Enthralled by his own exquisite portrait, Dorian Gray exchanges his soul for eternal youth and beauty. Influenced by his friend Lord Henry Wotton, he is drawn into a corrupt double life; indulging his desires in secret while remaining a gentleman in the eyes of polite society. Only his portrait bears the traces of his decadence. The novel was a succes de scandale and the book was later used as evidence against Wilde at the Old Bailey in 1895. It has lost none of its power to fascinate and disturb.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2001Scharlachrote Buchstaben-Lippen
Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" nach dem Erstdruck
Am Eingang zur literarischen Moderne steht Oscar Wilde, ein merkwürdiger Heiliger, der zu früh kam und dessen Texte mit dem, was die Bewegung schließlich ausmachte, nicht unbedingt viel zu schaffen hatte. Durch sein Martyrium ist er lebendig geblieben, und die Geschichte von seinem Glück und Ende steht unverrückbar nicht nur an der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert, sondern vor allem am Beginn der Befreiung der Homosexuellen aus den Fesseln einer gesellschaftlichen Diskriminierung. Diese Befreiung gelangt nun, hundert Jahre später, zumindest in Europa, allmählich an ihr Ziel. So wurde "Saint Oscar" nicht nur vor kurzem in London ein Denkmal gewidmet, sondern zu seinem hundertsten Todestag in diesem Jahr in allen Feuilletons der aufgeklärten Welt eine Menge Text; im Eichborn Verlag ist "Der unzensierte Wortlaut des Skandalromans" auf deutsch erschienen.
Der Herausgeber und Übersetzer Jörg W. Rademacher hat sich die Mühe gemacht, aus dem Typoskript und dem Erstdruck des Romans "Das Bildnis des Dorian Gray" alle jene Stellen zu rekonstruieren, die der Autor danach für die Buchausgabe verändert, gestrichen oder abgemildert hat. Die Erstveröffentlichung in "Lippincott's Monthly Magazine" hatte 1890 schon äußerst unfreundliche Kommentare auf sich gezogen. Eine "dumme und vulgäre Arbeit" nannte ein Rezensent das Buch, und dem Autor wurde attestiert, er habe mit der Publikation "seinem Verlangen nach trauriger Berühmtheit nachgegeben", was geradezu prophetisch klingt.
Wilde jedenfalls, um die geplante Buchausgabe und das damit verbundene zusätzliche Honorar zu retten, besserte an dem Text herum, um autobiographische Bezüge und eindeutige Anspielungen auf das, was Rademacher den "Kode unter Männerliebhabern" nennt, abzuschwächen; im Endeffekt dürften die Verschleifungen ihr Ziel nicht wirklich erreicht haben - oder nur im Hinblick auf Leute wie den Innsbrucker Gymnasiasten, der ich im Jahre 1971 war. Er hat, als er damals als einen der ersten englischen Romane seines Lebens - auf englisch - "The Picture of Dorian Gray" las, diese Anspielungen ganz einfach nicht mitbekommen. Gefallen haben dürfte ihm Wildes unverschämter Jugendkult, der vor dreißig Jahren noch nicht so völlig durchgesetzt war wie heute. Nun also mit der Wiederlektüre beauftragt, sticht mir geradezu überproportioniert ins Auge, was dem Knaben entging: in welchem Maße Wildes Ästhetizismus bei näherer Betrachtung die Geschmacksnerven strapaziert.
Der Kult des Schönen an und für sich, dem Wilde zu huldigen behauptet, ist tatsächlich ein Kult der Kleidungsstücke und Einrichtungsgegenstände, Blumen inbegriffen: "Das Atelier war erfüllt vom reichen Odeur der Rosen, und wenn der leichte Sommerwind ins Laub der Gartenbäume fuhr, drang durch die offene Tür der schwere Fliederduft oder das zarte Parfum des rosablühenden Dorns. In der Ecke des Diwans aus persischen Satteldecken, auf dem er wie üblich zahllose Zigaretten rauchend lag, erblickte Lord Henry Wotton eben noch den Schimmer der honigsüßen und honiggelben Blüten des Goldregens . . ." So honigsüß und honiggelb hebt der Roman an, und Steigerung ist nur dann noch möglich, wenn der Held auftritt, dessen Schönheit also besungen wird: "Lord Henry betrachtete ihn. Ja, er sah wirklich wunderbar aus mit den schöngeschwungenen, scharlachroten Lippen, den offenherzigen, blauen Augen und dem adretten Blondschopf."
