsentativ sind, vieles zum Verständnis des Großen und Ganzen beitragen, sofern sie den gewählten Untersuchungsraum genau ausleuchten. Leider ist Johnson diesen Weg nicht gegangen. So sagen die von ihm eingangs präsentierten Lebensläufe von Gestapo-Beamten verschiedener Ränge relativ wenig aus, weil der institutionelle Rahmen, innerhalb dessen sie handelten, weitgehend im Unklaren bleibt. Psychologisierende Charakterinterpretationen – wobei en passant noch die inzwischen definitiv widerlegte Legende von Heydrichs angeblichen jüdischen Ahnen aufgewärmt wird – können dieses Defizit nicht wettmachen.
In den weiteren Kapiteln, die sich mit der Verfolgung von Juden, des (linken) politischen Widerstands und der religiösen Opposition beschäftigen, verwendet Johnson häufig eine Art Zoom-Technik; er geht also nicht von den lokalen Gegebenheiten aus, sondern referiert zunächst allgemeine Zusammenhänge, um sie dann mit seinen Detailbefunden zu konfrontieren. Dabei kann er manch überzogene These zurechtrücken, die in jüngerer Zeit Konjunktur hatte, insbesondere die Ansicht, im Dritten Reich hätte eine „sich selbst überwachende Gesellschaft” bestanden und die personell schwache Gestapo habe sich im Wesentlichen auf eine Vielzahl von Denunziationen gestützt.
Gerade bei der Verfolgung politischer und religiöser Opponenten, betont Johnson, sei die Gestapo durchaus selbst aktiv geworden und habe gezielt Spitzel eingesetzt. Demgegenüber seien „ganz normale Deutsche” gar nicht in ihr Visier geraten. Kennzeichnend für den NS-Terror sei, dass er selektiv ausgeübt worden sei. Das ist nicht unbedingt sensationell neu, aber in der Zusammenschau verschiedener Stränge der NS-Repressionspolitik durchaus nützlich, nur leider allzu unscharf und fehlerhaft präsentiert. Der viel zitierte „ganz normale Deutsche” bleibt bis zum Ende ein unbekanntes, weil nicht definiertes Wesen; auch ist dem Autor die politische Landschaft in Deutschland verschlossen geblieben. Allen Ernstes behauptet er, die SPD hätte 1925 und 1932 durch die Unterstützung der Präsidentschaftskandidaturen des KPD- Vorsitzenden Thälmann einen Hindenburg verhindern können – sowohl politisch wie auch rein wahlarithmetisch ein völliges Unding.
Ebenso verfehlt ist die Einordnung der Geschichte eines Kommunisten jüdischer Herkunft als „jüdischer Widerstand”. Auch die Institutionen, auf die er sich bezieht, kennt Johnson nur ungenügend. So ist seine Behauptung, die Zahl der Gerichtsverfahren vor dem Kölner Sondergericht habe in den Kriegsjahren abgenommen, schlicht falsch. Der Zuwachs war im Gegenteil so groß, dass die Zahl der Sondergerichte auf vier erhöht wurde. Vollends grotesk wird es, wenn der Autor seine fehlerhafte Annahme durch die Ergebnisse einer Fragebogenaktion unter rund 200 Kölnern bestätigt sieht. Nur wenige von ihnen hätten schließlich angegeben, in der NS-Zeit eine Verhaftung befürchtet zu haben. Die Hälfte der Teilnehmer dieser vor acht Jahren durchgeführten Fragebogenaktion war im Jahr 1933 gerade einmal zwischen fünf und fünfzehn Jahre alt – für Johnson kein Grund für methodische Zweifel.
Der Verfasser ist um Anschaulichkeit bemüht und zitiert ausführlich aus seinem Quellenmaterial. Dass dabei ungefiltert und wortgetreu auch Auszüge aus Ermittlungsprotokollen über die Sexualdelikte von Päderasten und Sodomiten eingeflossen sind, steigert den historischen Erkenntniswert nicht unbedingt. Auch die literarischen Bemühungen des Autors sind nicht jedermanns Sache. Um dem Leser mitzuteilen, dass eine Predigt des Jesuitenpaters Spieker in der Kirche St. Mariä Himmelfahrt von einem Gestapo-Spitzel belauscht wurde, schreibt er: „Doch während der Schatten des nahe gelegenen Kölner Doms allmählich weiterwanderte, sodass die rosa gestrichene Kirche zunehmend in der Sonne lag, hatten nicht alle, die Spiekers Predigt anhörten, das Gefühl einer Erleuchtung.” Es steht zu befürchten, dass es den Lesern von Johnsons Buch ähnlich geht.
JÜRGEN ZARUSKY
Der Rezensent ist Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München.
Der Führerkult trieb über Jahre die erstaunlichsten Blüten – so bei diesen eifrigen, jungen Mädchen aus dem Saarland.
