Amidst disillusioned saints hiding in wrestling rings, mothers burnt by glowing halos, and a Baby Nostradamus who sees only blackness, a gang of flower pickers heads off to war, led by a lonely man who cannot help but wet his bed in sadness. Part memoir, part lies, this is a book about the wounds inflicted by first love and sharp objects.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2010Ein Himmelskörper nicht nur für Genies und Melancholiker
Schreiben ist Krieg: Salvador Plascencia erzählt in seinem Debütroman "Menschen aus Papier" von dem verzweifelten Kampf des Autors um seinen Text.
Merced de Papel gehört, wie ihr spanischer Name schon sagt, zum Volk der "Menschen aus Papier", so der Titel des Romans von Salvador Plascencia. Merced ist das Meisterstück des "Origami-Chirurgen" Antonio. Herzen, Lebern, Lungen und andere lebensrettende Transplantationsorgane faltet er kunstvoll aus Papier, nach dem Ritus einer inzwischen mit dem Kirchenbann belegten Mönchsbruderschaft. Anders als dem häretischen Faltkünstler ist dem Autor aber nicht vorzuwerfen, dass er unfähig sei, wasserfeste Wesen aus Fleisch und Blut zu schaffen. Vielmehr gelingt es ihm, die Bewohner des kalifornischen Nests El Monte zum Leben zu erwecken. Sie alle teilen mit dem Autor das Schicksal des Migrantendaseins - in Mexiko zur Welt gekommen, teils schon als Kind illegal durch den Zaun nach Amerika geschlüpft und nun auf der Suche nach einem neuen Leben.
Für Plascencia wurde diese Suche mit Erfolg gekrönt. Der 1976 geborene Sohn eines Fabrikarbeiters und einer Näherin aus Guadalajara, der als Jugendlicher noch kein Wort Englisch sprach, erhielt ein Stipendium "für Neuamerikaner", was die Entstehung dieses überraschenden Romandebüts ermöglichte. Darin verlässt Merced, eine Frau aus Fleisch, aber ähnlich feuchtigkeitsscheu wie ihre papierene Namensgenossin, ihren Mann Federico de la Fe wegen seines Bettnässens, woraufhin der in tiefe Melancholie fällt. Schließlich kreuzt er mit seiner Tochter Little Merced die Grenze nach El Monte.
Dort erkennt er dann den wahren Schuldigen an seinem Zustand. Statt sich an die pflichtgemäße Erfüllung des amerikanischen Traums zu machen, rüstet er lieber zum paranoiden Krieg gegen den ungebetenen Eindringling, der sein Leben unablässig beobachtet und manipuliert.
Bei diesem handelt es sich aber nicht etwa um Außerirdische, Spionagesatelliten oder den neoliberalen Kapitalismus - sondern um Saturn, jenen beringten Planeten also, der seit Jahrhunderten als Himmelskörper der Genies und Melancholiker identifiziert ist. Doch erst Federico de la Fe weiß seinem Treiben entgegenzutreten und ihn an den Rand des Himmelssturzes zu treiben. Saturn rächt sich und überzieht El Monte mit Ascheplagen. Eine überraschende Wendung nimmt dieser Krieg, als der Autor Salvador Plascencia in der Handlung auftaucht, der, dem Saturn des antiken Mythos gleich, seine Kinder fressen will. Nunmehr ist das Schlimmste zu befürchten, der ungleiche, archaische Kampf zwischen Mensch und Planet ist in seiner anachronistischen Fremdartigkeit zunächst auch reizvoll: "Menschen aus Papier" strotzt vor literaturgeschichtlichen Referenzen. T. C. Boyle hat auf Spuren von García Márquez bei Plascencia verwiesen. In den übernatürlichen Plagen und prähistorischen Riten hat das raum- und zeitentrückte El Monte das Zeug zu einem kalifornischen Macondo. Indem Plascencia den linearen Erzähltext über weite Stellen bricht und jede Seite in mehrere Kolumnen aufspaltet, worin die Figuren aus ihrer Perspektive erzählen, scheint er das rhizomatische Schreiben verwirklichen zu wollen. Auch der Romantitel verweist bereits darauf, dass die Handlung und ihre Figuren nicht Repräsentation von Wirklichkeit, sondern ein Konstrukt aus Blättern und Buchstaben sind.
