Produktdetails
- Verlag: London, Weidenfeld & Nicolson
- ISBN-13: 9780297851004
- Artikelnr.: 14990190
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005Tiefe Stürze
DER SPEZIALIST für die literarisch mangelhafte Umsetzung hochspannender Themen hat dieses Mal wirklich Pech gehabt: "Die Möglichkeit einer Insel" ist nicht nur gewohnt schlecht geschrieben, sondern muß auch noch mit einem wahren Meisterwerk konkurrieren. Wie Kazuo Ishiguros Roman "Alles, was wir geben mußten" handelt der neue Houellebecq vom Klonen. Der Vergleich zeigt, was keines vierhundertseitigen Beweises bedurft hätte: Nur große Autoren machen aus großen Stoffen große Bücher. Wie das französische Enfant terrible hat auch der deutsche, mit Klagenfurter Vorschußlorbeer überhäufte Debütant Uwe Tellkamp Spaß an der Provokation. In diesem Fall liegt das wahre Vergnügen aber darin, sich nicht provozieren zu lassen. Daß auch weitaus bessere Autoren als Houellebecq scheitern können, zeigt der jüngste Roman Christoph Heins über den brisanten Fall des RAF-Terroristen Wolfgang Grams: vom Autor schnell und ohne Sorgfalt geschrieben, vom Lektor schnell und ohne Sorgfalt gelesen. So entstand ein Buch, das den Leser wirklich ärgert. Nicht nur, weil es schlecht ist, sondern mehr noch, weil Hein im Grunde der richtige Autor für diesen Stoff war: Phantomschmerz des verpaßten Meisterwerks.
igl.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
DER SPEZIALIST für die literarisch mangelhafte Umsetzung hochspannender Themen hat dieses Mal wirklich Pech gehabt: "Die Möglichkeit einer Insel" ist nicht nur gewohnt schlecht geschrieben, sondern muß auch noch mit einem wahren Meisterwerk konkurrieren. Wie Kazuo Ishiguros Roman "Alles, was wir geben mußten" handelt der neue Houellebecq vom Klonen. Der Vergleich zeigt, was keines vierhundertseitigen Beweises bedurft hätte: Nur große Autoren machen aus großen Stoffen große Bücher. Wie das französische Enfant terrible hat auch der deutsche, mit Klagenfurter Vorschußlorbeer überhäufte Debütant Uwe Tellkamp Spaß an der Provokation. In diesem Fall liegt das wahre Vergnügen aber darin, sich nicht provozieren zu lassen. Daß auch weitaus bessere Autoren als Houellebecq scheitern können, zeigt der jüngste Roman Christoph Heins über den brisanten Fall des RAF-Terroristen Wolfgang Grams: vom Autor schnell und ohne Sorgfalt geschrieben, vom Lektor schnell und ohne Sorgfalt gelesen. So entstand ein Buch, das den Leser wirklich ärgert. Nicht nur, weil es schlecht ist, sondern mehr noch, weil Hein im Grunde der richtige Autor für diesen Stoff war: Phantomschmerz des verpaßten Meisterwerks.
igl.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2005Der Narr verlässt die Kampfzone
Am Ende: Michel Houellebecq und sein Roman „Die Möglichkeit einer Insel”
Hart und böse ist dieses Buch, von großer Genauigkeit und verblüffendem Scharfblick, wenn der Erzähler von seinem Leben als Komödiant erzählt. Daniel heißt dieser Mann, der in seiner Jugend in einer türkischen Ferienanlage sein Talent entdeckte, als er öffentlich in einen Sketch verwandelte, was er am Tag zuvor am Frühstücksbuffet erlebt hatte: wie eine alte, nur noch mit sich selbst beschäftigte Engländerin die letzten Würstchen ergattert, nach denen ein großer, dicker Deutscher schon seine Gabel ausstreckt. So etwas bringt die Leute zum Lachen, denn es lebt vom alltäglichen Rassismus, und es ist gemein. Das Gelächter aber schwillt ins Unermessliche an, wenn man sich ins Mikrophon zu brüllen traut, was der Stammtisch so phantasiert, was Anstand und politische Tugend aber nicht auszuprechen wagen: um das Sexualleben der Palästinenserinnen geht es in Daniels Darbietungen, um einen „Hass in Reinkultur” oder um das Töten von Fliegen mit einem Gummiband, stets eng am Tabu entlang, manchmal mitten hinein, aber immer so, dass die Sketche noch als komödiantische Veranstaltung zu erkennen sind.
