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"The Pale King" remained unfinished at the time of Wallace's death, but it is a deeply compelling and satisfying novel, hilarious and fearless and as original as anything Wallace ever undertook, grappling with questions about the value of work.

Produktbeschreibung
"The Pale King" remained unfinished at the time of Wallace's death, but it is a deeply compelling and satisfying novel, hilarious and fearless and as original as anything Wallace ever undertook, grappling with questions about the value of work.
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Autorenporträt
David Foster Wallace was born in Ithaca, New York, in 1962 and raised in Illinois, where he was a regionally ranked junior tennis player. He received bachelor of arts degrees in philosophy and English from Amherst College and wrote what would become his first novel, The Broom of the System, as his senior English thesis. He received a masters of fine arts from University of Arizona in 1987 and briefly pursued graduate work in philosophy at Harvard University. His second novel, Infinite Jest, was published in 1996. Wallace taught creative writing at Emerson College, Illinois State University, and Pomona College, and published the story collections Girl with Curious Hair, Brief Interviews with Hideous Men, Oblivion, the essay collections A Supposedly Fun Thing I'll Never Do Again, and Consider the Lobster. He was awarded the MacArthur Fellowship, a Lannan Literary Award, and a Whiting Writers' Award, and was appointed to the Usage Panel for The American Heritage Dictionary of the English Language. He died in 2008. His last novel, The Pale King, was published in 2011.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2011

Jedes Partikel eine Quelle der Inspiration

In seinem nachgelassenen Romanfragment "The Pale King" entwirft David Foster Wallace eine Jahrhundertfigur: einen Mann, der sich nicht langweilen kann.

Von Clemens J. Setz

In David Foster Wallaces Romanfragment "The Pale King", das im April im amerikanischen Verlag Little, Brown erschien, gibt es eine Figur, die sich, wenn alles mit rechten Dingen zuginge, als neue archetypische Figur in die Weltliteratur einfügen müsste. Allerdings ist sie nur eine Nebenfigur, sie lebt gerade einmal 65 Seiten lang, für die Dauer des magischen Kapitels "§46" gegen Ende des Buches. Ihr Name: Shane Drinion. Eine Gestalt aus einem Denkuniversum, das erst in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren entstehen konnte, ein Konzentrationsgespenst, abstrakt und unmenschlich und dabei gleichzeitig intim und vertraut wie die eigenen fünf Sinne.

Aber diese Figur wird wahrscheinlich übersehen werden, Shane Drinion wird sich zu den anderen Bewohnern des Romans gesellen. Denn er fügt sich mühelos unter seinen Gefährten ein, die ja alle in gewisser Hinsicht dasselbe Problem haben: Langeweile. Über diese Tatsache wurde bereits beim Erscheinen des Buches ausführlich berichtet (F.A.Z. vom 6. April). Die einzelnen, miteinander nur lose zusammenhängenden Kapitel des Buches konzentrieren sich auf verschiedene Spielarten menschlicher Reaktionen auf Langeweile, auf Strategien, mit ihr umzugehen, Auswege, Träumereien. Sogar eine Figur namens David Wallace begegnet ihr, in einigen selbstironisch auf hohen Fußnotenwellen daherschwimmenden Kapiteln, er sieht Menschen in Räumen, die unbeweglich auf ein Blatt Papier starren, ein Blick in den innersten Kreis der Hölle. Wir lernen ihn und andere Angestellte der Steuerbehörde in Peoria, Illinois (IRS), als Kinder, Jugendliche und Studenten kennen, wir erleben Besuche von Gespenstern, die selbst noch im Jenseits über das Konzept der Langeweile nachgrübeln, wir erleben unkontrolliert schwitzende und sich manisch selbst beobachtende Menschen in Orientierungs- und Einführungsgesprächen, stille Zusammenbrüche in Nebenzimmern, nur flüchtig beobachtet von Mitarbeitern, schreckliche Kindheitstraumata aus einer trostlosen Trailer-Park-Existenz, widerhallend in stillen Büroräumen.

All das ist eine gute Vorbereitung des Lesers auf das Kapitel "§46". Es spielt in einem Lokal namens "Meibeyer's", in das viele IRS-Angestellte nach der Arbeit gehen, und es besteht fast ausschließlich aus dem Gespräch zwischen Drinion und einer gewissen Meredith Rand. Nachdem ich es fünfmal, einmal davon sogar laut, gelesen habe, bin ich davon überzeugt, dass es - wenn, wie gesagt, alles mit rechten Dingen zugeht - als eines der Glanzstücke amerikanischer Prosa in die Literaturgeschichte eingehen wird. In seiner enigmatischen Pracht ist es auf einer Stufe mit Benjys Kapitel in William Faulkners "The Sound and the Fury", der Liebesszene in Harold Brodkeys "Innocence" und der kleinen Geschichte von der unsterblichen Glühbirne "Byron" in Thomas Pynchons "Gravity's Rainbow".

