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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.05.2016Wespenträume
Ein grausiger Handel
um ein Giebelnest
Ein neues Baby in der Familie sorgt immer für Veränderung. Doch als Steves Eltern seinen kleinen Babybruder mit nach Hause bringen, überschreiten diese Veränderungen alles, was Steve sich hat vorstellen können. Sein Bruder ist nicht in Ordnung und die ganze Aufmerksamkeit der Eltern kreist um das Baby: Wird es leben? Kann es sich entwickeln? Was fehlt ihm eigentlich? Doch auch Steve braucht ein wenig Aufmerksamkeit, besonders als ein Wespenvolk beginnt, ein riesiges Nest im Giebel des Hauses zu bauen. Steve hat panische Angst vor den Insekten, aber den Eltern fehlt die Zeit, auf den Wunsch ihres Sohnes einzugehen und das Nest zu entfernen. Nachdem eine der Wespen Steve gestochen hat, beginnen die Träume.
Helle, geflügelte Wesen, die Steve zunächst für Engel hält, erscheinen ihm im Schlaf und versprechen Besserung. Sie seien wegen des Babys gekommen, sagen sie, wollten helfen. Doch obwohl Steve sich nichts sehnlicher wünscht als Hilfe, bleibt er zögerlich. Traum und Realität, das sagt ihm sein Verstand, sind zwei vollkommen unterschiedliche Ebenen, und sicher hat das, was er sich träumend wünscht, keine Auswirkung auf die Wirklichkeit. Doch die verschwommenen Lichtwesen bleiben hartnäckig und kommen immer wieder. Erst ganz allmählich erkennt Steve in ihnen die merkwürdig bleichen Wespen aus dem Giebelnest. Sie könnten das Baby „reparieren“, versprechen sie, das heil machen, was kaputt ist. Alles wäre so einfach; ein gesundes Baby bedeutet Freude, Eltern, die sich auch wieder um ihre beiden älteren Kinder kümmern, Sorglosigkeit.
In seiner Verzweiflung nimmt Steve die Hilfe endlich an. Schließlich ist doch alles nur ein Traum oder? Als er erkennt, dass weit mehr Realität in den Träumen steckt, wird ihm mit kaltem Entsetzen bewusst, was die Wespen unter Hilfe verstehen, und was für eine Larve sie im Nest unterm Giebel wirklich versorgen. Doch um den grausigen Handel abzuwehren, ist es zu spät.
Das Nest ist ein psychologisches Meisterwerk. Fantastische Literatur auf hohem Niveau, durchdrungen von subtilem Horror, dem sich der Leser nicht entziehen kann. Kenneth Oppel greift Versatzstücke des Adoleszenzromans auf und durchsetzt ihn mit kraftvollen und ausdrucksstarken Wortbildern, die auch, wenn die Lektüre beendet ist, den Leser weiter fesseln und beeindrucken. Ebenso wie die besondere Ausstattung von Jon Klassen. (Für sein Bilderbuch Wo ist mein Hut erhielt er 2013 den Jugendliteraturpreis). Seine Illustrationen in Schraffur, Druck und Mischtechniken in allen Schattierungen von Grau und Schwarz, unterstreichen den düsteren Charakter der albtraumhaften Ich-Erzählung.
Der Roman kann von Jugendlichen ab 12 Jahren gelesen werden. Aber auch erwachsene Leserinnen und Leser werden sich von der kunstvollen Gratwanderung zwischen Traum und Wirklichkeit, der schier unmöglich zu beantwortenden Frage nach dem wahren Wert von Leben und der aus dem Rahmen fallenden künstlerischen Gestaltung dieses außerordentlichen Jugendbuchs gefangen nehmen lassen. (ab 12 Jahre).
