Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2009Wort und Totschlag
Der ehemalige Journalist Michael Connelly hat einen Kriminalroman über den Niedergang der amerikanischen Zeitungen geschrieben
„Alle Augen in der Redaktion verfolgten mich, als ich Kramers Büro verließ und an meinen Platz zurückkehrte. All die langen Blicke machten den Weg noch länger. Blaue Briefe gingen immer an Freitagen raus. Und jetzt hatte es mich erwischt. Nur dass man sie nicht mehr blaue Briefe nennt. Heute spricht man von ,RiF-Formularen‘, was für ,Reduction in Force’ (Belegschaftsabbau) steht. Alle hier spürten Anflüge von Erleichterung, weil sie noch einmal davongekommen waren – ebenso wie Anflüge von Angst, weil sie wussten, dass heute keiner mehr sicher ist. Und dass einer von ihnen der Nächste sein könnte.”
So beginnt Scarecrow, der neue Kriminalroman des amerikanischen Erfolgsautors Michael Connelly. Jack McEvoy, ein Polizeireporter der Los Angeles Times, bekommt vom geschäftsführenden Redakteur Kramer sein Kündigungsschreiben überreicht. Dabei macht ihm Kramer ein ziemlich gemeines Angebot: Er darf zwei Wochen länger bleiben, wenn er seine junge – und billigere – Nachfolgerin Angela Cook einarbeitet. In genau dieser Situation bekommt McEvoy den Hinweis, dass die Polizei im Fall eines bestialischen Frauenmords den falschen Täter festhält. Jack McEvoy beschließt, darüber seine letzte große Geschichte für die LA Times zu schreiben. Aus dieser Konstellation heraus entwickelt Connelly eine spannende, atemlose und oft furchterregende Handlung. Sie hat mindestens ebenso mit dem Niedergang der amerikanischen Zeitungen zu tun wie mit den klassischen Krimi-Themen Verbrechen und Aufklärung.
Unter anderem ist Scarecrow eine Klage über das Schicksal der einst stolzen LA Times. Michael Connelly, 52, lebt heute in Tampa, Florida, und schreibt im Durchschnitt zwei Krimis pro Jahr. Bis vor 15 Jahren war er jedoch selbst Polizeireporter. Er arbeitete in der Redaktion der LA Times, ehe er beschloss, sich als Autor selbständig zu machen. Dabei erfand er den Reporter Jack McEvoy als eine Art Alter Ego und machte ihn zum Helden eines seiner ersten Krimis. The Poet (deutsch: Der Poet) erschien 1996 und wurde drei Millionen Mal verkauft. In Scarecrow (Vogelscheuche) kehrt McEvoy nun als trauriger, verbitterter Held einer untergehenden Epoche zurück. Investigative Recherchen nach McEvoys Vorbild seien heute kaum noch möglich, sagt Connelly: „Es wird immer schwieriger, Breite und Tiefe in die Berichterstattung zu bekommen, wenn überall die Ressourcen gekürzt werden.” In Los Angeles habe die Qualität des Journalismus in den letzten fünf Jahren dramatisch nachgelassen.
Dabei ist Connelly weder wütend noch vorwurfsvoll. Grund zur Klage gäbe es durchaus. Die Verleger-Familie Chandler, seit drei Generationen mit dem Blatt verbunden, hatte die Los Angeles Times 2000 an die Tribune-Gruppe in Chicago verkauft. Seither erlebte die Zeitung einen beständigen Niedergang. Drei Chefredakteure mussten gehen, weil sie den Sparzielen der Verleger nicht nachkommen wollten oder konnten. 2007 wurde die Tribune-Gruppe an den Immobilien-Spekulanten und Hasardeur Sam Zell verkauft. Am 8. Dezember 2008 schließlich beantragte Tribune Co. Gläubigerschutz nach Kapitel 11 des amerikanischen Konkursrechts. „Ich klage niemanden an”, sagt Connelly. „Letztlich waren es gesellschaftliche Veränderungen, die den Niedergang ausgelöst haben.”
