Produktdetails
- Verlag: König, Walther
- ISBN-13: 9783883754611
- Artikelnr.: 25139603
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2016Vom Ende der Grenze
Ein Klassiker neu aufgelegt: Der Fotoband "The New West", in dem Robert Adams die Vereinnahmung der amerikanischen Wildnis dokumentiert.
Von Freddy Langer
Für die Vokabel "Frontier" bietet das Wörterbuch neben den Übersetzungen "Grenze" und "Grenzgebiet" ausdrücklich auch "Grenze zum Wilden Westen" an. In Amerika ist das Wort ein mythischer Begriff, in dem sich die Vorstellungen von Gottes eigenem Land und der Glaube an unbegrenzte Möglichkeiten kreuzen. Es ist gleichermaßen Verweis auf eine Idee wie auf die unbesiedelte Topographie - und für den Charakter der Amerikaner von größter Bedeutung. Aus der Begegnung mit der Wildnis und dem steten Vorwärtsdrängen der Zivilisation in Richtung Westen, so führte der Historiker Frederick Jackson Turner 1893 in einem wegweisenden Vortrag aus, habe sich die amerikanische Demokratie entwickelt. Sie sei, sagte er, aus den Wäldern aufgestiegen und habe aus jeder neuen Begegnung mit der "Frontier" zusätzliche Kraft geschöpft, indem sie die Amerikaner ebenso vom europäischen Denken wie von überkommenen Traditionen befreite. Eine gewisse Skepsis allerdings war nicht zu überhören - denn drei Jahre zuvor hatte die amerikanische Regierung das Ende der "Frontier", dieser Zivilisationsgrenze, verkündet: Der gesamte Kontinent galt als erobert und von Weißen bewohnt. Was, fragte Turner deshalb, würde das für die Dynamik der amerikanischen Gesellschaft und ihrer jungen Nation bedeuten?
Kein Fotograf hat sich mit dieser Frage intensiver auseinandergesetzt als Robert Adams, der ein Leben lang die Erschließung dramatisch schöner Landschaften des Westens für einfallslos monotone Siedlungen dokumentiert hat. Die Zauberformel der "Frontier" ist bei ihm nur noch der Name einer Tankstelle, die er am Fuße des Pikes Peak entdeckt hat, einem mehr als viertausend Meter hohen Berg nahe der Ortschaft Colorado Springs. Daneben zeigt er die schier endlos sich ausbreitenden Einfamilienhaussiedlungen Denvers vor der Silhouette der Rocky Mountains, in denen, wie er schreibt, das Leben in Anonymität und Einsamkeit erfroren sei, zeigt die mit Graffiti besprühten Felsen markanter Berge oder die im Supermarkt zu wackeliger Höhe gestapelten Schachteln und Dosen mit "Camping Needs" - jedes seiner Bilder ein Beleg für den Ausverkauf der Natur.
Immer wieder, schreibt Adams (Jahrgang 1937), sei er während seiner Arbeit entlang der Rocky Mountains gefragt worden, weshalb er ausgerechnet dieses Motiv fotografiere - das sei doch nicht schön. Aber genau darum war es ihm ja zu tun: den Finger in eine Wunde zu legen. Als sein Buch "The New West" 1974 erschien, war es für viele Amerikaner wie ein Schlag in die Magengrube. Adams hegte damals die Hoffnung, mit seinem Bildband ein Umdenken der Gesellschaft zu bewirken, den allgemeinen Werteverlust aufzuhalten oder gar umzukehren - ein Optimismus, den er nur allzu bald verlor, was ihn aber nicht daran hinderte, auch für seine folgenden Bücher den Fotoapparat auf Bausünden und eine geschundene Natur zu richten, um die ökologische Debatte immer wieder anzufeuern und auf einen sozialen Egoismus zu verweisen, der aus der Weite der Landschaft erwächst, zugleich aber zu ihrer Zerstörung führt. Doch nennt er einen zweiten Grund für seine Arbeit: das Licht! Es sei unwiderstehlich gewesen.
Und so verzahnt sich in diesem Buch, das längst zu den Klassikern der Fotografiegeschichte zählt und das nun in einer Neuauflage vorliegt, die weltverbesserische Absicht mit künstlerischem Anspruch. Dazu bedient sich Robert Adams strenger Kompositionen, die im Hintergrund oft einen Schimmer des Erhabenen zeigen und im Vordergrund ein Streben nach Harmonie - fast so, als sei die Welt doch noch zu retten. Und wenn auch nur in der Kunst.
