Produktdetails
- Verlag: Coronet
- ISBN-13: 9780340748206
- ISBN-10: 0340748206
- Artikelnr.: 23813425
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2000Warum die Außerirdischen mit uns Verbindung aufnehmen müßten
Science-fiction und der unstillbare Narzißmus, von anderen entdeckt zu werden: Die Literatur hegt den unheimlichen Wunsch nach einer Begegnung mit der Dritten Art
Gibt es sie? Die "vom anderen Stern"? Wir wissen nicht, ob sie existieren (und wie sie in diesem Fall beschaffen wären), aber warum sollte es sie denn nicht geben? Selbst die Theologie hat schließlich nach Überwindung der galileischen Krise prinzipiell keine Einwände gegen den Gedanken erhoben, es könnten Lebewesen auf fernen Sternen wohnen; sie verfügt über einen wenn auch etwas kryptischen kanonischen Text ("Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle" - Johannes X, 16) und über alle wohlerwogenen Argumente der Neoscholastik, die man etwa in einer Schrift der Görres-Gesellschaft von 1885 nach vielen Fußnoten summiert findet zu: "Gott konnte menschenähnliche Geschöpfe auf den bewohnbaren Weltkörpern erschaffen; es geziemte sich aber auch aus einer Reihe von Gründen, daß er solche erschuf; mithin hat er es getan."
Bei der Erörterung jener Reihe von Gründen wird ein gewisses Gewicht auf das argumentum ex turpitudine, das Argument mit Bezug auf die "Ruchlosigkeit des Menschengeschlechts", gelegt - stellte die irdische Menschheit schon das Gesamt der intelligenten Schöpfung dar, hätte das All vor Gott (und am Ende Gott selbst vor sich selber) peinlich versagt. Die Naturwissenschaft stellt sich in diesem Falle der Theologie an die Seite; sie hat ihre offizielle Position in den sechziger Jahren mit Einrichtung des Projekts Ozma bezogen, dem dann die weiteren Seti-Versuche folgten - die "Search for Extraterrestrial Intelligence" mit Hilfe immer größerer Radioteleskope. Wir senden die Nachricht von unserer intelligenten Existenz aus, hoffen, daß sie auch intelligibel ist, horchen nach Antworten ins All. Muß es uns als bedeutsame Frage erscheinen, daß hierauf immer noch keine Antwort erfolgt ist? Längere Zeit zumindest sah es so aus, als rechneten doch große Teile der Bevölkerung - irgendwie - mit einem Antwortsignal.
In den fünfziger Jahren war die Vorstellung eines Besuchs aus dem All vor allem die von einer Heimsuchung: einer Invasion. Das war die seit Wells' "Krieg der Welten" (1898) geläufige Vorstellung, und der Kalte Krieg hat solche Ängste noch einmal groß an den Himmel gemalt - verbunden mit der geheimen Hoffnung, die Menschheit könne ihren internen Frieden im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind aus dem All finden: Unzählige Space Operas haben mit einem orgasmischen Jetzt-aber-zur-Sache-Gefühl amerikanische und russische Raketen einträchtig einer außerirdischen Invasionsflotte entgegendonnern lassen. Die Invasoren sind ausgeblieben (falls sie nicht unerkannt längst schon unter uns leben, aber das ist eine andere, wunderbar paranoide Geschichte; gleich mehr dazu).
Die riesigen imperialistischen Entwürfe, so oder so - wir gründen ein mächtiges Sternenreich; wir werden von einem mächtigen Sternenreich angegriffen -, zeigen sich unter allen verstaubten Erfindungen der Science-fiction als die albernsten; sentimental-schön bleiben nur einige Stories, wo gezeigt wird, wie auf unvorstellbar entlegenen Planeten bruchstückhafte, nostalgisch übertriebene Mythen von der nie gesehenen Mutter Erde zirkulieren. Die illegitime Beziehung zwischen Imperialismuskritik und Paranoia hat andererseits einen der schrägsten Texte der postmodernen Literatur hervorgebracht: Burroughs' "Nova Express" (1964). Hier sind die Fremden unter uns eine durchsichtige, aber wirksame Metapher für die Unbegreiflichkeit unseres eigenen gewalttätigen Wahnsinns: Der Nova-Mob, eine Art extraterrestrische Mafia, versucht, unseren Planeten unter Kontrolle zu bringen, indem er auf unsere Neigung zum Suchtverhalten setzt und uns mit Drogen, Sex und Gewalt unterminiert. Diese Agenten des Surrogats sollen böse Fremde sein; wir wissen schon, daß es nur unsere Spiegelbilder sind, aber wenn wir es einen Augenblick lang vergessen können, ist es doch immerhin schmeichelhaft, daß sich jemand so für unseren Planeten interessiert.
