Vom Post-Imperium zum neuen Reich der Mitte: was einst Amerika, ist heute China. Der Schweizer Fotograf Christian Lutz begibt sich nach seinem Projekt Insert Coins (2016), das sich dem Verfall von Las Vegas widmete, in die chinesische Sonderwirtschaftszone Macao. Auch in The Pearl River dreht sich wieder alles um Geld, Luxus, Oberflächen. Die Liberalisierung des Glückspiels zu Beginn der 2000er-Jahre markierte den Aufstieg der einstigen portugiesischen Kolonie. Es folgten: generisch-algorithmisch entworfene Monumentalbauten nach dem Vorbild von Venedig und Paris, ausgekleidet mit Marmor und Gold, sowie jährlich 30 Millionen - mehrheitlich chinesische - Touristen. Im regulierten Mikroklima der Spielhallen, Boutiquen und Bars bewegen sich die üblichen Geschäftsmänner und Politiker in schlecht sitzenden Anzügen und chinesische Aufsteigerfamilien in Sweatpants und Flip-Flops.Alles ist aseptisch, staubfrei. Alles verweist auf Europa und auf Amerika. Ausgehöhlter als in Las Vegas sind die architektonischen Versatzstücke - Simulation der Simulation. Lutz' fotografischer Blick tastet lakonisch und insistierend zugleich die glatten Oberflächen dieser schönen neuen Welt ab. Dabei machen sich erste Risse bemerkbar.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2020Mit dem Rücken gegen die Wand
Kaum ein Wort, nur Bilder: Der Schweizer Fotograf Christian Lutz verzichtet in "The Pearl River" nicht nur auf vertiefende Essays, sondern sogar auf kleinste Hinweise, die Ort, Zeit und Umstände betreffen. Wir erfahren nur, dass wir uns in der chinesischen Sonderwirtschaftszone Macau befinden, der früheren portugiesischen Kolonie, die sich in eine Industriemetropole, vor allem aber in ein von Touristen überlaufenes, überlebensgroßes Glücksspielparadies verwandelt hat, das bei genauerem Hinsehen von einer Hölle nur schwer zu unterscheiden ist. Lutz interessiert sich für soziale, ökonomische und politische Dynamiken und Machtverhältnisse, denen er aber, prima vista zumindest, nicht auf den Grund geht. Er beschränkt sich auf die Oberflächen, auf das, was man sofort zu sehen bekommt. Vor ein paar Jahren widmete er sich den an Glanz verlierenden Ecken von Las Vegas. Macau ist die verschärfte Form; ein Artefakt aus Marmor und Gold, eine Nachahmung euro-amerikanischer Phantasieräume. Alles ist Kulisse. Drei Männer in Anzügen gehen fast unter in einer überdimensionierten, weiß glitzernden Halle, deren Sinn sich nicht erschließt. Die Sehnsucht der jungen Frauen in den Passagen, Boutiquen und Bars erkennt man an den Smartphones, den Einkaufstüten und ziellosen Blicken. Der unbarmherzige Soziologe Lutz erweist sich als bildmächtiger Anthropologe. Das Glücksversprechen versteinert in den Palästen des neuen Reichtums; das erträumte Leben erstickt in einem Überfluss, der ratlos macht.
lem
"The Pearl River" von Christian Lutz. Edition Patrick Frey, Zürich 2019. 152 Seiten, 75 Farbabbildungen. Gebunden, 52 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kaum ein Wort, nur Bilder: Der Schweizer Fotograf Christian Lutz verzichtet in "The Pearl River" nicht nur auf vertiefende Essays, sondern sogar auf kleinste Hinweise, die Ort, Zeit und Umstände betreffen. Wir erfahren nur, dass wir uns in der chinesischen Sonderwirtschaftszone Macau befinden, der früheren portugiesischen Kolonie, die sich in eine Industriemetropole, vor allem aber in ein von Touristen überlaufenes, überlebensgroßes Glücksspielparadies verwandelt hat, das bei genauerem Hinsehen von einer Hölle nur schwer zu unterscheiden ist. Lutz interessiert sich für soziale, ökonomische und politische Dynamiken und Machtverhältnisse, denen er aber, prima vista zumindest, nicht auf den Grund geht. Er beschränkt sich auf die Oberflächen, auf das, was man sofort zu sehen bekommt. Vor ein paar Jahren widmete er sich den an Glanz verlierenden Ecken von Las Vegas. Macau ist die verschärfte Form; ein Artefakt aus Marmor und Gold, eine Nachahmung euro-amerikanischer Phantasieräume. Alles ist Kulisse. Drei Männer in Anzügen gehen fast unter in einer überdimensionierten, weiß glitzernden Halle, deren Sinn sich nicht erschließt. Die Sehnsucht der jungen Frauen in den Passagen, Boutiquen und Bars erkennt man an den Smartphones, den Einkaufstüten und ziellosen Blicken. Der unbarmherzige Soziologe Lutz erweist sich als bildmächtiger Anthropologe. Das Glücksversprechen versteinert in den Palästen des neuen Reichtums; das erträumte Leben erstickt in einem Überfluss, der ratlos macht.
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"The Pearl River" von Christian Lutz. Edition Patrick Frey, Zürich 2019. 152 Seiten, 75 Farbabbildungen. Gebunden, 52 Euro.
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