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This monumental book - the last to be completed by the author - is a study of a recurring phenomenon in the history of changing taste in the visual arts: the feeling that older and less sophisticated (i.e. 'primitive') works are somehow morally and aesthetically superior to later works that are perceived as comparatively soft and decadent.
In his first narrative work for over two decades, Professor Gombrich traces this fundamental idea back to Classical Antiquity, where he links it both with Cicero's observation that over-indulgence of the senses leads to a feeling of disgust, and with the
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Produktbeschreibung
This monumental book - the last to be completed by the author - is a study of a recurring phenomenon in the history of changing taste in the visual arts: the feeling that older and less sophisticated (i.e. 'primitive') works are somehow morally and aesthetically superior to later works that are perceived as comparatively soft and decadent.

In his first narrative work for over two decades, Professor Gombrich traces this fundamental idea back to Classical Antiquity, where he links it both with Cicero's observation that over-indulgence of the senses leads to a feeling of disgust, and with the profoundly influential metaphor comparing the development of art to that of a living organism. Like an organism, art grows to maturity then decays and dies: successive generations of artists and critics have preferred the strength, nobility and sincerity of earlier styles to the more refined later styles with their corrupting and meretricious appeal to the senses.

After reviewing the Classical authors whose writings largely set the terms of the debate, Gombrich then charts its progress since its revival in the eighteenth century, documenting the often subtle shifts of taste and judgement that frequently focus on the pivotal role of Raphael. In the final chapters, he turns to the truly revolutionary primitivism of the twentieth century, analysing the momentous shifts of taste before which he was himself an eyewitness. Assimilating more than 40 years of study and reflection on this theme, the book presents a vividly argued narrative, supported by extensive quotations that document with acute precision the role of authors, critics and artists in shaping and changing opinion. Principal and pioneering both as a personal testament and as a documentary anthology, this long-anticipated book provides a deep and revealing insight into the history and psychology of taste.
Autorenporträt
Sir Ernst Gombrich was one of the greatest and least conventional art historians of his age, achieving fame and distinction in three separate spheres: as a scholar, as a popularizer of art, and as a pioneer of the application of the psychology of perception to the study of art. His best-known book, The Story of Art - first published 50 years ago and now in its sixteenth edition - is one of the most influential books ever written about art. His books further include The Sense of Order and Art & Illusion , as well as a total of 11 volumes of collected essays and reviews. Gombrich was born in Vienna in 1909 and died in London in November 2001. He came to London in 1936 to work at the Warburg Institute, where he eventually became Director from 1959 until his retirement in 1976. He won numerous international honours, including a knighthood, the Order of Merit and the Goethe, Hegel and Erasmus prizes. Gifted with a powerful mind and prodigious memory, he was also an outstanding communicator, with a clear and forceful prose style. His works are models of good art-historical writing, and reflect his humanism and his deep and abiding concern with the standards and values of our cultural heritage.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.09.2002