Wir wollen nämlich interessant wirken. Auf die anderen. Die können dann ruhig ein wenig bedrohlich sein. In den Vereinigten Staaten und anderswo gibt es Hunderttausende von Menschen, die versucht haben, ihre vermutlich eintönige Existenz mit der Behauptung zu garnieren, sie seien von Außerirdischen entführt worden. Ihre Geschichten schillern (soweit sie nicht Produkte genuiner geistiger Verwirrung sind, was wie bei vielen im weitesten Sinne religiösen Phantasien schwierig abzugrenzen ist) zwischen Wichtigtuerei und Sehnsucht. Die Entführungsszenarien bieten eine Musterkarte von angenehm "wichtigen" Formen des Sozialkontakts: wissenschaftliches Experiment, militärische Operation, erotische Verführung, religiöse Unterweisung, diplomatische Demarche. Ihr Generalnenner ist ein Gefühl, das auch viele andere Katastrophen- und Erlösungsphantasien nährt: Es soll mit mir endlich einmal etwas Außerordentliches geschehen. Noch die sinistersten dieser Geschichten (Vergewaltigung, Einsatz als medizinisches Versuchskaninchen) haben ein und dieselbe schlichte - und wahrhaftig ergreifende - Pointe: Jemand hat sich für mich interessiert. Alle diese Berichte (fromm, schwül oder geheimnisvoll) lassen sich auf den Glücksruf eines Gelangweilten reduzieren: Es hat mich jemand angesprochen! Und weil's realiter nie geschieht, phantasieren wir es uns beharrlich zusammen. Denn wir sind im Grunde unseres Herzens davon überzeugt, daß die "anderen", gäbe es sie, uns nicht widerstehen könnten.
Es gibt ein sehr schönes Blatt von Sempé: Irgendwo in der französischen Provinz oder der Banlieue von Paris sitzt auf einem bukolischen Balkon unter einem prächtigen Sternenhimmel zufrieden rauchend der Hausherr mit seinem Kaffee und einem massiven Fernrohr. Die Gattin redet nervös auf ihn ein, er solle doch zur Besinnung kommen ("Réfléchis une seconde, Armand") und nur einmal überlegen: Wenn es dort droben intelligente Wesen gibt, "warum sollten die ausgerechnet dir Signale senden?"
Und es gibt eine sehr schöne Folge von Charles M. Schulz' "Peanuts"-Comic-Strip: Auf die nachdenkliche Frage, ob es anderswo im Weltall wohl intelligentes Leben gebe, verneint Lucy das mit Entschiedenheit: "Wenn es dort intelligente Wesen geben würde, dann hätten sie auf jeden Fall versucht, mit mir Verbindung aufzunehmen." Diese beiden Erwägungen schneiden sich mit ihrer symmetrischen Komik genau in dem Punkt, wo die Wurzel der Frage nach den Außerirdischen liegt: im Narzißmus. Die Fragestellung mag sich noch so sehr naturwissenschaftlich oder theologisch maskieren, im Grunde liegt ihr (nachdem die alte Angst vor einem Angriff erloschen scheint) eine Irritation unserer Eitelkeit zugrunde.
Und es ist ja auch, tritt man einmal in diesen Gedankengang ein, einigermaßen irritierend, daß sich noch niemand bei uns gemeldet hat. Sind wir so unbedeutend, verschwinden wir unwahrnehmbar in den Abgründen des Kosmos? Sind wir vielleicht derart unattraktiv? Oder gefährlich? Fehlt uns das, was mit einem schönen englischen Wort "clubability" heißt - traut man uns keine geselligen Tugenden zu, will man uns in keinen Weltallklub wählen? Es muß doch irgendwelche Gründe geben . . . Ob wir irgendwann einmal bei einem Test versagt haben, bei einer Art kosmischer Aufnahmeprüfung?
Es ist ein klassischer Topos der Science-fiction-Literatur, daß die Menschheit einmal plötzlich Gelegenheit bekommen könnte, in die galaktische Gemeinschaft der intelligenten Spezies aufgenommen zu werden. Versagen wir, passiert ein weiteres Jahrzehntausend erst einmal gar nichts. In milder, charmanter Form führt so etwas Fredric Brown in seiner Erzählung "Puppet Show" (1962) vor: Aus der Wüste von Arizona nähert sich eines Tages auf dem Esel eines alten Goldsuchers eine unbegreifliche Gestalt: ein abstoßend steckendürres, drei Meter hohes Wesen, blutrot (wie gehäutet) und mit blauem Haar, das erklärt, es sei der Abgesandte der "Galaktischen Union" und wolle feststellen, ob die Menschheit zum Beitritt eingeladen werden könne. Nachdem die Reaktion der herbeigeeilten Menschen nicht allzu xenophob ausgefallen ist (der erste Test wäre bestanden), legt sich der blutrote Monstermann plötzlich hin und regt sich nicht mehr; der greise Goldgräber nimmt den Bart ab und erklärt, nunmehr ein gutaussehender junger Mann, das ginge soweit in Ordnung, es habe sich nur um einen Testautomaten gehandelt. Der ranghöchste Militär zeigt sich erleichtert: "Ich muß zugeben, es ist eine Erleichterung, daß die Herrenrasse der Galaxis am Ende doch nicht bloß menschenähnlich ist, sondern menschengleich. Was ist der zweite Test?" Der junge Mann legt sich hin und regt sich nicht mehr. Der Esel sagt: "Wie war das jetzt mit der menschengleichen Herrenrasse? Was ist bitte eine Herrenrasse?"