Auch wenn man konzediert, daß der Übersetzer hier auf das kaum Erträgliche ("his frank blue eyes, his crisp gold hair") noch eins draufgesetzt hat, muß doch gesagt sein, daß die Stilebene, auf der wir uns hier befinden, üblicherweise in Häusern wie dem Gustav Lübbe Verlag verwaltet wird: "Die braunen Augen leuchteten, als seien Goldfunken darin gefangen, und der Mund, der beim Lächeln die einer Perlenschnur gleichenden Zähne enthüllte, war entzückend mit seinen weichen, geschwungenen Linien." Was die Stilsicherheit im Trivialen anlangt, ist Hedwig Courths-Mahler, die mit diesen Sätzen Griseldis aus dem gleichnamigen Roman beschreibt, Oscar Wilde vorzuziehen - sie arbeitet mit klaren Vorgaben und versucht nicht, wie der Franzose es ausdrücken würde, höher als ihr Hintern zu furzen. Wilde, der sichtlich an seine Zeitgenossen, die viktorianischen Schauerromantiker, anknüpft, zieht im Vergleich mit diesen Meisterwerken des Genres (etwa Bram Stokers "Dracula" oder Rider Haggards "Sie") deutlich den kürzeren.
So bleibt das Buch vor allem ein historisches Dokument, ein Beispiel für gnadenlose Medienhetze. Es erinnert an eine journalistische Meute von ehedem, die einen Autor, den sie zuvor in den Himmel gehoben hat, nun mit dem größten Genuß und von der aufregendsten moralischen Entrüstung erfüllt durch den Dreck schleift. Das sollte uns Zeitgenossen von Peter Handke und Martin Walser ja nicht ganz unbekannt vorkommen.
WALTER KLIER
Oscar Wilde: "Das Bildnis des Dorian Gray. Der unzensierte Wortlaut des Skandalromans". Herausgegeben, übersetzt, mit Anmerkungen und einem Dossier versehen von Jörg W. Rademacher. Verlag Eichborn Berlin, Berlin 2000. 260 S., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" nach dem Erstdruck
Am Eingang zur literarischen Moderne steht Oscar Wilde, ein merkwürdiger Heiliger, der zu früh kam und dessen Texte mit dem, was die Bewegung schließlich ausmachte, nicht unbedingt viel zu schaffen hatte. Durch sein Martyrium ist er lebendig geblieben, und die Geschichte von seinem Glück und Ende steht unverrückbar nicht nur an der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert, sondern vor allem am Beginn der Befreiung der Homosexuellen aus den Fesseln einer gesellschaftlichen Diskriminierung. Diese Befreiung gelangt nun, hundert Jahre später, zumindest in Europa, allmählich an ihr Ziel. So wurde "Saint Oscar" nicht nur vor kurzem in London ein Denkmal gewidmet, sondern zu seinem hundertsten Todestag in diesem Jahr in allen Feuilletons der aufgeklärten Welt eine Menge Text; im Eichborn Verlag ist "Der unzensierte Wortlaut des Skandalromans" auf deutsch erschienen.