Shane Drinion gilt als "a very solid Fats and S corp examiner but a total lump in terms of personality, possibly the dullest human being currently alive". Das Auftreten dieses womöglich fadesten lebenden Menschen wirkt unbeteiligt, aber immer konzentriert. Er hört jedem, der spricht, mit gleicher Aufmerksamkeit zu. Ihm gegenüber sitzt Meredith Rand, eine Angestellte der "Problem Resolution"-Abteilung. Sie ist eine umwerfend hübsche Frau, die genau weiß, dass alle Männer im Raum gequälte Blicke auf sie werfen. Sie beginnt ein Gespräch mit Drinion. Small Talk, nichts Besonderes. Sie spielt vielleicht ein bisschen mit ihm, erzählt ihm, dass sie ihn interessant findet. Gerade ihn, der nie von irgendjemandem interessant gefunden wird. Er registriert es als Kompliment - und analysiert auf eine respektvolle, freundliche Art die Beweggründe, die sie haben könnte, ihm so etwas zu sagen.

Schnell nimmt das Gespräch eine merkwürdig übergenaue Dimension an, jedes Detail der Unterhaltung selbst, ihre sich ständig ändernden Parameter, der Inhalt der Bemerkungen, Fragen, Andeutungen von Meredith Rand werden von Drinion mit behutsamer, intensiver Aufmerksamkeit verfolgt. Er kann diese Aufmerksamkeit auf praktisch alles richten. Er fragt nach. Wenn irgendein Detail ihm Verständnisschwierigkeiten bereitet oder sich Merediths traumatische Lebensgeschichte, die sie relativ bald vor ihm ausbreitet, im Kreis zu drehen beginnt, weiß er, wie er damit umgehen muss, um weiter im Netz der Zusammenhänge schwimmen zu können wie ein Fisch im Wasser: ",Is this boring?' - Drinion responds: ,The major part of it isn't, no.' - ,What part of it is boring?' - ,Boring isn't a very good term. Certain parts you tend to repeat or say over again only in a slightly different way. These parts add no new information, so these parts require more work to pay attention to.'"

Während des Gesprächs beginnt Drinion leicht zu schweben. Das passiert ihm immer, wenn er vollkommen "immersed", also versunken ist, es ist ihm gar nicht bewusst. Manchmal schwebt er kopfüber über einer Steuererklärung, die er zu prüfen hat. Vielleicht verrenkt sich an dieser Stelle der Leser ein wenig und wittert eine Art moderner Heiligenerzählung. Möglicherweise ist das auch David Foster Wallaces Intention gewesen.

Sein Shane Drinion ist eine Art Anti-Bartleby. Melvilles Jahrhundertfigur verhält sich zur Welt vor allem durch ihre berühmt gewordene Zauberformel "I would prefer not to". Mit seinem "Ich möchte lieber nicht" schält der Kanzleischreiber Bartleby sich langsam aus der Welt heraus, bis er in planetarer Abgeschiedenheit und Nacktheit irgendwo in einem völlig unwichtigen Eck des Universums seine letzten Tage verbringt. Shane Drinions Zauberformel dagegen könnte lauten: "Is there some extra information I need to understand this?", also: "Benötige ich noch irgendeine zusätzliche Information, um das hier zu verstehen?"

Shane Drinions Gespräch mit Meredith Rand, so majestätisch, präzise und überraschend in seiner stillen Skurrilität es auch ist, erscheint als eine Art Testlauf für die verstörende, in ihren unkonzentriertesten Augenblicken durchaus an Selbsthilfesentenzen erinnernde These des Romans, nämlich dass ein menschliches Wesen, das durch nichts mehr gelangweilt werden kann, das "unboreable" ist, als einziges einen wirklichen Unterschied in der Welt bewirken kann. Drinion ist die Verkörperung dieser Erkenntnis (wenn es denn tatsächlich eine ist), der Crashtest-Dummy für das Programm des Romans: das Studium menschlicher Aufmerksamkeit und Konzentration im Angesicht totaler Sinnlosigkeit.