Schärfere Albtraumformulierungen des Prüfungstopos setzen etwa einen beliebig aus dem Alltag gerissenen Jedermann-Erdling in eine kosmische Arena, wo er instruiert wird, er müsse sich nun gegen den Durchschnittsvertreter einer völlig anderen Spezies auf Leben und Tod bewähren. Die Rasse des Unterliegenden wird ausgelöscht; irgendeine kosmische Agentur hat anstelle eines irgendwann einmal unvermeidlichen großen Krieges zwischen den beiden Lebensformen ein Duell angeordnet. Die Betonung der Durchschnittlichkeit des Protagonisten suggeriert dem nervösen Leser die unangenehme Möglichkeit, er könne eines Tages in bizarrer Anwendung des kantischen Imperativs mit seinen individuellen Handlungen über die Fortdauer der gesamten Menschheit entscheiden müssen.
So genau hätten wir es dann auch nicht wissen wollen - aber eine existentiell weniger strapaziöse Kontaktaufnahme von "draußen" hätten wir uns doch gewünscht. Warum erfolgt sie nicht? Die Wissenschaft kommt neuerdings zu dem Ergebnis: weil sie so ungeheuer unwahrscheinlich ist. In ihrem jüngst erschienenen Buch "Rare Earth: Why Complex Life Is Uncommon in the Universe" (Springer-Verlag, New York 2000) legen Peter D. Ward und Donald Brownlee dar, daß die Chancen ganz gut stehen dürften, daß wir einmal mikrobiotisches Leben im All finden könnten, daß es aber mit dem Auftauchen höherer Lebewesen sehr schlecht aussieht, auch wenn wir die interstellare Raumfahrt einmal beherrschen sollten. Zwar gibt es genug Planeten, aber der auf unserer Erde abgelaufene Entwicklungsprozeß scheint fast singulär und jedenfalls von höchst selten zusammentreffenden Parametern bestimmt: "Die Erde ist einer von vielen Planeten . . . Doch haben wir zu zeigen versucht: Es sind vielleicht nicht so viele, wie wir hoffen möchten - und vielleicht nicht einmal so viele, daß wir jemals, wie lang die Geschichte unserer Spezies auch dauern mag, irgendwelche extraterrestrischen Animalia" - höhere Lebewesen - "zwischen den Sternen finden werden . . . Dies ist ein Schicksal, mit dem Hollywood nicht gerechnet hat - daß wir nur Bakterien finden, selbst auf den Planeten ferner Sterne."
Wollen wir das wirklich glauben? Wir haben die Wissenschaft schon allzuviel Volten zwischen Leichtgläubigkeit und Skepsis schlagen sehen. Wir grübeln lieber weiter nach, und eine andere naheliegende Variante der Erklärung für die kosmische Funkstille lautet: Quarantäne. Um unserem miesen Planeten mit seiner sogenannten Zivilisation könnte ein unsichtbarer "cordon sanitaire" liegen, bewacht von den Weltallpatrouillen irgendeiner Konföderation, Despotie oder gütigen Tyrannis, die entschlossen ist, das übrige All vor dem terrestrischen Ansteckungsstoff zu bewahren. Wir sind ein schlechtes Beispiel, ein Virus, eine Zeitbombe. Wir sind einfach eine Peinlichkeit; es gibt SF-Phantasien, in welchen die Erde so etwas wie ein entlegener Käfig in einem Hyper-Zoo ist - ein "Terrarium" mit einer unattraktiven, geistig übelriechenden, der Vollständigkeit halber archivierten und nur selten von zerstreuten Besuchern wahrgenommenen Spezies. Sind wir negatives Anschauungsmaterial für Ethnosoziologen von Beteigeuze?
Es gehört zu den subtilen Zügen der naiven Science-fiction, daß sie mit einer paranoiden Topik komisch-erfinderisch zu spielen weiß. Wer sagt uns denn, daß der einsilbige Nachbar oder die unangenehme Bedienung im Lokal nicht "eigentlich" Doktoranden aus einer anderen Galaxis sind, deren unmenschlich distanzierter Blick uns streift? Uns trifft? Sollen wir nie mehr unbeschwert in der Nase bohren dürfen? Diese vorauseilende Scham hängt mit einer anderen Empfindung zusammen: Vielleicht sind wir einfach zu blöd. Wir kommen intergalaktisch nicht mit.
Das exerziert die SF in Geschichten von Prüfungsaufgaben durch, die oft genuin unheimlich werden: Ein unbegreifliches Labyrinth (Algis Budrys, "Rogue Moon", 1960) auf der erdabgewandten Seite des Mondes tötet alle, die eindringen. Und schließlich ist die Kehrseite des stolzen Narzißmus ein schlechtes Gewissen. Wir kommen nicht einmal mit unserem kleinen, schon nahezu ruinierten Globus zurecht - was könnten wir interstellar, öffnete man uns die Weiten des Alls, für Unheil anrichten.