Der Herausgeber und Übersetzer Jörg W. Rademacher hat sich die Mühe gemacht, aus dem Typoskript und dem Erstdruck des Romans "Das Bildnis des Dorian Gray" alle jene Stellen zu rekonstruieren, die der Autor danach für die Buchausgabe verändert, gestrichen oder abgemildert hat. Die Erstveröffentlichung in "Lippincott's Monthly Magazine" hatte 1890 schon äußerst unfreundliche Kommentare auf sich gezogen. Eine "dumme und vulgäre Arbeit" nannte ein Rezensent das Buch, und dem Autor wurde attestiert, er habe mit der Publikation "seinem Verlangen nach trauriger Berühmtheit nachgegeben", was geradezu prophetisch klingt.
Wilde jedenfalls, um die geplante Buchausgabe und das damit verbundene zusätzliche Honorar zu retten, besserte an dem Text herum, um autobiographische Bezüge und eindeutige Anspielungen auf das, was Rademacher den "Kode unter Männerliebhabern" nennt, abzuschwächen; im Endeffekt dürften die Verschleifungen ihr Ziel nicht wirklich erreicht haben - oder nur im Hinblick auf Leute wie den Innsbrucker Gymnasiasten, der ich im Jahre 1971 war. Er hat, als er damals als einen der ersten englischen Romane seines Lebens - auf englisch - "The Picture of Dorian Gray" las, diese Anspielungen ganz einfach nicht mitbekommen. Gefallen haben dürfte ihm Wildes unverschämter Jugendkult, der vor dreißig Jahren noch nicht so völlig durchgesetzt war wie heute. Nun also mit der Wiederlektüre beauftragt, sticht mir geradezu überproportioniert ins Auge, was dem Knaben entging: in welchem Maße Wildes Ästhetizismus bei näherer Betrachtung die Geschmacksnerven strapaziert.
Der Kult des Schönen an und für sich, dem Wilde zu huldigen behauptet, ist tatsächlich ein Kult der Kleidungsstücke und Einrichtungsgegenstände, Blumen inbegriffen: "Das Atelier war erfüllt vom reichen Odeur der Rosen, und wenn der leichte Sommerwind ins Laub der Gartenbäume fuhr, drang durch die offene Tür der schwere Fliederduft oder das zarte Parfum des rosablühenden Dorns. In der Ecke des Diwans aus persischen Satteldecken, auf dem er wie üblich zahllose Zigaretten rauchend lag, erblickte Lord Henry Wotton eben noch den Schimmer der honigsüßen und honiggelben Blüten des Goldregens . . ." So honigsüß und honiggelb hebt der Roman an, und Steigerung ist nur dann noch möglich, wenn der Held auftritt, dessen Schönheit also besungen wird: "Lord Henry betrachtete ihn. Ja, er sah wirklich wunderbar aus mit den schöngeschwungenen, scharlachroten Lippen, den offenherzigen, blauen Augen und dem adretten Blondschopf."
Auch wenn man konzediert, daß der Übersetzer hier auf das kaum Erträgliche ("his frank blue eyes, his crisp gold hair") noch eins draufgesetzt hat, muß doch gesagt sein, daß die Stilebene, auf der wir uns hier befinden, üblicherweise in Häusern wie dem Gustav Lübbe Verlag verwaltet wird: "Die braunen Augen leuchteten, als seien Goldfunken darin gefangen, und der Mund, der beim Lächeln die einer Perlenschnur gleichenden Zähne enthüllte, war entzückend mit seinen weichen, geschwungenen Linien." Was die Stilsicherheit im Trivialen anlangt, ist Hedwig Courths-Mahler, die mit diesen Sätzen Griseldis aus dem gleichnamigen Roman beschreibt, Oscar Wilde vorzuziehen - sie arbeitet mit klaren Vorgaben und versucht nicht, wie der Franzose es ausdrücken würde, höher als ihr Hintern zu furzen. Wilde, der sichtlich an seine Zeitgenossen, die viktorianischen Schauerromantiker, anknüpft, zieht im Vergleich mit diesen Meisterwerken des Genres (etwa Bram Stokers "Dracula" oder Rider Haggards "Sie") deutlich den kürzeren.