Ein Held der moralischen Indifferenz ist dieser Daniel, die Inszenierung eines freien Geistes, und das Publikum quittiert jede Übertretung von Anstand und Geschmack mit brüllendem Gelächter und begeisterter Zustimmung: „Das Gute an dem Beruf eines Humoristen und ganz allgemein an der humoristischen Haltung zum Leben ist, daß man sich völlig ungestraft wie eine Drecksau benehmen kann, sich noch dazu die Bösartigkeit finanziell vergolden oder mit sexuellen Erfolgen vergüten lässt, und das alles mit Zustimmung der Öffentlichkeit.” In diesem Gestus ähnelt der Erzähler den Hofnarren der demokratischen Selbstkontrolle - Harald Schmidt und mehr noch Stefan Raab heißen sie hierzulande -, aber am meisten gleicht er dem Autor dieses Romans, gleicht er Michel Houellebecq selber.
Der wirkt zwar in der Regel nicht wie ein Komiker, er feixt nicht herum, denn sein Metier ist die Apokalypse. Und doch begleitet auch ihn, wenn er von der Katastrophe des Alterns, vom Tausch zwischen Sexualität und Geld, vom radikalen, hoffnungslose Individualismus erzählt, dasselbe erschrockene Gelächter, das auch die Spaßvögel des politisch Inkorrekten hervorrufen. Und so ist es nur konsequent, wenn er auch in Louis-Ferdinand Céline, dem bittersten aller französischen Romanciers des zwanzigsten Jahrhunderts, nur den „Komiker”, den Kollegen, erkennen mag.
„Die Möglichkeit einer Insel”, der heute - ein paar Tage vor der französischen Originalausgabe - auf Deutsch erscheinende, vierte Roman von Michel Houellebecq besteht zum größten Teil aus der (fiktiven) Autobiographie dieses Komödianten. Hier zieht einer die Summe seines Lebens, zunächst, so scheint es, weil er sich in den Möglichkeiten seiner Kunst erschöpft hat. Er kann das Lachen nicht mehr hören, das dem Menschen „augenblicklich alle Würde nimmt”, dieses Lachen, das im Unernst plötzlich die nackte Grausamkeit, den Hass erkennen lässt. Dann aber vor allem, weil er die Katastrophe aller Helden von Michel Houellebecq erleben muss: das Altern und damit den allmählichen, erzwungenen Abschied aus allen erotischen Verhältnissen. Und schließlich, weil sich Daniel, der Komödiant, am Ende des Buches selbst töten wird, um, Jahrhunderte nach diesen Ereignissen, einzugehen in ein ewiges Lebens, das von Klon zu Klon weitergegeben wird. Sein Lebensbericht soll, in einer Art von biographischer Induktion, seinen späten Abkömmlingen etwas von seinem geistigen Wesen vermitteln.
Daniel nennt sich einen „Clown”, aber er ist weniger ein solcher als vielmehr ein Narr. Der König aber dieses Narren ist die permissive Gesellschaft mit ihrem prinzipiell schlechten Gewissen. Auch dieser Souverän hört sich an, was sein Narr zu sagen hat, und wieder ist der Narr der einzige, der ihm die Wahrheit sagen darf. Er lauscht ihm mit Vergnügen, manchmal auch mit Betroffenheit, und fährt dann fort zu tun, was er zuvor schon tat. Als einen solchen Narren, als eine Figur der völligen Folgenlosigkeit des wahrhaftigen Sprechens, nimmt sich mittlerweile offenbar auch Michel Houellebecq wahr. Von allen Einsichten, die Michel Houellebecq bislang zum Verfassen von Romanen getrieben haben mögen, ist dies die fatalste - denn sie führt nicht nur ans Ende der Jugend, der Schönheit, der Sexualität oder des Geldes, sondern ans Ende des Schreibens.
