COUNTERCULTURE HAS ALMOST COMPLETELY REPLACED SOCIALISM AS THE BASIS OF RADICAL POLITICAL THOUGHT With the incredible popularity of Michael Moore's books and movies, and the continuing success of anti-consumer critiques like ADBUSTERS magazine and Naomi Klein's NO LOGO, it is hard to ignore the growing tide of resistance to the corporate-dominated world. But do these vocal opponents of the status quo offer us a real political alternative?In this wide-ranging and perceptive work of cultural criticism, Joseph Heath and Andrew Potter shatter the central myth of radical political, economic and cultural thinking. The idea of a counterculture - that is, a world outside of the consumer dominated one that encompasses us - pervades everything from the anti-globalisation movement to feminism and environmentalism. And the idea that mocking the system, or trying to 'jam' it so it will collapse, they argue, is not only counterproductive but has helped to create the very consumer society that radicals oppose.In a lively blend of pop culture, history and philosophical analysis, Heath and Potter offer a startlingly clear picture of what a concern for social justice might look like without the confusion of the counterculture obsession with being different. ON REBELLION: rebellion is one of the most powerful sources of distinction in the modern world. As a result, people are willing to pay good money for a piece of it, just as they are willing to pay for access to any other form of social status.'ON THE WORKPLACE: 'What people yearn for these days is no longer an old-fashioned 'status' job, like being a Doctor. The 'cool job' has become the holy grail of the modern economy. Corporate America has been tuned in to this for a long time. A visitor from the '50s would not recognise the modern no-collar workplace, with its casual dress codes and flexible working hours, designed to reflect the ebb and flow of creative ideas. The whole thing is like a hippie commune under professional management.'ON THE NATURE OF COOL: 'It is best to think of cool as the central status hierarchy in contemporary urban. society. And like traditional forms of status such as class, cool is an intrinsically positional good. Just as not everyone can be upper class and not everyone can have good taste, not everyone can be cool.'
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005Jetzt schlägt das Pendel der Kulturrebellion zurück
Mehr Regeln wagen: Joseph Heath und Andrew Potter rechnen mit der Idee eines nonkonformistischen Lebens ab, das sich für eine Kritik des Kapitalismus hält / Von Eberhard Rathgeb
Wer dagegen ist, der will sein Dagegensein zum Ausdruck bringen. Wer nicht das industriell produzierte Brot kaufen möchte, der kann sich sein Brot backen. Man kann dazu Musik hören, mit der man auch zum Ausdruck bringen kann, daß man dagegen ist. Früher hörte man in diesem Falle bis zum Umfallen Bob Dylan. Wer nicht vom Brot alleine lebt, der kann sich einer Bauernhofkooperative anschließen und sich dort jede Woche seine Gemüse- und Obstkiste holen. Die haben dort auch Schafswolle, damit die Kinder nicht die giftigen Textilien tragen müssen, die es in den normalen Läden zu kaufen gibt. Mehr Geld als andere muß einer haben, wenn er seine Kinder nicht in eine staatliche Schule mit ihren sozialen Problemen und ihrem pädagogischen Unvermögen stecken, sondern auf eine Privatschule geben möchte, auf eine Montessori-Schule zum Beispiel. Diese Formen des Dagegenseins sind nicht schwierig umzusetzen: Man muß das nur einmal machen.
Schwierig wird das Dagegensein, wenn man gegen alles ist, gegen das System, gegen den Kapitalismus und die Globalisierung. Joseph Heath und Andrew Potter, zwei junge kanadische Intellektuelle, sagen uns - vor allem der Jugend -, daß wir uns auf ein Dagegensein, das sich nur auf den Konsum richtet, nichts einbilden sollten, weil das nur das System antreibt, statt dem System Sand ins Getriebe zu streuen, wie das früher hierzulande hieß. Die ganze Gegenkultur mit ihren Accessoires, an denen die anderen, die Glatten, welche die Nonkonformisten schon von weitem erkennen sollen - an der Jeans, am Nasenring, am Tattoo, an den Sportschuhen von dieser oder jener Marke -, ist ein großer Humbug, bestätigt nur den Konsumzwang und dient nur dem Markt. Aus dem Markt kommt man nicht heraus, es sei denn, man läßt das Konsumieren wirklich bleiben.
Was dann? Lieber ernsthaft Politik machen, statt im Kulturkleiderschrank zu wühlen. Lieber ein verantwortungsbewußter Bürger einer Gemeinschaft werden, statt ein warenbewußter Rebell der Warenwelt zu bleiben. Lieber mit neuen Regeln einige Reformen durchsetzen, statt aufs Ganze oder auf die Konzerne zu schimpfen und nebenher seine Ökobrötchen zu backen und seine Klamotten woanders einzukaufen.