Der Hang zum Küchenpersonal
Von der Köchin gelernt: In seinem letzten Buch haut Ernst Gombrich noch einmal den Liebhabern der Ursuppe auf den Löffel
„The Preference for the Primitive” – „Die Bevorzugung des Primitiven” ist Ernst Gombrichs letztes Buch. Sein Erscheinen hat er nicht mehr erlebt. Die Grundgedanken reichen bis in seine Wiener Zeit vor 1936 zurück. Der kritische Affekt gegen die Vergötzung des Primitiven in Kunst und Kunstgeschichte hat Gombrich über Jahrzehnte begleitet. Zusammen mit seinen älteren Büchern „Art and Illusion” und „The Sense of Order” zieht „The Preference for the Primitive” die Summe aus Gombrichs lebenslanger Bemühung um ein vernünftiges Verständnis der Konstruktion und der Rezeption von Bildern. Und doch ist es anders als seine beiden Vorgänger. Schon der Untertitel „Episodes in the History of Western Taste and Art” deutet auf einen beweglicheren, spielerischen Duktus. Der Text wandert. Seine Abschnitte sind kurz, schlagen immer andere Themen an, ergehen sich in „Interludes” und „Digressions”. Es ist ein Alterswerk, das neueste Beobachtungen mit weit zurückreichenden Erinnerungen verknüpft, allgemeine Einsichten an persönlichen Erfahrungen exemplifiziert.
Als Beispiel einer primitiven Bildkonstruktion dient eine Zeichnung der Köchin aus dem Wiener Elternhaus, welche den 14-jährigen Ernst beim Cello- Unterricht zeigt. Mit einer Unterscheidung, die so klug wie menschlich ist, erklärt er: „Ich kann keinen Schaden darin sehen, dieses Bild ,primitiv‘ zu nennen, solange wir nicht die Künstlerin so nennen.” Witziger kann man den verbreiteten Trugschluss aus der Form eines Bildes auf das Wesen von dessen Produzenten nicht bloßstellen.
Gombrich zieht weite Kreise um sein Thema. Er erinnert an Platos Warnung vor der sinnlichen Verführung durch Bilder, an die Verdammung asianischen Schwulstes durch die antike Rhetorik, an die Begeisterung für alte Barden im 18. Jahrhundert, an die frömmelnde Rückwendung zu mittelalterlicher Malerei bei den Nazarenern und Präraphaeliten. So verschieden diese Bevorzugungen des Primitiven sind, gemeinsam ist ihnen die Neigung zur Regression. Gombrich zitiert Goethe, der angesichts der Nazarener an Boisserée schrieb, es sei das erste Mal im Leben der Kunst, dass große Talente sich rückwärts zu entwickeln wünschten.
Der Leser Gombrich erstaunte schon immer durch die zielsichere Neugier, mit welcher er entlegene Lesefrüchte auf die Probleme der Bildsprachen bezog. Der Abschnitt „Rhetoric and the Visual Arts” liest sich wie ein Resümee von Nordens „Antiker Kunstprosa”. Brillant führt er das Geschichtsbild der Kunsttheorie – Aufstieg, Blüte und Verfall – auf Modelle in den rhetorischen Schriften von Cicero und Anderen zurück. Schon Cicero habe erkannt, dass auf den Überdruss am Süßen und Neuen die Regression zum Alten folge. Nur Gombrich vermochte es, solche Verbindungen zu knüpfen. Aber bei aller Bewunderung für so viel kombinatorischen Scharfsinn: Ob jene Rückwendung zum Urtümlichen, wie sie seit Rousseau in die moderne Welt und Kunst getreten ist, sich sinnvoll mit den Stildebatten der antiken Rhetoriker vergleichen lässt, steht doch dahin. Es ist die sympathische Einseitigkeit von Gombrichs „Preference”, dass er die Bevorzugung des Primitiven seit der Aufklärung auf ein „technisches” Problem der Kunstsprachen reduzieren möchte und eigentlich als einen Defekt ansieht. „The Preference for the Primitive” ist ein traumatisches – sehr persönliches – Apotropaion gegen den vernunftlosen Kult des Urtümlichen.
Wiener Wiedergänger