Ein trauriger, satter Clown
Michel Houellebecq weiß, dass der Erfolg einem solchen „Clown” auf Dauer nicht wohl tun kann. Der Clown muss, wenn er gut sein will, etwas Gescheitertes an sich haben. Doch dieser Artist stürzt nicht, im Gegenteil, jeder Sturz wird ihm - dem Helden Daniel wie seinem Autor Michel Houellebecq - als Gelingen ausgelegt. So besteht alles Unglück, das dem Clown widerfährt, darin, dass er älter wird. Er erlebt das Schicksal eines professionellen, satten Clowns. Denn der falsche Bauch eines Clowns ist lustig und tragisch zugleich, der echte ist nur noch katastrophal.
Die Konzentration auf diese Katastrophe ist die große Schwäche dieses Romans: er ist ein Lamento, ein einziges großes Dokument der Wehleidigkeit, mit der ein fast Fünfzigjähriger quittiert, dass zuerst seine Lebensgefährtin runzlig wird und dass dann er selbst, nachdem sie ihn verlassen hat wie ein zum Sterben sich zurückziehendes Tier, nicht einmal mehr für die willigsten Frauen begehrenswert ist. Diesem Lamento ist der wüste Zorn gewichen, der Michel Houellebecqs frühe Romane auszeichnete, der Wille zum Skandal, der wütende Aufstand gegen die Normalität, das Korrekte und den radikalen Individualismus, der in der sexuellen Freizügigkeit den letzten Rest individueller Würde der freien Marktwirtschaft überantwortete.
Rückblickend betrachtet, ist diese verzweifelte Wut Stück für Stück, Buch für Buch aus dem Werk von Michel Houellebecq verschwunden, von der Novelle „Ausweitung der Kampfzone” (1994) über den Roman „Elementarteilchen” (1998) bis zum Roman „Plattform” (2002). Das Aufbegehren gegen eine gigantische, so politische wie soziale Zumutung ist fort, und damit die Dringlichkeit, das Fahrige, Disparate und doch unglaublich Insistierende, das Michel Houellebecqs Bücher als ebenso mangelhaft wie notwendig erscheinen ließen - und das Ausdruck einer Gemeinsamkeit war zwischen dem, was er als Schicksal empfand, und dem, was diese Gesellschaft als ihr Los erkannte.
Und so klagt Daniel: „Seit zehn Minuten hatte ich eine irrsinnige Lust ihnen zu sagen, daß auch ich diese Welt gern kennenlernen, mich mit ihnen amüsieren und die Nacht durchmachen wollte ... Doch dann sah ich zufällig mein Gesicht in einem Spiegel und kapierte: Ich war hoch in den Vierzigern ... Ich hatte keine Chance.” Mit einem solchen Lagebericht zur erotischen Malaise der Epoche kann Michel Houellebecq auf keinen Widerstand mehr rechnen. Und je mehr er auf seiner Verzweiflung als letzte, negative Projektion seiner selbst als einer Figur der Fruchtbarkeit, Vitalität und Überzeugungskraft insistierte, desto mehr offenbart sich in der geschilderten erotischen seine literarische Malaise.
Denn wo steckt das dramatische Potential eines solchen Elends? Im Traum von einer Insel, in der Liebe in all ihrer Dauerhaftigkeit, Treue und gegenseitiges Verstehen geben sollte? In gelegentlichen glücklichen Erfahrungen, die eintreten, wenn freundliche Kühe zu den Fenstern eines Berggasthofes hereinschauen? In der Wiederholung von lauter bekannten Motiven und Gestalten aus dem bisherigen Werk von Michel Houellebecq, angefangen vom fanatischen, aber geschlechtslosen Wissenschaftler, der an der Herstellung von Homunculi arbeitet über die Topologie der Insel Lanzarote bis zu den Hautproben, aus den die neuen Menschen gezüchtet werden sollen? Dies alles war schon einmal da, und aus der Wiederkehr entsteht hier kein neues Werk.
