A. Dirk Moses historically delineates the problems of genocide as a concept in relation to rival categories of mass violence, like crimes against humanity and war crimes, and suggests an alternative understanding of the causes and categorization of civilian destruction.
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Süddeutsche ZeitungIlliberale Sicherheit
Wie lässt sich über koloniale Verbrechen sprechen, ohne den
Holocaust zu verharmlosen? A. Dirk Moses versucht eine Antwort
VON DANIEL SIEMENS
Angesichts der in Deutschland weiterhin kontrovers diskutierten Frage, wie sich angemessen über koloniale Verbrechen sprechen lässt, ohne den Holocaust implizit oder explizit zu verharmlosen, lohnt sich ein Blick auf das neue Buch des australischen Historikers A. Dirk Moses. Seine Pionierstudie „The Problems of Genocide“ zeigt, dass die deutsche Öffentlichkeit gut beraten wäre, die globalgeschichtliche Genozidforschung stärker als bislang zur Kenntnis zu nehmen, selbst dann, wenn sie primär an der Geschichte des eigenen Landes interessiert ist. Im Kern liefert Moses’ hochpolitisches und sicherlich bald auch kontrovers diskutiertes Buch nämlich drei bedeutende Beiträge zur Debatte.
Zunächst ist es eine kritische Geschichte des Genozidkonzepts, das der polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. 1948 von einer UN-Konvention definiert als eine Handlung, „begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören“, gilt Genozid seither als strengster Maßstab zur Stigmatisierung und nach Möglichkeit auch juristischen Verfolgung massenhafter Gewalt an Zivilisten. Die Schrecken des Holocaust trugen dazu bei, dass sich die Staatengemeinschaft zu einer Ächtung von derartiger Gewalt entschloss.
Zudem bietet das Buch eine breiter gefasste Kultur- und Begriffsgeschichte des Redens über extreme staatliche (oder in ihrem Auftrag begangene) Gewalt, die bis in das späte 15. Jahrhundert zurückgeht und überzeugend daran erinnert, wie eng die Eroberung der Welt durch die europäischen Mächte und ihrer Handlanger eine Geschichte der Gewalt und eine Geschichte der Unterdrückung war.
Vieles spricht dafür, dass das zum Teil fabrikmäßig organisierte Töten im 20. Jahrhundert in eine neue Dimension dessen vordrang, was Menschen einander antun können. Der Holocaust, so hat zuletzt etwa Thomas Schmid in einer scharfen Replik auf Michael Rothmanns und Michael Zimmerers Artikel in der Zeit erklärt, sei darum einzigartig, weil es den Tätern um die „Vernichtung um der Vernichtung willen“ gegangen sei. Moses historisiert diese Argumentationsfigur mit Blick auf ihre Entstehung in den Vierzigern und Fünfzigern. Er bestreitet dabei keinesfalls die Singularität des Holocaust, hebt aber hervor, dass dessen „Entpolitisierung“ als rassistisches Hassverbrechen seither dazu beitrage, dass Gewalt gegen Zivilisten in Bürgerkriegen oder in antikolonialen Auseinandersetzungen nur dann als Genozid klassifiziert werden könne, wenn sie diesem „Archetyp“ entspreche.
Daraus ergebe sich, drittens, dass der moralische Diskurs um einen vor allem im globalen Norden überhöhten und den Opfern jegliche Handlungsmacht absprechenden Genozidbegriff nur einen Teil der tatsächlichen Gewalt gegen Zivilisten problematisiert. Dieser Ausschluss sei kein Zufall, sondern von den westlichen Mächten im Zeitalter der Dekolonisierung und des Kalten Kriegs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts forciert worden.
Nicht in den Blick gerate auf diese Weise die Politik moderner Staaten mit ihrem letztlich unerreichbaren und darum umso gefährlicheren Versprechen „permanenter Sicherheit“.
Die Verfolgung dieses Ziels produziere zwangsläufig zivile Opfer. Zahlreiche Gewalttaten gegen Zivilisten – ferngesteuerte Drohnenangriffe, aber auch Embargos von lebenswichtigen Gütern – würden von der Weltöffentlichkeit allerdings weitgehend unbeachtet hingenommen. Nur wenn es einem Staat oder Staatenbündnis politisch zweckmäßig erscheine, werde zur Stigmatisierung solcher Gewalt gegen Zivilisten der Begriff des Genozids verwendet – aktuell diskutiert am Beispiel der systematisch ausgeübten Gewalt gegen die Volksgruppe der Uiguren in China oder gegen Zivilisten in Syrien.
Die Lösung, die Moses vorschlägt, ist originell: Das Leben von Zivilisten sei am besten zu schützen, wenn das utopische Staatsziel „permanenter Sicherheit“ selbst bestraft würde. Dieses Argument wird im Buch anhand zahlreicher historischer Beispiele diskutiert. In der Tat wurde genozidale Gewalt seit der systematischen Vertreibung und Ermordung von Hunderttausenden Armeniern während des Ersten Weltkriegs regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Gefährdung, die die späteren Opfer für die Sicherheit eines Staates darstellten, gerechtfertigt. Wie die von Moses geforderte Ächtung „permanenter Sicherheit“ erreicht werden könnte, bleibt allerdings vage. Optimismus verbreitet seine Analyse nicht. In absehbarer Zukunft rechnet er eher mit zunehmender staatlicher oder parastaatlicher Gewalt.
Moses ist ein Moralist, der aufrütteln will. Er akzeptiert unter keinen Umständen, dass das Töten von Zivilisten gerechtfertigt sein könnte. Was, so lautet seine rhetorische Frage, sei der Erfahrungsunterschied für ein Genozidopfer und das Opfer eines „Kollateralschadens“ bei einem Luftangriff? Auch sehr verschiedene Motive der Täter änderten nichts daran, dass beide Opfer gleich unschuldig seien. Wer eine Tötung von Zivilisten mit Verweis auf übergeordnete politische Sicherheitsinteressen rechtfertige, begehe eben das Verbrechen der „permanenten Sicherheit“, wobei Moses zwei Unterkategorien unterscheidet: „illiberale permanente Sicherheit“ als Verbrechen gegen eine bestimmte ethnische, nationale oder religiöse Gruppe (also sehr ähnlich dem Genozidbegriff der UN von 1948), und „liberale permanente Sicherheit“ als Delikt derjenigen, die Gewalt gegen Zivilisten mit Verweis auf höhere humanitäre Ziele rechtfertigen. Militärschläge im Namen von Menschenrechten, Fortschritt und Demokratie seien Teil einer neuen „zivilisatorischen Mission“ des globalen Nordens, die wie schon seit 500 Jahren auch weiterhin „Raub, Besatzung, Besiedlung und die Ausbeutung von Rohstoffen“ ermöglichen solle. Eine „Revolution der Menschenrechte“ gebe es allenfalls auf dem Papier.
Die Verbrechen der Nationalsozialisten und ihrer Helfershelfer nehmen im Buch einen prominenten Platz ein. Auch das europäische „Imperium“ der Nationalsozialisten, so argumentiert Moses seiner Gesamtlinie im Buch folgend konsequent, sei um das Ziel der permanenten Sicherheit willen errichtet worden. Äußerungen von Hitler und anderen NS-Tätern, die erklärten, die von den Juden angeblich ausgehende Gefahr für das zu errichtende „Tausendjährige Reich“ sei nur durch deren physische Vernichtung dauerhaft abzuwenden, würden trotz ihres offensichtlichen paranoiden Charakters durchaus Hinweis darauf liefern, welche Kalküle die Mörder verfolgt hätten. Damit setzt sich Moses sowohl von Forschern ab, die Rassenhass, einen sich bis zur physischen Vernichtung radikalisierenden Antisemitismus, als Hauptgrund für den Holocaust angeben, als auch von denen, die eine Kontinuitätslinie zur kolonialen Gewalt im außereuropäischen Raum für maßgeblich halten.