Die beiden kanadischen Intellektuellen schreiben nicht so gedankensicher und gedankentief wie zum Beispiel der Sozialphilosoph Habermas. Dafür schreiben sie laut und flott, und sie scheuen keine Übertreibungen und Sticheleien, um ihre Ansichten dick zu unterstreichen. Die junge Marken- und Konzernkritikerin Naomi Klein, die vor einigen Jahren mit ihrem Buch "No Logo" weltweit berühmt wurde, wird niedergemacht, weil sie an eine dezentralisierte Demokratie und ein Netzwerk von einzelnen Aktionen glaubt und kein Vertrauen hat in die Kräfte des guten Staates. Die Globalisierungsgegner, die zu Demonstrationen auf Weltwirtschaftsgipfeln marschieren und dazu aufrufen, Konzerne und deren Produkte zu bestreiken - ihr Slogan lautet: "Global denken, lokal handeln" -, halten die demokratischen Staaten für Würstchen in den Händen der Monopole. Wer aber, wenn nicht die demokratischen Staaten, könnten für Ordnung sorgen? Nur mehr Regeln helfen aus dem Schlamassel. Erst wurde der Kapitalismus kritisiert, dann der Imperialismus, jetzt die Globalisierung: Wo bleibt das Staatsvertrauen, fragen die beiden Intellekutellen aus Kanada.
Die Gegenkultur hat sich in den sechziger Jahren entwickelt, und zwar nicht nur in den Vereinigten Staaten, wo ja alles immer drastischer ist - man lese hierzu Naomi Kleins Bestseller -, sondern auch bei uns in der Provinz. In der Bundesrepublik hat die junge kritische Generation erst einmal mit ihren Eltern und deren nationalsozialistischer Vergangenheit abgerechnet, von welcher die Eltern sofort nach dem Mai 1945 nichts mehr wissen wollten. Sie hat auch mit dem ganzen muffigen und spießigen Lebensstil dieser Elterngeneration abgerechnet, die sich mit dem Kapitalismus genauso schnell arrangierte, wie sie sich mit dem Nationalismus arrangiert hatte, obwohl der Soziologe Max Horkheimer früh darauf hingewiesen hatte, daß vom Faschismus nicht reden soll, wer vorhabe, kein Wort über den Kapitalismus zu verlieren. Die jungen Menschen, die gegen das System waren, konnten das dadurch zeigen, daß sie ihre Haare lang wachsen ließen und Jeans trugen - die heute, der Markt ist unerbittlich, von den fidelen Rentnern angezogen werden - und in den Kommunen den freien Sex probierten, von dem die verklemmten Eltern keinen Schimmer hatten.
Hatte nicht der Psychoanalytiker Wilhelm Reich, dessen Orgasmus-Buch von der kritischen Generation gerne gelesen wurde, den Nationalsozialismus und die sexuellen Verklemmungen zusammengebracht? In den Vereinigten Staaten saßen die jungen Leute zu Füßen des Triebstrukturexperten Herbert Marcuse und sahen, daß eine lange Linie der instrumentellen Vernunft von der Massenpsychose im Nationalsozialismus bis zur Massenmanipulation im Kapitalismus reichte, von der Endlösung der Judenfrage bis zu einer Wissenschaft und Technik, die Atomwaffen möglich machte. Das ganze System der westlichen Zivilisation war offensichtlich im Eimer und konnte nur durch einen radikalen Bewußtseinswandel aller wieder ins Lot gebracht werden. Für die beiden Autoren gingen von dieser Idee aus die Wege in die Selbsterfahrungsgruppen mit ihren LSD-Befreiungstripps. Die Folge war, daß eine junge Generation die zwei Motorrad fahrenden Kokaindealer aus dem Film "Easy Rider" anhimmelte.