An die Stelle des Aufbegehrens ist in „Die Möglichkeit einer Insel” die Science-Fiction getreten. Das ist problematisch, denn der Leser spürt die Absicht in diesem Gestus von „eines Tages werden wir auf diese Welt als auf eine einzige Katastrophe zurückblicken”. Zu dieser Art von Fiktion gehört die mit allerlei Elementen aus dem Genre „Mord und Totschlag” dekorierte Geschichte der Sekte, die Daniels DNS eines späten Tages in den Kreislauf der Klone befördert. Sie ist grob den Berichten über die Sekte der Raelianer nachgebildet, die vor knapp zwei Jahren durch die Medien geisterten. Das Retortenhafte prägt auch diesen dramaturgischen Einfall. Er ist nur eine Tapete, eine bemalte Wand, die der Autor in seiner Willkür als Zukunft definiert.
Vielleicht erlebt Houellebecq nun selbst, was er an Jacques Prévert so furchtbar fand: Er geht als Autor an dem großen Einverständnis zugrunde, das seine Werke erwecken. Es ist, als setzte sich der Clown eine Gummipistole an die Schläfe, drückte ab - und fiele im Ernst tot um.
THOMAS STEINFELD
MICHEL HOUELLEBECQ: Die Möglichkeit einer Insel. Roman. Aus dem Französischen von Uli Wittmann. DuMont Verlag, Köln 2004. 446 Seiten, 24,90 Euro.
Das ist die Insel der Seligen: Man muss sie verlassen, wenn man die Vierzig überschreitet
Foto: Cathleen Naundorf
Unerwartete Begegnung mit dem Glück: Eine Kuh tritt in des Helden Leben
Foto: SMP/PSL
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Am Ende: Michel Houellebecq und sein Roman „Die Möglichkeit einer Insel”
Hart und böse ist dieses Buch, von großer Genauigkeit und verblüffendem Scharfblick, wenn der Erzähler von seinem Leben als Komödiant erzählt. Daniel heißt dieser Mann, der in seiner Jugend in einer türkischen Ferienanlage sein Talent entdeckte, als er öffentlich in einen Sketch verwandelte, was er am Tag zuvor am Frühstücksbuffet erlebt hatte: wie eine alte, nur noch mit sich selbst beschäftigte Engländerin die letzten Würstchen ergattert, nach denen ein großer, dicker Deutscher schon seine Gabel ausstreckt. So etwas bringt die Leute zum Lachen, denn es lebt vom alltäglichen Rassismus, und es ist gemein. Das Gelächter aber schwillt ins Unermessliche an, wenn man sich ins Mikrophon zu brüllen traut, was der Stammtisch so phantasiert, was Anstand und politische Tugend aber nicht auszuprechen wagen: um das Sexualleben der Palästinenserinnen geht es in Daniels Darbietungen, um einen „Hass in Reinkultur” oder um das Töten von Fliegen mit einem Gummiband, stets eng am Tabu entlang, manchmal mitten hinein, aber immer so, dass die Sketche noch als komödiantische Veranstaltung zu erkennen sind.
Ein Held der moralischen Indifferenz ist dieser Daniel, die Inszenierung eines freien Geistes, und das Publikum quittiert jede Übertretung von Anstand und Geschmack mit brüllendem Gelächter und begeisterter Zustimmung: „Das Gute an dem Beruf eines Humoristen und ganz allgemein an der humoristischen Haltung zum Leben ist, daß man sich völlig ungestraft wie eine Drecksau benehmen kann, sich noch dazu die Bösartigkeit finanziell vergolden oder mit sexuellen Erfolgen vergüten lässt, und das alles mit Zustimmung der Öffentlichkeit.” In diesem Gestus ähnelt der Erzähler den Hofnarren der demokratischen Selbstkontrolle - Harald Schmidt und mehr noch Stefan Raab heißen sie hierzulande -, aber am meisten gleicht er dem Autor dieses Romans, gleicht er Michel Houellebecq selber.