So bleibt das Buch vor allem ein historisches Dokument, ein Beispiel für gnadenlose Medienhetze. Es erinnert an eine journalistische Meute von ehedem, die einen Autor, den sie zuvor in den Himmel gehoben hat, nun mit dem größten Genuß und von der aufregendsten moralischen Entrüstung erfüllt durch den Dreck schleift. Das sollte uns Zeitgenossen von Peter Handke und Martin Walser ja nicht ganz unbekannt vorkommen.
WALTER KLIER
Oscar Wilde: "Das Bildnis des Dorian Gray. Der unzensierte Wortlaut des Skandalromans". Herausgegeben, übersetzt, mit Anmerkungen und einem Dossier versehen von Jörg W. Rademacher. Verlag Eichborn Berlin, Berlin 2000. 260 S., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2005 Band 44
Spiegel der geschundenen Seele
Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray”
Nein, etwas so Ordinäres wie einen Roman hat Oscar Wilde nie schreiben wollen, doch das Publikum verschlang seine Geschichte über den Fluch der Schönheit wie einen Roman. Ja, wer nur die übers Buch verstreuten Verbrechen zusammenfasst, der kann sich sogar in eine Schauergeschichte versetzt fühlen.
Was das 1890 in einer Zeitschrift veröffentlichte, erst im zweiten Anlauf auf Romanlänge gedehnte epische Gebilde weit ins 20. Jahrhundert hinein hebt, ist die von der Titelfigur vorgelebte Utopie der ewigen Jugend, die von Wilde mit Motiven aus dem Faust-Stoff und romantischen Doppelgänger-Mythen kunstvoll ausstaffiert wurde. Der ästhetisch wie moralisch ideal-schöne Jüngling Dorian Gray wird vom Glanz seines gemalten Ebenbilds und von der zynisch brillanten Suada seines mephistophelischen Mentors zum Pakt mit dem Teufel im eigenen Inneren, zum schranken- und gewissenlosen Ausleben seiner Jugend auf Kosten der Mitwelt und der eigenen Seele verführt: Die schaurigen Folgen des Selbstverwirklichungstrips graben sich in das gemalte Abbild ein; das fleischliche Urbild aber bleibt in so obszöner Weise jugendlich strahlend, dass der Konflikt mit der Realität nicht aufzuhalten ist. Das faulende Bildnis des Dorian Gray wird zum Abbild einer geschundenen Seele, zum Kampfplatz verdrängter Ungeheuerlichkeiten. Selten hat das Unterbewusstsein eine schlüssigere Bildform gefunden.
Wer heute, ein Jahrhundert nach den Bild-Exaltationen des Symbolismus, die literarischen Facetten von Wildes Prosawerk genießen will, tut gut daran, sich auf irritierende Ungleichgewichte einzustellen. Die ausladenden Dialogpartien, die virtuos die Sprechrituale der gehobenen Gesellschaft evozieren, brauchen einen Leser, der bereit ist, sich dem langsamen Fluss der Pointen hinzugeben. Neben diesen Zustandsschilderungen aus Wildes eigener Umgebung nehmen sich die Versuche, proletarisches Milieu zu suggerieren, seltsam unglaubwürdig aus. Wenn man das Kapitel liest, in dem Dorians Ausschweifungen zusammengefasst sind, merkt man, wie tief Oscar Wilde in seiner Zeit und seiner eigenen Person verstrickt war. Sein Held ergeht sich nicht in fleischlichen Orgien, nein, exquisite Textilien und fremde Düfte, Juwelen und exotische Musik sind seine Laster. Das Geschlechtliche spielt keine Rolle; von Fressen und Saufen ist nie die Rede.
Umso drastischer bedrängen die brutalen Mordszenen den Leser. Immer dann, wenn Wilde das Geschehen machtvoll weiterdreht, wird die dramatisch-sinnliche Kraft spürbar, die sich später in der „Salome” entladen wird. In der atemlos kurzen Schlussszene glaubt man gar einem cineastischen Spektakel beizuwohnen: Dorian hackt mit dem Messer auf sein blutendes Ebenbild ein; der Gendarm auf der Straße hört einen grässlichen Schrei; die Diener wappnen sich mit Lichtern und stürmen die Treppe hinauf zur verwünschten Tür . . . Da ist mehr Kino drin als in allen Verfilmungen des Stoffs.