So weit verzweigt Gombrichs Darlegungen sind, so sehr er sich um Nuancierungen bemüht, das impulsive Zentrum des Buches bleibt jenes sechste Kapitel, das sich mit der Bevorzugung des Primitiven in der Kunst und Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt. Die Vergötzung des Primitiven, wie sie in dem unsortierten Tohuwabohu der Begeisterung für Kinderzeichnungen, Bildnerei der Geisteskranken, die Kunst der Blinden und der Naturvölker und – last not least – für die unbeholfensten Werke der Kunst des Mittelalters ihren Ausdruck fand, veranlasst den zivilisierten Skeptiker Gombrich, dieses Buch zu schreiben. Es war eine Erfahrung, die in der Zeit um 1930 wurzelt, als der Wiener Student von seinen Lehrern – dem Kunsthistoriker Julius von Schlosser und dem Psychologen Karl Bühler – auf die Sprachlichkeit der Kunst hingelenkt wurde, zugleich aber in der zeitgenössischen kunsthistorischen Literatur der begriffslosen Rede von der Ausdruckskraft des Urtümlichen begegnete. Gombrich erzählt, wie er sich damals beim Blick in ein Buch über „Die Plastik der Blinden” gefragt habe: Kann die Reaktion eines sehenden Betrachters der Absicht eines blinden Künstlers entsprechen? Danach habe er sich weiter gefragt: wie steht es mit unserer Reaktion auf eine Kinderzeichnung oder die Kunst der Naturvölker? Können wir sie „schauend” verstehen? Solcher Zweifel rührte an die Wurzel des expressionistischen Glaubens, dass Ausdruck und Mitteilung des Kunstwerks miteinander identisch seien. Man sieht: Dieses 2002 veröffentlichte Buch hat etwas von einem Wiener Revenant von 1935.
Gombrich ist sich bewusst, dass er an zwielichtige Probleme rührt, die historisch mit den finstersten Vorurteilen belastet sind. Aber er weicht nicht aus. Er weiß – räumt vorsichtig ein –, dass die größten Künstler des vergangenen Jahrhunderts – Picasso und Klee – aus der Begegnung mit dem ganz Andersartigen – der Negermaske oder der Kinderzeichnung – tiefste Inspiration zogen. Aber dabei ging es nicht um die Identifikation mit dem Urtümlichen, sondern um Übertragung in eine andere Sprache. Klee lernte von Kinderzeichnungen „ohne kindisch zu werden. Je mehr man das Primitive bevorzugt, um so weniger darf man primitiv werden”. Kunst muss Sprache bleiben, darf nicht dem kruden Ausdruck verfallen.
Keine Sympathie hat Gombrich für jene Kunstinterpreten, welche die Maßstäbe der Qualität über Bord warfen und noch in den rohesten Gebilden – von den berüchtigten Reliefs am Konstantinsbogen bis zu romanischen Madonna aus der tiefsten Provinz – das Kunstwollen und die Spiritualität des Zeitgeistes ächzen hörten. Wer selbst noch in der Nachkriegszeit das Geraune über die Unräume und geheimniserfüllten Gründe mittelalterlicher Kunst vernommen hat, erinnert sich, wie befreiend um 1960 Gombrichs Ausruf wirkte: „Vasari was right!” – mit seiner Ansicht über Verfallsepochen der Kunst.
Warum hinterlässt dieses gescheite Buch den Leser mit Zweifeln? Man mag jede Sympathie haben für Gombrichs Ablehnung jenes kunsthistorischen „Pygmalionismus”, welcher sich gedankenlos in das Wesen der Kunstwerke verguckt und dabei nur von den eigenen Empfindungen trieft. Aber das Verhältnis von Mitteilung zu Ausdruck lässt sich rational nie völlig auflösen. Das ist das ästhetische Skandalon, mit welchem Gombrich sich nicht abfinden mag. In der modernen Kunst, die keine ikonografische Sprache mehr spricht, sind Mitteilung und Ausdruck identisch geworden. Gombrich bleibt da nichts als gebildete Verachtung für krude Sprachlosigkeit. Er will nicht sehen, dass der von ihm so despektierlich abgestrafte „art brut” von Dubuffet eine Mitteilung über den verletzten Zustand des Menschen in barbarischer Zeit ist, und dass „The Preference for the Primitive” in der Moderne zu einer nach-rhetorischen Sprache wurde.
WILLIBALD SAUERLÄNDER
ERNST GOMBRICH: The Preference for the Primitive. Episodes in the History of Western Taste and Art. Phaidon Press, London 2002. 326 S., 35 britische Pfund.
Dem lieben Ernst zum Geburtstag: Mit dem Musenfreund Gombrich kann man lernen, vom Primitiven zu lernen, ohne selbst primitiv zu werden.
Abbildung aus dem besprochenen Band
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Da kann man nur hoffen, daß die Träume Humor haben
Ernst H. Gombrich kämpft im unentschiedenen Zweifrontenkrieg zwischen Fortschritt und Primitivismus / Von Werner Hofmann

