Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2015Zeitalter der Maschinen
Eine optimistische Sicht der digitalen Revolution
Nun liegt die Übersetzung eines in den Vereinigten Staaten erschienenen und von einem breiten Leserkreis sehr positiv aufgenommenen, in der Tat spannenden Buches vor. Es ist weder ein trockenes IT-Handbuch noch ein reißerischer Science-Fiction-Roman. Vielmehr behandeln Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee, beide Wissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology (MIT), konstruktiv kritisch zentrale Fragen der zu erwartenden Auswirkungen des digitalen Zeitalters auf Wirtschafts- und Sozialordnung sowie Politik und Gesellschaft.
Die Grundthesen der Forscher lauten: Die digitalen Technologien (Hardware, Software und Netzwerke) breiten sich rasant aus. Es gilt das Moore'sche Gesetz, dem zufolge sich die Rechnerleistung alle 18 Monate verdoppelt. Computertechnik und Sensoren verbilligen sich mit der Zeit exponentiell und können daher in immer mehr Produkte wirtschaftlich eingebaut werden. Die Digitalisierung stellt enorme Datenmengen für fast jede Lebenslage zur Verfügung, und die daraus gewonnenen Informationen lassen sich unbegrenzt reproduzieren und wiederverwenden. Dank der zunehmenden Vernetzung und ausgefeilter Algorithmen sind die Computer heute so "intelligent" geworden, dass sie zu Aktivitäten fähig sind, die vor kurzem noch völlig undenkbar waren. Vor diesem Hintergrund ist nach Meinung der beiden Autoren das zweite Maschinenzeitalter angebrochen, denn - so ihre Überzeugung - die digitalen Technologien hätten auf die geistigen Kräfte der Menschen mindestens eine ebenso große Wirkung, wie sie weiland die Dampfmaschine und ihre Ableger als Auslöser des ersten Maschinenzeitalters auf die Muskelkraft entfalteten.
Die beiden MIT-Experten sehen das zweite Maschinenzeitalter durch eine leicht rosarot getönte Brille vor allem als Zeitalter der Chancen an. Richtig gestaltet, könne die Digitalisierung massiv zur Entfaltung der Macht menschlicher Genialität beitragen, denn die Grenzen zwischen ausschließlich menschlicher Kreativität und maschinellen Möglichkeiten veränderten sich laufend. Die Autoren konstatieren: "Unsere Generation dürfte das Glück haben, zwei der faszinierendsten Ereignisse der Geschichte mitzuerleben: die Entwicklung wirklich intelligenter Maschinen und die Vernetzung aller Menschen über ein gemeinsames digitales Netz, das die Weltwirtschaft verändert." Damit identifizieren sie klar die beiden dominierenden Treiber des digitalen Zeitalters, die man unbedingt im Auge behalten muss.
Das Buch ist systematisch aufgebaut und gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil geht es um die grundlegenden Merkmale des zweiten Maschinenzeitalters. Hier werden beeindruckende Beispiele für jüngste technische Errungenschaften skizziert. Es wird deutlich, dass sich Ausmaß und Tempo der Innovationen bei den digitalen Technologien in Zukunft noch steigern werden. Der zweite Teil des Buches befasst sich mit den gravierenden wirtschaftlichen Folgen des digitalen Fortschritts. Nach Meinung der Autoren verhilft dieser einerseits zu deutlich mehr Wohlstand, lässt aber andererseits ein deutliches Gefälle entstehen, und dies zwischen den Menschen, die dank der neuen Technologien wirtschaftlich reüssieren und etwa von Start-up-Unternehmern zu marktbeherrschenden Superstars werden, sowie der großen Zahl derjenigen, die nicht mithalten können und deren Tätigkeiten immer mehr von Computern und Robotern übernommen werden.
Der dritte, eher politische Teil des Buches diskutiert, welche Interventionen für das zweite Maschinenzeitalter angezeigt und vermutlich auch effektiv sind. Im Hinblick auf das Ziel, den Wohlstand zu mehren und das Gefälle in der Gesellschaft zu mindern, müssen nach den Autoren unter anderem gravierende Änderungen im Bildungssystem zur Stärkung des Humankapitals, eine bessere Förderung der Start-up-Szenerie sowie Veränderungen im Steuersystem vorgenommen werden. Mit ihren bedenkenswerten, aber sicherlich nicht final ausdiskutierten Anregungen beziehen sich die Autoren leider ausschließlich auf die amerikanischen Verhältnisse. Es liegt an den Lesern, aus den Ausführungen die entsprechenden Schlussfolgerungen für Europa zu ziehen.