"To be immersed", völlig versunken sein, nennt Wallace diesen Zustand. Es ist das exakte Gegenteil jener Grunderfahrung, die das Werk von David Foster Wallace (vor allem den Roman "Unendlicher Spaß" und einige seiner großen Essays) prägte: jener bekannte Augenblick, der vielleicht irgendwann in den siebziger Jahren, vielleicht aber auch schon früher, zum ersten Mal beobachtet wurde: das epileptische Protestgebrüll, gefolgt von inständigem Flehen und Betteln, in das Kinder verfallen, deren Fernsehgerät von den Eltern plötzlich, ohne Vorwarnung, sozusagen aus dem Hinterhalt, abgeschaltet wird. Der plötzliche kalte Entzug des Bewusstseins von hypnotischen, überwältigend interessanten Dingen. Wallace erkennt diesen Entzug überall, in "Unendlicher Spaß" wird er ins Fraktal-Unendliche aufgesplittert, durchzieht die Lebensgeschichten von Süchtigen und jungen Hochleistungssportlern. Auch die Männer und Frauen der Steuerbehörde von Peoria, Illinois, kennen ihn. Aber sie werden von ihrem Erfinder durch ihn hindurchgeschickt, auf die andere Seite.

Wir dürfen uns Drinion als glücklichen Menschen vorstellen, der entdeckt, dass jenseits der Langeweile pure Lebensfreude liegt, "constant bliss in every atom". So steht es in den von Wallaces Lektor Michael Pietsch zusammengestellten "Notes and Asides" am Ende des Buches. Eine Gebrauchsanleitung also für besseres Leben, für Freude? Wäre dies alles, würde man den Autor des Kapitels "§46" vielleicht als eine Art Hermann Hesse der Postmoderne abtun können, der seinen Lesern Weisheit zu spenden vermag. Auch die als "This is Water" postum als Buch veröffentlichte Rede kommt einem in den Sinn, die David Foster Wallace im Jahr am Kenyon College vor der Abschlussklasse des Jahres 2005 gehalten hat und in der er ein Überlebenspaket formuliert, das genau mit dem Drinionschen Zustand zu tun hat: die bewusst gesteuerte Aufmerksamkeit. Das Ablegen von Standardreflexen. Okay, das ist es also, könnte man sagen. Das Kapitel "§46" spielt dieses Konzept eben noch einmal durch, die totale Immersion von Drinion wird untersucht, wir unternehmen eine Bergwerksfahrt mit Taschenlampen und Grubenhelmen in diesen Zustand.

Aber das ist Gott sei Dank nicht alles. Meredith Rands Beichte über ihr verkorkstes Leben ist eine jener Geschichten, wie man sie oft von schrankenlosen Menschen erzählt bekommt - und für Shane Drinion ist sie wahrscheinlich eine unvergessliche Epiphanie, so wie es die Überprüfung einer Steuererklärung sein kann. Und hier wird es - wie gesagt: Gott sei Dank - sehr seltsam. Denn trotz all der Rezepte für "constant bliss in every atom" stellt die körperliche Existenz von Shane Drinion dem Leser unentwegt die Frage: Gut, das mit der bewusst gesteuerten Aufmerksamkeit mag ja stimmen, aber was, wenn man diesen Bewusstseinszustand - unboreable, unlangweilbar - tatsächlich erreichen würde? Die John Cageschen Zweierpotenzen, in denen man eine unerträglich uninteressante Tätigkeit wiederholt hat, haben funktioniert, man ist in-der-Welt, jedes Partikelchen ist interessant, eine Quelle von Inspiration und Erkenntnis. Wäre das womöglich die absolute Hölle?

Ein wenig von dieser Möglichkeit, ein Schatten, der in diese Richtung zu weisen schient, liegt über dem Kapitel. Und gerade das macht es zu dem ungewöhnlichen Kunstwerk, das es ist. Denn sie wartet also auf beiden Seiten: auf der Seite der entertainment junkies, für die jede langweilige, monotone Situation schon einen dramatischen Entzug bedeutet, ebenso wie auf der Seite der totalen Immersion, der mönchischen Versenkung in die Kunst der bewusst gesteuerten Aufmerksamkeit. Am Ende des Immersions-Regenbogens wartet die einsame Sinnlosigkeit dieses Glücks. Das totale Glück, die Freude über jedes langweilige Atom, bedeutet einen Zustand, der im Grunde vom Tod nurmehr durch Haarspalterei unterschieden werden kann. Das zeigt David Foster Wallace, möglicherweise weniger absichtlich und thesengesteuert, als man ihm unterstellen möchte, in der Figur von Shane Drinion. Erst ab der dritten oder vierten Lektüre des Kapitels habe ich vor ihm Angst bekommen, dafür allerdings eine unendliche, alles andere aus dem Weg räumende Angst. Er ist in diesem Zustand gefangen, er wird nie wieder auf die Erde zurückkommen, er ist fertig, bald wird er vielleicht vollkommen leer sein, erleuchtet, was auch immer. Die Welt kann ihm nichts mehr anhaben. Es ist ihm alles, absolut alles zuzutrauen.