MAREN BONACKER
Kenneth Oppel: Das Nest. Aus dem Amerikanischen von Jessika Komina und Sandra Knuffinke. Illustrationen von Jon Klassen. Dressler 2016. 220 Seiten, 12,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein grausiger Handel
um ein Giebelnest
Ein neues Baby in der Familie sorgt immer für Veränderung. Doch als Steves Eltern seinen kleinen Babybruder mit nach Hause bringen, überschreiten diese Veränderungen alles, was Steve sich hat vorstellen können. Sein Bruder ist nicht in Ordnung und die ganze Aufmerksamkeit der Eltern kreist um das Baby: Wird es leben? Kann es sich entwickeln? Was fehlt ihm eigentlich? Doch auch Steve braucht ein wenig Aufmerksamkeit, besonders als ein Wespenvolk beginnt, ein riesiges Nest im Giebel des Hauses zu bauen. Steve hat panische Angst vor den Insekten, aber den Eltern fehlt die Zeit, auf den Wunsch ihres Sohnes einzugehen und das Nest zu entfernen. Nachdem eine der Wespen Steve gestochen hat, beginnen die Träume.
Helle, geflügelte Wesen, die Steve zunächst für Engel hält, erscheinen ihm im Schlaf und versprechen Besserung. Sie seien wegen des Babys gekommen, sagen sie, wollten helfen. Doch obwohl Steve sich nichts sehnlicher wünscht als Hilfe, bleibt er zögerlich. Traum und Realität, das sagt ihm sein Verstand, sind zwei vollkommen unterschiedliche Ebenen, und sicher hat das, was er sich träumend wünscht, keine Auswirkung auf die Wirklichkeit. Doch die verschwommenen Lichtwesen bleiben hartnäckig und kommen immer wieder. Erst ganz allmählich erkennt Steve in ihnen die merkwürdig bleichen Wespen aus dem Giebelnest. Sie könnten das Baby „reparieren“, versprechen sie, das heil machen, was kaputt ist. Alles wäre so einfach; ein gesundes Baby bedeutet Freude, Eltern, die sich auch wieder um ihre beiden älteren Kinder kümmern, Sorglosigkeit.
In seiner Verzweiflung nimmt Steve die Hilfe endlich an. Schließlich ist doch alles nur ein Traum oder? Als er erkennt, dass weit mehr Realität in den Träumen steckt, wird ihm mit kaltem Entsetzen bewusst, was die Wespen unter Hilfe verstehen, und was für eine Larve sie im Nest unterm Giebel wirklich versorgen. Doch um den grausigen Handel abzuwehren, ist es zu spät.
Das Nest ist ein psychologisches Meisterwerk. Fantastische Literatur auf hohem Niveau, durchdrungen von subtilem Horror, dem sich der Leser nicht entziehen kann. Kenneth Oppel greift Versatzstücke des Adoleszenzromans auf und durchsetzt ihn mit kraftvollen und ausdrucksstarken Wortbildern, die auch, wenn die Lektüre beendet ist, den Leser weiter fesseln und beeindrucken. Ebenso wie die besondere Ausstattung von Jon Klassen. (Für sein Bilderbuch Wo ist mein Hut erhielt er 2013 den Jugendliteraturpreis). Seine Illustrationen in Schraffur, Druck und Mischtechniken in allen Schattierungen von Grau und Schwarz, unterstreichen den düsteren Charakter der albtraumhaften Ich-Erzählung.
Der Roman kann von Jugendlichen ab 12 Jahren gelesen werden. Aber auch erwachsene Leserinnen und Leser werden sich von der kunstvollen Gratwanderung zwischen Traum und Wirklichkeit, der schier unmöglich zu beantwortenden Frage nach dem wahren Wert von Leben und der aus dem Rahmen fallenden künstlerischen Gestaltung dieses außerordentlichen Jugendbuchs gefangen nehmen lassen. (ab 12 Jahre).
MAREN BONACKER
Kenneth Oppel: Das Nest. Aus dem Amerikanischen von Jessika Komina und Sandra Knuffinke. Illustrationen von Jon Klassen. Dressler 2016. 220 Seiten, 12,99 Euro.
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