Eigenartigerweise scheint im Film der letzten Zeit, für den ja solche diversen Alien-Begegnungen immer ein solides Genrethema sind, die einzige intelligentere Reflexion über das Verhältnis der Menschheit zu möglichen außerirdischen Zivilisationen in einem gründlich naiven Gimmick-Streifen versteckt zu sein: "Men in Black". Diesen Film zeichnet ein schöner Einfall aus: daß sich die Ufo-Frage nicht bloß eliminatorisch-militärisch (wie in den zahllosen Invasionsphantasien) oder sentimental-theologisch (wie in Spielbergs "Close Encounters"-Kitsch) formulieren läßt, sondern vielleicht einmal administrativ beantwortet werden müßte. "Men in Black" schildert die Arbeit einer Behörde - als Spannungskomödie, inspiriert von realen politischen Zwängen. Die illegale Einwanderung aus allen Winkeln des Universums muß diskret und unter strenger Geheimhaltung verwaltet und kontrolliert werden. Das heißt: Alle Gerüchte, daß uns "die Regierung" diverse Ufo-Geheimnisse vorenthält, sind real, aber das Geheime ist nicht mysteriös, sondern komisch.
Mit einem solchen Szenario phantasieren wir uns einen Augenblick selbst in die Allmacht hinein: "Wir" haben im Grunde doch alles unter Kontrolle, alles im Blick. Dies führt zum Gegenbild der allwissenden kosmischen Beobachtung der Erde zurück. Das Motiv, für welches etwa Edgar Pangborns "A Mirror for Observers" (1954) charakteristisch ist, durchzieht die SF ebenso wie die "esoterischen" Magazine vom Typus "Fate": Wir werden ständig observiert. Das hat nichts mehr mit der aufklärerisch-satirischen Tradition zu tun, die Gestalten wie Voltaires Besucher vom Sirius durch die Metropolen Europas in Marsch setzte, wo sie einfach (wie Montesquieus Perser) die Funktion hatten, uns das völlig Vertraute im fremden Auge zu spiegeln und als höchst Merkwürdiges und dem intelligenten Fremdling Lächerliches erscheinen zu lassen. Es geht auch nicht mehr um die Belebung des kalten und leeren Alls durch die imaginierten Planetenbewohner, um eine Milderung der kosmischen Kälte. Und wir haben wohl auch keine Angst mehr, daß uns Außerirdische kolonisieren oder ausrotten wollen. Und Erlösung? Erwarten wir die?
Wir hoffen zwar vielleicht noch im diffusen Kontext der generellen New-Age-Debilität auf irgendwelche Rezepturen einer kosmischen Homöopathie, aber vor allem möchten wir . . . jemanden haben, mit dem wir reden könnten. (Worüber? Über uns natürlich.) Dieser Jemand muß viel von uns wissen, denn er beobachtet uns ja ständig. Und hier münden die SF-Szenarien endlich in die uns vertraute Grundstimmung ein, in der wir es uns seit einiger Zeit so wohlig-unruhig bequem gemacht haben: in die Patientenkultur. Unser Verdacht (und unser geheimer Wunsch), man könne uns beobachten, erweist sich als Zug unserer Therapiebesessenheit. Wir wären gerne Gegenstand einer kosmischen Therapie. Vielleicht hilft das etwas. Wir wären den Außerirdischen unendlich verpflichtet, würden sie uns endlich offen die Diagnose für die Gründe unserer Unzufriedenheit und Unbeholfenheit stellen. Aber die erfolgt nicht.
Ist die Frage nach den Außerirdischen wichtig? Vor einundzwanzig Jahren erschien unter dem Titel "Die Außerirdischen sind da" bei Matthes & Seitz eine "Umfrage anläßlich einer Landung von Wesen aus dem All". Auf die Frage, wie man auf eine Landung von außerirdischen Intelligenzen reagieren würde, erfolgten seitens der üblichen Verdächtigen von Lem bis Wiener, Lyotard bis Feyerabend und bis tief hinein in die intellektuelle Statisterie des Verlages viele kluge und törichte, nachdenkliche und naßforsche Äußerungen. Alle hatte ich vergessen, eine einzige knappe Antwort blieb im Gedächtnis haften, die eines Befragten, der es - mit einer verächtlichen Empörung, die ihn alle gewohnte stilistische Sorgfalt vergessen ließ - rundheraus ablehnte, die Frage für bedenkenswert zu halten. Schlägt man nach, dann lautet seine Antwort genau: "Ich habe keine Ahnung, wie ich auf ein solches Ereignis reagieren würde, ich bin auch nicht bereit, mir darüber Gedanken zu machen. Ich habe nicht die Absicht, ein solches, wie Sie sagen, fiktives Erlebnis fiktiv durchzumachen, und muß das, übrigens mit größtem Mißtrauen und Unglauben, den Herrschaften überlassen, die bereit sind, ihre Phantasie dafür anzustrengen. Daß Sie glauben, mit einem solchen Buch irgend etwas über unsere jetzige Kultur herauspressen zu können, übersteigt mein Vorstellungsvermögen." Das ist alles.
Gershom Scholem hat die Gründe seiner Erbitterung nicht ausgeführt, aber neben allem anderen hier zu Vermutenden dürfte er auch darauf reagiert haben, daß Menschen mit philosophischen Prätentionen nichts anderes mit sich zu beginnen wissen, als sich selbst zum Rohstoff von Genrephantasien zu machen. Ihre Intelligenz müßte hinreichen, das Anliegen als Scheinfrage zu erkennen. Oder umgekehrt gedacht und um noch einmal einem Comic strip das Wort zu erteilen - der kleine Junge sagt zu seinem Tiger ("Calvin and Hobbes"): "Manchmal glaube ich, es ist das sicherste Anzeichen für intelligentes Leben anderswo im Universum, daß niemand versucht hat, mit uns Kontakt aufzunehmen."