Doch dann kommt alles anders. Plascencia beweist sein Talent, indem er sich selbst Fallen legt. Noch ehe Anspielungen auf poststrukturale Erzähltheorie und magischen Realismus als zu konstruiert wirken könnten, wirft der Autor sie selbst über den Haufen. Und das nicht zuletzt für eine Frau namens Elizabeth, die ihn aber für einen Gringo sitzenlässt. Plascencia erscheint hier nicht als ein über seinem papierenen Volk schwebender Text-Gott, der souverän mit Mustern und Handlungselementen schaltet. Dafür ist sein eigenes Leben viel zu verpfuscht.
Was Elizabeth am wenigsten ertragen kann, ist Saturns Krieg, den er noch dazu verliert. Denn die Handlung ufert aus, entgleitet dem um Zusammenhalt ringenden Erzähler, verästelt sich in immer undurchschaubarere Mengen von Protagonisten und bizarren Episoden - von Rita Hayworth, die ihre Ursprünge als Prostituierte in einer mexikanischen Salatpflückerfirma outet, bis hin zu Nostradamus, der als Neugeborener den Romanfiguren das Rezept enthüllt, ihre Gedanken vor dem Autor zu verstecken, was dessen Schiffbruch und den Sieg der Figuren über Saturn endgültig besiegelt.
Um den Zusammenbruch zu kaschieren und zu Ende zu führen, was kein schlüssiges Ende hat, bleibt nur noch der Selbstbetrug. Sinnbild dafür ist ein aus dem Vatikan in die Handlung eindringender Kardinal Mahony. Einst jungen Frauen zugetan, widmete er sich erst in dem Moment der geistlichen Liebe zur Jungfrau, als ihm beim Ausliefern einer Ladung Eier der Himmel auf den Rücken fiel. Um das irreparable Loch im Himmel zu kaschieren, braucht der Kardinal seine Religion - und der Autor seine Fiktion. Mit ihr tröstet er sich darüber hinweg, dass es nicht nur seinen Figuren an Fleisch und Blut mangelt, sondern auch ihm selbst und seiner Verflossenen Elizabeth, der er das Buch gewidmet hat und "die mich gelehrt hat, dass wir alle aus Papier sind".
Diese ständige Durchdringung von literarischem Universum und einer sei es auch nur fiktiven Biographie seines Schöpfers, der an seiner Kreation verzweifelt, hebt Plascencias Geflecht aus Versatzstücken über ein bloßes Spiel mit der Selbstreferenzialität hinaus. "Menschen aus Papier" ist ein eindrucksvolles Zeugnis des zehrenden, oft bis zur Verzweiflung erfolglosen Kampfs des Autors um seinen Text. Darüber hinaus ist es ein facettenreiches Zeugnis des Zusammenstoßes von latein- und angloamerikanischer Erzähltradition. Allerorts quillt die Handlung von bizarren, teils grotesken, teils kitschigen, teils humoristischen Figuren über, die in der knallbunten Populärkultur Mexikos ihre Wurzeln haben und sich durch Salvador Plascencias Fabulierungslust in disparater Form mit der Migrantenrealität im Süden der Vereinigten Staaten verweben.
Mit einer eigenen, unverwechselbaren Stimme erzählt, sprengt "Menschen aus Papier" alle wohlmeinenden Etiketten wie das von der "Chicano-Literatur". Salvador Plascencias packender und kaum mit einem anderen Werk vergleichbarer Debütroman lässt auf Neues vom Autor hoffen.