Die rot-grüne Regierung war die erste Regierung, die aus der Gegenkultur der Bundesrepublik entstand. Jetzt, wo diese Regierung am Ende ist, erzählen uns zwei kanadische Intellektuelle, daß die Nonkonformisten, die der Sozialphilosoph Günther Anders schon in den fünfziger Jahren lobte, so etwas wie kulturelle Trittbrettfahrer sind: Sie hängen sich an ein System, das sie unterlaufen wollen. Die junge kritische Generation, die mit den Theorien der Weltveränderung in der Bundesrepublik erwachsen wurde, kam einige Jahre und viele Demonstrationen später selbst an die Macht und auf die Posten - das wurde von ihr sofort "der Gang durch die Institutionen" genannt. Aus der Mitte der kritischen Gemüter, die sich nicht der Befreiung der Arbeiterklasse von der Herrschaft des Kapitals, sondern der Befreiung der Natur vom kapitalistischen Verwertunginteresse widmeten, entstanden in den achtziger Jahren die Grünen, zu denen die vor kurzem von ihrem Amt zurückgetretene Landwirtschafts- und Verbraucherministerin Renate Künast zählt. Künast war in den siebziger Jahren im Wendland beim ersten Anti-Atomkraft-Holzpfahldorf dabei, das damals gegen Gorleben gebaut wurde. Gorleben? Wenn der Castortransport wieder durch das Wendland fährt und den Atommüll aus Frankreich zum Zwischenlager in Gorleben bringt, werden wieder zahlreiche Menschen, darunter einheimische Bauern, gegen die Atomwirtschaft demonstrieren, und zahlreiche Polizisten werden auftauchen und den Transport zu sichern versuchen. Aber davon hört man kaum mehr etwas in der großen Koalition der Öffentlichkeit.
Die Gegenkultur, meinen die beiden Kanadier, reicht bis zu den Markenobsessionen der Jugendlichen. Sie hat nicht das System ausgehebelt, und sie wurde nicht durch das System geschluckt - sie hat der Konsumkonkurrenz des Marktes nur neuen Stoff geliefert. Naomi Klein behauptet, daß die Jugendkultur von den Konzernen vereinnahmt wurde. "Als sich die Freßgier der Konzerne Anfang der neunziger Jahre auf den Jugendbereich zu konzentrieren begann", schreibt sie in ihrem Beststeller, "sahen viele meiner damals jungen Altersgenossen und ich selbst uns als Opfer einer räuberischen Marketingmaschine, die unsere Identität, unseren Stil und unsere Ideen vereinnahmte und sie in Futter für die Marken verwandelte. Nichts war immun dagegen, weder Punk noch Hip-Hop, noch Fetisch, noch Techno . . ." Was ihr blieb, war Nüchternheit: der Widerstand gegen die Konzerne. Heath und Potter rufen ihr und ihren Kombattanten zu: Ihr Subversionskünstler, ihr wurdet nicht vereinnahmt, ihr seid mit eurer Subkultur doch selbst nur Marken gewesen, die das Konsumkarussell am Laufen hielten.
Wenn das stimmt, müßten wir zwischen die Kultur und die Politik einen Strich ziehen und sagen: Von heute an beginnt hier die Politik und dort die Kultur, ab heute ist Schluß mit der linken Idee einer politischen Kultur. Mit der Idee der Avantgarde war in den fünfziger Jahren Schluß gewesen, weil die Kunst und die Künstlerlebensmodelle nicht mehr aus dem Kapitalismus und dem Sozialismus herauskamen und etwas wirklich Neues, Überraschendes, Subversives machten. Warum sollte mit dem weichen Nachfolgeprojekt der Gegenkultur nicht das gleiche passieren? Die Idee einer Kulturrebellion wurde hierzulande von der Linken wie ein Täubchen gepflegt, weil die Linke sich vor der Machtfrage drückte - so lange, bis sie mit der rot-grünen Regierung an die Macht kam.
Joseph Heath und Andrew Potter sind im Vergleich zu den alten Rebellen der Gegenkultur, wie die Jugend heute sagt: coole Typen, die nicht an die billige Rebellion glauben und statt dessen vorschlagen, immer wieder neue und bessere Regeln aufzustellen, damit das Zusammenleben leichter und für alle erfreulicher wird. Die Aktionen auf dem Sektor der Gegenkultur bringen die Gesellschaft keinen entscheidenden Schritt weiter, wenn es darum geht, die großen Probleme zu lösen, sie lenken die Menschen nur davon ab, zu erkennen, daß sie sich wie kritische Bürger verhalten sollen, die am guten Zusammenleben interessiert sind, zu dem ein großes Quantum an Normalität gehört. Ohne Normalität gibt es kein Vertrauen in die anderen, und ohne Vertrauen in die anderen gibt es kein gutes Zusammenleben. Persönlicher Individualismus ist den beiden kanadischen Intellektuellen, die in ihrer Jugend selbst zur Punkszene gehörten, schön und recht, aber nur so lange, wie er die anderen Menschen nicht beschränkt oder ausnützt. Sie mögen es nicht, wenn einer auf Kosten der anderen seinen Individualismus auslebt und das noch als subversiv ausgibt.