Wir gehen in eine Straße hinein und wenden uns um: Sie ist eine andere. Der Blick in den Spiegel verkehrt die Seiten: Was links war, ist jetzt rechts. Seitenverkehrte Wahrnehmungen gehören zu unseren alltäglichen Erfahrungen. Sie stellen, ohne daß wir es merken, zwei gegensinnige Bezugsrahmen zur Wahl. Doch wer hat schon einmal zu einem Buch ein zweites, seitenverkehrtes geschrieben? Mit seinem letzten Werk, das er noch für den Druck fertigstellen konnte, hat sich Ernst Gombrich - der Wahrnehmungspsychologe unter den Kunsthistorikern - diese Laune erfüllt. Schrieb er einen Altersspaß, eine Alterssünde à la Rossini oder seine Abschiedssymphonie?

Der Ansatz ist im Grunde nicht neu, denn seit Vasari wissen wir, daß die Ereignisse des Kunstgeschehens sich sowohl im Hinblick auf Künftiges als im Rückblick auf Vergangenes lesen lassen. Jede Richtungswahl schließt Gegenrichtungen als Möglichkeiten ein. Als Gombrich für das Taschenbuch "Kunst und Fortschritt" (Köln 1978) vier griechische Statuen vom sechsten Jahrhundert bis zu Lysipp aneinanderreihte, um den Fortschritt in der Naturnachahmung zu veranschaulichen, hatte er bereits Leser mit Gegenerwartungen im Auge: "Gewiß sind heutzutage viele versucht, diese Auffassung vom Fortschritt anzufechten und die Serie lieber umgekehrt zu lesen, denn sie ziehen die archaische Figur dem naturalistischen Stil des späten vierten Jahrhunderts vor."

An diesen Leserkreis wendet sich "The Preference for the Primitive": Die vier Statuen tauchen darin wieder auf, ebenso ein Dutzend anderer Werke aus dem "Fortschritt"-Büchlein. Der Autor bedient abwechselnd zwei Ideenbereiche - Fortschritt und Primitivismus - und behandelt sie wie Rivalen in einem Wettbewerb. Seiner Zweifrontenargumentation haftet etwas Unentschiedenes an. Die wechselnde Einstellung führt dazu, daß das halbleere Glas des einen Buches im anderen zu einem halbvollen wird. Wir erkennen darin die Absicht, die Gombrich am Ende seiner Gedanken über den Fortschritt aussprach. Der Leser soll jeweils "nach der Legitimation des Fortschrittsbegriffs fragen", zugleich sich der "gedankenlosen Nachahmung jeder Neuerung" enthalten. Betrifft diese Warnung - sie könnte von Nestroy stammen - nicht die beiden Seiten einer Medaille?

Das Problemfeld ist längst kein Neuland mehr. Lionello Venturi (1926), Robert Goldwater (1938), George Boas (1948) und Giovanni Previtali (1964) haben es vor Jahrzehnten erschlossen, Goldwater (den Gombrich nicht erwähnt) unter ausdrücklichem Bezug auf den "Primitivism in Modern Painting". Mit keiner dieser Darstellungen wollte Gombrich sich messen. Seine Absicht erhellt der Untertitel: "Episodes in the History of Western Art and Taste". Die behandelten Episoden ergeben kein Kontinuum. Das Mittelalter, zum "Interlude" herabgestuft, muß sich mit vier Textseiten begnügen und einer Frage stellen, die man überholt glaubte: Fortschritt oder Verfall? Die Zeit zwischen dem sechzehnten und dem achtzehnten Jahrhundert ist ausgespart. Die vier Hauptkapitel setzen mit "The Ascendancy of the Sublime" ein (Shaftesbury, Richardson, Burke, Vico und Winckelmann). Es folgen Kapitel über das präraffaelitische Ideal, das Verlangen nach Spiritualität und die Emanzipation formaler Werte. Ein kurzes Zwischenspiel führt die Entdeckung der Kinderzeichnung und der Stammeskünste in die Diskussion ein. Das zwanzigste Jahrhundert wird in einem einzigen Kapitel untergebracht.