Foto: SZ-
Archiv
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2001Geahnt, vermutet, gewußt
Nationalsozialistischer Terror in Köln, Krefeld und Bergheim
Eric A. Johnson: Der nationalsozialistische Terror. Gestapo, Juden und gewöhnliche Deutsche. Siedler Verlag, Berlin 2001. 704 Seiten, 68,- Mark.
Seit geraumer Zeit findet das Phänomen des nationalsozialistischen Terrors die bevorzugte Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaft. Im Zuge einer regionalgeschichtlichen Untersuchung dreier Städte im Rheinland - Köln, Krefeld und Bergheim - setzt sich der amerikanische Historiker Eric A. Johnson aufs neue mit dem widrigen Untersuchungsgegenstand auseinander. Er unterzieht sich dieser Aufgabe auf der Grundlage eines breiten Quellenmaterials, vornehmlich der einschlägigen Polizei- und Gerichtsakten. Ergänzt werden diese durch Prozeßakten aus der Nachkriegszeit sowie durch umfangreiche Befragungen, die während der neunziger Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts angestellt wurden: In dieser Perspektive wäre allerdings eine intensive Auseinandersetzung mit dem quellenkritischen Problem der zeitgenössischen und der nicht-gleichzeitigen Zeugnisse aufschlußreich, ja erforderlich gewesen.
Die für den regionalen Untersuchungszusammenhang überreich ausgebreiteten Beispiele der Verfolgung derjenigen, die nicht zur "Volksgemeinschaft" gezählt wurden, von Kommunisten und Christen über die Zeugen Jehovas bis hin zu den Juden, um nur einige der Opfergruppen zu benennen, lesen sich wie ein nicht enden wollender Beleg über die "unvermutete Gemeinheit der Menschennatur" (Wilhelm Röpke). Wie sich diese anthropologische Disposition der menschlichen Spezies unter den Bedingungen eines totalitären Systems grausam zu entfalten vermocht hat und warum sich normale Bürger nicht selten in heimtückische Bestien verwandelt haben, wird freilich kaum zureichend erklärt: Der Gegensatz zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Rechtsstaat und Unrechtsstaat kann dabei einfach nicht hoch genug veranschlagt werden.
Daß sich der Autor von der in der neueren Forschung zunehmend betonten These distanziert, wonach die Geheime Staatspolizei für das Phänomen des Terrors weniger relevant gewesen sei als ein grassierendes Denunziantentum der Bevölkerung, leuchtet dagegen ein: "Es gibt . . . Gründe für die Annahme, daß dieser gegenwärtige Schwerpunkt auf Denunziationen deren Bedeutung zu stark betont und möglicherweise zu einer Unterschätzung der bösartigen und gezielten Aktionen der Gestapo und einer Überschätzung der Schuld der deutschen Bevölkerung geführt hat. Es geht hier nicht darum, die deutsche Zivilbevölkerung von jeder Schuld freizusprechen. Im Gegenteil, es ist eine der zentralen Thesen dieses Buches, daß sich die deutsche Zivilbevölkerung tatsächlich in hohem Maße der Mittäterschaft an der Ermordung der Juden und zahlreicher weiterer Verbrechen, die in der NS-Gesellschaft begangen wurden, schuldig gemacht hat. Aber man darf nicht in den Fehler verfallen, die gesamte deutsche Bevölkerung eines Verbrechens (der Denunziation) anzuklagen, das nur von einem relativ kleinen Bruchteil dieser Bevölkerung begangen wurde." Die Feststellung freilich, "Millionen deutscher Bürger" hätten "noch während des Krieges vom Massenmord an den Juden erfahren", vermag deshalb nicht recht zu überzeugen, weil zu unbestimmt bleibt, was tatsächlich gewußt, vermutet oder geahnt worden ist und weil die aufgebotenen Belege die sehr weit gehende These kaum plausibel machen können.
Insgesamt liegt die Stärke der Darstellung in der reichhaltigen Präsentation exemplarischer Materialien, die ebenso anschaulich wie erschreckend wirken. Zu kurz kommt darüber jedoch die historiographische Interpretation. Wo diese unterbreitet wird, wirft sie nicht selten Probleme auf - beispielsweise im Gebrauch eines allgemeinen Faschismusbegriffs für das Spezifische des deutschen Nationalsozialismus oder im Transport der zählebigen Geschichtslegende, wonach am Ende der Weimarer Republik Hitlers "Machtergreifung" durch eine Koalition aus SPD und KPD hätte verhindert werden können: Ein Bündnis zwischen denen, welche die Demokratie von Weimar verteidigt haben, und denen, welche die Diktatur des Proletariats an die Stelle der Republik setzen wollten, war eben nicht möglich. Eric A. Johnson hat eine an Faktenreichtum kaum zu überbietende Darstellung vorgelegt, die allerdings einmal mehr auf die Notwendigkeit übergreifender und einordnender Synthesen verweist.