FLORIAN BORCHMEYER
Salvador Plascencia: "Menschen aus Papier". Roman. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Edition Nautilus, Hamburg 2009. 288 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schreiben ist Krieg: Salvador Plascencia erzählt in seinem Debütroman "Menschen aus Papier" von dem verzweifelten Kampf des Autors um seinen Text.
Merced de Papel gehört, wie ihr spanischer Name schon sagt, zum Volk der "Menschen aus Papier", so der Titel des Romans von Salvador Plascencia. Merced ist das Meisterstück des "Origami-Chirurgen" Antonio. Herzen, Lebern, Lungen und andere lebensrettende Transplantationsorgane faltet er kunstvoll aus Papier, nach dem Ritus einer inzwischen mit dem Kirchenbann belegten Mönchsbruderschaft. Anders als dem häretischen Faltkünstler ist dem Autor aber nicht vorzuwerfen, dass er unfähig sei, wasserfeste Wesen aus Fleisch und Blut zu schaffen. Vielmehr gelingt es ihm, die Bewohner des kalifornischen Nests El Monte zum Leben zu erwecken. Sie alle teilen mit dem Autor das Schicksal des Migrantendaseins - in Mexiko zur Welt gekommen, teils schon als Kind illegal durch den Zaun nach Amerika geschlüpft und nun auf der Suche nach einem neuen Leben.
Für Plascencia wurde diese Suche mit Erfolg gekrönt. Der 1976 geborene Sohn eines Fabrikarbeiters und einer Näherin aus Guadalajara, der als Jugendlicher noch kein Wort Englisch sprach, erhielt ein Stipendium "für Neuamerikaner", was die Entstehung dieses überraschenden Romandebüts ermöglichte. Darin verlässt Merced, eine Frau aus Fleisch, aber ähnlich feuchtigkeitsscheu wie ihre papierene Namensgenossin, ihren Mann Federico de la Fe wegen seines Bettnässens, woraufhin der in tiefe Melancholie fällt. Schließlich kreuzt er mit seiner Tochter Little Merced die Grenze nach El Monte.
Dort erkennt er dann den wahren Schuldigen an seinem Zustand. Statt sich an die pflichtgemäße Erfüllung des amerikanischen Traums zu machen, rüstet er lieber zum paranoiden Krieg gegen den ungebetenen Eindringling, der sein Leben unablässig beobachtet und manipuliert.
Bei diesem handelt es sich aber nicht etwa um Außerirdische, Spionagesatelliten oder den neoliberalen Kapitalismus - sondern um Saturn, jenen beringten Planeten also, der seit Jahrhunderten als Himmelskörper der Genies und Melancholiker identifiziert ist. Doch erst Federico de la Fe weiß seinem Treiben entgegenzutreten und ihn an den Rand des Himmelssturzes zu treiben. Saturn rächt sich und überzieht El Monte mit Ascheplagen. Eine überraschende Wendung nimmt dieser Krieg, als der Autor Salvador Plascencia in der Handlung auftaucht, der, dem Saturn des antiken Mythos gleich, seine Kinder fressen will. Nunmehr ist das Schlimmste zu befürchten, der ungleiche, archaische Kampf zwischen Mensch und Planet ist in seiner anachronistischen Fremdartigkeit zunächst auch reizvoll: "Menschen aus Papier" strotzt vor literaturgeschichtlichen Referenzen. T. C. Boyle hat auf Spuren von García Márquez bei Plascencia verwiesen. In den übernatürlichen Plagen und prähistorischen Riten hat das raum- und zeitentrückte El Monte das Zeug zu einem kalifornischen Macondo. Indem Plascencia den linearen Erzähltext über weite Stellen bricht und jede Seite in mehrere Kolumnen aufspaltet, worin die Figuren aus ihrer Perspektive erzählen, scheint er das rhizomatische Schreiben verwirklichen zu wollen. Auch der Romantitel verweist bereits darauf, dass die Handlung und ihre Figuren nicht Repräsentation von Wirklichkeit, sondern ein Konstrukt aus Blättern und Buchstaben sind.