JOACHIM KALKA
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Science-fiction und der unstillbare Narzißmus, von anderen entdeckt zu werden: Die Literatur hegt den unheimlichen Wunsch nach einer Begegnung mit der Dritten Art
Gibt es sie? Die "vom anderen Stern"? Wir wissen nicht, ob sie existieren (und wie sie in diesem Fall beschaffen wären), aber warum sollte es sie denn nicht geben? Selbst die Theologie hat schließlich nach Überwindung der galileischen Krise prinzipiell keine Einwände gegen den Gedanken erhoben, es könnten Lebewesen auf fernen Sternen wohnen; sie verfügt über einen wenn auch etwas kryptischen kanonischen Text ("Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle" - Johannes X, 16) und über alle wohlerwogenen Argumente der Neoscholastik, die man etwa in einer Schrift der Görres-Gesellschaft von 1885 nach vielen Fußnoten summiert findet zu: "Gott konnte menschenähnliche Geschöpfe auf den bewohnbaren Weltkörpern erschaffen; es geziemte sich aber auch aus einer Reihe von Gründen, daß er solche erschuf; mithin hat er es getan."
Bei der Erörterung jener Reihe von Gründen wird ein gewisses Gewicht auf das argumentum ex turpitudine, das Argument mit Bezug auf die "Ruchlosigkeit des Menschengeschlechts", gelegt - stellte die irdische Menschheit schon das Gesamt der intelligenten Schöpfung dar, hätte das All vor Gott (und am Ende Gott selbst vor sich selber) peinlich versagt. Die Naturwissenschaft stellt sich in diesem Falle der Theologie an die Seite; sie hat ihre offizielle Position in den sechziger Jahren mit Einrichtung des Projekts Ozma bezogen, dem dann die weiteren Seti-Versuche folgten - die "Search for Extraterrestrial Intelligence" mit Hilfe immer größerer Radioteleskope. Wir senden die Nachricht von unserer intelligenten Existenz aus, hoffen, daß sie auch intelligibel ist, horchen nach Antworten ins All. Muß es uns als bedeutsame Frage erscheinen, daß hierauf immer noch keine Antwort erfolgt ist? Längere Zeit zumindest sah es so aus, als rechneten doch große Teile der Bevölkerung - irgendwie - mit einem Antwortsignal.
In den fünfziger Jahren war die Vorstellung eines Besuchs aus dem All vor allem die von einer Heimsuchung: einer Invasion. Das war die seit Wells' "Krieg der Welten" (1898) geläufige Vorstellung, und der Kalte Krieg hat solche Ängste noch einmal groß an den Himmel gemalt - verbunden mit der geheimen Hoffnung, die Menschheit könne ihren internen Frieden im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind aus dem All finden: Unzählige Space Operas haben mit einem orgasmischen Jetzt-aber-zur-Sache-Gefühl amerikanische und russische Raketen einträchtig einer außerirdischen Invasionsflotte entgegendonnern lassen. Die Invasoren sind ausgeblieben (falls sie nicht unerkannt längst schon unter uns leben, aber das ist eine andere, wunderbar paranoide Geschichte; gleich mehr dazu).
Die riesigen imperialistischen Entwürfe, so oder so - wir gründen ein mächtiges Sternenreich; wir werden von einem mächtigen Sternenreich angegriffen -, zeigen sich unter allen verstaubten Erfindungen der Science-fiction als die albernsten; sentimental-schön bleiben nur einige Stories, wo gezeigt wird, wie auf unvorstellbar entlegenen Planeten bruchstückhafte, nostalgisch übertriebene Mythen von der nie gesehenen Mutter Erde zirkulieren. Die illegitime Beziehung zwischen Imperialismuskritik und Paranoia hat andererseits einen der schrägsten Texte der postmodernen Literatur hervorgebracht: Burroughs' "Nova Express" (1964). Hier sind die Fremden unter uns eine durchsichtige, aber wirksame Metapher für die Unbegreiflichkeit unseres eigenen gewalttätigen Wahnsinns: Der Nova-Mob, eine Art extraterrestrische Mafia, versucht, unseren Planeten unter Kontrolle zu bringen, indem er auf unsere Neigung zum Suchtverhalten setzt und uns mit Drogen, Sex und Gewalt unterminiert. Diese Agenten des Surrogats sollen böse Fremde sein; wir wissen schon, daß es nur unsere Spiegelbilder sind, aber wenn wir es einen Augenblick lang vergessen können, ist es doch immerhin schmeichelhaft, daß sich jemand so für unseren Planeten interessiert.