Denn das ist das beste case scenario im Leben, tatsächlich alles, was wir tun können, scheint seine Existenz zu sagen: glücklich sein über jedes Atom, sich für alles interessieren. Mehr geht nicht. Man könnte schreien. Dabei ist es nicht einmal ein banales Glück, bei dem man das dumme Grinsen immer auf dem eigenen Gesicht vermuten kann und im stillen, faustischen Teil des Bewusstseins dagegen revoltiert und zurück in den Konflikt, in die Langeweile, die tödliche Monotonie drängt. Nein, es ist tatsächlich der Zustand eines voll ausgelasteten Bewusstseins, Aufmerksamkeit und Sinn. Mehr geht tatsächlich nicht? Schrecklich: zu sehen, wozu man auf Erden als menschliches Ding verdammt ist. Dafür also sind die Quastenflosser einst aus ihren Urzeittümpeln gekrochen und haben gelernt, Luft zu atmen. Wer weiß, wozu Shane Drinion noch fähig gewesen wäre im weiteren Verlauf dieses Romans, der leider unsichtbar geblieben ist?

Der Schriftsteller Clemens J. Setz, geboren 1982 in Graz, wurde bekannt mit dem Roman "Die Frequenzen" (2009). Für seinen Erzählungsband "Die Liebe in Zeiten des Mahlstädter Kindes" erhielt er im Frühjahr den Preis der Leipziger Buchmesse.

David Foster Wallace: "The Pale King".

Little, Brown and Company, New York 2011. 560 S., geb., 27,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2011

