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Während einer Rede zu Ehren ihres kürzlich verstorbenen Vaters, wurde Siri Hustvedt von einem Anfall erschüttert: zitternde Beine, um sich schlagende Arme, doch trotzdem war sie in der Lage, mit klarer Stimme ihre Rede zu beenden. Auf der Suche nach den Gründen für die wiederkehrenden Attacken, stieß sie auf eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern, die die Idee der Neuropsychoanalyse entwickelten. Hustvedt erhellt in diesem autobiographischen Buch die Fragen nach der Beziehung zwischen Körper und Geist.

Produktbeschreibung
Während einer Rede zu Ehren ihres kürzlich verstorbenen Vaters, wurde Siri Hustvedt von einem Anfall erschüttert: zitternde Beine, um sich schlagende Arme, doch trotzdem war sie in der Lage, mit klarer Stimme ihre Rede zu beenden. Auf der Suche nach den Gründen für die wiederkehrenden Attacken, stieß sie auf eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern, die die Idee der Neuropsychoanalyse entwickelten. Hustvedt erhellt in diesem autobiographischen Buch die Fragen nach der Beziehung zwischen Körper und Geist.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.01.2010

Die Mystik einer Temporallappenpersönlichkeit
Visionen, Stimmenhören, Gefühle von Levitation: In ihrem Essay „Die zitternde Frau” forscht Siri Hustvedt als Nervenkundlerin in eigener Sache
Wo immer die New Yorker Schriftstellerin Siri Hustvedt in diesen Tagen öffentlich auftritt (wie zum Beispiel am Mittwochabend in der Münchner Akademie der Bildenden Künste, wo sie die „Schelling Lecture” hält), wird zumindest ein Teil des Publikums nicht frei von voyeuristischen Impulsen sein. Und die dürften sich nicht mehr nur auf das gute Aussehen der Gattin des seinerseits hochfotogenen US-Literaturstars Paul Auster beziehen, sondern auch auf die Frage: Wird sie zittern oder nicht? Wird einer der unberechenbaren, vorzugsweise bei Vorträgen und Lesungen auftretenden Schüttelkrämpfe, unter denen sie seit einigen Jahren leidet und von denen sie in ihrem neuen Buch erzählt, sie womöglich auf einem deutschen Podium heimsuchen? Oder wird man ihr – umgekehrt – anmerken, dass sie mit Betablockern dieser Gefahr vorbeugt?
Die Medienmaschine nährt sich von solchen Erregungen, und der Literaturbetrieb macht sich dergleichen immer mehr zunutze. Siri Hustvedts Essay „Die zit-ternde Frau” ist in deutscher Überset-zung noch vor dem amerikanischen Original erschienen, und der Rowohlt Verlag, der unlängst schon bei Adam Hasletts „Union Atlantic” mit diesem Vorsprung wuchern konnte, hat allerlei Hebel in Be-wegung gesetzt, um den neuesten Beitrag zum Modethema „Krankengeschichten” möglichst spektakulär zu inszenieren. Die schöne, erfolgreiche Ostküsten-Intellektuelle, die von einer geheimnisvollen Nervenstörung befallen wurde und nun ihren Leidensweg schildert, ist ein erstklassiges Sujet für den feuilletonistischen Boulevard und die Konversation gebildeter Hypochonder.
Wer entsprechende Erwartungen hegt, muss von dem Buch mit dem Untertitel „Eine Geschichte meiner Nerven” enttäuscht sein. Denn es geht darin weniger um private Enthüllungen als um eine zwar persönlich motivierte, aber ziemlich trockene, zugleich irrlichternd unsystematische Recherche zum aktuellen Stand von Hirnforschung und Neurobiologie. Bei der Lektüre stellt sich überdies heraus, dass die Zitterattacken, die Siri Hustvedt den Anlass für ihr Projekt lie-ferten, ein Symptom sind, mit dem es sich trotz allem relativ undramatisch leben (und öffentlich lesen) lässt.
Im Februar 2004 starb der Vater der Schriftstellerin, der Historiker und Skandinavist Lloyd Hustvedt, an einem Lungenemphysem. Zweieinhalb Jahre später hielt seine Tochter auf dem Campus des St. Olaf College in Minnesota, seiner langjährigen Wirkungsstätte, eine Rede zu seinem Gedächtnis. Dabei geschah es zum ersten Mal, dass sie „vom Hals an abwärts” krampfartig zu zittern begann. Da sie sich zugleich innerlich „vollkommen ruhig und bei klarem Verstand” fühlte, wurde ihre Ansprache durch die physischen Vorgänge nicht beeinträchtigt, und sobald die Rede zu Ende war, hörten auch die Konvulsionen auf. Wenig später, während eines Vortrags über ihre Schreibkurse für psychisch Kranke, machte Hustvedt abermals jene irritierende Erfahrung. Und danach, in vergleichbaren Situationen, immer wieder: Der Körper geriet außer Kontrolle, während Geist und Sprache unbehelligt funktionierten.