Als unerschütterliche, vielleicht sogar etwas blauäugige Optimisten sind die beiden Forscher der Meinung, dass es gelingen könne und vor allem müsse, das digitale zweite Maschinenzeitalter für alle bestmöglich zu gestalten. Dies dürfte entscheidend von drei Faktoren abhängen: (1) Erfolgreiche Einbindung der Menschen als Wissensarbeiter in die neuen Mensch-Maschine-Organisationen, (2) Verhinderung einer Monopolisierung von ganzen Wirtschaftsbereichen, (3) Absicherung der höchst sensitiven datentechnischen Infrastruktur. In diesen drei Feldern seien Politik und Gesellschaft massiv gefordert. Die Bildungssysteme müssten die Faktoren, bei denen der intelligente Mensch gegenüber der Digitaltechnologie überlegen ist, viel mehr fördern. So komme es darauf an, die Fähigkeit der Menschen zur kreativen Bildung von Ideen, zur Mustererkennung und zur komplexen Kommunikation zu stärken. Die Wirtschaftspolitik müsse in Verbindung mit den Wettbewerbshütern entschlossen der von den Ikonen des Silicon Valley ausgehenden Tendenz einer "Alles-oder-nichts-Wirtschaft" entgegenwirken. Zudem müsse die Infrastruktur für das digitale Zeitalter verbessert werden. Ganz wichtig sei es, den sehr ernstzunehmenden Risiken der Anfälligkeit von komplexen, eng vernetzten Systemen auch gegenüber kleinen technischen Störungen sowie insbesondere auch der immer weiter um sich greifenden Cyberkriminalität zu begegnen. Die MIT-Experten dürften damit die Probleme des digitalen Zeitalters richtig geortet haben; die ultimativen Lösungen werden sie hoffentlich in der nächsten Auflage präsentieren. Das Buch ist gut lesbar, auch für Nichtfachleute. Es nimmt den Leser mit auf eine Reise in die digitale Zukunft, die schon längst begonnen hat.
ROBERT FIETEN
Erik Brynjolfsson, Andrew McAfee: The Second Machine Age. Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird. 3. Auflage, Börsenbuchverlag Kulmbach 2015, 367 Seiten, 24,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine optimistische Sicht der digitalen Revolution
Nun liegt die Übersetzung eines in den Vereinigten Staaten erschienenen und von einem breiten Leserkreis sehr positiv aufgenommenen, in der Tat spannenden Buches vor. Es ist weder ein trockenes IT-Handbuch noch ein reißerischer Science-Fiction-Roman. Vielmehr behandeln Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee, beide Wissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology (MIT), konstruktiv kritisch zentrale Fragen der zu erwartenden Auswirkungen des digitalen Zeitalters auf Wirtschafts- und Sozialordnung sowie Politik und Gesellschaft.
Die Grundthesen der Forscher lauten: Die digitalen Technologien (Hardware, Software und Netzwerke) breiten sich rasant aus. Es gilt das Moore'sche Gesetz, dem zufolge sich die Rechnerleistung alle 18 Monate verdoppelt. Computertechnik und Sensoren verbilligen sich mit der Zeit exponentiell und können daher in immer mehr Produkte wirtschaftlich eingebaut werden. Die Digitalisierung stellt enorme Datenmengen für fast jede Lebenslage zur Verfügung, und die daraus gewonnenen Informationen lassen sich unbegrenzt reproduzieren und wiederverwenden. Dank der zunehmenden Vernetzung und ausgefeilter Algorithmen sind die Computer heute so "intelligent" geworden, dass sie zu Aktivitäten fähig sind, die vor kurzem noch völlig undenkbar waren. Vor diesem Hintergrund ist nach Meinung der beiden Autoren das zweite Maschinenzeitalter angebrochen, denn - so ihre Überzeugung - die digitalen Technologien hätten auf die geistigen Kräfte der Menschen mindestens eine ebenso große Wirkung, wie sie weiland die Dampfmaschine und ihre Ableger als Auslöser des ersten Maschinenzeitalters auf die Muskelkraft entfalteten.