Wir wollen nämlich interessant wirken. Auf die anderen. Die können dann ruhig ein wenig bedrohlich sein. In den Vereinigten Staaten und anderswo gibt es Hunderttausende von Menschen, die versucht haben, ihre vermutlich eintönige Existenz mit der Behauptung zu garnieren, sie seien von Außerirdischen entführt worden. Ihre Geschichten schillern (soweit sie nicht Produkte genuiner geistiger Verwirrung sind, was wie bei vielen im weitesten Sinne religiösen Phantasien schwierig abzugrenzen ist) zwischen Wichtigtuerei und Sehnsucht. Die Entführungsszenarien bieten eine Musterkarte von angenehm "wichtigen" Formen des Sozialkontakts: wissenschaftliches Experiment, militärische Operation, erotische Verführung, religiöse Unterweisung, diplomatische Demarche. Ihr Generalnenner ist ein Gefühl, das auch viele andere Katastrophen- und Erlösungsphantasien nährt: Es soll mit mir endlich einmal etwas Außerordentliches geschehen. Noch die sinistersten dieser Geschichten (Vergewaltigung, Einsatz als medizinisches Versuchskaninchen) haben ein und dieselbe schlichte - und wahrhaftig ergreifende - Pointe: Jemand hat sich für mich interessiert. Alle diese Berichte (fromm, schwül oder geheimnisvoll) lassen sich auf den Glücksruf eines Gelangweilten reduzieren: Es hat mich jemand angesprochen! Und weil's realiter nie geschieht, phantasieren wir es uns beharrlich zusammen. Denn wir sind im Grunde unseres Herzens davon überzeugt, daß die "anderen", gäbe es sie, uns nicht widerstehen könnten.
Es gibt ein sehr schönes Blatt von Sempé: Irgendwo in der französischen Provinz oder der Banlieue von Paris sitzt auf einem bukolischen Balkon unter einem prächtigen Sternenhimmel zufrieden rauchend der Hausherr mit seinem Kaffee und einem massiven Fernrohr. Die Gattin redet nervös auf ihn ein, er solle doch zur Besinnung kommen ("Réfléchis une seconde, Armand") und nur einmal überlegen: Wenn es dort droben intelligente Wesen gibt, "warum sollten die ausgerechnet dir Signale senden?"
Und es gibt eine sehr schöne Folge von Charles M. Schulz' "Peanuts"-Comic-Strip: Auf die nachdenkliche Frage, ob es anderswo im Weltall wohl intelligentes Leben gebe, verneint Lucy das mit Entschiedenheit: "Wenn es dort intelligente Wesen geben würde, dann hätten sie auf jeden Fall versucht, mit mir Verbindung aufzunehmen." Diese beiden Erwägungen schneiden sich mit ihrer symmetrischen Komik genau in dem Punkt, wo die Wurzel der Frage nach den Außerirdischen liegt: im Narzißmus. Die Fragestellung mag sich noch so sehr naturwissenschaftlich oder theologisch maskieren, im Grunde liegt ihr (nachdem die alte Angst vor einem Angriff erloschen scheint) eine Irritation unserer Eitelkeit zugrunde.
Und es ist ja auch, tritt man einmal in diesen Gedankengang ein, einigermaßen irritierend, daß sich noch niemand bei uns gemeldet hat. Sind wir so unbedeutend, verschwinden wir unwahrnehmbar in den Abgründen des Kosmos? Sind wir vielleicht derart unattraktiv? Oder gefährlich? Fehlt uns das, was mit einem schönen englischen Wort "clubability" heißt - traut man uns keine geselligen Tugenden zu, will man uns in keinen Weltallklub wählen? Es muß doch irgendwelche Gründe geben . . . Ob wir irgendwann einmal bei einem Test versagt haben, bei einer Art kosmischer Aufnahmeprüfung?
Es ist ein klassischer Topos der Science-fiction-Literatur, daß die Menschheit einmal plötzlich Gelegenheit bekommen könnte, in die galaktische Gemeinschaft der intelligenten Spezies aufgenommen zu werden. Versagen wir, passiert ein weiteres Jahrzehntausend erst einmal gar nichts. In milder, charmanter Form führt so etwas Fredric Brown in seiner Erzählung "Puppet Show" (1962) vor: Aus der Wüste von Arizona nähert sich eines Tages auf dem Esel eines alten Goldsuchers eine unbegreifliche Gestalt: ein abstoßend steckendürres, drei Meter hohes Wesen, blutrot (wie gehäutet) und mit blauem Haar, das erklärt, es sei der Abgesandte der "Galaktischen Union" und wolle feststellen, ob die Menschheit zum Beitritt eingeladen werden könne. Nachdem die Reaktion der herbeigeeilten Menschen nicht allzu xenophob ausgefallen ist (der erste Test wäre bestanden), legt sich der blutrote Monstermann plötzlich hin und regt sich nicht mehr; der greise Goldgräber nimmt den Bart ab und erklärt, nunmehr ein gutaussehender junger Mann, das ginge soweit in Ordnung, es habe sich nur um einen Testautomaten gehandelt. Der ranghöchste Militär zeigt sich erleichtert: "Ich muß zugeben, es ist eine Erleichterung, daß die Herrenrasse der Galaxis am Ende doch nicht bloß menschenähnlich ist, sondern menschengleich. Was ist der zweite Test?" Der junge Mann legt sich hin und regt sich nicht mehr. Der Esel sagt: "Wie war das jetzt mit der menschengleichen Herrenrasse? Was ist bitte eine Herrenrasse?"