An den Ufern des Aktenstroms
Gaga im Finanzamt: In seinem nachgelassenen Roman „The Pale King“ erforscht David Foster Wallace den dunklen Kontinent der Langeweile
Bevor David Foster Wallace sich am
12. September 2008 in seinem Haus in Claremont, Kalifornien erhängte, nachdem er das Antidepressivum Nardil abgesetzt hatte, ordnete er auf seinem Schreibtisch das unvollendete Manuskript, an dem er jahrelang unter immer peinigenderen Zweifeln gearbeitet hatte. Seine Frau, seine Agentin und sein Lektor Michael Pietsch vom Verlag Little, Brown fanden in seinem Büro weitere Fragmente: Dateien auf Wallace’ Festplatte, ganze Kapitel in seinen Notizbüchern. Auf Seiten, mit denen er zufrieden war, klebten Smiley-Aufkleber wie in den Diktatheften von Grundschülern „WOW!“ Pietsch schleppte das Manuskript nach New York und begann, im Auftrag von Green mit der über zweijährigen Arbeit, in dem Material, das weder Ende noch erkennbare Ordnung hatte, „die bestmögliche Version“ des Romans zu finden.
Pietsch macht sich keine Illusionen darüber, dass „dieser Roman ein bei weitem anderer geworden wäre“, hätte Wallace ihn vollenden können. Doch angesichts der Tiefe und der Traurigkeit von „The Pale King“, der in den Vereinigten Staaten in dieser Woche erscheint, verlieren sich eventuelle philologische Einwände schnell. Der Roman ist mehr als ein weiterer, großartiger Wallace-Text. Er ist das Produkt einer selbstkritischen Revision und der Pfad, auf dem Wallace sich aus einer tiefen Krise herauszukämpfen versuchte. Der Suizid wiederum lädt das Buch unweigerlich mit dem Pathos des Vermächtnisses auf. Erstaunlich ist, wie selbstverständlich der Roman dieses Gewicht trägt.
„The Pale King“ hat weder das magnesiumhelle Gleißen noch das amoklaufende Genie von „Infinite Jest“, dem Großroman, mit dem Wallace 1996 die größte literarische Sensation seit Pynchons und DeLillos Romanen gelungen war. Das ist nicht unbedingt von Nachteil: Wallace hat verstanden, dass shock and awe als literarische Strategie keine Zukunft hat, und dass nicht jeder Roman, wie „Infinite Jest“, 588 Fußnoten braucht.
Am Anfang der Arbeit an „The Pale King“ stand Wallaces Erschrecken über die Aggressivität seines Virtuosentums. Eine neue humanistische Sorge wurde zum beherrschenden Thema seiner letzten Lebensjahre. Ein guter Autor solle „den Lesern helfen, weniger allein zu sein“, schrieb er. Er wolle „moralisch leidenschaftliche und leidenschaftlich moralische“ Literatur schreiben.
Doch der schüchternere Auftritt von „The Pale King“ ist auch seinem Thema geschuldet. „Infinite Jest“ beschrieb eine nahe Zukunft, in der wir uns als Opfer unserer Unterhaltungs- und Betäubungssucht buchstäblich zu Tode amüsieren. Der Roman selbst wurde zum Abbild davon: mit Kaskaden der Verzettelung, mit Spiegelkabinetten, deren erheiternde Brechungen in klaustrophobischem Entsetzen mündeten.
„The Pale King“ widmet sich der anderen Seite derselben Medaille: der Langeweile, deren unerträglich lautes Schweigen wir mit Dauerentertainment zu übertönen suchen. Wallace geht es nicht um ihren Weltschmerzaspekt, diesen Standardtopos der Moderne von Flauberts „Éducation Sentimentale“ bis zu den Büchern von Bret Easton Ellis. Was ihn interessiert, ist ihre mörderische Mechanik, und was diejenigen tun, die der Langeweile ausgeliefert sind. Welches Setting könnte für einen solchen Roman besser geeignet sein als das Regionale Prüfzentrum der amerikanischen Steuerbehörde IRS in Peoria, Illinois, wo die Tage so ablaufen: „Chris Fogle blättert um. Howard Cardwell blättert um. Ken Wax blättert um. Matt Redgate blättert um. Der ,lässige‘ Bruce Channing heftet ein Formular an eine Akte. Ann Williams blättert um. Anand Singh blättert versehentlich zwei Seiten gleichzeitig um und blättert eine zurück, was ein etwas unterschiedliches Geräusch macht. David Cusk blättert um.“
Doch bevor wir an diesem leeren Nullpunkt in der Mitte des Romans angelangt sind, hören wir die Vorgeschichten der „verlorenen Seelen“, ihre Biographien der äußeren Stagnation und des inneren Mäanderns. Da ist David Cusk, der seinen emotionalen Zustand obsessiv überwacht, um die Schwitzattacken vorherzusehen, die ihn regelmäßig überkommen; Chris Fogle, ein verquatschter Kiffer, dessen Lieblingszustand das eigene „Verdoppeln“ mit ADD-Medikamenten ist; und Claude Sylvenshine, der mit seiner paranormalen „Random-Fact Intuition“ nutzlose Informationen über seine Mitmenschen erspürt. Es sind lauter Wahrnehmungsneurotiker, die an ihrem inneren Datenverkehr irre zu werden drohen, bis sie die Buchhaltung entdecken.
Für Fogle etwa begann es, als er beim Betrachten einer Soap Opera vor jeder Werbepause von einer ernsten Stimme erinnert wird: „You’re watching ,As the World Turns‘“. Er ist überwältigt von der simplen Wahrheit dieses Satzes und wie wachgerüttelt von seiner zweiten Bedeutung: Du sitzt hier und glotzt, und die Welt dreht sich! Wenig später tritt er in den „Dienst“ ein.