Mit den „gesellschaftlichen Veränderungen” meint Connelly natürlich den Aufstieg des Internets. Leser und Anzeigenkunden laufen den herkömmlichen Zeitungen davon und wandern in die digitale Welt ab. Das Internet spielt auch in Scarecrow eine zentrale Rolle – als äußerst effektives Recherche-Instrument für Journalisten, aber auch als unheimliche, zuweilen gefährliche Macht.
Der Täter, der von Beginn des Romans an bekannt ist, arbeitet als Experte für Datensicherheit in einem Server-Zentrum. Angela Cook, McEvoys naive Nachfolgerin, bringt sich selbst und ihn in tödliche Gefahr, weil sie ihre gesamten persönlichen Daten, einschließlich des Namens ihres Hundes, bei MySpace veröffentlicht. Die digitalen Spuren, die heutzutage jeder im Netz hinterlässt, können eben nicht nur von Werbefirmen und Adressenhändlern missbraucht werden, sondern auch von Serienmördern. Auch Google ist in dem Roman nicht mehr nur eine unschuldige Suchmaschine. Wer einen bestimmten Begriff googelt, landet auf einer Webseite, die als Falle dient: Jeder Besucher löst einen Alarm aus, der Täter wird aufmerksam, er verfolgt die Spuren und kann entscheiden, ob der Neugierige für ihn gefährlich ist oder nicht.
Die Zeitungskrise hat die Produktion des Krimis selbst beeinflusst. Im ersten Manuskriptentwurf bekam der Polizeireporter Jack McEvoy noch ein Job-Angebot von der Rocky Mountain News in Denver. Tatsächlich wurde die Rocky Mountain News am 27. Februar geschlossen – aus dem Jobangebot musste in der zweiten Fassung des Manuskripts ein Gespräch zwischen McEvoy und einem früheren Kollegen in Denver werden, in dem beide den Niedergang ihres Berufes beklagen.
Immer wieder überkommt McEvoy Trauer über das Verlorene. An einem seiner letzten Arbeitstage geht er früh morgens in die noch leeren Redaktionsräume. „Der Ort war vollkommen tot, kein Reporter oder Redakteur war zu sehen; ich bekam ein starkes Gefühl dafür, was die Zukunft bringen würde. Einst war diese Redaktion der beste Arbeitsplatz der Welt. Ein hektischer Ort voller Kameradschaft, Konkurrenz, Klatsch, zynischen Witzen und Humor. (. . .) Die Redaktion setzte die Agenda für das, was diskutiert und für wichtig gehalten wurde in der so vielseitigen und spannenden Stadt Los Angeles. Nun werden jedes Jahr Tausende Seiten redaktionellen Inhalts gekürzt, und bald wird die Zeitung wie die Redaktion aussehen: eine intellektuelle Geisterstadt. Auf vielerlei Weise war ich froh, dies nicht mehr mit ansehen zu müssen.”
Autor Connelly selbst betrachtet die Entwicklung der Branche eher resigniert. Sorgen machen ihm die Rückwirkungen des Niedergangs der Zeitungen auf das öffentliche Leben. „Wenn Sie sich Städte und andere Gemeinschaften als Zelte vorstellen, dann waren Zeitungen die Zeltstangen, die diese Gemeinschaften aufrecht erhalten haben. Diese Zeltstangen brechen nun zusammen. Das ist ziemlich schlimm. Aber ich sehe die Verleger nicht als Bösewichte. Was sollten sie tun? Ich habe auch keine Antwort.” NIKOLAUS PIPER
Scarecrow erscheint voraussichtlich Anfang 2011 bei Heyne auf Deutsch.