In jedem Abschnitt beschränkt sich Gombrich darauf, die Psychologie von Geschmacksbrüchen zu untersuchen. Sein analytischer Blick wird von einer beeindruckenden Kenntnis der Schriftquellen legitimiert, manchmal auch bevormundet. Die Quellentexte interessieren ihn nicht nur als Argumentationshilfen, sondern als Anstoßerwecker. Wir erfahren mehr über Ruskin als über die Präraffaeliten (die der Autor nicht sehr schätzt), mehr über Tolstoi als über Gauguin, mehr über Malraux' manipulierte Fotos (für das Musée Imaginaire) als über das ganze Mittelalter. Zustimmend zitiert Gombrich seinen Lehrer Hans Tietze, der schon 1925 schrieb, eine "gewisse Hypertrophie der Kunsthistorie" hätte zur Entstehung des Expressionismus beigetragen. Gombrich selbst hat daraus eine Lehre gezogen und sich zeitlebens im Detachement geübt. Wenn er die Ereignisse des Kunstgeschehens an Fortschritt und Primitivismus vergibt, entwirft er zugleich ein Spielfeld, auf dem feste Größen innerhalb eindeutiger Demarkationslinien ihren Wettbewerb austragen. Die Spielregeln dieses Kräftemessens hat Carl Justi in seinem Winckelmann angegeben: "Die Formen leben sich aus; dann folgt der Bruch und die Hinwendung zum Entgegengesetzten; man sucht die Komplement- und Kontrastwerte. Das ist das Gesetz, das die Wandlungen des Geschmacks beherrscht."

Für Justi war es folglich kein Zufall, daß Winckelmanns Lehre sich im Schatten des Zwingers und der katholischen Hofkirche erhob. Dazu liefert Gombrich einen einleuchtenden Beleg. Er bildet ein Porzellanfigürchen ab und meint, Winckelmanns Ideen seien in "strikter Reaktion" auf dieses Geschmacksmuster entstanden. Ähnlich heißt es an anderer Stelle: Ohne die "Geburt der Venus" von Bouguereau (1879) wären Picassos "Demoiselles d'Avignon" wohl nie gemalt worden. In Diapositivvorträgen verfehlen solche Kontrastkoppelungen nie ihre Wirkung, doch greifen sie in der Regel zu kurz. Was sie unterschlagen, ist nicht unerheblich. Der "Primitivismus" der Demoiselles hat mehrere Auslöser. Einmal kommt er aus der Reaktion auf den "style Metro" (in dessen Kurvilinearität sich das Raffinement als Rückkehr zu den Ursprüngen gebärdet), zum andern aus Picassos Selbstgesprächen, in deren Verlauf das sanfte Archaisieren der blauen Periode einer brutalen Syntax unterliegt. Bouguereau war in diesem Radikalisierungsprozeß nicht gefragt.

Auch Winckelmann war nicht aus einem Stück. Der "lächerliche Geschmack" der Porzellanpuppen war ihm zuwider, doch mitten in den "Gedanken über die Nachahmung" preist er plötzlich das barocke Kuppelfresko der Wiener Hofbibliothek. Wieder ein anderer ist Winckelmann, wenn er die Rückkehr zu einem älteren Stil als Möglichkeit einräumt und so den Geschichtsfaktor zuläßt, den wir Primitivismus nennen. Das hat Gombrich im "Fortschritt" ausgiebig behandelt, im neuen Buch ist von diesem "Selbstwiderspruch" (Edgar Wind) eher beiläufig die Rede. Solche Selbstwidersprüche sind Brückenschläge zwischen den beiden Lagern, sie lösen im Gegenverkehr deren eindeutige Umrisse auf und blenden sie ineinander. Schon Friedrich Schlegel bemerkte über Hogarth, er habe "die Häßlichkeit gemalt und über die Schönheit geschrieben". Delacroix beklagte den Verlust an "simplicité" und ging dennoch bei Rubens in die Schule. Im zwanzigsten Jahrhundert, wo Revokationen und Regelverstöße jeder Position ihr Gegenteil offenhalten, wurde die Reihe der Grenzgänger immer dichter. So gesehen, ist eine Untersuchung zu wünschen, in der Fortschritt und Primitivismus nicht als dualistische Widersacher auftreten, sondern sich gegenseitig in einem Maße hervorbringen, daß sie einander zum Verwechseln ähnlich sehen. So war der changierende Januskopf des zwanzigsten Jahrhunderts beschaffen.

