Iris Murdoch was born in Dublin in 1919. She read Classics at Somerville College, Oxford, and after working in the Treasury and abroad, was awarded a research studentship in Philosophy at Newnham College, Cambridge. In 1948 she returned to Oxford as fellow and tutor at St Anne¿s College and later taught at the Royal College of Art. Until her death in 1999, she lived in Oxford with her husband, the academic and critic, John Bayley. She was made a Dame of the British Empire in 1987 and in the 1997 PEN Awards received the Gold Pen for Distinguished Service to Literature. Iris Murdoch made her writing debut in 1954 with Under the Net. Her twenty-six novels include the Booker prize-winning The Sea, The Sea (1978), the James Tait Black Memorial prize-winning The Black Prince (1973) and the Whitbread prize-winning The Sacred and Profane Love Machine (1974). Her philosophy includes Sartre: Romantic Rationalist (1953) and Metaphysics as a Guide to Morals (1992); other philosophical writings, including 'The Sovereignty of Good' (1970), are collected in Existentialists and Mystics (1997).
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000Baden an Flachküsten
Iris Murdoch sucht "Das Meer, das Meer" / Von Harald Hartung
Sie war schon postmodern, ehe der Ausdruck in Schwang kam. Sie mußte nicht avantgardistisch erzählen, um berühmt zu werden. Ihre Mischung aus Fantasy und Philosophie faszinierte Leseratten und Snobs zugleich. Kurz: Die vergangenes Jahr verstorbene Iris Murdoch war eine Meisterin der erzählerischen Magie. Was auch ihre deutsche Leserschaft zunehmend zu würdigen weiß. Dabei sind ihre siebenundzwanzig Romane durchaus unterschiedlich in Machart und Qualität.
Nach dem geistreichen Roman "In guter Absicht", einem Zauber- als Erziehungsroman, kommt nun ein älteres, englisch bereits 1978 erschienenes Werk: "Das Meer, das Meer". Auch dieser Roman zeigt die bekannten Tugenden der Erzählerin. Jedenfalls in seiner glänzenden, zumindest neugierig machenden Exposition. Den Fortgang freilich muß man wohl enttäuschend nennen. Irgend etwas davon steckt schon im vagen Lyrismus des Titels, der etwa zu diesem Seufzer führt: "Ja, ja, das Meer, das Meer", fuhr James fort. "Wußtest du, daß Plato väterlicherseits von Poseidon abstammt?" Wußten wir nicht.
Charles Arrowby, ein Junggeselle von sechzig Jahren, Schauspieler, Dramenautor und Theaterdirektor, hat sich in ein einsames Haus am Meer zurückgezogen. Er ist der Scheinwelt des Theaters überdrüssig und will sich Rechenschaft über sein Leben ablegen. Er beginnt mit Aufzeichnungen, die zu seinen Memoiren werden sollen. Er imaginiert eine Geschichte seines Lebens, erzählt als die Reihung von Porträts der Menschen, die er gekannt hat.
Hier die Hauptfiguren seiner Galerie. Da ist der Cousin James aus dem feineren Zweig der Familie, General mit merkwürdigen Neigungen zum Buddhismus. Sodann drei Schauspielerinnen: die deutlich ältere Clement, die Charles in die Liebe einführte; die charmante Lizzie, die etwas füllig geworden ist und Charles mit ihrer Liebe verfolgt; die berühmte Rosina Vamburgh, ein anbetungswürdig künstliches Geschöpf, doch offenbar eine Nervensäge. Schließlich ist da noch Hartley, die unvergessene Jugendfreundin. Mit ihr verbanden Charles einst eine keusche Beziehung und das Gelöbnis, einander mit achtzehn zu heiraten. Als Charles nach London an die Schauspielschule ging, löste Hartley das Verhältnis auf und verschwand spurlos.
All dies und mehr listet Charles eher lust- als schmerzvoll auf und gibt dabei zu, daß ihn immer noch besitzerische Gefühle plagen und ihm eine Harem-Situation im Grunde sehr behagen würde. Oft genug hat er Prospero als seine Lieblingsrolle gespielt. Jetzt, in seiner nicht splendiden, aber behaglichen Isolation, fragt er sich, ob er ernsthaft der Magie abgeschworen hat, was vor allem meint: seiner Herrschaft über die Frauen. Hat er nicht; doch wir ahnen, daß sein imaginärer Harem noch eine Rolle spielen wird.