Der Mord an den europäischen Juden, so Moses, sei geradezu die Inkarnation des Verbrechens der „illiberalen permanenten Sicherheit“ gewesen. Als alleiniger Maßstab zur Beurteilung von staatlicher Gewalt gegen Zivilisten sei der von dieser traumatischen Erfahrung geprägte und in der westlichen Welt nunmehr über 70 Jahre lang vorherrschende Genozidbegriff jedoch nicht geeignet. Mitleid führe nicht zwangsläufig zu Gerechtigkeit.
Nur wenn es einem Staat nützlich
erscheint, wird für Gewalt
der Begriff Genozid benutzt
Die Lösung, die der Autor
in seinem Buch
vorschlägt, ist originell
A. Dirk Moses: The Problems of Genocide. Permanent Security and the Language of Transgression. Cambridge University Press, Cambridge 2021. 598 Seiten, 34 Euro.
Michelle Obama mit ihren Töchtern beim Besuch des Berliner Holocaust-Mahnmals im Juni 2013.
Foto: Jutrczenka/dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wie lässt sich über koloniale Verbrechen sprechen, ohne den
Holocaust zu verharmlosen? A. Dirk Moses versucht eine Antwort
VON DANIEL SIEMENS
Angesichts der in Deutschland weiterhin kontrovers diskutierten Frage, wie sich angemessen über koloniale Verbrechen sprechen lässt, ohne den Holocaust implizit oder explizit zu verharmlosen, lohnt sich ein Blick auf das neue Buch des australischen Historikers A. Dirk Moses. Seine Pionierstudie „The Problems of Genocide“ zeigt, dass die deutsche Öffentlichkeit gut beraten wäre, die globalgeschichtliche Genozidforschung stärker als bislang zur Kenntnis zu nehmen, selbst dann, wenn sie primär an der Geschichte des eigenen Landes interessiert ist. Im Kern liefert Moses’ hochpolitisches und sicherlich bald auch kontrovers diskutiertes Buch nämlich drei bedeutende Beiträge zur Debatte.
Zunächst ist es eine kritische Geschichte des Genozidkonzepts, das der polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. 1948 von einer UN-Konvention definiert als eine Handlung, „begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören“, gilt Genozid seither als strengster Maßstab zur Stigmatisierung und nach Möglichkeit auch juristischen Verfolgung massenhafter Gewalt an Zivilisten. Die Schrecken des Holocaust trugen dazu bei, dass sich die Staatengemeinschaft zu einer Ächtung von derartiger Gewalt entschloss.
Zudem bietet das Buch eine breiter gefasste Kultur- und Begriffsgeschichte des Redens über extreme staatliche (oder in ihrem Auftrag begangene) Gewalt, die bis in das späte 15. Jahrhundert zurückgeht und überzeugend daran erinnert, wie eng die Eroberung der Welt durch die europäischen Mächte und ihrer Handlanger eine Geschichte der Gewalt und eine Geschichte der Unterdrückung war.
Vieles spricht dafür, dass das zum Teil fabrikmäßig organisierte Töten im 20. Jahrhundert in eine neue Dimension dessen vordrang, was Menschen einander antun können. Der Holocaust, so hat zuletzt etwa Thomas Schmid in einer scharfen Replik auf Michael Rothmanns und Michael Zimmerers Artikel in der Zeit erklärt, sei darum einzigartig, weil es den Tätern um die „Vernichtung um der Vernichtung willen“ gegangen sei. Moses historisiert diese Argumentationsfigur mit Blick auf ihre Entstehung in den Vierzigern und Fünfzigern. Er bestreitet dabei keinesfalls die Singularität des Holocaust, hebt aber hervor, dass dessen „Entpolitisierung“ als rassistisches Hassverbrechen seither dazu beitrage, dass Gewalt gegen Zivilisten in Bürgerkriegen oder in antikolonialen Auseinandersetzungen nur dann als Genozid klassifiziert werden könne, wenn sie diesem „Archetyp“ entspreche.
Daraus ergebe sich, drittens, dass der moralische Diskurs um einen vor allem im globalen Norden überhöhten und den Opfern jegliche Handlungsmacht absprechenden Genozidbegriff nur einen Teil der tatsächlichen Gewalt gegen Zivilisten problematisiert. Dieser Ausschluss sei kein Zufall, sondern von den westlichen Mächten im Zeitalter der Dekolonisierung und des Kalten Kriegs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts forciert worden.
Nicht in den Blick gerate auf diese Weise die Politik moderner Staaten mit ihrem letztlich unerreichbaren und darum umso gefährlicheren Versprechen „permanenter Sicherheit“.
Die Verfolgung dieses Ziels produziere zwangsläufig zivile Opfer. Zahlreiche Gewalttaten gegen Zivilisten – ferngesteuerte Drohnenangriffe, aber auch Embargos von lebenswichtigen Gütern – würden von der Weltöffentlichkeit allerdings weitgehend unbeachtet hingenommen. Nur wenn es einem Staat oder Staatenbündnis politisch zweckmäßig erscheine, werde zur Stigmatisierung solcher Gewalt gegen Zivilisten der Begriff des Genozids verwendet – aktuell diskutiert am Beispiel der systematisch ausgeübten Gewalt gegen die Volksgruppe der Uiguren in China oder gegen Zivilisten in Syrien.
Die Lösung, die Moses vorschlägt, ist originell: Das Leben von Zivilisten sei am besten zu schützen, wenn das utopische Staatsziel „permanenter Sicherheit“ selbst bestraft würde. Dieses Argument wird im Buch anhand zahlreicher historischer Beispiele diskutiert. In der Tat wurde genozidale Gewalt seit der systematischen Vertreibung und Ermordung von Hunderttausenden Armeniern während des Ersten Weltkriegs regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Gefährdung, die die späteren Opfer für die Sicherheit eines Staates darstellten, gerechtfertigt. Wie die von Moses geforderte Ächtung „permanenter Sicherheit“ erreicht werden könnte, bleibt allerdings vage. Optimismus verbreitet seine Analyse nicht. In absehbarer Zukunft rechnet er eher mit zunehmender staatlicher oder parastaatlicher Gewalt.
Moses ist ein Moralist, der aufrütteln will. Er akzeptiert unter keinen Umständen, dass das Töten von Zivilisten gerechtfertigt sein könnte. Was, so lautet seine rhetorische Frage, sei der Erfahrungsunterschied für ein Genozidopfer und das Opfer eines „Kollateralschadens“ bei einem Luftangriff? Auch sehr verschiedene Motive der Täter änderten nichts daran, dass beide Opfer gleich unschuldig seien. Wer eine Tötung von Zivilisten mit Verweis auf übergeordnete politische Sicherheitsinteressen rechtfertige, begehe eben das Verbrechen der „permanenten Sicherheit“, wobei Moses zwei Unterkategorien unterscheidet: „illiberale permanente Sicherheit“ als Verbrechen gegen eine bestimmte ethnische, nationale oder religiöse Gruppe (also sehr ähnlich dem Genozidbegriff der UN von 1948), und „liberale permanente Sicherheit“ als Delikt derjenigen, die Gewalt gegen Zivilisten mit Verweis auf höhere humanitäre Ziele rechtfertigen. Militärschläge im Namen von Menschenrechten, Fortschritt und Demokratie seien Teil einer neuen „zivilisatorischen Mission“ des globalen Nordens, die wie schon seit 500 Jahren auch weiterhin „Raub, Besatzung, Besiedlung und die Ausbeutung von Rohstoffen“ ermöglichen solle. Eine „Revolution der Menschenrechte“ gebe es allenfalls auf dem Papier.