Kein Zufall, dass es ein charismatischer Jesuit ist, der Fogle die Augen öffnet. Wallaces Figuren finden zu ihrer Behördenfron wie arme Sünder in Erbauungsgeschichten zum Glauben. Bei ihrer Ankunft in Peoria wird mit ihrer alten Sozialversicherungsnummer ihre bisherige Existenz gelöscht. Wie Mönche sitzen sie an den abgewetzten Schreibtischen. Und der nie abebbende Aktenstrom – „Form 2106-EZ“, „Form 1040 Schedule D“, „Form 3IR plus 12 (A)“ – wird zu einer Prüfung, an deren Ende sie so etwas wie Glückseligkeit erwartet.
Wallace gelingt es, diese groteske Grundidee seines Romans ohne jede Spur von Ironie zu entwickeln. Doch dem postmodernen Erzählen ist er trotz seiner Zweifel treuer geblieben, als man nach den ersten Berichten von diesem Buch erwartet hatte. „Autor hier. Also der wirkliche Autor, das lebende menschliche Wesen, das den Bleistift hält, nicht irgendeine abstrakte, narrative Personal. . . David Wallace, 40 Jahre alt, Sozialversicherungsnr. 975-04-2012“, beginnt er das neunte Kapitel, überschrieben „Vorwort des Autors“ und behauptet „Das alles ist wahr. Dieses Buch ist wirklich wahr.“ Es handele sich um eine „nicht-fiktionale Autobiographie, ergänzt um Elemente von rekonstruktivem Journalismus, Psychologie von Organisationen, elementaren Theorien des Gesellschafts- und Steuerwesens, & c.“, in der er von den 13 Monaten erzähle, die er als Buchhalter in Peoria gearbeitet habe, nachdem er von seinem Elitecollege geflogen war, weil er seinen Kommilitonen ihre Hausarbeiten geschrieben habe.
Nicht nur ist dieser „wahre“ Autor natürlich erfunden – wenn auch nicht der Teil von ihm, der davon träumte, ein „unsterblich großer Schriftsteller à la Gaddis oder Anderson, Balzac oder Perec“ zu werden. Der fiktive David Wallace wird bei seiner Ankunft auch noch mit einem zweiten Mann desselben Namens aus der Steuerbehörde in Rome, New York verwechselt. Auch sonst schraubt Wallace mit dem Werkzeug der Postmoderne: Seine Kapitel sind Puzzleteile mit dutzenderlei Erzählstimmen, die der Leser trotz Pietschs Vorarbeit erst nach und nach zusammenfügen kann.
Einige sind nur ein paar Zeilen lang, andere ziehen sich über 100 Seiten hin; mal hört der Leser die bewegende Lebensbeichte eines 20-Jährigen, mal wird er mit einer Debatte zur amerikanischen Verfassung gequält, die von Tocqueville via „Der Exorzist“ bis zu Reagan dahinstolpert. Seine berüchtigten Fuß- und Endnoten konnte sich Wallace nicht ganz verkneifen. Und mit Gaga-Namen wie Dick Tate oder Errol Merril Lehrl verbeugt er sich vor Thomas Pynchon.
Während der Arbeit an „The Pale King“ schrieb Wallace über seine „verbalen Gewohnheiten“, sie hätten sich „von einer Entdeckung zu einer Technik zu einem Tic“ entwickelt. Dennoch trommelt er auch hier seine funkelnden Sätze aus unfassbar brillanten Beschreibungen, Vulgärrülpsern und verquasten Echos der Fake-Rhetorik aus Werbung, Bürokratie und Medien zusammen.
Doch während er letztere in „Infinite Jest“ noch feixend auf die ironische Spitze trieb, setzt er sie hier mit ernsteren Absichten ein: Als seien sie auf der Flucht vor sich selbst, lässt er seine Figuren die Technokratenlingo nachplappern, die täglich durch ihr Hirn rinnt. Sie sprechen von „intrafamiliären Spannungen“, „max. capacity 24“-Bussen und nennen einen Vorgesetzten „Agenten-Moral-orientiert“. Die Figur David Wallace, deren Lebensproblem seine groteske Akne ist, nennt diese „schwer/entstellend“, als sei er sein eigener Arzt.
Hinter der Langeweile, jenseits der Kulissen, hinter denen wir uns vor uns selbst verstecken, wartet das verschüttete Glück der Aufmerksamkeit, des Bei-sich- und Im-Moment-Seins, „a second-by-second joy + gratitude at the gift of being alive, conscious. Wallace ruft es hier wohl umso leidenschaftlicher zum Ideal menschlicher Existenz aus, als er es selbst so selten erlebte. JÖRG HÄNTZSCHEL
DAVID FOSTER WALLACE: The Pale King. Little, Brown and Company, New York 2011. 548 Seiten, 27, 99 Dollar.
„Chris Fogle blättert um.
Howard Cardwell blättert um.
Matt Redgate blättert um.“
Wie Mönche sitzen die
Sachbearbeiter an ihren
abgewetzten Schreibtischen
Über den Schreibtischen der Finanzbeamten liegt die Langeweile – draußen im Lande aber spalten Steuerfragen die amerikanische Nation. Foto: Getty Images/AFP
David Foster Wallace im Januar 2006 bei einer öffentlichen Lesung in Manhattan. Zweieinhalb Jahre später wurde er von seiner Frau in dem gemeinsamen Haus im kalifornischen Claremont tot aufgefunden.
Foto: Suzy Allman / The New York Times
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One of the strangest, saddest, most haunting things I've ever read Guardian