Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.07.2014Und der zweite Streich folgt sogleich
Das Opfer hat seinen Tod vorausgesehen und in einem Roman beschrieben: In ihrem Roman "The Silkworm" präsentiert sich Joanne K. Rowling in Hochform - auch für alle Harry-Potter-Fans.
Ich vermisse Harry Potter!" Die Sechzehnjährige, der dieser Stoßseufzer entfuhr, meinte damit weniger den Zauberschüler selbst als vielmehr das ganze Drumherum der Buchserie, vom gespannten Warten auf die nächste Lieferung über die Spekulationen, wie es wohl weitergehen würde mit den Figuren bis hin zur seligen Versenkung in eine andere Welt für die Dauer von einigen hundert Seiten, die möglichst langsam ausgekostet und zugleich rauschhaft verschlungen werden wollten. So wie ihr geht es vielen "Harry Potter"-Lesern. Und offenbar auch Joanne K. Rowling selbst, die sich mit spürbarer Begeisterung in ihre nächste Serie gestürzt hat.
Soeben ist in Großbritannien ihr zweiter Kriminalroman um den Privatdetektiv Cormoran Strike erschienen: "The Silkworm" (Der Seidenspinner). Zwar prangt auf dem Cover mit Robert Galbraith ihr Pseudonym, doch das Geheimnis der Autorschaft, das den Vorgänger "Der Ruf des Kuckucks" im vergangenen Sommer doppelt interessant machte, ist ein für alle Mal gelüftet. Rowling ist als Robert Galbraith offenkundig in ihrem Element, denn hier kommen ihre erzählerischen Stärken voll zur Geltung, ohne dass sie am eigenen Anspruch scheitert. Nicht nur weil sie eine ausgebuffte Plotterin ist, die zwischen handlungs- und charaktergetriebener Spannung geschickt zu variieren weiß, lag ihr Schritt zum Krimi näher als der zum großen Gesellschaftsroman, an dem sie mit "Ein plötzlicher Todesfall" (2012) scheiterte.
"The Silkworm" wird getragen von Rowlings genauem Auge und sensiblem Ohr für ganz unterschiedliche Milieus, deren Ausdrucks- und Denkweisen. Die zahlreichen Leser, die rund um fiktive Mordfälle gern konkrete Urlaubsstätten wie Venedig, die Bretagne oder das Périgord auskundschaften, können hier London atmosphärisch besser kennenlernen als in jedem Stadtführer; man fragt sich, wie und wann die publikumsscheue Edinburgherin Rowling sich jene Vertrautheit mit der Metropole erworben hat, die ihre Schilderungen nahelegen.
Doch vor allem hat sie mit ihrem Ermittler Cormoran Strike, dessen komplexe persönliche Geschichte sie konsequent weiterentwickelt, einen Protagonisten geschaffen, der imstande ist, die Buchreihe jenseits von Verbrechen und Auflösung zusammenzuhalten. So haben der Privatdetektiv und Harry Potter einiges gemeinsam: Beide müssen als Kind mit elterlicher Abwesenheit klarkommen - Strike als unehelicher und ungeliebter Sohn der an Mick Jagger erinnernden Rocklegende Jonny Rockeby, Harry als Voldemortscher Vollwaise.
Aufgrund ihrer ambivalenten Erfahrung mit der Boulevardpresse sind beide extrem wachsam im Umgang mit der Öffentlichkeit. Beide halten wenig von den Methoden der Verbrechensbekämpfung offizieller Stellen und ermitteln lieber auf eigene Faust. Beide sind eigensinnig, und beide leiden an den Folgen einer schlimmen Verletzung: Cormoran Strike hat während seiner Militärzeit in Afghanistan bei einer Bombenexplosion einen Fuß verloren, Harry trägt die gezackte Narbe auf der Stirn.
Dankenswerterweise ist Strike kein Junge mehr, auch wenn er seit Studententagen nicht von einer äußerst volatilen Schönheit loskommt, sondern ein Hüne mit eiserner Selbstdisziplin und phänomenalem Gedächtnis. Er verströmt einen rauhbeinigen Charme, dem sich manche seiner blonden und demnächst mit seiner Hilfe reich geschiedenen Auftraggeberinnen so wenig entziehen können wie wichtige Zeuginnen oder seine Assistentin Robin, die eigentlich einem anderen, deutlich langweiligeren Kerl versprochen ist, aber zunehmend in den Bann ihres Bosses gerät.
Wenngleich Strike das eigentliche Zentrum ist, hat es auch die Story durchaus in sich. Denn dieses Mal tummelt sich Rowlings Ermittler in einer Szene, die sie bestens kennt und der sie als einstige Außenseiterin und heutige Über-Autorin trotzdem nicht recht angehört: im Literaturbetrieb. Ein nicht ganz unbekannter Schriftsteller namens Owen Quine ist verschwunden, und seine hilflose Frau wendet sich an Cormoran Strike, damit er ihn aufstöbert und zurückschickt zu ihr und der zurückgebliebenen Tochter.
Wie sich herausstellt, hat Quine vor seinem rätselhaften Verschwinden einen Schlüsselroman beendet, dessen rufschädigende Passagen bereits wutentbrannte Verleger und deren Anwaltskohorten auf den Plan gerufen haben. Das Werk trägt den Titel "Bombyx mori", die lateinische Bezeichnung für den Schmetterling, dessen Raupen Seide produzieren, und liest sich als wüst-barocke Beschimpfung von so ziemlich jedem, mit dem Owen Quine im Laufe seines langen und immer erfolgloseren Schriftstellerlebens zu tun hatte.