Wäre es nicht angezeigt, im Plural, also von Primitivismen, zu sprechen? Die bannende Ursprünglichkeit, die Flaxman in einer archaischen Medusenfratze entdeckte, beschwor er zugleich in seinen puristischen Umrißstichen. Zur selben Zeit wetterte Caspar David Friedrich ebenso gegen naturalistische Wachsfiguren wie gegen eitle "Pinselbraveure"; er war überzeugt, daß Raffael heute nicht "wie jene" (die Nazarener) malen würde, zugleich aber entschied er sich für die "freie geistige Nachbildung der Natur". Solange wir nicht die komplizierte Dialektik der unterschiedlichen Primitivisten-Modi und -Theorien aufgearbeitet haben, müssen wir uns in den klassischen, auf Cicero zurückgehenden Antagonismen zurechtfinden (die Gombrich im Einleitungskapitel darlegt) und sie durchlässiger machen.

Gombrichs Essaysammlung bietet dafür eine stimulierende Ausgangsbasis. Nur selten treffen wir darin auf begründete Werturteile. Brancusis "Kuß" (für ein Grab auf dem Cimetière Montparnasse) wird zwar wirkungsvoll dem hingeschmolzenen "Kuß" von Rodin gegenübergestellt, aber nur von einer Negation beglaubigt: "Was immer wir von dieser innovativen Auffassung halten mögen, Sentimentalität kann man ihr nicht nachsagen." Der Vergleich bekräftigt eine kategorische Schlußfolgerung, die Lionello Venturi 1926 traf: Die Nachahmungsdoktrin verstellt den Blick auf den "aspetto creativo e autonomo dell'arte".

Gombrich hätte dem widersprochen, läßt er doch durchblicken, daß der an die Wiedergabe der Wahrnehmungsfakten gebundene Fortschritt letztlich die einzige ästhetische Leitwährung darstellt. Ihm fallen die Privilegien der Erstgeburt zu. Der Primitivismus kann demnach kein ebenbürtiger Partner sein, verhält er sich doch abweichend, widersprechend und oft negierend. Auf reaktives Verhalten eingeschränkt, ist er bloß ein Unruhestifter, dem der eigenständige Gegenentwurf versagt bleibt. Das sollte nicht überraschen, denn Gombrichs Titel spricht bescheiden von der Vorliebe für das Primitive, reduziert den Impetus der Gegenstimmen auf eine Geschmacksentscheidung. Nie würde Gombrich den Primitivisten zugebilligt haben, "ein Zeitalter zu Grabe zu tragen" (Runge).

Das Unbehagen an Geschmacksverneinungen, die sich vom genormten Schönen und von der Wahrnehmungswelt lossagen, gilt auch dem Verwirrungspotential der Primitivismen. Sie verunsichern, weil ihrer mehrsinnigen Vielformigkeit die maßstäblich verbürgte Einförmigkeit der genormten Kunstsprachen abgeht. Aus diesem Grund mußte Gombrich das Mittelalter ausklammern, denn die "mittelalterliche Kunstsprache", deren Vokabular und Syntax sein Lehrer Julius von Schlosser vor hundert Jahren jenseits von Fortschritt und Verfall ansiedelte, entledigte sich souverän der Nachahmungslehren und ihrer griechisch-römischen Maßstäbe. Diese kommen nun bloß als Renaissance-Episoden zu Wort. Die religiöse Kunst des Mittelalters, so vielgestaltig sie sich entfaltet, gehorcht keinem der Nachahmungskriterien. Hegel hat das nüchtern ausgesprochen: Für die Religion sind platte und sogar schlechte Bilder zweckmäßiger als die Madonnen Raffaels. Dieser sei deshalb "aus dem Prinzip der Kirche herausgetreten". Damit beginnt die ästhetische Selbstbezüglichkeit der Neuzeit.