Die beiden MIT-Experten sehen das zweite Maschinenzeitalter durch eine leicht rosarot getönte Brille vor allem als Zeitalter der Chancen an. Richtig gestaltet, könne die Digitalisierung massiv zur Entfaltung der Macht menschlicher Genialität beitragen, denn die Grenzen zwischen ausschließlich menschlicher Kreativität und maschinellen Möglichkeiten veränderten sich laufend. Die Autoren konstatieren: "Unsere Generation dürfte das Glück haben, zwei der faszinierendsten Ereignisse der Geschichte mitzuerleben: die Entwicklung wirklich intelligenter Maschinen und die Vernetzung aller Menschen über ein gemeinsames digitales Netz, das die Weltwirtschaft verändert." Damit identifizieren sie klar die beiden dominierenden Treiber des digitalen Zeitalters, die man unbedingt im Auge behalten muss.
Das Buch ist systematisch aufgebaut und gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil geht es um die grundlegenden Merkmale des zweiten Maschinenzeitalters. Hier werden beeindruckende Beispiele für jüngste technische Errungenschaften skizziert. Es wird deutlich, dass sich Ausmaß und Tempo der Innovationen bei den digitalen Technologien in Zukunft noch steigern werden. Der zweite Teil des Buches befasst sich mit den gravierenden wirtschaftlichen Folgen des digitalen Fortschritts. Nach Meinung der Autoren verhilft dieser einerseits zu deutlich mehr Wohlstand, lässt aber andererseits ein deutliches Gefälle entstehen, und dies zwischen den Menschen, die dank der neuen Technologien wirtschaftlich reüssieren und etwa von Start-up-Unternehmern zu marktbeherrschenden Superstars werden, sowie der großen Zahl derjenigen, die nicht mithalten können und deren Tätigkeiten immer mehr von Computern und Robotern übernommen werden.
Der dritte, eher politische Teil des Buches diskutiert, welche Interventionen für das zweite Maschinenzeitalter angezeigt und vermutlich auch effektiv sind. Im Hinblick auf das Ziel, den Wohlstand zu mehren und das Gefälle in der Gesellschaft zu mindern, müssen nach den Autoren unter anderem gravierende Änderungen im Bildungssystem zur Stärkung des Humankapitals, eine bessere Förderung der Start-up-Szenerie sowie Veränderungen im Steuersystem vorgenommen werden. Mit ihren bedenkenswerten, aber sicherlich nicht final ausdiskutierten Anregungen beziehen sich die Autoren leider ausschließlich auf die amerikanischen Verhältnisse. Es liegt an den Lesern, aus den Ausführungen die entsprechenden Schlussfolgerungen für Europa zu ziehen.
Als unerschütterliche, vielleicht sogar etwas blauäugige Optimisten sind die beiden Forscher der Meinung, dass es gelingen könne und vor allem müsse, das digitale zweite Maschinenzeitalter für alle bestmöglich zu gestalten. Dies dürfte entscheidend von drei Faktoren abhängen: (1) Erfolgreiche Einbindung der Menschen als Wissensarbeiter in die neuen Mensch-Maschine-Organisationen, (2) Verhinderung einer Monopolisierung von ganzen Wirtschaftsbereichen, (3) Absicherung der höchst sensitiven datentechnischen Infrastruktur. In diesen drei Feldern seien Politik und Gesellschaft massiv gefordert. Die Bildungssysteme müssten die Faktoren, bei denen der intelligente Mensch gegenüber der Digitaltechnologie überlegen ist, viel mehr fördern. So komme es darauf an, die Fähigkeit der Menschen zur kreativen Bildung von Ideen, zur Mustererkennung und zur komplexen Kommunikation zu stärken. Die Wirtschaftspolitik müsse in Verbindung mit den Wettbewerbshütern entschlossen der von den Ikonen des Silicon Valley ausgehenden Tendenz einer "Alles-oder-nichts-Wirtschaft" entgegenwirken. Zudem müsse die Infrastruktur für das digitale Zeitalter verbessert werden. Ganz wichtig sei es, den sehr ernstzunehmenden Risiken der Anfälligkeit von komplexen, eng vernetzten Systemen auch gegenüber kleinen technischen Störungen sowie insbesondere auch der immer weiter um sich greifenden Cyberkriminalität zu begegnen. Die MIT-Experten dürften damit die Probleme des digitalen Zeitalters richtig geortet haben; die ultimativen Lösungen werden sie hoffentlich in der nächsten Auflage präsentieren. Das Buch ist gut lesbar, auch für Nichtfachleute. Es nimmt den Leser mit auf eine Reise in die digitale Zukunft, die schon längst begonnen hat.
ROBERT FIETEN
Erik Brynjolfsson, Andrew McAfee: The Second Machine Age. Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird. 3. Auflage, Börsenbuchverlag Kulmbach 2015, 367 Seiten, 24,99 Euro
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