Was ist mit dem ominösen "Empire" gewonnen, mit dem die beiden Erfolgskritiker Michael Hardt und Toni Negri in der Szene hausieren gehen? Rilke sagte: Du muß dein Leben ändern. Essen wir zum Beispiel kein Fleisch mehr, dann werden keine Tiere getötet, dann grasen in Südamerika die Rinder nicht ganze Landstriche ab und kahl, dann . . . Das ist konsequenter, als gegen die Marke McDonald's zu Felde zu ziehen. Nur durch Konsumverzicht, nicht durch Konsumverschiebungen kann man aus der Konsumspirale herauskommen, meinen die beiden Kanadier.
Zur Kultur gehört mehr als frei atmende Lehmhäuser, die man auch und gerade im Wendland mit den eigenen Händen zu bauen versteht, dort, wo die sogenannten Alternativen alternative Lebensweisen leben. Über die Wahrheit von Lebensweisen machen sich die beiden Kanadier keine Gedanken. Sie sagen nur: Schaut her, wie es läuft. Der Markt hat die Bedürfnisse nach einer biologisch wertvollen Ernährung aufgenommen und bietet biologisch wertvolle Nahrungsmittel nun in Warenhäusern an, Nahrungsmittel, die sich leider nicht jeder leisten kann. Die Gesundheitsvorkehrungen schaffen neue Klassen.
Konsumverzicht würde bedeuten, zu einem einfachen Leben zurückzufinden, wie das die Lebensreformbewegung predigte und in den dreißiger Jahren der Schriftsteller Ernst Wiechert in dem damals vielgelesenen Roman "Das einfache Leben" beschrieben hat: Raus aus der modernen Zivilisation und deren Bedürfniskordon und hinein in die Weiten der Felder und Wälder, wo man in seiner Hütte wohnt und seine Tomaten zieht. Dagegen haben die beiden kanadischen Intellektuellen nichts einzuwenden. Mit der Stille dort draußen wäre es sofort vorbei, wenn alle aus der Stadt dahin sich aufmachen und dort niederlassen würden. Glücklicherweise ist das Hüttenleben nicht jedermanns Sache. Die Jugend und die Intellektuellen bleiben in der Stadt, wo etwas los ist. Die meisten bleiben in der Stadt, weil dort die Arbeit ist.
Hat das linke Theater, hat die linke Literatur der Bundesrepublik etwas gebracht - außer der Selbstbefriedigung der Produzenten und Konsumenten? Sie haben die Stimmung verändert und damit die Politik vorangetrieben. So schnell wie die beiden Autoren sollte man den Nonkonformismus nicht zur Seite räumen. Doch hat Peter Stein, als er in München in den sechziger Jahren Peter Weiss' "Vietnamdiskurs" an den Münchner Kammerspielen aufführte, irgend jemandem mit Einsichten auf die Sprünge geholfen? Er wurde von August Everding rausgeschmissen, weil er für die vietnamesische Befreiungsarmee im Publikum Geld sammeln wollte. Das konnte man auch ohne Theater machen.
Wir sollen die Institutionen pflegen, raten uns die beiden Autoren, die Institutionen, die das verbesserungswürdige System und das demokratische Zusammenleben erhalten. Das hört sich an, als habe Arnold Gehlen, der früh die Institutionen lobte, aufgeholt und sitze jetzt neben dem Kapitalismuskritiker Adorno, der den Studenten etwas von der Kulturindustrie und vom beschädigten Leben berichtet.
Man wird Joseph Heath und Andrew Potter selbst in die von ihnen erzählte Geschichte hineinstellen müssen, eine Geschichte, die vom Konsumdruck vorangetrieben wird. Man wird dann vermuten dürfen, daß ihre echt coole Kritik der Konsumrebellen und der Globalisierungsgegner wahrscheinlich gut bei den Konsumenten der einfachen Ideen ankommen wird, die neue coole Ideen brauchen, um sich von anderen und deren dann vielleicht nicht mehr so coolen Ideen abzusetzen. Die beiden Autoren haben dagegen bestimmt nichts einzuwenden, denn sonst hätten sie sich sprachlich mehr zusammengenommen und nicht über weite Strecken so geschrieben, als würden sie Tapeten anstreichen, mit grellen und frechen Farben, wie man das für ein neues cooles Ideen-Logo erwarten darf. Der reformwillige Geist des Kapitalismus braucht seine Marken, seitdem die große Kritik des Kapitalismus auf den Hund gekommen ist.