Weil sie umgekehrt aus dem Prinzip dieser Kunst heraustraten, verweist Gombrich die Primitiven des zwanzigsten Jahrhunderts in eine Art Vorhölle. Er schiebt den ganzen Surrealismus in die Toleranzzone der Atelierspäße und Gschnasfeste ab. Gewiß, versichert er uns mit listigem Augenzwinkern, gab es an diesen vergänglichen Produkten manches zu lachen, und obendrein maßten sich ja die Surrealisten selbst keinen Kunststatus an. Duchamp, wen wundert's, wird der Lächerlichkeit preisgegeben; Dubuffet, als Weinhändler abqualifiziert, darf immerhin mit einer Abbildung abschreckend präsent sein. Dieses Vom-Tisch-Wischen bereitet Unbehagen, um es mild auszudrücken, denn nichts ist kränkender als das Ghetto des Lachkabinetts.

Was sich wie eine Mischung aus Geringschätzung, Unmut und Vorurteilen liest, hat einen intellektuellen Stammbaum, auf dessen Spur uns das Zwischenkapitel über die Verlockungen der Regression bringt. Es handelt von humoristischen Bilderzählungen des neunzehnten Jahrhunderts (Töpffer, Grandville, Cruikshank). Was dort an spielerischen Metamorphosen angeboten wird, läßt an die Vermischungen des Traumes denken. Daraus ergibt sich die fatale Freudsche Folgerung, daß diese Verwirrungen sich der Regression vom Ich in das Es verdanken. Damit sind die Sprachmittel der Karikatur, mit denen Gombrich sich zeitlebens beschäftigt hat, wieder marginalisiert - und dies mit einer Methode, die Verdrängungen bewußtmachen und beseitigen will. Sie sind auf den Status reduziert, den ihnen die "Encyclopédie" zuwies. Demnach entspringen sie einer "Ausschweifung der Einbildungskraft", der man sich nur zum Vergnügen und zur Entspannung bedienen dürfe. Diesen ausgegrenzten Freiraum teilen die Karikaturisten und die nonsense-imagery bei Gombrich noch heute mit der Narrenfreiheit der Surrealisten.

Zum Glück tritt dem unduldsamen ein anderer Gombrich gegenüber, der sich an das Goethe-Wort "Sind eben alles Menschen gewesen" hält. Eine der wenigen Farbabbildungen des Buches gibt eine köstliche Zeichnung von Elise, der Gombrichschen Familienköchin, wieder, angefertigt am 14. April 1922 und "dem lieben Ernst zum 14. Geburtstag" gewidmet. Es stehe nicht an, sagt Gombrich, dieses Bild "primitive" (in der englischen Wortbedeutung) zu nennen, solange wir nicht auch die Künstlerin so bezeichnen. Die Köchin als Künstlerin - das läßt an ein Wort von Schlosser denken, für den der "kunstlose" Liebesbrief einer Köchin in seinem Wesen dennoch "Kunst" war. Dahinter steht Schlossers von Benedetto Croce bezogene Unterscheidung zwischen "Stilgeschichte" und "Sprachgeschichte" der bildenden Kunst - ein Konzept, von dem die Primitivismus-Forschung manche Anregung beziehen könnte.

Ernst H. Gombrich: "The Preference for the Primitive". Episodes in the History of Western Taste and Art. Phaidon Press, Berlin 2002. 264 S., 12 Farb- u. 230 S/W-Abb., geb., 59,95 [Euro].

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