„Der Ort war vollkommen tot, kein Reporter oder Redakteur war zu sehen”
Dort, wo es nicht glitzert, erinnert L.A. nachts an eine Geisterstadt. Sie ist es auch, vor der Michael Connellys Romanheld sich fürchtet. Doch dann spürt der entlassene Reporter einen Serienmörder auf – und sieht Licht im Dunkel. Foto: Getty/T. Backer
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Der ehemalige Journalist Michael Connelly hat einen Kriminalroman über den Niedergang der amerikanischen Zeitungen geschrieben
„Alle Augen in der Redaktion verfolgten mich, als ich Kramers Büro verließ und an meinen Platz zurückkehrte. All die langen Blicke machten den Weg noch länger. Blaue Briefe gingen immer an Freitagen raus. Und jetzt hatte es mich erwischt. Nur dass man sie nicht mehr blaue Briefe nennt. Heute spricht man von ,RiF-Formularen‘, was für ,Reduction in Force’ (Belegschaftsabbau) steht. Alle hier spürten Anflüge von Erleichterung, weil sie noch einmal davongekommen waren – ebenso wie Anflüge von Angst, weil sie wussten, dass heute keiner mehr sicher ist. Und dass einer von ihnen der Nächste sein könnte.”
So beginnt Scarecrow, der neue Kriminalroman des amerikanischen Erfolgsautors Michael Connelly. Jack McEvoy, ein Polizeireporter der Los Angeles Times, bekommt vom geschäftsführenden Redakteur Kramer sein Kündigungsschreiben überreicht. Dabei macht ihm Kramer ein ziemlich gemeines Angebot: Er darf zwei Wochen länger bleiben, wenn er seine junge – und billigere – Nachfolgerin Angela Cook einarbeitet. In genau dieser Situation bekommt McEvoy den Hinweis, dass die Polizei im Fall eines bestialischen Frauenmords den falschen Täter festhält. Jack McEvoy beschließt, darüber seine letzte große Geschichte für die LA Times zu schreiben. Aus dieser Konstellation heraus entwickelt Connelly eine spannende, atemlose und oft furchterregende Handlung. Sie hat mindestens ebenso mit dem Niedergang der amerikanischen Zeitungen zu tun wie mit den klassischen Krimi-Themen Verbrechen und Aufklärung.
Unter anderem ist Scarecrow eine Klage über das Schicksal der einst stolzen LA Times. Michael Connelly, 52, lebt heute in Tampa, Florida, und schreibt im Durchschnitt zwei Krimis pro Jahr. Bis vor 15 Jahren war er jedoch selbst Polizeireporter. Er arbeitete in der Redaktion der LA Times, ehe er beschloss, sich als Autor selbständig zu machen. Dabei erfand er den Reporter Jack McEvoy als eine Art Alter Ego und machte ihn zum Helden eines seiner ersten Krimis. The Poet (deutsch: Der Poet) erschien 1996 und wurde drei Millionen Mal verkauft. In Scarecrow (Vogelscheuche) kehrt McEvoy nun als trauriger, verbitterter Held einer untergehenden Epoche zurück. Investigative Recherchen nach McEvoys Vorbild seien heute kaum noch möglich, sagt Connelly: „Es wird immer schwieriger, Breite und Tiefe in die Berichterstattung zu bekommen, wenn überall die Ressourcen gekürzt werden.” In Los Angeles habe die Qualität des Journalismus in den letzten fünf Jahren dramatisch nachgelassen.
Dabei ist Connelly weder wütend noch vorwurfsvoll. Grund zur Klage gäbe es durchaus. Die Verleger-Familie Chandler, seit drei Generationen mit dem Blatt verbunden, hatte die Los Angeles Times 2000 an die Tribune-Gruppe in Chicago verkauft. Seither erlebte die Zeitung einen beständigen Niedergang. Drei Chefredakteure mussten gehen, weil sie den Sparzielen der Verleger nicht nachkommen wollten oder konnten. 2007 wurde die Tribune-Gruppe an den Immobilien-Spekulanten und Hasardeur Sam Zell verkauft. Am 8. Dezember 2008 schließlich beantragte Tribune Co. Gläubigerschutz nach Kapitel 11 des amerikanischen Konkursrechts. „Ich klage niemanden an”, sagt Connelly. „Letztlich waren es gesellschaftliche Veränderungen, die den Niedergang ausgelöst haben.”