GOTTFRIED KNAPP
Oscar Wilde
Foto: Dagmar Wiede
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Spiegel der geschundenen Seele
Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray”
Nein, etwas so Ordinäres wie einen Roman hat Oscar Wilde nie schreiben wollen, doch das Publikum verschlang seine Geschichte über den Fluch der Schönheit wie einen Roman. Ja, wer nur die übers Buch verstreuten Verbrechen zusammenfasst, der kann sich sogar in eine Schauergeschichte versetzt fühlen.
Was das 1890 in einer Zeitschrift veröffentlichte, erst im zweiten Anlauf auf Romanlänge gedehnte epische Gebilde weit ins 20. Jahrhundert hinein hebt, ist die von der Titelfigur vorgelebte Utopie der ewigen Jugend, die von Wilde mit Motiven aus dem Faust-Stoff und romantischen Doppelgänger-Mythen kunstvoll ausstaffiert wurde. Der ästhetisch wie moralisch ideal-schöne Jüngling Dorian Gray wird vom Glanz seines gemalten Ebenbilds und von der zynisch brillanten Suada seines mephistophelischen Mentors zum Pakt mit dem Teufel im eigenen Inneren, zum schranken- und gewissenlosen Ausleben seiner Jugend auf Kosten der Mitwelt und der eigenen Seele verführt: Die schaurigen Folgen des Selbstverwirklichungstrips graben sich in das gemalte Abbild ein; das fleischliche Urbild aber bleibt in so obszöner Weise jugendlich strahlend, dass der Konflikt mit der Realität nicht aufzuhalten ist. Das faulende Bildnis des Dorian Gray wird zum Abbild einer geschundenen Seele, zum Kampfplatz verdrängter Ungeheuerlichkeiten. Selten hat das Unterbewusstsein eine schlüssigere Bildform gefunden.
Wer heute, ein Jahrhundert nach den Bild-Exaltationen des Symbolismus, die literarischen Facetten von Wildes Prosawerk genießen will, tut gut daran, sich auf irritierende Ungleichgewichte einzustellen. Die ausladenden Dialogpartien, die virtuos die Sprechrituale der gehobenen Gesellschaft evozieren, brauchen einen Leser, der bereit ist, sich dem langsamen Fluss der Pointen hinzugeben. Neben diesen Zustandsschilderungen aus Wildes eigener Umgebung nehmen sich die Versuche, proletarisches Milieu zu suggerieren, seltsam unglaubwürdig aus. Wenn man das Kapitel liest, in dem Dorians Ausschweifungen zusammengefasst sind, merkt man, wie tief Oscar Wilde in seiner Zeit und seiner eigenen Person verstrickt war. Sein Held ergeht sich nicht in fleischlichen Orgien, nein, exquisite Textilien und fremde Düfte, Juwelen und exotische Musik sind seine Laster. Das Geschlechtliche spielt keine Rolle; von Fressen und Saufen ist nie die Rede.
Umso drastischer bedrängen die brutalen Mordszenen den Leser. Immer dann, wenn Wilde das Geschehen machtvoll weiterdreht, wird die dramatisch-sinnliche Kraft spürbar, die sich später in der „Salome” entladen wird. In der atemlos kurzen Schlussszene glaubt man gar einem cineastischen Spektakel beizuwohnen: Dorian hackt mit dem Messer auf sein blutendes Ebenbild ein; der Gendarm auf der Straße hört einen grässlichen Schrei; die Diener wappnen sich mit Lichtern und stürmen die Treppe hinauf zur verwünschten Tür . . . Da ist mehr Kino drin als in allen Verfilmungen des Stoffs.
GOTTFRIED KNAPP
Oscar Wilde
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