Die Verbrechen der Nationalsozialisten und ihrer Helfershelfer nehmen im Buch einen prominenten Platz ein. Auch das europäische „Imperium“ der Nationalsozialisten, so argumentiert Moses seiner Gesamtlinie im Buch folgend konsequent, sei um das Ziel der permanenten Sicherheit willen errichtet worden. Äußerungen von Hitler und anderen NS-Tätern, die erklärten, die von den Juden angeblich ausgehende Gefahr für das zu errichtende „Tausendjährige Reich“ sei nur durch deren physische Vernichtung dauerhaft abzuwenden, würden trotz ihres offensichtlichen paranoiden Charakters durchaus Hinweis darauf liefern, welche Kalküle die Mörder verfolgt hätten. Damit setzt sich Moses sowohl von Forschern ab, die Rassenhass, einen sich bis zur physischen Vernichtung radikalisierenden Antisemitismus, als Hauptgrund für den Holocaust angeben, als auch von denen, die eine Kontinuitätslinie zur kolonialen Gewalt im außereuropäischen Raum für maßgeblich halten.
Der Mord an den europäischen Juden, so Moses, sei geradezu die Inkarnation des Verbrechens der „illiberalen permanenten Sicherheit“ gewesen. Als alleiniger Maßstab zur Beurteilung von staatlicher Gewalt gegen Zivilisten sei der von dieser traumatischen Erfahrung geprägte und in der westlichen Welt nunmehr über 70 Jahre lang vorherrschende Genozidbegriff jedoch nicht geeignet. Mitleid führe nicht zwangsläufig zu Gerechtigkeit.
Nur wenn es einem Staat nützlich
erscheint, wird für Gewalt
der Begriff Genozid benutzt
Die Lösung, die der Autor
in seinem Buch
vorschlägt, ist originell
A. Dirk Moses: The Problems of Genocide. Permanent Security and the Language of Transgression. Cambridge University Press, Cambridge 2021. 598 Seiten, 34 Euro.
Michelle Obama mit ihren Töchtern beim Besuch des Berliner Holocaust-Mahnmals im Juni 2013.
Foto: Jutrczenka/dpa
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine ZeitungBlinde Flecke
Dirk Moses ist ein Pionier der Geschichte der Völkermorde. Mit seinem neuen Buch zieht er der eigenen Disziplin den Boden unter den Füßen weg.
Von Omer Bartov
Ich werde heute über das Buch "The Problems of Genocide: Permanent Security and the Language of Transgression" (2021) von Dirk Moses sprechen, nicht über seinen "Katechismus"-Artikel und die darauf folgende Debatte, an der ich mich entschieden habe nicht teilzunehmen. Aber es gibt, wie Sie sehen werden, Verbindungen.
Dirk Moses schreibt seit fast zwei Jahrzehnten über Völkermord. Als Herausgeber und Mitautor wichtiger Sammelbände wie "The Oxford Handbook on Genocide Studies" (2020) ist er eine führende Stimme auf diesem Gebiet. Gemeinsam mit mir wirkt er als Herausgeber der bei Berghahn erscheinenden Reihe "War and Genocide". Er ist auch der langjährige Herausgeber des einflussreichen Journal of Genocide Research. Moses hat eine Vorliebe dafür, Kontroversen in Gang zu setzen. Zuletzt löste sein Essay "Der deutsche Katechismus" im Schweizer Onlinemagazin Geschichte der Gegenwart eine hitzige Debatte darüber aus, inwieweit die deutsche Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit einen Verteidigungsmechanismus geschaffen hat, der der Kritik an Israels Politik gegenüber den Palästinensern im Weg steht.
Sein schwergewichtiges neues Buch, "The Problems of Genocide", ist ein weitaus stärker konzertierter Angriff auf das, was Moses für die Gemeinplätze hält, die unser Verständnis des Konzepts des Völkermords rahmen - die Ursprünge des Konzepts, seine rechtliche Umsetzung und seine Auswirkungen auf Gesetzgebung gegen Massengewalt, die Auseinandersetzung mit ihr oder sogar ihre Legitimierung. Im Zuge der Untersuchung des gesamten Gebäudes der internationalen Reaktionen auf Gräueltaten stellt Moses sein eigenes Feld auf den Kopf. Sein Argument lautet, dass die "Erfindung" des Völkermords der westlichen Gewalt gegen andere als Erlaubnis gedient habe, im Deckmantel einer Definition des Juden und Zionisten Raphael Lemkin, dessen Ziel es gewesen sei, den Holocaust als den einzigen "wirklichen" Völkermord herauszustellen und damit das unermessliche Leiden der Nichtweißen auf der ganzen Welt als nicht ganz auf Augenhöhe mit Auschwitz zu marginalisieren. In gewissem Sinne hat Moses mit der Veröffentlichung dieses Buches den Teppich unter seinen eigenen Füßen weggezogen. Die Ergebnisse sind verstörend.
Revisionismus liegt in diesen Tagen in der Luft. Man könnte sagen, dass dies eine zweite Welle ist, eine Art Rückkehr an den Ort der Tat, die ursprünglich in der Mitte der Achtzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts versucht wurde. Damals entfesselte Ernst Nolte den "Historikerstreit", indem er behauptete, der Urheber von Auschwitz sei der Bolschewismus und der einzige Unterschied zwischen dem Gulag und dem Holocaust die Einführung von Gas. Nolte war nicht allein. Joachim Fest, der Albert Speer im Alleingang aus der Dunkelheit des Gefängnisses von Spandau in den Rang einer westdeutschen Berühmtheit zurückgeholt hatte, erinnerte seine Leser daran, dass der Holocaust nur einer von vielen Völkermorden gewesen sei, wie sie nicht zuletzt die Kommunisten verübt hätten. Ein Jahrzehnt später, 1998, erklärte Martin Walser, Wehrmachtsveteran und angeblich ohne sein Wissen Mitglied der NSDAP, bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, dass "Auschwitz" ein "jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel", eine "Moralkeule", geworden sei, was ihn veranlasste, "die Vorhaltung unserer Schande auf Motive hin abzuhören". Was Männer wie Nolte, Fest und Walser trotz ihrer unterschiedlichen politischen Ausrichtung gemeinsam hatten, war, dass sie deutsche Patrioten waren und "Auschwitz" als Last und Ärgernis empfanden, das irgendwie entfernt, marginalisiert oder relativiert werden musste.
Damals stießen solche Verlautbarungen zusammen mit der Wiederbelebung des alten Arguments, Hitlers Angriff auf die Sowjetunion sei nur ein Präventivkrieg gewesen, auf vehementen Widerstand. In jüngster Zeit, drei Jahrzehnte nach dem Fall des Kommunismus und im Zuge der wachsenden Unzufriedenheit mit Globalisierung, Neoliberalismus und Demokratie, scheinen die Dinge für einen neuen, aktualisierten Revisionismus reif zu sein. Diesmal jedoch stehen viele der Begriffe und Argumente, die in den Achtzigerjahren unangreifbar schienen, zur Disposition, während bestimmte Tabus, nicht zuletzt diejenigen über antijüdische Begrifflichkeiten, zu zerfasern scheinen. Hinzu kommt, dass die alte politische Kluft zwischen rechts und links immer undurchsichtiger wird und die Extreme auf beiden Seiten immer enger zusammenrücken. In gewisser Weise suchen die neuen Revisionisten nach einer Alternative zwischen einem nicht mehr existierenden Kommunismus und einem diskreditierten Kapitalismus, mit beunruhigenden Echos der Suche nach einem dritten Weg in der Zwischenkriegszeit, die zur Selbstzerstörung Europas führte.
Einige Höhepunkte dieses neuen Revisionismus, der von weit entfernten Punkten des politischen Spektrums ausgeht, sind Niall Fergusons Buch "The Pity of War" (1998), das darlegte, dass ohne britische Kriegsbeteiligung 1914 die Welt ein besserer Ort geblieben wäre; Timothy Snyders Buch "Bloodlands" (2010), das Osteuropa als Opfer der in gleichem Maße gewalttätigen Regime der Sowjets und Nazis darstellte; und jüngst Sean McMeekins Buch "Stalin's War", welches nahelegt, dass die Westmächte viel Blut und Vermögen hätten sparen können, wenn sie sich nicht mit Stalin verbündet hätten.