Mit den „gesellschaftlichen Veränderungen” meint Connelly natürlich den Aufstieg des Internets. Leser und Anzeigenkunden laufen den herkömmlichen Zeitungen davon und wandern in die digitale Welt ab. Das Internet spielt auch in Scarecrow eine zentrale Rolle – als äußerst effektives Recherche-Instrument für Journalisten, aber auch als unheimliche, zuweilen gefährliche Macht.
Der Täter, der von Beginn des Romans an bekannt ist, arbeitet als Experte für Datensicherheit in einem Server-Zentrum. Angela Cook, McEvoys naive Nachfolgerin, bringt sich selbst und ihn in tödliche Gefahr, weil sie ihre gesamten persönlichen Daten, einschließlich des Namens ihres Hundes, bei MySpace veröffentlicht. Die digitalen Spuren, die heutzutage jeder im Netz hinterlässt, können eben nicht nur von Werbefirmen und Adressenhändlern missbraucht werden, sondern auch von Serienmördern. Auch Google ist in dem Roman nicht mehr nur eine unschuldige Suchmaschine. Wer einen bestimmten Begriff googelt, landet auf einer Webseite, die als Falle dient: Jeder Besucher löst einen Alarm aus, der Täter wird aufmerksam, er verfolgt die Spuren und kann entscheiden, ob der Neugierige für ihn gefährlich ist oder nicht.
Die Zeitungskrise hat die Produktion des Krimis selbst beeinflusst. Im ersten Manuskriptentwurf bekam der Polizeireporter Jack McEvoy noch ein Job-Angebot von der Rocky Mountain News in Denver. Tatsächlich wurde die Rocky Mountain News am 27. Februar geschlossen – aus dem Jobangebot musste in der zweiten Fassung des Manuskripts ein Gespräch zwischen McEvoy und einem früheren Kollegen in Denver werden, in dem beide den Niedergang ihres Berufes beklagen.
Immer wieder überkommt McEvoy Trauer über das Verlorene. An einem seiner letzten Arbeitstage geht er früh morgens in die noch leeren Redaktionsräume. „Der Ort war vollkommen tot, kein Reporter oder Redakteur war zu sehen; ich bekam ein starkes Gefühl dafür, was die Zukunft bringen würde. Einst war diese Redaktion der beste Arbeitsplatz der Welt. Ein hektischer Ort voller Kameradschaft, Konkurrenz, Klatsch, zynischen Witzen und Humor. (. . .) Die Redaktion setzte die Agenda für das, was diskutiert und für wichtig gehalten wurde in der so vielseitigen und spannenden Stadt Los Angeles. Nun werden jedes Jahr Tausende Seiten redaktionellen Inhalts gekürzt, und bald wird die Zeitung wie die Redaktion aussehen: eine intellektuelle Geisterstadt. Auf vielerlei Weise war ich froh, dies nicht mehr mit ansehen zu müssen.”
Autor Connelly selbst betrachtet die Entwicklung der Branche eher resigniert. Sorgen machen ihm die Rückwirkungen des Niedergangs der Zeitungen auf das öffentliche Leben. „Wenn Sie sich Städte und andere Gemeinschaften als Zelte vorstellen, dann waren Zeitungen die Zeltstangen, die diese Gemeinschaften aufrecht erhalten haben. Diese Zeltstangen brechen nun zusammen. Das ist ziemlich schlimm. Aber ich sehe die Verleger nicht als Bösewichte. Was sollten sie tun? Ich habe auch keine Antwort.” NIKOLAUS PIPER
Scarecrow erscheint voraussichtlich Anfang 2011 bei Heyne auf Deutsch.
„Der Ort war vollkommen tot, kein Reporter oder Redakteur war zu sehen”
Dort, wo es nicht glitzert, erinnert L.A. nachts an eine Geisterstadt. Sie ist es auch, vor der Michael Connellys Romanheld sich fürchtet. Doch dann spürt der entlassene Reporter einen Serienmörder auf – und sieht Licht im Dunkel. Foto: Getty/T. Backer
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de