KLAUS HILDEBRAND
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nationalsozialistischer Terror in Köln, Krefeld und Bergheim
Eric A. Johnson: Der nationalsozialistische Terror. Gestapo, Juden und gewöhnliche Deutsche. Siedler Verlag, Berlin 2001. 704 Seiten, 68,- Mark.
Seit geraumer Zeit findet das Phänomen des nationalsozialistischen Terrors die bevorzugte Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaft. Im Zuge einer regionalgeschichtlichen Untersuchung dreier Städte im Rheinland - Köln, Krefeld und Bergheim - setzt sich der amerikanische Historiker Eric A. Johnson aufs neue mit dem widrigen Untersuchungsgegenstand auseinander. Er unterzieht sich dieser Aufgabe auf der Grundlage eines breiten Quellenmaterials, vornehmlich der einschlägigen Polizei- und Gerichtsakten. Ergänzt werden diese durch Prozeßakten aus der Nachkriegszeit sowie durch umfangreiche Befragungen, die während der neunziger Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts angestellt wurden: In dieser Perspektive wäre allerdings eine intensive Auseinandersetzung mit dem quellenkritischen Problem der zeitgenössischen und der nicht-gleichzeitigen Zeugnisse aufschlußreich, ja erforderlich gewesen.
Die für den regionalen Untersuchungszusammenhang überreich ausgebreiteten Beispiele der Verfolgung derjenigen, die nicht zur "Volksgemeinschaft" gezählt wurden, von Kommunisten und Christen über die Zeugen Jehovas bis hin zu den Juden, um nur einige der Opfergruppen zu benennen, lesen sich wie ein nicht enden wollender Beleg über die "unvermutete Gemeinheit der Menschennatur" (Wilhelm Röpke). Wie sich diese anthropologische Disposition der menschlichen Spezies unter den Bedingungen eines totalitären Systems grausam zu entfalten vermocht hat und warum sich normale Bürger nicht selten in heimtückische Bestien verwandelt haben, wird freilich kaum zureichend erklärt: Der Gegensatz zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Rechtsstaat und Unrechtsstaat kann dabei einfach nicht hoch genug veranschlagt werden.
Daß sich der Autor von der in der neueren Forschung zunehmend betonten These distanziert, wonach die Geheime Staatspolizei für das Phänomen des Terrors weniger relevant gewesen sei als ein grassierendes Denunziantentum der Bevölkerung, leuchtet dagegen ein: "Es gibt . . . Gründe für die Annahme, daß dieser gegenwärtige Schwerpunkt auf Denunziationen deren Bedeutung zu stark betont und möglicherweise zu einer Unterschätzung der bösartigen und gezielten Aktionen der Gestapo und einer Überschätzung der Schuld der deutschen Bevölkerung geführt hat. Es geht hier nicht darum, die deutsche Zivilbevölkerung von jeder Schuld freizusprechen. Im Gegenteil, es ist eine der zentralen Thesen dieses Buches, daß sich die deutsche Zivilbevölkerung tatsächlich in hohem Maße der Mittäterschaft an der Ermordung der Juden und zahlreicher weiterer Verbrechen, die in der NS-Gesellschaft begangen wurden, schuldig gemacht hat. Aber man darf nicht in den Fehler verfallen, die gesamte deutsche Bevölkerung eines Verbrechens (der Denunziation) anzuklagen, das nur von einem relativ kleinen Bruchteil dieser Bevölkerung begangen wurde." Die Feststellung freilich, "Millionen deutscher Bürger" hätten "noch während des Krieges vom Massenmord an den Juden erfahren", vermag deshalb nicht recht zu überzeugen, weil zu unbestimmt bleibt, was tatsächlich gewußt, vermutet oder geahnt worden ist und weil die aufgebotenen Belege die sehr weit gehende These kaum plausibel machen können.
Insgesamt liegt die Stärke der Darstellung in der reichhaltigen Präsentation exemplarischer Materialien, die ebenso anschaulich wie erschreckend wirken. Zu kurz kommt darüber jedoch die historiographische Interpretation. Wo diese unterbreitet wird, wirft sie nicht selten Probleme auf - beispielsweise im Gebrauch eines allgemeinen Faschismusbegriffs für das Spezifische des deutschen Nationalsozialismus oder im Transport der zählebigen Geschichtslegende, wonach am Ende der Weimarer Republik Hitlers "Machtergreifung" durch eine Koalition aus SPD und KPD hätte verhindert werden können: Ein Bündnis zwischen denen, welche die Demokratie von Weimar verteidigt haben, und denen, welche die Diktatur des Proletariats an die Stelle der Republik setzen wollten, war eben nicht möglich. Eric A. Johnson hat eine an Faktenreichtum kaum zu überbietende Darstellung vorgelegt, die allerdings einmal mehr auf die Notwendigkeit übergreifender und einordnender Synthesen verweist.
KLAUS HILDEBRAND
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main