Aber das hat gut Weile. Denn Iris Murdoch läßt unseren Einsiedler nicht bloß seine Vergangenheit aufblättern, sondern auch seine Umwelt beschreiben. Dazu alles, womit er seine Tage ausfüllt. Charles beschreibt uns sein Denkgehäus', das düstere Shruff End, ein Haus, in dem es zu spuken scheint. Er schildert uns seine ihn verjüngenden Badeerlebnisse an der gefährlichen Steilküste - und er macht uns bekannt mit den Küchenzetteln des "aufgeklärten Essers", für den er sich hält. "Nicht jeder wird gezuckerte Speckstreifen mögen", läßt er uns wissen. Oder: "Nur ein Dummkopf verachtet Tomatenketchup."
Eine Idylle also. Wäre da nicht, ziemlich zu Anfang, "das schreckliche Ereignis" gewesen. Einmal, nachdem Charles in einem Tümpel einen Ringelwurm betrachtet hat, überfällt ihn eine schreckliche Vision: Er sieht ein Ungeheuer, eine Riesenschlange, aus den Wellen steigen. Vielleicht das Erinnerungsrelikt aus einem fernen LSD-Horrortrip, vielleicht eine Vorausdeutung auf kommendes Unheil.
Wir sind also gut vorbereitet, gespannt und entspannt zugleich. Jetzt muß das Hauptgericht kommen - kulinarisch oder in welchem Sinne sonst. Doch was folgt - immerhin gut 500 Seiten -, demonstriert zwar Iris Murdochs Virtuosität, ihre Fähigkeiten, Knoten zu schürzen und zu sprengen, Fährten und Spuren anzulegen und wieder zu desavouieren - aber eine tiefere Teilnahme will sich nicht einstellen. Selbst die Szenen des äußersten Schmerzes, ausgelöst durch den Ertrinkungstod eines Jungen, sehen uns als distanzierte Betrachter. Warum läßt mich das kalt? fragt man, während man nervös, zwischen Unlust und Spannung, weiterliest.
Meine Antwort: Es ist der Protagonist selbst, der unser anfängliches Interesse verscherzt. Charles Arrowby, der große Prospero, ist der Schauspieler seiner Gefühle und Aktionen. Er ist zutiefst eitel, und so glauben wir selbst seinen Selbstbezichtigungen nicht. Das alles mag von der Autorin beabsichtigt, wohl auch kritisch gemeint sein, aber es reduziert ziemlich schnell unsere Anteilnahme.
Vielleicht ist auch der Einfall der Autorin etwas abgebraucht, alle die noch lebenden Haupt- und Nebenfiguren aus Charles' Porträtgalerie in Shruff End auftauchen zu lassen und in eine dramatische Handlung zu verstricken. Noch einmal beginnt ein Reigen der Liebesbeteuerungen und Verweigerungen, der Rivalitäten der Frauen um Charles' Gunst und der Eifersüchte, die seine Spezialität sind. Das wirkt bunt und phantastisch, doch auf Dauer eher enervierend als bestrickend. Prospero verliert seinen Zauber als erster. Was er zu empfinden vorgibt, ist bis in die heftigsten Beteuerungen hinein selbstgefällig. Obwohl ihm das sogar seine selbstgeladenen Gäste sagen, sollen wir glauben, daß er sie immer noch fasziniert.
Vor allem aber besteht die Hauptgeschichte nicht ihren Test. Charles trifft seine Jugendliebe Hartley wieder. Sie lebt, wie es der Zufall will, im nahen Dorf und ist mit dem offenbar etwas gewalttätigen Ben verheiratet. Von ihm will sie sich nicht trennen, sosehr Charles um die gealterte, verhärmte Frau wirbt. Wir sollen glauben, daß Charles von einer tiefen Leidenschaft zu der "Dame mit dem Bart" erfüllt ist. Doch dieser Glaube geht spätestens in dem Moment verloren, da Charles die Widerstrebende für einige Zeit zu seiner Gefangenen macht.
Selbst die Autorin scheint nicht mehr recht gewußt zu haben, wie sie ihrem Helden unser Interesse erhalten soll. Charles übersteht einen merkwürdigen Mordversuch - es ist auch einer der Autorin. Einzig Titus, Hartleys adoptierter und dann verlorener Sohn, rührt uns an. Er betritt die Szene als hilfloser Engel, der ertrinken muß, um als Gestalt unbeschädigt zu bleiben. Derweil unterhalten uns zwar die Rosinas und Lizzies, aber die Frage, ob Hartley eine brave Ehefrau oder vielleicht doch eine Hexe war, berührt uns nicht mehr. Prosperos Magie ist erloschen. So interessiert uns auch nicht, was aus dem alten, doch immer noch vitalen Charles wird. Und ob er die verlockende Einladung nach Japan annimmt. Ihm fällt eine Schatulle zu Boden, in die der buddhistische Cousin James die Dämonen eingeschlossen haben will. Er konstatiert: "Der Deckel ist aufgegangen, und was immer darin war, ist zweifellos entwichen." Mag sein. Die Luft aus dem Roman war schon lange vorher raus.