Die beiden Kanadier setzen mit ihrem Buch eine Zäsur: Das Ende der Konsumrebellen ist der Anfang der jungen Staatsbürger, das Ende der Gegenkultur ist der Anfang der Staatsbürgerkunde. Es gab in der kleinen Truppe von Schriftstellern, die vor Wochen zur Wiederwahl der SPD aufrief, auch einen jungen Schriftsteller, der als Grund für sein politisches Engagement - es war das erste Mal, das er sich öffentlich für eine Partei aussprach - angab: Er sei jetzt reif geworden, die Verantwortung eines Staatsbürgers zu übernehmen. Das zu hören hätte die beiden kanadischen Autoren, die so alt sind wie der schreibende Staatsbürgerfreund, gefreut.
Joseph Heath, Andrew Potter: "Konsumrebellen". Der Mythos der Gegenkultur. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Berlin 2005. 432 S., geb., 19,90 [Euro].
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Mehr Regeln wagen: Joseph Heath und Andrew Potter rechnen mit der Idee eines nonkonformistischen Lebens ab, das sich für eine Kritik des Kapitalismus hält / Von Eberhard Rathgeb
Wer dagegen ist, der will sein Dagegensein zum Ausdruck bringen. Wer nicht das industriell produzierte Brot kaufen möchte, der kann sich sein Brot backen. Man kann dazu Musik hören, mit der man auch zum Ausdruck bringen kann, daß man dagegen ist. Früher hörte man in diesem Falle bis zum Umfallen Bob Dylan. Wer nicht vom Brot alleine lebt, der kann sich einer Bauernhofkooperative anschließen und sich dort jede Woche seine Gemüse- und Obstkiste holen. Die haben dort auch Schafswolle, damit die Kinder nicht die giftigen Textilien tragen müssen, die es in den normalen Läden zu kaufen gibt. Mehr Geld als andere muß einer haben, wenn er seine Kinder nicht in eine staatliche Schule mit ihren sozialen Problemen und ihrem pädagogischen Unvermögen stecken, sondern auf eine Privatschule geben möchte, auf eine Montessori-Schule zum Beispiel. Diese Formen des Dagegenseins sind nicht schwierig umzusetzen: Man muß das nur einmal machen.
Schwierig wird das Dagegensein, wenn man gegen alles ist, gegen das System, gegen den Kapitalismus und die Globalisierung. Joseph Heath und Andrew Potter, zwei junge kanadische Intellektuelle, sagen uns - vor allem der Jugend -, daß wir uns auf ein Dagegensein, das sich nur auf den Konsum richtet, nichts einbilden sollten, weil das nur das System antreibt, statt dem System Sand ins Getriebe zu streuen, wie das früher hierzulande hieß. Die ganze Gegenkultur mit ihren Accessoires, an denen die anderen, die Glatten, welche die Nonkonformisten schon von weitem erkennen sollen - an der Jeans, am Nasenring, am Tattoo, an den Sportschuhen von dieser oder jener Marke -, ist ein großer Humbug, bestätigt nur den Konsumzwang und dient nur dem Markt. Aus dem Markt kommt man nicht heraus, es sei denn, man läßt das Konsumieren wirklich bleiben.
Was dann? Lieber ernsthaft Politik machen, statt im Kulturkleiderschrank zu wühlen. Lieber ein verantwortungsbewußter Bürger einer Gemeinschaft werden, statt ein warenbewußter Rebell der Warenwelt zu bleiben. Lieber mit neuen Regeln einige Reformen durchsetzen, statt aufs Ganze oder auf die Konzerne zu schimpfen und nebenher seine Ökobrötchen zu backen und seine Klamotten woanders einzukaufen.
Die beiden kanadischen Intellektuellen schreiben nicht so gedankensicher und gedankentief wie zum Beispiel der Sozialphilosoph Habermas. Dafür schreiben sie laut und flott, und sie scheuen keine Übertreibungen und Sticheleien, um ihre Ansichten dick zu unterstreichen. Die junge Marken- und Konzernkritikerin Naomi Klein, die vor einigen Jahren mit ihrem Buch "No Logo" weltweit berühmt wurde, wird niedergemacht, weil sie an eine dezentralisierte Demokratie und ein Netzwerk von einzelnen Aktionen glaubt und kein Vertrauen hat in die Kräfte des guten Staates. Die Globalisierungsgegner, die zu Demonstrationen auf Weltwirtschaftsgipfeln marschieren und dazu aufrufen, Konzerne und deren Produkte zu bestreiken - ihr Slogan lautet: "Global denken, lokal handeln" -, halten die demokratischen Staaten für Würstchen in den Händen der Monopole. Wer aber, wenn nicht die demokratischen Staaten, könnten für Ordnung sorgen? Nur mehr Regeln helfen aus dem Schlamassel. Erst wurde der Kapitalismus kritisiert, dann der Imperialismus, jetzt die Globalisierung: Wo bleibt das Staatsvertrauen, fragen die beiden Intellekutellen aus Kanada.