Das Buch von Moses ist die neueste Lieferung in dieser revisionistischen Gegenreaktion. "The Problems of Genocide" ist eine gelehrte, komplexe und in vielen Teilen durchaus faszinierende Lektüre. Es schlägt einen Bogen vom sechzehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart; vom Imperialismus und Siedlerkolonialismus bis zum Zweiten Weltkrieg und zum Vietnam-Krieg; von der indischen Teilung bis zum Krieg von 1948 in Palästina und so weiter. Es kritisiert und demoliert die Gedankengebäude einer ganze Reihe von Gelehrten und politischen Denkern wie Raphael Lemkin und Hannah Arendt und sogar ganzer Disziplinen wie der von Moses selbst vertretenen Völkermordforschung sowie der Holocaust-Geschichtsschreibung. Das Ziel des Buches ist es, die westliche demokratische Politik der "permanenten Sicherheit" als Fortsetzung des Imperialismus und Kolonialismus unter dem Deckmantel der Völkermordprävention zu entlarven.
Im Zentrum des Buches steht das Argument, dass unser Verständnis von Völkermord durch den Holocaust bestimmt und verzerrt worden sei. Wo einige Holocaust-Forscher sich weigern, den Holocaust als einen Teil einer Reihe moderner Völkermorde zu sehen, da behauptet Moses, dass der Holocaust inzwischen als der einzig wahre Völkermord gesehen werde, was alle anderen Völkermorde auf eine sekundäre Position verweise. Das ist alles andere als ein neues Argument; so gesehen ist das Buch der ausgefeilteste Versuch, eine Behauptung zu untermauern, die von etlichen Völkermordforschern in den letzten zwei Jahrzehnten vorgetragen wurde. Aber Moses geht jetzt noch einen Schritt weiter und gibt zu bedenken, dass die Genozidforschung selbst in die Rhetorik der Holocaust-Einzigartigkeit verstrickt worden sei.
Warum ist das passiert? Die Antwort macht den Kern von "The Problems of Genocide" aus. Früher hatte Moses Raphael Lemkin als Bundisten dargestellt. Jetzt greift er in Abweichung davon James Loefflers aus den Quellen gut belegtes Argument auf, dass der zukünftige Erfinder des "Völkermords" in den Zwanzigerjahren starke zionistische Gefühle hatte. Im Gegensatz zu Loeffler behauptet Moses jedoch, ohne dafür Quellenbelege vorzulegen, dass Lemkin bis in die Vierziger- und Fünfzigerjahre von derselben zionistischen Ideologie motiviert worden sei. In den Augen von Moses war Lemkins offenkundige Abkehr vom Zionismus eine bloße Fassade, die seine wahren jüdisch-nationalistischen Überzeugungen verbergen sollte. Unter dem Eindruck des Holocausts und des Verlustes seiner eigenen Familie habe sich Lemkin um eine internationale Gesetzgebung gegen genau diesen Typus von Massenmord bemüht, aber aus der Sorge heraus, dass die Fokussierung auf den Holocaust nicht genügend Empathie hervorrufen würde, ein Konzept entwickelt, das universell anwendbar schien. Darin, so Moses, ähnelte Lemkin einer Reihe anderer Juden, die sich zu universellen Gefühlen bekannten, während sie verständlicherweise durch den Massenmord an ihren eigenen Gemeinschaften und Familien motiviert waren: "Lemkins Leistung (. . .) war die Erfindung eines konzeptuellen Kunstgriffs, der es einer politisch effektiven Koalition ermöglichte, eine neue Realität zu schaffen, welche die 'Verstümmelung' und 'Ausrottung' von Völkern in einem 'Gattungsbegriff' kombinierte. Weit davon entfernt, gedankenlos die Unterschiede zwischen jüdischen und nichtjüdischen Opfern auszublenden (. . .), bestand der Sinn des Konzepts gerade darin, sie zu vereinen. Auch wenn einige im WJC [World Jewish Congress] sich gegen diese Verbindung jüdischer und nichtjüdischer Erfahrungen sträubten, unterstützte seine Führung schließlich den 'Völkermord' als Mittel zum Schutz jüdischer Minderheiten nach dem Zweiten Weltkrieg."
Da, so der Fortgang der Argumentation, die Definition von Völkermord, wie sie schließlich 1948 von den Vereinten Nationen angenommen wurde, die Kategorie der politischen Verfolgung ausschloss und sich stattdessen nur auf ethnische und religiöse Kategorien konzentrierte, diente sie den Interessen des Zionismus, indem sie sowohl die Schaffung eines ethnisch definierten jüdischen Staates legitimierte als auch die Definition der Vertreibung der Palästinenser 1948 als Völkermord verhinderte: "Lemkin dachte offensichtlich, dass biologische Angriffe eine unentbehrliche Komponente des Völkermords seien, wodurch die Perspektiven des WJC und der kleinen Nationen kombiniert wurden. Auf diese Weise konnte er die Nazi-Politik von zionistischen und britischen Diskussionen über die Teilung Palästinas und die 'Verlagerung' von Teilen der palästinensischen Bevölkerung unterscheiden, um der zionistischen Besiedlung Raum zu verschaffen." Mit anderen Worten, die gefeierte Völkermord-Resolution von 1948, die besonders seit dem Sturz des Kommunismus wiederentdeckt und gelobt wurde, war in Wirklichkeit nichts anderes als eine jüdisch-zionistische Verschwörung.
Allerdings können sowohl Lemkin als auch seine Schöpfung genau umgekehrt gesehen werden. Schon früh empört über andere Massenverbrechen gegen ethnische Minderheiten wie die Armenier im Ersten Weltkrieg und tief betroffen von der Ermordung der Juden und anderer Gruppen, die von den Nationalsozialisten ins Visier genommen worden waren, versuchte Lemkin, solche Arten von Politik international zu verbieten, auch wenn sie von den Täterstaaten als legal angesehen wurden. Der Druck der Großmächte, die verhindern wollten, dass ihre Politik gegenüber ihren eigenen internen imaginären und realen politischen Gegnern, Minderheiten und kolonialen Untertanen unter diese Resolution fiel, erzwang einen Kompromiss, der die Definition weitgehend auf die Zerstörung ethnischer Gruppen als solcher beschränkte. Diese unvollkommene Lösung verbot immerhin eine Art von Verbrechen, die bisher nicht definiert worden war. Der Preis für das Fehlen einer solchen rechtlichen Definition zeigte sich in den Nachkriegsprozessen gegen ehemalige Nationalsozialisten in Westdeutschland, in denen die Völkermordgesetzgebung nicht rückwirkend angewendet werden konnte.
Moses interessiert sich für eine weitere Unterscheidung. Da der Mord an den Juden begründet wurde mit dem, was sie waren, und nicht mit dem, was sie taten, so sein Argument, werden der Holocaust und damit der Völkermord, dessen Begriff ihm nachgebildet ist, eher als Massenhassverbrechen und nicht als politisches Verbrechen dargestellt. Folglich kann die Tötung politischer Gegner nicht unter Völkermord subsumiert werden. Während also illiberale Regime "permanente Sicherheit" anstreben, indem sie ganze Gruppen als ihre Feinde identifizieren und dadurch wegen Völkermords angeklagt werden können, töten liberale Regime ihre aktiven Gegner im Namen des Schutzes der Demokratie und können so zynisch behaupten, Völkermord zu verhindern und nicht zu begehen.
Die Logik dieses Arguments ist in zweierlei Hinsicht fehlerhaft. Erstens betrachteten weder Hitlers noch Stalins Regime ihre mörderische Politik als Massenhassverbrechen. Die Nationalsozialisten führten eine "Judenpolitik" ein und wurden von einer politischen Ideologie angetrieben, welche die Entfernung von Juden und anderen unerwünschten Gruppen forderte, was schließlich ihre Ermordung bedeutete. Das bedeutet nicht, dass die Nationalsozialisten Juden nicht hassten. Aber ihre Anführer ließen keinen Zweifel daran, dass Hass mit der Politik nichts zu tun hatte. Wie Reinhard Heydrichs rechte Hand Werner Best es ausdrückte: "Wir müssen den Feind vernichten, ohne ihn zu hassen." Die gleiche "wissenschaftliche" Logik brachte Stalin zur Anwendung; Hass war ein subversives Gefühl, das unterdrückt werden musste; Dinge wurden aus historischer Notwendigkeit getan. Wassili Grossman verstand das gut, weshalb sein Nachkriegs-Meisterwerk "Leben und Schicksal" in der Sowjetunion nie veröffentlicht werden konnte.