Schärfere Albtraumformulierungen des Prüfungstopos setzen etwa einen beliebig aus dem Alltag gerissenen Jedermann-Erdling in eine kosmische Arena, wo er instruiert wird, er müsse sich nun gegen den Durchschnittsvertreter einer völlig anderen Spezies auf Leben und Tod bewähren. Die Rasse des Unterliegenden wird ausgelöscht; irgendeine kosmische Agentur hat anstelle eines irgendwann einmal unvermeidlichen großen Krieges zwischen den beiden Lebensformen ein Duell angeordnet. Die Betonung der Durchschnittlichkeit des Protagonisten suggeriert dem nervösen Leser die unangenehme Möglichkeit, er könne eines Tages in bizarrer Anwendung des kantischen Imperativs mit seinen individuellen Handlungen über die Fortdauer der gesamten Menschheit entscheiden müssen.
So genau hätten wir es dann auch nicht wissen wollen - aber eine existentiell weniger strapaziöse Kontaktaufnahme von "draußen" hätten wir uns doch gewünscht. Warum erfolgt sie nicht? Die Wissenschaft kommt neuerdings zu dem Ergebnis: weil sie so ungeheuer unwahrscheinlich ist. In ihrem jüngst erschienenen Buch "Rare Earth: Why Complex Life Is Uncommon in the Universe" (Springer-Verlag, New York 2000) legen Peter D. Ward und Donald Brownlee dar, daß die Chancen ganz gut stehen dürften, daß wir einmal mikrobiotisches Leben im All finden könnten, daß es aber mit dem Auftauchen höherer Lebewesen sehr schlecht aussieht, auch wenn wir die interstellare Raumfahrt einmal beherrschen sollten. Zwar gibt es genug Planeten, aber der auf unserer Erde abgelaufene Entwicklungsprozeß scheint fast singulär und jedenfalls von höchst selten zusammentreffenden Parametern bestimmt: "Die Erde ist einer von vielen Planeten . . . Doch haben wir zu zeigen versucht: Es sind vielleicht nicht so viele, wie wir hoffen möchten - und vielleicht nicht einmal so viele, daß wir jemals, wie lang die Geschichte unserer Spezies auch dauern mag, irgendwelche extraterrestrischen Animalia" - höhere Lebewesen - "zwischen den Sternen finden werden . . . Dies ist ein Schicksal, mit dem Hollywood nicht gerechnet hat - daß wir nur Bakterien finden, selbst auf den Planeten ferner Sterne."
Wollen wir das wirklich glauben? Wir haben die Wissenschaft schon allzuviel Volten zwischen Leichtgläubigkeit und Skepsis schlagen sehen. Wir grübeln lieber weiter nach, und eine andere naheliegende Variante der Erklärung für die kosmische Funkstille lautet: Quarantäne. Um unserem miesen Planeten mit seiner sogenannten Zivilisation könnte ein unsichtbarer "cordon sanitaire" liegen, bewacht von den Weltallpatrouillen irgendeiner Konföderation, Despotie oder gütigen Tyrannis, die entschlossen ist, das übrige All vor dem terrestrischen Ansteckungsstoff zu bewahren. Wir sind ein schlechtes Beispiel, ein Virus, eine Zeitbombe. Wir sind einfach eine Peinlichkeit; es gibt SF-Phantasien, in welchen die Erde so etwas wie ein entlegener Käfig in einem Hyper-Zoo ist - ein "Terrarium" mit einer unattraktiven, geistig übelriechenden, der Vollständigkeit halber archivierten und nur selten von zerstreuten Besuchern wahrgenommenen Spezies. Sind wir negatives Anschauungsmaterial für Ethnosoziologen von Beteigeuze?
Es gehört zu den subtilen Zügen der naiven Science-fiction, daß sie mit einer paranoiden Topik komisch-erfinderisch zu spielen weiß. Wer sagt uns denn, daß der einsilbige Nachbar oder die unangenehme Bedienung im Lokal nicht "eigentlich" Doktoranden aus einer anderen Galaxis sind, deren unmenschlich distanzierter Blick uns streift? Uns trifft? Sollen wir nie mehr unbeschwert in der Nase bohren dürfen? Diese vorauseilende Scham hängt mit einer anderen Empfindung zusammen: Vielleicht sind wir einfach zu blöd. Wir kommen intergalaktisch nicht mit.
Das exerziert die SF in Geschichten von Prüfungsaufgaben durch, die oft genuin unheimlich werden: Ein unbegreifliches Labyrinth (Algis Budrys, "Rogue Moon", 1960) auf der erdabgewandten Seite des Mondes tötet alle, die eindringen. Und schließlich ist die Kehrseite des stolzen Narzißmus ein schlechtes Gewissen. Wir kommen nicht einmal mit unserem kleinen, schon nahezu ruinierten Globus zurecht - was könnten wir interstellar, öffnete man uns die Weiten des Alls, für Unheil anrichten.
Eigenartigerweise scheint im Film der letzten Zeit, für den ja solche diversen Alien-Begegnungen immer ein solides Genrethema sind, die einzige intelligentere Reflexion über das Verhältnis der Menschheit zu möglichen außerirdischen Zivilisationen in einem gründlich naiven Gimmick-Streifen versteckt zu sein: "Men in Black". Diesen Film zeichnet ein schöner Einfall aus: daß sich die Ufo-Frage nicht bloß eliminatorisch-militärisch (wie in den zahllosen Invasionsphantasien) oder sentimental-theologisch (wie in Spielbergs "Close Encounters"-Kitsch) formulieren läßt, sondern vielleicht einmal administrativ beantwortet werden müßte. "Men in Black" schildert die Arbeit einer Behörde - als Spannungskomödie, inspiriert von realen politischen Zwängen. Die illegale Einwanderung aus allen Winkeln des Universums muß diskret und unter strenger Geheimhaltung verwaltet und kontrolliert werden. Das heißt: Alle Gerüchte, daß uns "die Regierung" diverse Ufo-Geheimnisse vorenthält, sind real, aber das Geheime ist nicht mysteriös, sondern komisch.