Die Gegenkultur hat sich in den sechziger Jahren entwickelt, und zwar nicht nur in den Vereinigten Staaten, wo ja alles immer drastischer ist - man lese hierzu Naomi Kleins Bestseller -, sondern auch bei uns in der Provinz. In der Bundesrepublik hat die junge kritische Generation erst einmal mit ihren Eltern und deren nationalsozialistischer Vergangenheit abgerechnet, von welcher die Eltern sofort nach dem Mai 1945 nichts mehr wissen wollten. Sie hat auch mit dem ganzen muffigen und spießigen Lebensstil dieser Elterngeneration abgerechnet, die sich mit dem Kapitalismus genauso schnell arrangierte, wie sie sich mit dem Nationalismus arrangiert hatte, obwohl der Soziologe Max Horkheimer früh darauf hingewiesen hatte, daß vom Faschismus nicht reden soll, wer vorhabe, kein Wort über den Kapitalismus zu verlieren. Die jungen Menschen, die gegen das System waren, konnten das dadurch zeigen, daß sie ihre Haare lang wachsen ließen und Jeans trugen - die heute, der Markt ist unerbittlich, von den fidelen Rentnern angezogen werden - und in den Kommunen den freien Sex probierten, von dem die verklemmten Eltern keinen Schimmer hatten.
Hatte nicht der Psychoanalytiker Wilhelm Reich, dessen Orgasmus-Buch von der kritischen Generation gerne gelesen wurde, den Nationalsozialismus und die sexuellen Verklemmungen zusammengebracht? In den Vereinigten Staaten saßen die jungen Leute zu Füßen des Triebstrukturexperten Herbert Marcuse und sahen, daß eine lange Linie der instrumentellen Vernunft von der Massenpsychose im Nationalsozialismus bis zur Massenmanipulation im Kapitalismus reichte, von der Endlösung der Judenfrage bis zu einer Wissenschaft und Technik, die Atomwaffen möglich machte. Das ganze System der westlichen Zivilisation war offensichtlich im Eimer und konnte nur durch einen radikalen Bewußtseinswandel aller wieder ins Lot gebracht werden. Für die beiden Autoren gingen von dieser Idee aus die Wege in die Selbsterfahrungsgruppen mit ihren LSD-Befreiungstripps. Die Folge war, daß eine junge Generation die zwei Motorrad fahrenden Kokaindealer aus dem Film "Easy Rider" anhimmelte.
Die rot-grüne Regierung war die erste Regierung, die aus der Gegenkultur der Bundesrepublik entstand. Jetzt, wo diese Regierung am Ende ist, erzählen uns zwei kanadische Intellektuelle, daß die Nonkonformisten, die der Sozialphilosoph Günther Anders schon in den fünfziger Jahren lobte, so etwas wie kulturelle Trittbrettfahrer sind: Sie hängen sich an ein System, das sie unterlaufen wollen. Die junge kritische Generation, die mit den Theorien der Weltveränderung in der Bundesrepublik erwachsen wurde, kam einige Jahre und viele Demonstrationen später selbst an die Macht und auf die Posten - das wurde von ihr sofort "der Gang durch die Institutionen" genannt. Aus der Mitte der kritischen Gemüter, die sich nicht der Befreiung der Arbeiterklasse von der Herrschaft des Kapitals, sondern der Befreiung der Natur vom kapitalistischen Verwertunginteresse widmeten, entstanden in den achtziger Jahren die Grünen, zu denen die vor kurzem von ihrem Amt zurückgetretene Landwirtschafts- und Verbraucherministerin Renate Künast zählt. Künast war in den siebziger Jahren im Wendland beim ersten Anti-Atomkraft-Holzpfahldorf dabei, das damals gegen Gorleben gebaut wurde. Gorleben? Wenn der Castortransport wieder durch das Wendland fährt und den Atommüll aus Frankreich zum Zwischenlager in Gorleben bringt, werden wieder zahlreiche Menschen, darunter einheimische Bauern, gegen die Atomwirtschaft demonstrieren, und zahlreiche Polizisten werden auftauchen und den Transport zu sichern versuchen. Aber davon hört man kaum mehr etwas in der großen Koalition der Öffentlichkeit.