Unter Lampenfieber hatte sie bis dato nie gelitten. Kein Wunder, dass sie zu-nächst auf eine handfeste Diagnose hoff-te. Als neurologische Untersuchungen fruchtlos blieben und die Ärzte keinen Rat wussten, überließ sie sich dem Lese-fieber, arbeitete sich durch ältere und neueste Forschungsliteratur zu allen medizinischen und nervenkundlichen Themen, die sich versuchsweise mit ihrer Symptomatik in Verbindung bringen ließen: Hysterie, Epilepsie, Konversionsreaktion. Trauma, Flashback, Panikstörung, Multiple Persönlichkeit, Splitbrain-Syndrom, inklusive verwandter Pathologien wie Transitivismus oder Berührungssynästhesie. Bei Charcot und Freud, Janet und Lacan, aber auch bei Wiliam James, Husserl, Wittgenstein und Merleau-Ponty, bei Augustinus und Hegel, Dostojewski und Tolstoi fahndete sie nach Aufklärung über das, was sie schnell als neurowissenschaftliches und erkenntnistheoretisches Grundproblem eingekreist hatte: „Was ist Körper, und was ist Geist?” Oder auch: „Wer sind wir überhaupt?”
Jetzt hat sie ihren Zettelkasten vor dem Leser ausgeschüttet, den es kaum erstaunen dürfte, dass auf jene existentiellen Fragen, die man wohl nur als Amerikaner so wunderbar unbefangen stellen kann, weder ihm noch der Autorin eine Antwort zuteil wird. Was ihn überraschen könnte, ist die Entdeckung, dass hier im Grunde weder eine Krankheitsgeschichte noch ein Wissenschaftsreport vorliegt, sondern das rationalistisch verbrämte Protokoll einer spirituellen Suche, die sich erst in ihren Anfängen befindet.
Hustvedt berichtet nämlich nicht nur, dass sie seit ihrer Kindheit Migränepa-tientin ist, sondern auch, dass sie – oft im Umfeld von Schmerzanfällen – eine Reihe von Erfahrungen gemacht hat, die früh ihr Interesse für „Mystiker aller Traditionen” und deren „transzendentale Zustände” weckten. Seltsame Visionen und Euphorien, sogenanntes Stimmenhören, visuelle Halluzinationen und „himmlische Gefühle von Levitation” sind ihr vertraut, lassen sich aber in die dualisti-schen Denksysteme des aufgeklärten Abendlandes nicht einordnen. So versucht die Schriftstellerin, diese Phänomene über den neuromedizinischen Diskurs zu ergründen, wird aber auch hier nicht recht fündig, denn viel weiter als bis zur Diagnose einer „Temporallappenpersönlichkeit” für einen bestimmten Typus künstlerischer oder religiöser Sensibilität ist man in den betreffenden Fachkreisen noch nicht gekommen.
Die situationsbedingten Zuckungen und Zitterkrämpfe, mit denen sie sich inzwischen im Alltag arrangiert hat, sind für Siri Hustvedt nicht zuletzt ein Teil jener mysteriösen Erlebniswelt, in der naturwissenschaftliche Forschung an ihre Grenzen stößt. Diese Perspektive ist entschieden das Originellste an ihrem Buch und versöhnt sogar mit Sätzen wie diesen, für die man die Nervenkundlerin in eigener Sache sonst womöglich der Blauäugigkeit bezichtigen würde: „Dass die Wissenschaft einen so wichtigen Platz in der Kultur eingenommen hat, ist kein Zufall.” Und: „Was das Selbst genau ist, bleibt umstritten.”
KRISTINA MAIDT-ZINKE
SIRI HUSTVEDT: Die zitternde Frau. Eine Geschichte meiner Nerven. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010. 236 Seiten, 18,90 Euro.
Vor zweieinhalb Jahren wurde Hustvedt erstmals von einer Zitterattacke heimgesucht
Hinter Krankheitsgeschichte und Wissenschaftsreport verbirgt sich eine spirituelle Suche
Schreibt über ihre geheimnisvolle Nervenstörung: die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt. Foto: Abaca/Reflex
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