Zweitens kann der Begriff der "permanenten Sicherheit" leicht durch "nationales Interesse" ersetzt werden. Alle Staaten definieren und verfolgen ihre nationalen Interessen. Die chinesische Politik gegen die Uiguren, die russische Politik gegenüber der Ukraine, die deutsche Politik gegenüber der Türkei oder Israel, die amerikanische Politik gegenüber Iran werden entsprechend den bestehenden und sich ändernden Vorstellungen von nationalem Interesse definiert und modifiziert. Der nationalsozialistische Massenmord an den Juden wurde vom Regime als eine Angelegenheit von nationalem Interesse angesehen. Entsprechend auch für eine gewisse Zeit die strategische Bombardierung Deutschlands, der amerikanische Krieg in Vietnam oder die Vertreibung der Palästinenser 1948. Einige dieser Handlungen waren Völkermord, andere ethnische Säuberungen, andere Kriegsverbrechen. Dass die Wahrnehmung des Massenmordes als im nationalen Interesse Deutschlands liegend vor dem Nürnberger Tribunal als kriminell dargestellt wurde, war der Sinn des Unterfangens. Die Wahrnehmung des Krieges in Vietnam als im nationalen Interesse liegend wurde später als falsch eingeschätzt, weil sie der Massentötung von Zivilisten die Lizenz erteilt hatte. Die Anwendung des Begriffs "permanente Sicherheit" auf solche Fälle scheint mir nichts zu klären, nicht zuletzt weil keiner dieser Staaten jemals geglaubt hat, dass er dauerhafte Sicherheit erreichen könnte. Solche Regime wie Nazi-Deutschland wollten sie gar nicht erreichen, da sie glaubten, dass ein permanenter Krieg das beste Mittel sei, um die eigene nationale oder rassische Stärke zu bewahren.
"The Problems of Genocide" ist alles in allem durch drei große blinde Flecken und ein grundlegendes Versäumnis getrübt. Erstens ist das Buch geradezu besessen von der Beziehung zwischen Juden und der "Erfindung" des Völkermords als dem Ergebnis von Lemkins "zionistischer Philosophie". Das reproduziert unbeabsichtigt die schlimmsten Arten antisemitischer Redensarten, die genau die Schrecken heraufführten, auf die Lemkins Konzept, wie problematisch es auch sein mag, antworten sollte. So, schreibt Moses, "übernahmen die Vereinten Nationen im Ergebnis den WJC-Ansatz, Völkermord dem Holocaust ähneln zu lassen (. . .) und damit eine faktische Hierarchie der Kriminalität (. . .). Das Ergebnis besteht darin, die Bedeutung anderer katastrophaler Formen der Massengewalt wie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den 'Kollateralschäden' von Luftangriffen zu verringern." Mit anderen Worten, das jüdische Beharren auf der Opferrolle war eine Hauptursache für Massenverbrechen nach dem Krieg.
Zweitens, trotz der riesigen historischen Leinwand, die das Buch abdeckt, scheint es sich bewusst oder unbewusst auf ein sehr spezifisches Argument zu konzentrieren, das Moses im Katechismus-Essay viel deutlicher artikuliert hat, nämlich dass der Holocaust "als Deckerinnerung fungiert hat, welche die Gewalt und die zivilisatorischen, ja rassischen Hierarchien, auf denen die liberale, permanente Sicherheit des Westens beruht, aus dem Blick nimmt". Mit anderen Worten ist die Erinnerung an den Holocaust sowohl eine Ursache für Gewalt als sie auch ihre Legitimation ist, nicht zuletzt im Falle Israels. Die "Definition von Völkermord" und das "begleitende Erinnerungsregime", schreibt Moses, dienen inzwischen dazu, "Eroberung, Besatzung, Siedlung und Ressourcenausbeutung zu ermöglichen", und weisen "den Palästinensern die Rolle von Schurken in einem globalen Drama über die Verhinderung von Völkermord als 'zweitem Holocaust' zu, weil sie sich der Kolonisierung und Vertreibung aus ihrem Land widersetzen". Lemkins "zionistischer" Völkermord ist daher eine direkte Ursache der palästinensischen Unterdrückung.
Drittens, obwohl Moses versucht, "Völkermord" dem Mülleimer der Geschichte zu überantworten, wendet er den Begriff auf verschiedene historische Ereignisse an, was darauf hindeutet, dass er keinen besseren Begriff finden konnte, um dieses "Verbrechen der Verbrechen" zu beschreiben. So erörtert er den Kolonialismus als "subalternen Völkermord", "völkermörderische Gewalt (. . .) auf dem Balkan", "die berüchtigte tasmanische Kampagne" als den "offensichtlichsten Fall von (. . .) systematischem Völkermord in der australischen Geschichte" und die "völkermörderischen Folgen" des von Stalins Politik der Zwanzigerjahre beförderten Hungers "für ukrainische und kaukasische Bauern" - das sind fast alles Ereignisse, die geschahen, bevor der Begriff geprägt wurde. Nachdem Moses schließlich eine lange Reihe von Gelehrten, Juristen und anderen Kommentatoren scharf kritisiert und das nach 1945 geschaffene völkerrechtliche Gebäude verworfen hat, bietet er keine konstruktive Alternative an. Hartnäckig antikonservativ, hält er wenig von Liberalen. Doch man sucht vergeblich nach einem dritten Weg, den er vielleicht bevorzugt.
Lassen Sie mich mit der folgenden Bemerkung schließen. Ich gebe zu, dass ich "The Problems of Genocide" mit großem Interesse und Faszination gelesen habe, während mich gleichzeitig zunehmend verstörte, was ich als das Hauptleitmotiv des Buches wahrnahm. Als Israeli, der seit mehr als drei Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten lebt und arbeitet, bin ich ein lautstarker Kritiker der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. Erst in diesem Monat habe ich einen Sammelband mit dem Titel "Israel-Palestine: Lands and Peoples" veröffentlicht, mit Ergebnissen eines langfristigen Forschungsprojekts, das ich 2015 an der Brown University begonnen habe. Ich bin der Ansicht, dass der Holocaust in Israel tatsächlich benutzt wird, um die Öffentlichkeit zu indoktrinieren, damit sie jede Opposition gegen die Besatzungspolitik als antisemitisch betrachtet und jede wahrgenommene Bedrohung der Sicherheit Israels als völkermörderisch, das heißt als Ankündigung eines neuen Holocausts. Dieser Fokus auf den Holocaust in der israelischen Erziehung und politischen Rhetorik, insbesondere seit den Achtzigerjahren, hat die öffentlichen Debatten in Israel stark verzerrt.
Darüber hinaus benutzt Israel den Holocaust als internationalen Deckmantel gegen jede ausländische Kritik an der israelischen Politik und stellt den Rest der Welt als Mittäter am Völkermord an den Juden durch Handeln oder Unterlassen dar. Tatsächlich bezeichnet dies eine Hauptstoßrichtung der israelischen Außenpolitik unter der Netanjahu-Regierung, mit verheerenden Auswirkungen, nicht zuletzt in Deutschland.
Ich sollte auch klarstellen, dass ich mich seit Jahrzehnten gegen die Idee der Singularität des Holocausts stelle und bereits in meinen Büchern "Murder in Our Midst" (1996) und "Mirrors of Destruction" (2000) versucht habe, sie zu kontextualisieren. Dies ist inzwischen die herrschende Ansicht unter der überwiegenden Mehrheit der Gelehrten, und es besteht keine Notwendigkeit, hier mehr darüber zu sagen.