Iris Murdoch: "Das Meer, das Meer". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Stefanie Schaffer-de Vries. Franz Deuticke Verlagsgesellschaft, Wien/München 2000. 687 S., geb., 49,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Iris Murdoch sucht "Das Meer, das Meer" / Von Harald Hartung
Sie war schon postmodern, ehe der Ausdruck in Schwang kam. Sie mußte nicht avantgardistisch erzählen, um berühmt zu werden. Ihre Mischung aus Fantasy und Philosophie faszinierte Leseratten und Snobs zugleich. Kurz: Die vergangenes Jahr verstorbene Iris Murdoch war eine Meisterin der erzählerischen Magie. Was auch ihre deutsche Leserschaft zunehmend zu würdigen weiß. Dabei sind ihre siebenundzwanzig Romane durchaus unterschiedlich in Machart und Qualität.
Nach dem geistreichen Roman "In guter Absicht", einem Zauber- als Erziehungsroman, kommt nun ein älteres, englisch bereits 1978 erschienenes Werk: "Das Meer, das Meer". Auch dieser Roman zeigt die bekannten Tugenden der Erzählerin. Jedenfalls in seiner glänzenden, zumindest neugierig machenden Exposition. Den Fortgang freilich muß man wohl enttäuschend nennen. Irgend etwas davon steckt schon im vagen Lyrismus des Titels, der etwa zu diesem Seufzer führt: "Ja, ja, das Meer, das Meer", fuhr James fort. "Wußtest du, daß Plato väterlicherseits von Poseidon abstammt?" Wußten wir nicht.
Charles Arrowby, ein Junggeselle von sechzig Jahren, Schauspieler, Dramenautor und Theaterdirektor, hat sich in ein einsames Haus am Meer zurückgezogen. Er ist der Scheinwelt des Theaters überdrüssig und will sich Rechenschaft über sein Leben ablegen. Er beginnt mit Aufzeichnungen, die zu seinen Memoiren werden sollen. Er imaginiert eine Geschichte seines Lebens, erzählt als die Reihung von Porträts der Menschen, die er gekannt hat.
Hier die Hauptfiguren seiner Galerie. Da ist der Cousin James aus dem feineren Zweig der Familie, General mit merkwürdigen Neigungen zum Buddhismus. Sodann drei Schauspielerinnen: die deutlich ältere Clement, die Charles in die Liebe einführte; die charmante Lizzie, die etwas füllig geworden ist und Charles mit ihrer Liebe verfolgt; die berühmte Rosina Vamburgh, ein anbetungswürdig künstliches Geschöpf, doch offenbar eine Nervensäge. Schließlich ist da noch Hartley, die unvergessene Jugendfreundin. Mit ihr verbanden Charles einst eine keusche Beziehung und das Gelöbnis, einander mit achtzehn zu heiraten. Als Charles nach London an die Schauspielschule ging, löste Hartley das Verhältnis auf und verschwand spurlos.
All dies und mehr listet Charles eher lust- als schmerzvoll auf und gibt dabei zu, daß ihn immer noch besitzerische Gefühle plagen und ihm eine Harem-Situation im Grunde sehr behagen würde. Oft genug hat er Prospero als seine Lieblingsrolle gespielt. Jetzt, in seiner nicht splendiden, aber behaglichen Isolation, fragt er sich, ob er ernsthaft der Magie abgeschworen hat, was vor allem meint: seiner Herrschaft über die Frauen. Hat er nicht; doch wir ahnen, daß sein imaginärer Harem noch eine Rolle spielen wird.
Aber das hat gut Weile. Denn Iris Murdoch läßt unseren Einsiedler nicht bloß seine Vergangenheit aufblättern, sondern auch seine Umwelt beschreiben. Dazu alles, womit er seine Tage ausfüllt. Charles beschreibt uns sein Denkgehäus', das düstere Shruff End, ein Haus, in dem es zu spuken scheint. Er schildert uns seine ihn verjüngenden Badeerlebnisse an der gefährlichen Steilküste - und er macht uns bekannt mit den Küchenzetteln des "aufgeklärten Essers", für den er sich hält. "Nicht jeder wird gezuckerte Speckstreifen mögen", läßt er uns wissen. Oder: "Nur ein Dummkopf verachtet Tomatenketchup."