Doch dann kommt alles anders. Plascencia beweist sein Talent, indem er sich selbst Fallen legt. Noch ehe Anspielungen auf poststrukturale Erzähltheorie und magischen Realismus als zu konstruiert wirken könnten, wirft der Autor sie selbst über den Haufen. Und das nicht zuletzt für eine Frau namens Elizabeth, die ihn aber für einen Gringo sitzenlässt. Plascencia erscheint hier nicht als ein über seinem papierenen Volk schwebender Text-Gott, der souverän mit Mustern und Handlungselementen schaltet. Dafür ist sein eigenes Leben viel zu verpfuscht.
Was Elizabeth am wenigsten ertragen kann, ist Saturns Krieg, den er noch dazu verliert. Denn die Handlung ufert aus, entgleitet dem um Zusammenhalt ringenden Erzähler, verästelt sich in immer undurchschaubarere Mengen von Protagonisten und bizarren Episoden - von Rita Hayworth, die ihre Ursprünge als Prostituierte in einer mexikanischen Salatpflückerfirma outet, bis hin zu Nostradamus, der als Neugeborener den Romanfiguren das Rezept enthüllt, ihre Gedanken vor dem Autor zu verstecken, was dessen Schiffbruch und den Sieg der Figuren über Saturn endgültig besiegelt.
Um den Zusammenbruch zu kaschieren und zu Ende zu führen, was kein schlüssiges Ende hat, bleibt nur noch der Selbstbetrug. Sinnbild dafür ist ein aus dem Vatikan in die Handlung eindringender Kardinal Mahony. Einst jungen Frauen zugetan, widmete er sich erst in dem Moment der geistlichen Liebe zur Jungfrau, als ihm beim Ausliefern einer Ladung Eier der Himmel auf den Rücken fiel. Um das irreparable Loch im Himmel zu kaschieren, braucht der Kardinal seine Religion - und der Autor seine Fiktion. Mit ihr tröstet er sich darüber hinweg, dass es nicht nur seinen Figuren an Fleisch und Blut mangelt, sondern auch ihm selbst und seiner Verflossenen Elizabeth, der er das Buch gewidmet hat und "die mich gelehrt hat, dass wir alle aus Papier sind".
Diese ständige Durchdringung von literarischem Universum und einer sei es auch nur fiktiven Biographie seines Schöpfers, der an seiner Kreation verzweifelt, hebt Plascencias Geflecht aus Versatzstücken über ein bloßes Spiel mit der Selbstreferenzialität hinaus. "Menschen aus Papier" ist ein eindrucksvolles Zeugnis des zehrenden, oft bis zur Verzweiflung erfolglosen Kampfs des Autors um seinen Text. Darüber hinaus ist es ein facettenreiches Zeugnis des Zusammenstoßes von latein- und angloamerikanischer Erzähltradition. Allerorts quillt die Handlung von bizarren, teils grotesken, teils kitschigen, teils humoristischen Figuren über, die in der knallbunten Populärkultur Mexikos ihre Wurzeln haben und sich durch Salvador Plascencias Fabulierungslust in disparater Form mit der Migrantenrealität im Süden der Vereinigten Staaten verweben.
Mit einer eigenen, unverwechselbaren Stimme erzählt, sprengt "Menschen aus Papier" alle wohlmeinenden Etiketten wie das von der "Chicano-Literatur". Salvador Plascencias packender und kaum mit einem anderen Werk vergleichbarer Debütroman lässt auf Neues vom Autor hoffen.
FLORIAN BORCHMEYER
Salvador Plascencia: "Menschen aus Papier". Roman. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Edition Nautilus, Hamburg 2009. 288 S., geb., 19,90 [Euro].
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