Der wirkt zwar in der Regel nicht wie ein Komiker, er feixt nicht herum, denn sein Metier ist die Apokalypse. Und doch begleitet auch ihn, wenn er von der Katastrophe des Alterns, vom Tausch zwischen Sexualität und Geld, vom radikalen, hoffnungslose Individualismus erzählt, dasselbe erschrockene Gelächter, das auch die Spaßvögel des politisch Inkorrekten hervorrufen. Und so ist es nur konsequent, wenn er auch in Louis-Ferdinand Céline, dem bittersten aller französischen Romanciers des zwanzigsten Jahrhunderts, nur den „Komiker”, den Kollegen, erkennen mag.
„Die Möglichkeit einer Insel”, der heute - ein paar Tage vor der französischen Originalausgabe - auf Deutsch erscheinende, vierte Roman von Michel Houellebecq besteht zum größten Teil aus der (fiktiven) Autobiographie dieses Komödianten. Hier zieht einer die Summe seines Lebens, zunächst, so scheint es, weil er sich in den Möglichkeiten seiner Kunst erschöpft hat. Er kann das Lachen nicht mehr hören, das dem Menschen „augenblicklich alle Würde nimmt”, dieses Lachen, das im Unernst plötzlich die nackte Grausamkeit, den Hass erkennen lässt. Dann aber vor allem, weil er die Katastrophe aller Helden von Michel Houellebecq erleben muss: das Altern und damit den allmählichen, erzwungenen Abschied aus allen erotischen Verhältnissen. Und schließlich, weil sich Daniel, der Komödiant, am Ende des Buches selbst töten wird, um, Jahrhunderte nach diesen Ereignissen, einzugehen in ein ewiges Lebens, das von Klon zu Klon weitergegeben wird. Sein Lebensbericht soll, in einer Art von biographischer Induktion, seinen späten Abkömmlingen etwas von seinem geistigen Wesen vermitteln.
Daniel nennt sich einen „Clown”, aber er ist weniger ein solcher als vielmehr ein Narr. Der König aber dieses Narren ist die permissive Gesellschaft mit ihrem prinzipiell schlechten Gewissen. Auch dieser Souverän hört sich an, was sein Narr zu sagen hat, und wieder ist der Narr der einzige, der ihm die Wahrheit sagen darf. Er lauscht ihm mit Vergnügen, manchmal auch mit Betroffenheit, und fährt dann fort zu tun, was er zuvor schon tat. Als einen solchen Narren, als eine Figur der völligen Folgenlosigkeit des wahrhaftigen Sprechens, nimmt sich mittlerweile offenbar auch Michel Houellebecq wahr. Von allen Einsichten, die Michel Houellebecq bislang zum Verfassen von Romanen getrieben haben mögen, ist dies die fatalste - denn sie führt nicht nur ans Ende der Jugend, der Schönheit, der Sexualität oder des Geldes, sondern ans Ende des Schreibens.
Ein trauriger, satter Clown
Michel Houellebecq weiß, dass der Erfolg einem solchen „Clown” auf Dauer nicht wohl tun kann. Der Clown muss, wenn er gut sein will, etwas Gescheitertes an sich haben. Doch dieser Artist stürzt nicht, im Gegenteil, jeder Sturz wird ihm - dem Helden Daniel wie seinem Autor Michel Houellebecq - als Gelingen ausgelegt. So besteht alles Unglück, das dem Clown widerfährt, darin, dass er älter wird. Er erlebt das Schicksal eines professionellen, satten Clowns. Denn der falsche Bauch eines Clowns ist lustig und tragisch zugleich, der echte ist nur noch katastrophal.
Die Konzentration auf diese Katastrophe ist die große Schwäche dieses Romans: er ist ein Lamento, ein einziges großes Dokument der Wehleidigkeit, mit der ein fast Fünfzigjähriger quittiert, dass zuerst seine Lebensgefährtin runzlig wird und dass dann er selbst, nachdem sie ihn verlassen hat wie ein zum Sterben sich zurückziehendes Tier, nicht einmal mehr für die willigsten Frauen begehrenswert ist. Diesem Lamento ist der wüste Zorn gewichen, der Michel Houellebecqs frühe Romane auszeichnete, der Wille zum Skandal, der wütende Aufstand gegen die Normalität, das Korrekte und den radikalen Individualismus, der in der sexuellen Freizügigkeit den letzten Rest individueller Würde der freien Marktwirtschaft überantwortete.