Eine Idylle also. Wäre da nicht, ziemlich zu Anfang, "das schreckliche Ereignis" gewesen. Einmal, nachdem Charles in einem Tümpel einen Ringelwurm betrachtet hat, überfällt ihn eine schreckliche Vision: Er sieht ein Ungeheuer, eine Riesenschlange, aus den Wellen steigen. Vielleicht das Erinnerungsrelikt aus einem fernen LSD-Horrortrip, vielleicht eine Vorausdeutung auf kommendes Unheil.
Wir sind also gut vorbereitet, gespannt und entspannt zugleich. Jetzt muß das Hauptgericht kommen - kulinarisch oder in welchem Sinne sonst. Doch was folgt - immerhin gut 500 Seiten -, demonstriert zwar Iris Murdochs Virtuosität, ihre Fähigkeiten, Knoten zu schürzen und zu sprengen, Fährten und Spuren anzulegen und wieder zu desavouieren - aber eine tiefere Teilnahme will sich nicht einstellen. Selbst die Szenen des äußersten Schmerzes, ausgelöst durch den Ertrinkungstod eines Jungen, sehen uns als distanzierte Betrachter. Warum läßt mich das kalt? fragt man, während man nervös, zwischen Unlust und Spannung, weiterliest.
Meine Antwort: Es ist der Protagonist selbst, der unser anfängliches Interesse verscherzt. Charles Arrowby, der große Prospero, ist der Schauspieler seiner Gefühle und Aktionen. Er ist zutiefst eitel, und so glauben wir selbst seinen Selbstbezichtigungen nicht. Das alles mag von der Autorin beabsichtigt, wohl auch kritisch gemeint sein, aber es reduziert ziemlich schnell unsere Anteilnahme.
Vielleicht ist auch der Einfall der Autorin etwas abgebraucht, alle die noch lebenden Haupt- und Nebenfiguren aus Charles' Porträtgalerie in Shruff End auftauchen zu lassen und in eine dramatische Handlung zu verstricken. Noch einmal beginnt ein Reigen der Liebesbeteuerungen und Verweigerungen, der Rivalitäten der Frauen um Charles' Gunst und der Eifersüchte, die seine Spezialität sind. Das wirkt bunt und phantastisch, doch auf Dauer eher enervierend als bestrickend. Prospero verliert seinen Zauber als erster. Was er zu empfinden vorgibt, ist bis in die heftigsten Beteuerungen hinein selbstgefällig. Obwohl ihm das sogar seine selbstgeladenen Gäste sagen, sollen wir glauben, daß er sie immer noch fasziniert.
Vor allem aber besteht die Hauptgeschichte nicht ihren Test. Charles trifft seine Jugendliebe Hartley wieder. Sie lebt, wie es der Zufall will, im nahen Dorf und ist mit dem offenbar etwas gewalttätigen Ben verheiratet. Von ihm will sie sich nicht trennen, sosehr Charles um die gealterte, verhärmte Frau wirbt. Wir sollen glauben, daß Charles von einer tiefen Leidenschaft zu der "Dame mit dem Bart" erfüllt ist. Doch dieser Glaube geht spätestens in dem Moment verloren, da Charles die Widerstrebende für einige Zeit zu seiner Gefangenen macht.
Selbst die Autorin scheint nicht mehr recht gewußt zu haben, wie sie ihrem Helden unser Interesse erhalten soll. Charles übersteht einen merkwürdigen Mordversuch - es ist auch einer der Autorin. Einzig Titus, Hartleys adoptierter und dann verlorener Sohn, rührt uns an. Er betritt die Szene als hilfloser Engel, der ertrinken muß, um als Gestalt unbeschädigt zu bleiben. Derweil unterhalten uns zwar die Rosinas und Lizzies, aber die Frage, ob Hartley eine brave Ehefrau oder vielleicht doch eine Hexe war, berührt uns nicht mehr. Prosperos Magie ist erloschen. So interessiert uns auch nicht, was aus dem alten, doch immer noch vitalen Charles wird. Und ob er die verlockende Einladung nach Japan annimmt. Ihm fällt eine Schatulle zu Boden, in die der buddhistische Cousin James die Dämonen eingeschlossen haben will. Er konstatiert: "Der Deckel ist aufgegangen, und was immer darin war, ist zweifellos entwichen." Mag sein. Die Luft aus dem Roman war schon lange vorher raus.
Iris Murdoch: "Das Meer, das Meer". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Stefanie Schaffer-de Vries. Franz Deuticke Verlagsgesellschaft, Wien/München 2000. 687 S., geb., 49,90 DM.
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