Dennoch glaube ich, dass die Kritik von Moses uns in eine höchst beunruhigende Richtung führt. In seinem Beharren darauf, den Holocaust als angebliches Hindernis vor anderen Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beseitigen, hat er sich eine Ursprungsgeschichte zurechtgelegt, die ihn mit Leuten verbindet, mit denen er eindeutig nicht in Verbindung gebracht werden möchte. Die "Erfindung" des Völkermords als Deckmantel für den Zionismus darzustellen, der von einer Gruppe von Juden konstruiert worden sei, das verbindet sich zu leicht mit der Vorliebe unserer heutigen Gesellschaften für Verschwörungen und Komplotte. Nachdem er so viele Jahre damit verbracht hat, Völkermorde zu erforschen und an diesem Buch zu arbeiten, wünschte ich, Moses hätte sich dafür entschieden, einen wissenschaftlicheren Text daraus zu machen. So ist es ein überlanges politisches Pamphlet geworden, das an einige der schlimmsten Gefühle unserer Zeit appelliert.
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Dirk Moses ist ein Pionier der Geschichte der Völkermorde. Mit seinem neuen Buch zieht er der eigenen Disziplin den Boden unter den Füßen weg.
Von Omer Bartov
Ich werde heute über das Buch "The Problems of Genocide: Permanent Security and the Language of Transgression" (2021) von Dirk Moses sprechen, nicht über seinen "Katechismus"-Artikel und die darauf folgende Debatte, an der ich mich entschieden habe nicht teilzunehmen. Aber es gibt, wie Sie sehen werden, Verbindungen.
Dirk Moses schreibt seit fast zwei Jahrzehnten über Völkermord. Als Herausgeber und Mitautor wichtiger Sammelbände wie "The Oxford Handbook on Genocide Studies" (2020) ist er eine führende Stimme auf diesem Gebiet. Gemeinsam mit mir wirkt er als Herausgeber der bei Berghahn erscheinenden Reihe "War and Genocide". Er ist auch der langjährige Herausgeber des einflussreichen Journal of Genocide Research. Moses hat eine Vorliebe dafür, Kontroversen in Gang zu setzen. Zuletzt löste sein Essay "Der deutsche Katechismus" im Schweizer Onlinemagazin Geschichte der Gegenwart eine hitzige Debatte darüber aus, inwieweit die deutsche Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit einen Verteidigungsmechanismus geschaffen hat, der der Kritik an Israels Politik gegenüber den Palästinensern im Weg steht.
Sein schwergewichtiges neues Buch, "The Problems of Genocide", ist ein weitaus stärker konzertierter Angriff auf das, was Moses für die Gemeinplätze hält, die unser Verständnis des Konzepts des Völkermords rahmen - die Ursprünge des Konzepts, seine rechtliche Umsetzung und seine Auswirkungen auf Gesetzgebung gegen Massengewalt, die Auseinandersetzung mit ihr oder sogar ihre Legitimierung. Im Zuge der Untersuchung des gesamten Gebäudes der internationalen Reaktionen auf Gräueltaten stellt Moses sein eigenes Feld auf den Kopf. Sein Argument lautet, dass die "Erfindung" des Völkermords der westlichen Gewalt gegen andere als Erlaubnis gedient habe, im Deckmantel einer Definition des Juden und Zionisten Raphael Lemkin, dessen Ziel es gewesen sei, den Holocaust als den einzigen "wirklichen" Völkermord herauszustellen und damit das unermessliche Leiden der Nichtweißen auf der ganzen Welt als nicht ganz auf Augenhöhe mit Auschwitz zu marginalisieren. In gewissem Sinne hat Moses mit der Veröffentlichung dieses Buches den Teppich unter seinen eigenen Füßen weggezogen. Die Ergebnisse sind verstörend.
Revisionismus liegt in diesen Tagen in der Luft. Man könnte sagen, dass dies eine zweite Welle ist, eine Art Rückkehr an den Ort der Tat, die ursprünglich in der Mitte der Achtzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts versucht wurde. Damals entfesselte Ernst Nolte den "Historikerstreit", indem er behauptete, der Urheber von Auschwitz sei der Bolschewismus und der einzige Unterschied zwischen dem Gulag und dem Holocaust die Einführung von Gas. Nolte war nicht allein. Joachim Fest, der Albert Speer im Alleingang aus der Dunkelheit des Gefängnisses von Spandau in den Rang einer westdeutschen Berühmtheit zurückgeholt hatte, erinnerte seine Leser daran, dass der Holocaust nur einer von vielen Völkermorden gewesen sei, wie sie nicht zuletzt die Kommunisten verübt hätten. Ein Jahrzehnt später, 1998, erklärte Martin Walser, Wehrmachtsveteran und angeblich ohne sein Wissen Mitglied der NSDAP, bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, dass "Auschwitz" ein "jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel", eine "Moralkeule", geworden sei, was ihn veranlasste, "die Vorhaltung unserer Schande auf Motive hin abzuhören". Was Männer wie Nolte, Fest und Walser trotz ihrer unterschiedlichen politischen Ausrichtung gemeinsam hatten, war, dass sie deutsche Patrioten waren und "Auschwitz" als Last und Ärgernis empfanden, das irgendwie entfernt, marginalisiert oder relativiert werden musste.
Damals stießen solche Verlautbarungen zusammen mit der Wiederbelebung des alten Arguments, Hitlers Angriff auf die Sowjetunion sei nur ein Präventivkrieg gewesen, auf vehementen Widerstand. In jüngster Zeit, drei Jahrzehnte nach dem Fall des Kommunismus und im Zuge der wachsenden Unzufriedenheit mit Globalisierung, Neoliberalismus und Demokratie, scheinen die Dinge für einen neuen, aktualisierten Revisionismus reif zu sein. Diesmal jedoch stehen viele der Begriffe und Argumente, die in den Achtzigerjahren unangreifbar schienen, zur Disposition, während bestimmte Tabus, nicht zuletzt diejenigen über antijüdische Begrifflichkeiten, zu zerfasern scheinen. Hinzu kommt, dass die alte politische Kluft zwischen rechts und links immer undurchsichtiger wird und die Extreme auf beiden Seiten immer enger zusammenrücken. In gewisser Weise suchen die neuen Revisionisten nach einer Alternative zwischen einem nicht mehr existierenden Kommunismus und einem diskreditierten Kapitalismus, mit beunruhigenden Echos der Suche nach einem dritten Weg in der Zwischenkriegszeit, die zur Selbstzerstörung Europas führte.
Einige Höhepunkte dieses neuen Revisionismus, der von weit entfernten Punkten des politischen Spektrums ausgeht, sind Niall Fergusons Buch "The Pity of War" (1998), das darlegte, dass ohne britische Kriegsbeteiligung 1914 die Welt ein besserer Ort geblieben wäre; Timothy Snyders Buch "Bloodlands" (2010), das Osteuropa als Opfer der in gleichem Maße gewalttätigen Regime der Sowjets und Nazis darstellte; und jüngst Sean McMeekins Buch "Stalin's War", welches nahelegt, dass die Westmächte viel Blut und Vermögen hätten sparen können, wenn sie sich nicht mit Stalin verbündet hätten.
Das Buch von Moses ist die neueste Lieferung in dieser revisionistischen Gegenreaktion. "The Problems of Genocide" ist eine gelehrte, komplexe und in vielen Teilen durchaus faszinierende Lektüre. Es schlägt einen Bogen vom sechzehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart; vom Imperialismus und Siedlerkolonialismus bis zum Zweiten Weltkrieg und zum Vietnam-Krieg; von der indischen Teilung bis zum Krieg von 1948 in Palästina und so weiter. Es kritisiert und demoliert die Gedankengebäude einer ganze Reihe von Gelehrten und politischen Denkern wie Raphael Lemkin und Hannah Arendt und sogar ganzer Disziplinen wie der von Moses selbst vertretenen Völkermordforschung sowie der Holocaust-Geschichtsschreibung. Das Ziel des Buches ist es, die westliche demokratische Politik der "permanenten Sicherheit" als Fortsetzung des Imperialismus und Kolonialismus unter dem Deckmantel der Völkermordprävention zu entlarven.