Rückblickend betrachtet, ist diese verzweifelte Wut Stück für Stück, Buch für Buch aus dem Werk von Michel Houellebecq verschwunden, von der Novelle „Ausweitung der Kampfzone” (1994) über den Roman „Elementarteilchen” (1998) bis zum Roman „Plattform” (2002). Das Aufbegehren gegen eine gigantische, so politische wie soziale Zumutung ist fort, und damit die Dringlichkeit, das Fahrige, Disparate und doch unglaublich Insistierende, das Michel Houellebecqs Bücher als ebenso mangelhaft wie notwendig erscheinen ließen - und das Ausdruck einer Gemeinsamkeit war zwischen dem, was er als Schicksal empfand, und dem, was diese Gesellschaft als ihr Los erkannte.
Und so klagt Daniel: „Seit zehn Minuten hatte ich eine irrsinnige Lust ihnen zu sagen, daß auch ich diese Welt gern kennenlernen, mich mit ihnen amüsieren und die Nacht durchmachen wollte ... Doch dann sah ich zufällig mein Gesicht in einem Spiegel und kapierte: Ich war hoch in den Vierzigern ... Ich hatte keine Chance.” Mit einem solchen Lagebericht zur erotischen Malaise der Epoche kann Michel Houellebecq auf keinen Widerstand mehr rechnen. Und je mehr er auf seiner Verzweiflung als letzte, negative Projektion seiner selbst als einer Figur der Fruchtbarkeit, Vitalität und Überzeugungskraft insistierte, desto mehr offenbart sich in der geschilderten erotischen seine literarische Malaise.
Denn wo steckt das dramatische Potential eines solchen Elends? Im Traum von einer Insel, in der Liebe in all ihrer Dauerhaftigkeit, Treue und gegenseitiges Verstehen geben sollte? In gelegentlichen glücklichen Erfahrungen, die eintreten, wenn freundliche Kühe zu den Fenstern eines Berggasthofes hereinschauen? In der Wiederholung von lauter bekannten Motiven und Gestalten aus dem bisherigen Werk von Michel Houellebecq, angefangen vom fanatischen, aber geschlechtslosen Wissenschaftler, der an der Herstellung von Homunculi arbeitet über die Topologie der Insel Lanzarote bis zu den Hautproben, aus den die neuen Menschen gezüchtet werden sollen? Dies alles war schon einmal da, und aus der Wiederkehr entsteht hier kein neues Werk.
An die Stelle des Aufbegehrens ist in „Die Möglichkeit einer Insel” die Science-Fiction getreten. Das ist problematisch, denn der Leser spürt die Absicht in diesem Gestus von „eines Tages werden wir auf diese Welt als auf eine einzige Katastrophe zurückblicken”. Zu dieser Art von Fiktion gehört die mit allerlei Elementen aus dem Genre „Mord und Totschlag” dekorierte Geschichte der Sekte, die Daniels DNS eines späten Tages in den Kreislauf der Klone befördert. Sie ist grob den Berichten über die Sekte der Raelianer nachgebildet, die vor knapp zwei Jahren durch die Medien geisterten. Das Retortenhafte prägt auch diesen dramaturgischen Einfall. Er ist nur eine Tapete, eine bemalte Wand, die der Autor in seiner Willkür als Zukunft definiert.
Vielleicht erlebt Houellebecq nun selbst, was er an Jacques Prévert so furchtbar fand: Er geht als Autor an dem großen Einverständnis zugrunde, das seine Werke erwecken. Es ist, als setzte sich der Clown eine Gummipistole an die Schläfe, drückte ab - und fiele im Ernst tot um.
THOMAS STEINFELD
MICHEL HOUELLEBECQ: Die Möglichkeit einer Insel. Roman. Aus dem Französischen von Uli Wittmann. DuMont Verlag, Köln 2004. 446 Seiten, 24,90 Euro.
Das ist die Insel der Seligen: Man muss sie verlassen, wenn man die Vierzig überschreitet
Foto: Cathleen Naundorf
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Foto: SMP/PSL
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