Mit einem solchen Szenario phantasieren wir uns einen Augenblick selbst in die Allmacht hinein: "Wir" haben im Grunde doch alles unter Kontrolle, alles im Blick. Dies führt zum Gegenbild der allwissenden kosmischen Beobachtung der Erde zurück. Das Motiv, für welches etwa Edgar Pangborns "A Mirror for Observers" (1954) charakteristisch ist, durchzieht die SF ebenso wie die "esoterischen" Magazine vom Typus "Fate": Wir werden ständig observiert. Das hat nichts mehr mit der aufklärerisch-satirischen Tradition zu tun, die Gestalten wie Voltaires Besucher vom Sirius durch die Metropolen Europas in Marsch setzte, wo sie einfach (wie Montesquieus Perser) die Funktion hatten, uns das völlig Vertraute im fremden Auge zu spiegeln und als höchst Merkwürdiges und dem intelligenten Fremdling Lächerliches erscheinen zu lassen. Es geht auch nicht mehr um die Belebung des kalten und leeren Alls durch die imaginierten Planetenbewohner, um eine Milderung der kosmischen Kälte. Und wir haben wohl auch keine Angst mehr, daß uns Außerirdische kolonisieren oder ausrotten wollen. Und Erlösung? Erwarten wir die?
Wir hoffen zwar vielleicht noch im diffusen Kontext der generellen New-Age-Debilität auf irgendwelche Rezepturen einer kosmischen Homöopathie, aber vor allem möchten wir . . . jemanden haben, mit dem wir reden könnten. (Worüber? Über uns natürlich.) Dieser Jemand muß viel von uns wissen, denn er beobachtet uns ja ständig. Und hier münden die SF-Szenarien endlich in die uns vertraute Grundstimmung ein, in der wir es uns seit einiger Zeit so wohlig-unruhig bequem gemacht haben: in die Patientenkultur. Unser Verdacht (und unser geheimer Wunsch), man könne uns beobachten, erweist sich als Zug unserer Therapiebesessenheit. Wir wären gerne Gegenstand einer kosmischen Therapie. Vielleicht hilft das etwas. Wir wären den Außerirdischen unendlich verpflichtet, würden sie uns endlich offen die Diagnose für die Gründe unserer Unzufriedenheit und Unbeholfenheit stellen. Aber die erfolgt nicht.
Ist die Frage nach den Außerirdischen wichtig? Vor einundzwanzig Jahren erschien unter dem Titel "Die Außerirdischen sind da" bei Matthes & Seitz eine "Umfrage anläßlich einer Landung von Wesen aus dem All". Auf die Frage, wie man auf eine Landung von außerirdischen Intelligenzen reagieren würde, erfolgten seitens der üblichen Verdächtigen von Lem bis Wiener, Lyotard bis Feyerabend und bis tief hinein in die intellektuelle Statisterie des Verlages viele kluge und törichte, nachdenkliche und naßforsche Äußerungen. Alle hatte ich vergessen, eine einzige knappe Antwort blieb im Gedächtnis haften, die eines Befragten, der es - mit einer verächtlichen Empörung, die ihn alle gewohnte stilistische Sorgfalt vergessen ließ - rundheraus ablehnte, die Frage für bedenkenswert zu halten. Schlägt man nach, dann lautet seine Antwort genau: "Ich habe keine Ahnung, wie ich auf ein solches Ereignis reagieren würde, ich bin auch nicht bereit, mir darüber Gedanken zu machen. Ich habe nicht die Absicht, ein solches, wie Sie sagen, fiktives Erlebnis fiktiv durchzumachen, und muß das, übrigens mit größtem Mißtrauen und Unglauben, den Herrschaften überlassen, die bereit sind, ihre Phantasie dafür anzustrengen. Daß Sie glauben, mit einem solchen Buch irgend etwas über unsere jetzige Kultur herauspressen zu können, übersteigt mein Vorstellungsvermögen." Das ist alles.
Gershom Scholem hat die Gründe seiner Erbitterung nicht ausgeführt, aber neben allem anderen hier zu Vermutenden dürfte er auch darauf reagiert haben, daß Menschen mit philosophischen Prätentionen nichts anderes mit sich zu beginnen wissen, als sich selbst zum Rohstoff von Genrephantasien zu machen. Ihre Intelligenz müßte hinreichen, das Anliegen als Scheinfrage zu erkennen. Oder umgekehrt gedacht und um noch einmal einem Comic strip das Wort zu erteilen - der kleine Junge sagt zu seinem Tiger ("Calvin and Hobbes"): "Manchmal glaube ich, es ist das sicherste Anzeichen für intelligentes Leben anderswo im Universum, daß niemand versucht hat, mit uns Kontakt aufzunehmen."
JOACHIM KALKA
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