Im Zentrum des Buches steht das Argument, dass unser Verständnis von Völkermord durch den Holocaust bestimmt und verzerrt worden sei. Wo einige Holocaust-Forscher sich weigern, den Holocaust als einen Teil einer Reihe moderner Völkermorde zu sehen, da behauptet Moses, dass der Holocaust inzwischen als der einzig wahre Völkermord gesehen werde, was alle anderen Völkermorde auf eine sekundäre Position verweise. Das ist alles andere als ein neues Argument; so gesehen ist das Buch der ausgefeilteste Versuch, eine Behauptung zu untermauern, die von etlichen Völkermordforschern in den letzten zwei Jahrzehnten vorgetragen wurde. Aber Moses geht jetzt noch einen Schritt weiter und gibt zu bedenken, dass die Genozidforschung selbst in die Rhetorik der Holocaust-Einzigartigkeit verstrickt worden sei.
Warum ist das passiert? Die Antwort macht den Kern von "The Problems of Genocide" aus. Früher hatte Moses Raphael Lemkin als Bundisten dargestellt. Jetzt greift er in Abweichung davon James Loefflers aus den Quellen gut belegtes Argument auf, dass der zukünftige Erfinder des "Völkermords" in den Zwanzigerjahren starke zionistische Gefühle hatte. Im Gegensatz zu Loeffler behauptet Moses jedoch, ohne dafür Quellenbelege vorzulegen, dass Lemkin bis in die Vierziger- und Fünfzigerjahre von derselben zionistischen Ideologie motiviert worden sei. In den Augen von Moses war Lemkins offenkundige Abkehr vom Zionismus eine bloße Fassade, die seine wahren jüdisch-nationalistischen Überzeugungen verbergen sollte. Unter dem Eindruck des Holocausts und des Verlustes seiner eigenen Familie habe sich Lemkin um eine internationale Gesetzgebung gegen genau diesen Typus von Massenmord bemüht, aber aus der Sorge heraus, dass die Fokussierung auf den Holocaust nicht genügend Empathie hervorrufen würde, ein Konzept entwickelt, das universell anwendbar schien. Darin, so Moses, ähnelte Lemkin einer Reihe anderer Juden, die sich zu universellen Gefühlen bekannten, während sie verständlicherweise durch den Massenmord an ihren eigenen Gemeinschaften und Familien motiviert waren: "Lemkins Leistung (. . .) war die Erfindung eines konzeptuellen Kunstgriffs, der es einer politisch effektiven Koalition ermöglichte, eine neue Realität zu schaffen, welche die 'Verstümmelung' und 'Ausrottung' von Völkern in einem 'Gattungsbegriff' kombinierte. Weit davon entfernt, gedankenlos die Unterschiede zwischen jüdischen und nichtjüdischen Opfern auszublenden (. . .), bestand der Sinn des Konzepts gerade darin, sie zu vereinen. Auch wenn einige im WJC [World Jewish Congress] sich gegen diese Verbindung jüdischer und nichtjüdischer Erfahrungen sträubten, unterstützte seine Führung schließlich den 'Völkermord' als Mittel zum Schutz jüdischer Minderheiten nach dem Zweiten Weltkrieg."
Da, so der Fortgang der Argumentation, die Definition von Völkermord, wie sie schließlich 1948 von den Vereinten Nationen angenommen wurde, die Kategorie der politischen Verfolgung ausschloss und sich stattdessen nur auf ethnische und religiöse Kategorien konzentrierte, diente sie den Interessen des Zionismus, indem sie sowohl die Schaffung eines ethnisch definierten jüdischen Staates legitimierte als auch die Definition der Vertreibung der Palästinenser 1948 als Völkermord verhinderte: "Lemkin dachte offensichtlich, dass biologische Angriffe eine unentbehrliche Komponente des Völkermords seien, wodurch die Perspektiven des WJC und der kleinen Nationen kombiniert wurden. Auf diese Weise konnte er die Nazi-Politik von zionistischen und britischen Diskussionen über die Teilung Palästinas und die 'Verlagerung' von Teilen der palästinensischen Bevölkerung unterscheiden, um der zionistischen Besiedlung Raum zu verschaffen." Mit anderen Worten, die gefeierte Völkermord-Resolution von 1948, die besonders seit dem Sturz des Kommunismus wiederentdeckt und gelobt wurde, war in Wirklichkeit nichts anderes als eine jüdisch-zionistische Verschwörung.
Allerdings können sowohl Lemkin als auch seine Schöpfung genau umgekehrt gesehen werden. Schon früh empört über andere Massenverbrechen gegen ethnische Minderheiten wie die Armenier im Ersten Weltkrieg und tief betroffen von der Ermordung der Juden und anderer Gruppen, die von den Nationalsozialisten ins Visier genommen worden waren, versuchte Lemkin, solche Arten von Politik international zu verbieten, auch wenn sie von den Täterstaaten als legal angesehen wurden. Der Druck der Großmächte, die verhindern wollten, dass ihre Politik gegenüber ihren eigenen internen imaginären und realen politischen Gegnern, Minderheiten und kolonialen Untertanen unter diese Resolution fiel, erzwang einen Kompromiss, der die Definition weitgehend auf die Zerstörung ethnischer Gruppen als solcher beschränkte. Diese unvollkommene Lösung verbot immerhin eine Art von Verbrechen, die bisher nicht definiert worden war. Der Preis für das Fehlen einer solchen rechtlichen Definition zeigte sich in den Nachkriegsprozessen gegen ehemalige Nationalsozialisten in Westdeutschland, in denen die Völkermordgesetzgebung nicht rückwirkend angewendet werden konnte.
Moses interessiert sich für eine weitere Unterscheidung. Da der Mord an den Juden begründet wurde mit dem, was sie waren, und nicht mit dem, was sie taten, so sein Argument, werden der Holocaust und damit der Völkermord, dessen Begriff ihm nachgebildet ist, eher als Massenhassverbrechen und nicht als politisches Verbrechen dargestellt. Folglich kann die Tötung politischer Gegner nicht unter Völkermord subsumiert werden. Während also illiberale Regime "permanente Sicherheit" anstreben, indem sie ganze Gruppen als ihre Feinde identifizieren und dadurch wegen Völkermords angeklagt werden können, töten liberale Regime ihre aktiven Gegner im Namen des Schutzes der Demokratie und können so zynisch behaupten, Völkermord zu verhindern und nicht zu begehen.
Die Logik dieses Arguments ist in zweierlei Hinsicht fehlerhaft. Erstens betrachteten weder Hitlers noch Stalins Regime ihre mörderische Politik als Massenhassverbrechen. Die Nationalsozialisten führten eine "Judenpolitik" ein und wurden von einer politischen Ideologie angetrieben, welche die Entfernung von Juden und anderen unerwünschten Gruppen forderte, was schließlich ihre Ermordung bedeutete. Das bedeutet nicht, dass die Nationalsozialisten Juden nicht hassten. Aber ihre Anführer ließen keinen Zweifel daran, dass Hass mit der Politik nichts zu tun hatte. Wie Reinhard Heydrichs rechte Hand Werner Best es ausdrückte: "Wir müssen den Feind vernichten, ohne ihn zu hassen." Die gleiche "wissenschaftliche" Logik brachte Stalin zur Anwendung; Hass war ein subversives Gefühl, das unterdrückt werden musste; Dinge wurden aus historischer Notwendigkeit getan. Wassili Grossman verstand das gut, weshalb sein Nachkriegs-Meisterwerk "Leben und Schicksal" in der Sowjetunion nie veröffentlicht werden konnte.