Die Gegenkultur, meinen die beiden Kanadier, reicht bis zu den Markenobsessionen der Jugendlichen. Sie hat nicht das System ausgehebelt, und sie wurde nicht durch das System geschluckt - sie hat der Konsumkonkurrenz des Marktes nur neuen Stoff geliefert. Naomi Klein behauptet, daß die Jugendkultur von den Konzernen vereinnahmt wurde. "Als sich die Freßgier der Konzerne Anfang der neunziger Jahre auf den Jugendbereich zu konzentrieren begann", schreibt sie in ihrem Beststeller, "sahen viele meiner damals jungen Altersgenossen und ich selbst uns als Opfer einer räuberischen Marketingmaschine, die unsere Identität, unseren Stil und unsere Ideen vereinnahmte und sie in Futter für die Marken verwandelte. Nichts war immun dagegen, weder Punk noch Hip-Hop, noch Fetisch, noch Techno . . ." Was ihr blieb, war Nüchternheit: der Widerstand gegen die Konzerne. Heath und Potter rufen ihr und ihren Kombattanten zu: Ihr Subversionskünstler, ihr wurdet nicht vereinnahmt, ihr seid mit eurer Subkultur doch selbst nur Marken gewesen, die das Konsumkarussell am Laufen hielten.
Wenn das stimmt, müßten wir zwischen die Kultur und die Politik einen Strich ziehen und sagen: Von heute an beginnt hier die Politik und dort die Kultur, ab heute ist Schluß mit der linken Idee einer politischen Kultur. Mit der Idee der Avantgarde war in den fünfziger Jahren Schluß gewesen, weil die Kunst und die Künstlerlebensmodelle nicht mehr aus dem Kapitalismus und dem Sozialismus herauskamen und etwas wirklich Neues, Überraschendes, Subversives machten. Warum sollte mit dem weichen Nachfolgeprojekt der Gegenkultur nicht das gleiche passieren? Die Idee einer Kulturrebellion wurde hierzulande von der Linken wie ein Täubchen gepflegt, weil die Linke sich vor der Machtfrage drückte - so lange, bis sie mit der rot-grünen Regierung an die Macht kam.
Joseph Heath und Andrew Potter sind im Vergleich zu den alten Rebellen der Gegenkultur, wie die Jugend heute sagt: coole Typen, die nicht an die billige Rebellion glauben und statt dessen vorschlagen, immer wieder neue und bessere Regeln aufzustellen, damit das Zusammenleben leichter und für alle erfreulicher wird. Die Aktionen auf dem Sektor der Gegenkultur bringen die Gesellschaft keinen entscheidenden Schritt weiter, wenn es darum geht, die großen Probleme zu lösen, sie lenken die Menschen nur davon ab, zu erkennen, daß sie sich wie kritische Bürger verhalten sollen, die am guten Zusammenleben interessiert sind, zu dem ein großes Quantum an Normalität gehört. Ohne Normalität gibt es kein Vertrauen in die anderen, und ohne Vertrauen in die anderen gibt es kein gutes Zusammenleben. Persönlicher Individualismus ist den beiden kanadischen Intellektuellen, die in ihrer Jugend selbst zur Punkszene gehörten, schön und recht, aber nur so lange, wie er die anderen Menschen nicht beschränkt oder ausnützt. Sie mögen es nicht, wenn einer auf Kosten der anderen seinen Individualismus auslebt und das noch als subversiv ausgibt.
Was ist mit dem ominösen "Empire" gewonnen, mit dem die beiden Erfolgskritiker Michael Hardt und Toni Negri in der Szene hausieren gehen? Rilke sagte: Du muß dein Leben ändern. Essen wir zum Beispiel kein Fleisch mehr, dann werden keine Tiere getötet, dann grasen in Südamerika die Rinder nicht ganze Landstriche ab und kahl, dann . . . Das ist konsequenter, als gegen die Marke McDonald's zu Felde zu ziehen. Nur durch Konsumverzicht, nicht durch Konsumverschiebungen kann man aus der Konsumspirale herauskommen, meinen die beiden Kanadier.