"The New West - Landscapes Along the Colorado Front Range" von Robert Adams. Steidl Verlag, Göttingen 2016. Mit einem Vorwort von John Szarkowski. 136 Seiten, zahlreiche Schwarzweißfotografien. Gebunden, 35 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Klassiker neu aufgelegt: Der Fotoband "The New West", in dem Robert Adams die Vereinnahmung der amerikanischen Wildnis dokumentiert.
Von Freddy Langer
Für die Vokabel "Frontier" bietet das Wörterbuch neben den Übersetzungen "Grenze" und "Grenzgebiet" ausdrücklich auch "Grenze zum Wilden Westen" an. In Amerika ist das Wort ein mythischer Begriff, in dem sich die Vorstellungen von Gottes eigenem Land und der Glaube an unbegrenzte Möglichkeiten kreuzen. Es ist gleichermaßen Verweis auf eine Idee wie auf die unbesiedelte Topographie - und für den Charakter der Amerikaner von größter Bedeutung. Aus der Begegnung mit der Wildnis und dem steten Vorwärtsdrängen der Zivilisation in Richtung Westen, so führte der Historiker Frederick Jackson Turner 1893 in einem wegweisenden Vortrag aus, habe sich die amerikanische Demokratie entwickelt. Sie sei, sagte er, aus den Wäldern aufgestiegen und habe aus jeder neuen Begegnung mit der "Frontier" zusätzliche Kraft geschöpft, indem sie die Amerikaner ebenso vom europäischen Denken wie von überkommenen Traditionen befreite. Eine gewisse Skepsis allerdings war nicht zu überhören - denn drei Jahre zuvor hatte die amerikanische Regierung das Ende der "Frontier", dieser Zivilisationsgrenze, verkündet: Der gesamte Kontinent galt als erobert und von Weißen bewohnt. Was, fragte Turner deshalb, würde das für die Dynamik der amerikanischen Gesellschaft und ihrer jungen Nation bedeuten?
Kein Fotograf hat sich mit dieser Frage intensiver auseinandergesetzt als Robert Adams, der ein Leben lang die Erschließung dramatisch schöner Landschaften des Westens für einfallslos monotone Siedlungen dokumentiert hat. Die Zauberformel der "Frontier" ist bei ihm nur noch der Name einer Tankstelle, die er am Fuße des Pikes Peak entdeckt hat, einem mehr als viertausend Meter hohen Berg nahe der Ortschaft Colorado Springs. Daneben zeigt er die schier endlos sich ausbreitenden Einfamilienhaussiedlungen Denvers vor der Silhouette der Rocky Mountains, in denen, wie er schreibt, das Leben in Anonymität und Einsamkeit erfroren sei, zeigt die mit Graffiti besprühten Felsen markanter Berge oder die im Supermarkt zu wackeliger Höhe gestapelten Schachteln und Dosen mit "Camping Needs" - jedes seiner Bilder ein Beleg für den Ausverkauf der Natur.
Immer wieder, schreibt Adams (Jahrgang 1937), sei er während seiner Arbeit entlang der Rocky Mountains gefragt worden, weshalb er ausgerechnet dieses Motiv fotografiere - das sei doch nicht schön. Aber genau darum war es ihm ja zu tun: den Finger in eine Wunde zu legen. Als sein Buch "The New West" 1974 erschien, war es für viele Amerikaner wie ein Schlag in die Magengrube. Adams hegte damals die Hoffnung, mit seinem Bildband ein Umdenken der Gesellschaft zu bewirken, den allgemeinen Werteverlust aufzuhalten oder gar umzukehren - ein Optimismus, den er nur allzu bald verlor, was ihn aber nicht daran hinderte, auch für seine folgenden Bücher den Fotoapparat auf Bausünden und eine geschundene Natur zu richten, um die ökologische Debatte immer wieder anzufeuern und auf einen sozialen Egoismus zu verweisen, der aus der Weite der Landschaft erwächst, zugleich aber zu ihrer Zerstörung führt. Doch nennt er einen zweiten Grund für seine Arbeit: das Licht! Es sei unwiderstehlich gewesen.
Und so verzahnt sich in diesem Buch, das längst zu den Klassikern der Fotografiegeschichte zählt und das nun in einer Neuauflage vorliegt, die weltverbesserische Absicht mit künstlerischem Anspruch. Dazu bedient sich Robert Adams strenger Kompositionen, die im Hintergrund oft einen Schimmer des Erhabenen zeigen und im Vordergrund ein Streben nach Harmonie - fast so, als sei die Welt doch noch zu retten. Und wenn auch nur in der Kunst.
"The New West - Landscapes Along the Colorado Front Range" von Robert Adams. Steidl Verlag, Göttingen 2016. Mit einem Vorwort von John Szarkowski. 136 Seiten, zahlreiche Schwarzweißfotografien. Gebunden, 35 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main