Zweitens kann der Begriff der "permanenten Sicherheit" leicht durch "nationales Interesse" ersetzt werden. Alle Staaten definieren und verfolgen ihre nationalen Interessen. Die chinesische Politik gegen die Uiguren, die russische Politik gegenüber der Ukraine, die deutsche Politik gegenüber der Türkei oder Israel, die amerikanische Politik gegenüber Iran werden entsprechend den bestehenden und sich ändernden Vorstellungen von nationalem Interesse definiert und modifiziert. Der nationalsozialistische Massenmord an den Juden wurde vom Regime als eine Angelegenheit von nationalem Interesse angesehen. Entsprechend auch für eine gewisse Zeit die strategische Bombardierung Deutschlands, der amerikanische Krieg in Vietnam oder die Vertreibung der Palästinenser 1948. Einige dieser Handlungen waren Völkermord, andere ethnische Säuberungen, andere Kriegsverbrechen. Dass die Wahrnehmung des Massenmordes als im nationalen Interesse Deutschlands liegend vor dem Nürnberger Tribunal als kriminell dargestellt wurde, war der Sinn des Unterfangens. Die Wahrnehmung des Krieges in Vietnam als im nationalen Interesse liegend wurde später als falsch eingeschätzt, weil sie der Massentötung von Zivilisten die Lizenz erteilt hatte. Die Anwendung des Begriffs "permanente Sicherheit" auf solche Fälle scheint mir nichts zu klären, nicht zuletzt weil keiner dieser Staaten jemals geglaubt hat, dass er dauerhafte Sicherheit erreichen könnte. Solche Regime wie Nazi-Deutschland wollten sie gar nicht erreichen, da sie glaubten, dass ein permanenter Krieg das beste Mittel sei, um die eigene nationale oder rassische Stärke zu bewahren.
"The Problems of Genocide" ist alles in allem durch drei große blinde Flecken und ein grundlegendes Versäumnis getrübt. Erstens ist das Buch geradezu besessen von der Beziehung zwischen Juden und der "Erfindung" des Völkermords als dem Ergebnis von Lemkins "zionistischer Philosophie". Das reproduziert unbeabsichtigt die schlimmsten Arten antisemitischer Redensarten, die genau die Schrecken heraufführten, auf die Lemkins Konzept, wie problematisch es auch sein mag, antworten sollte. So, schreibt Moses, "übernahmen die Vereinten Nationen im Ergebnis den WJC-Ansatz, Völkermord dem Holocaust ähneln zu lassen (. . .) und damit eine faktische Hierarchie der Kriminalität (. . .). Das Ergebnis besteht darin, die Bedeutung anderer katastrophaler Formen der Massengewalt wie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den 'Kollateralschäden' von Luftangriffen zu verringern." Mit anderen Worten, das jüdische Beharren auf der Opferrolle war eine Hauptursache für Massenverbrechen nach dem Krieg.
Zweitens, trotz der riesigen historischen Leinwand, die das Buch abdeckt, scheint es sich bewusst oder unbewusst auf ein sehr spezifisches Argument zu konzentrieren, das Moses im Katechismus-Essay viel deutlicher artikuliert hat, nämlich dass der Holocaust "als Deckerinnerung fungiert hat, welche die Gewalt und die zivilisatorischen, ja rassischen Hierarchien, auf denen die liberale, permanente Sicherheit des Westens beruht, aus dem Blick nimmt". Mit anderen Worten ist die Erinnerung an den Holocaust sowohl eine Ursache für Gewalt als sie auch ihre Legitimation ist, nicht zuletzt im Falle Israels. Die "Definition von Völkermord" und das "begleitende Erinnerungsregime", schreibt Moses, dienen inzwischen dazu, "Eroberung, Besatzung, Siedlung und Ressourcenausbeutung zu ermöglichen", und weisen "den Palästinensern die Rolle von Schurken in einem globalen Drama über die Verhinderung von Völkermord als 'zweitem Holocaust' zu, weil sie sich der Kolonisierung und Vertreibung aus ihrem Land widersetzen". Lemkins "zionistischer" Völkermord ist daher eine direkte Ursache der palästinensischen Unterdrückung.
Drittens, obwohl Moses versucht, "Völkermord" dem Mülleimer der Geschichte zu überantworten, wendet er den Begriff auf verschiedene historische Ereignisse an, was darauf hindeutet, dass er keinen besseren Begriff finden konnte, um dieses "Verbrechen der Verbrechen" zu beschreiben. So erörtert er den Kolonialismus als "subalternen Völkermord", "völkermörderische Gewalt (. . .) auf dem Balkan", "die berüchtigte tasmanische Kampagne" als den "offensichtlichsten Fall von (. . .) systematischem Völkermord in der australischen Geschichte" und die "völkermörderischen Folgen" des von Stalins Politik der Zwanzigerjahre beförderten Hungers "für ukrainische und kaukasische Bauern" - das sind fast alles Ereignisse, die geschahen, bevor der Begriff geprägt wurde. Nachdem Moses schließlich eine lange Reihe von Gelehrten, Juristen und anderen Kommentatoren scharf kritisiert und das nach 1945 geschaffene völkerrechtliche Gebäude verworfen hat, bietet er keine konstruktive Alternative an. Hartnäckig antikonservativ, hält er wenig von Liberalen. Doch man sucht vergeblich nach einem dritten Weg, den er vielleicht bevorzugt.
Lassen Sie mich mit der folgenden Bemerkung schließen. Ich gebe zu, dass ich "The Problems of Genocide" mit großem Interesse und Faszination gelesen habe, während mich gleichzeitig zunehmend verstörte, was ich als das Hauptleitmotiv des Buches wahrnahm. Als Israeli, der seit mehr als drei Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten lebt und arbeitet, bin ich ein lautstarker Kritiker der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. Erst in diesem Monat habe ich einen Sammelband mit dem Titel "Israel-Palestine: Lands and Peoples" veröffentlicht, mit Ergebnissen eines langfristigen Forschungsprojekts, das ich 2015 an der Brown University begonnen habe. Ich bin der Ansicht, dass der Holocaust in Israel tatsächlich benutzt wird, um die Öffentlichkeit zu indoktrinieren, damit sie jede Opposition gegen die Besatzungspolitik als antisemitisch betrachtet und jede wahrgenommene Bedrohung der Sicherheit Israels als völkermörderisch, das heißt als Ankündigung eines neuen Holocausts. Dieser Fokus auf den Holocaust in der israelischen Erziehung und politischen Rhetorik, insbesondere seit den Achtzigerjahren, hat die öffentlichen Debatten in Israel stark verzerrt.
Darüber hinaus benutzt Israel den Holocaust als internationalen Deckmantel gegen jede ausländische Kritik an der israelischen Politik und stellt den Rest der Welt als Mittäter am Völkermord an den Juden durch Handeln oder Unterlassen dar. Tatsächlich bezeichnet dies eine Hauptstoßrichtung der israelischen Außenpolitik unter der Netanjahu-Regierung, mit verheerenden Auswirkungen, nicht zuletzt in Deutschland.
Ich sollte auch klarstellen, dass ich mich seit Jahrzehnten gegen die Idee der Singularität des Holocausts stelle und bereits in meinen Büchern "Murder in Our Midst" (1996) und "Mirrors of Destruction" (2000) versucht habe, sie zu kontextualisieren. Dies ist inzwischen die herrschende Ansicht unter der überwiegenden Mehrheit der Gelehrten, und es besteht keine Notwendigkeit, hier mehr darüber zu sagen.
Dennoch glaube ich, dass die Kritik von Moses uns in eine höchst beunruhigende Richtung führt. In seinem Beharren darauf, den Holocaust als angebliches Hindernis vor anderen Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beseitigen, hat er sich eine Ursprungsgeschichte zurechtgelegt, die ihn mit Leuten verbindet, mit denen er eindeutig nicht in Verbindung gebracht werden möchte. Die "Erfindung" des Völkermords als Deckmantel für den Zionismus darzustellen, der von einer Gruppe von Juden konstruiert worden sei, das verbindet sich zu leicht mit der Vorliebe unserer heutigen Gesellschaften für Verschwörungen und Komplotte. Nachdem er so viele Jahre damit verbracht hat, Völkermorde zu erforschen und an diesem Buch zu arbeiten, wünschte ich, Moses hätte sich dafür entschieden, einen wissenschaftlicheren Text daraus zu machen. So ist es ein überlanges politisches Pamphlet geworden, das an einige der schlimmsten Gefühle unserer Zeit appelliert.
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