Zur Kultur gehört mehr als frei atmende Lehmhäuser, die man auch und gerade im Wendland mit den eigenen Händen zu bauen versteht, dort, wo die sogenannten Alternativen alternative Lebensweisen leben. Über die Wahrheit von Lebensweisen machen sich die beiden Kanadier keine Gedanken. Sie sagen nur: Schaut her, wie es läuft. Der Markt hat die Bedürfnisse nach einer biologisch wertvollen Ernährung aufgenommen und bietet biologisch wertvolle Nahrungsmittel nun in Warenhäusern an, Nahrungsmittel, die sich leider nicht jeder leisten kann. Die Gesundheitsvorkehrungen schaffen neue Klassen.
Konsumverzicht würde bedeuten, zu einem einfachen Leben zurückzufinden, wie das die Lebensreformbewegung predigte und in den dreißiger Jahren der Schriftsteller Ernst Wiechert in dem damals vielgelesenen Roman "Das einfache Leben" beschrieben hat: Raus aus der modernen Zivilisation und deren Bedürfniskordon und hinein in die Weiten der Felder und Wälder, wo man in seiner Hütte wohnt und seine Tomaten zieht. Dagegen haben die beiden kanadischen Intellektuellen nichts einzuwenden. Mit der Stille dort draußen wäre es sofort vorbei, wenn alle aus der Stadt dahin sich aufmachen und dort niederlassen würden. Glücklicherweise ist das Hüttenleben nicht jedermanns Sache. Die Jugend und die Intellektuellen bleiben in der Stadt, wo etwas los ist. Die meisten bleiben in der Stadt, weil dort die Arbeit ist.
Hat das linke Theater, hat die linke Literatur der Bundesrepublik etwas gebracht - außer der Selbstbefriedigung der Produzenten und Konsumenten? Sie haben die Stimmung verändert und damit die Politik vorangetrieben. So schnell wie die beiden Autoren sollte man den Nonkonformismus nicht zur Seite räumen. Doch hat Peter Stein, als er in München in den sechziger Jahren Peter Weiss' "Vietnamdiskurs" an den Münchner Kammerspielen aufführte, irgend jemandem mit Einsichten auf die Sprünge geholfen? Er wurde von August Everding rausgeschmissen, weil er für die vietnamesische Befreiungsarmee im Publikum Geld sammeln wollte. Das konnte man auch ohne Theater machen.
Wir sollen die Institutionen pflegen, raten uns die beiden Autoren, die Institutionen, die das verbesserungswürdige System und das demokratische Zusammenleben erhalten. Das hört sich an, als habe Arnold Gehlen, der früh die Institutionen lobte, aufgeholt und sitze jetzt neben dem Kapitalismuskritiker Adorno, der den Studenten etwas von der Kulturindustrie und vom beschädigten Leben berichtet.
Man wird Joseph Heath und Andrew Potter selbst in die von ihnen erzählte Geschichte hineinstellen müssen, eine Geschichte, die vom Konsumdruck vorangetrieben wird. Man wird dann vermuten dürfen, daß ihre echt coole Kritik der Konsumrebellen und der Globalisierungsgegner wahrscheinlich gut bei den Konsumenten der einfachen Ideen ankommen wird, die neue coole Ideen brauchen, um sich von anderen und deren dann vielleicht nicht mehr so coolen Ideen abzusetzen. Die beiden Autoren haben dagegen bestimmt nichts einzuwenden, denn sonst hätten sie sich sprachlich mehr zusammengenommen und nicht über weite Strecken so geschrieben, als würden sie Tapeten anstreichen, mit grellen und frechen Farben, wie man das für ein neues cooles Ideen-Logo erwarten darf. Der reformwillige Geist des Kapitalismus braucht seine Marken, seitdem die große Kritik des Kapitalismus auf den Hund gekommen ist.
Die beiden Kanadier setzen mit ihrem Buch eine Zäsur: Das Ende der Konsumrebellen ist der Anfang der jungen Staatsbürger, das Ende der Gegenkultur ist der Anfang der Staatsbürgerkunde. Es gab in der kleinen Truppe von Schriftstellern, die vor Wochen zur Wiederwahl der SPD aufrief, auch einen jungen Schriftsteller, der als Grund für sein politisches Engagement - es war das erste Mal, das er sich öffentlich für eine Partei aussprach - angab: Er sei jetzt reif geworden, die Verantwortung eines Staatsbürgers zu übernehmen. Das zu hören hätte die beiden kanadischen Autoren, die so alt sind wie der schreibende Staatsbürgerfreund, gefreut.
Joseph Heath, Andrew Potter: "Konsumrebellen". Der Mythos der Gegenkultur. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Berlin 2005. 432 S., geb., 19,90 [Euro].
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