Von seiner Agentin über seinen Lektor über berühmte Autorenkollegen und Verleger bis hin zu Ehefrau und Geliebter werden alle auf die eine oder andere Weise bloßgestellt. Damit stellt sich, ähnlich wie in Agatha Christies Allzeithit "Und dann gab's keines mehr", nicht die Frage, wer einen Grund hätte, Quine nach dem Leben zu trachten, sondern eher, wer in seiner Umgebung keinen Groll gegen ihn hegte. Strike findet schließlich Quines Leichnam, ausgeweidet, mit Säure verätzt und grausig drapiert, in einem verlassenen Haus, das ihm und dem Bestsellerautor Michael Fancourt einst von einem gemeinsamen Freund als Schreibort vermacht wurde. Aber Quine und Fancourt sind einander längst in Feindschaft verfallen.
Auf der Suche nach dem Mörder muss Strike erst einmal zum Leser werden, denn Quine hat seinen eigenen Tod im Manuskript detailliert vorweggenommen, und es scheint nur logisch, dass es dort auch Hinweise auf die Identität des Mörders gibt. Mehrere Auszüge aus "Bombyx mori" zeichnen ein blutiges und von Symbolismus überladenes Werk voller grotesker Sexszenen. Hier zollt Rowling dem englischen Drama des siebzehnten Jahrhunderts Tribut; jedem Kapitel sind Zitate aus berühmten Stücken der Epoche vorangestellt.
Überhaupt liegt im Aufeinanderprallen scheinbar konträrer Welten ein großer Reiz von Rowlings mittlerweile zehntem Roman. Welche Bühne eignete sich dazu besser als die Buchbranche, mit ihren Premieren, Verlagscocktails, den steilen Karrieren und gnadenlosen Popularitätsabstürzen von Autoren? Zahlreiche Archetypen haben ihren Auftritt: der egozentrische Verleger, die verbitterte Agentin, der frustrierte und daueralkoholisierte Lektor, der pompöse Bestsellerautor und die trotzig-esoterische Selbstverlegerin. Rowlings Figurenzeichnung ist plakativ, ihr grimmiges Porträt der Branche alles andere als ein Ruhmesblatt für den englischen Literaturbetrieb.
Trotzdem liest sich "The Silkworm" nicht als Abrechnung - weil Rowling die Menschen stets wichtiger sind als die Kulisse, in der sie agieren. Fest steht, dass sie mit Cormoran Strike und seiner Schülerin Robin mehr vorhat, als das Gespann einen intrikaten Mord nach dem anderen lösen zu lassen: Nicht zufällig ist auch diese Serie wieder auf sieben Bände angelegt. In deutscher Übersetzung erscheint "Der Seidenspinner" Ende November.
FELICITAS VON LOVENBERG
Robert Galbraith: "The Silkworm".
Sphere Books, London 2014. 464 S., geb.,
19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Opfer hat seinen Tod vorausgesehen und in einem Roman beschrieben: In ihrem Roman "The Silkworm" präsentiert sich Joanne K. Rowling in Hochform - auch für alle Harry-Potter-Fans.
Ich vermisse Harry Potter!" Die Sechzehnjährige, der dieser Stoßseufzer entfuhr, meinte damit weniger den Zauberschüler selbst als vielmehr das ganze Drumherum der Buchserie, vom gespannten Warten auf die nächste Lieferung über die Spekulationen, wie es wohl weitergehen würde mit den Figuren bis hin zur seligen Versenkung in eine andere Welt für die Dauer von einigen hundert Seiten, die möglichst langsam ausgekostet und zugleich rauschhaft verschlungen werden wollten. So wie ihr geht es vielen "Harry Potter"-Lesern. Und offenbar auch Joanne K. Rowling selbst, die sich mit spürbarer Begeisterung in ihre nächste Serie gestürzt hat.
Soeben ist in Großbritannien ihr zweiter Kriminalroman um den Privatdetektiv Cormoran Strike erschienen: "The Silkworm" (Der Seidenspinner). Zwar prangt auf dem Cover mit Robert Galbraith ihr Pseudonym, doch das Geheimnis der Autorschaft, das den Vorgänger "Der Ruf des Kuckucks" im vergangenen Sommer doppelt interessant machte, ist ein für alle Mal gelüftet. Rowling ist als Robert Galbraith offenkundig in ihrem Element, denn hier kommen ihre erzählerischen Stärken voll zur Geltung, ohne dass sie am eigenen Anspruch scheitert. Nicht nur weil sie eine ausgebuffte Plotterin ist, die zwischen handlungs- und charaktergetriebener Spannung geschickt zu variieren weiß, lag ihr Schritt zum Krimi näher als der zum großen Gesellschaftsroman, an dem sie mit "Ein plötzlicher Todesfall" (2012) scheiterte.
"The Silkworm" wird getragen von Rowlings genauem Auge und sensiblem Ohr für ganz unterschiedliche Milieus, deren Ausdrucks- und Denkweisen. Die zahlreichen Leser, die rund um fiktive Mordfälle gern konkrete Urlaubsstätten wie Venedig, die Bretagne oder das Périgord auskundschaften, können hier London atmosphärisch besser kennenlernen als in jedem Stadtführer; man fragt sich, wie und wann die publikumsscheue Edinburgherin Rowling sich jene Vertrautheit mit der Metropole erworben hat, die ihre Schilderungen nahelegen.
Doch vor allem hat sie mit ihrem Ermittler Cormoran Strike, dessen komplexe persönliche Geschichte sie konsequent weiterentwickelt, einen Protagonisten geschaffen, der imstande ist, die Buchreihe jenseits von Verbrechen und Auflösung zusammenzuhalten. So haben der Privatdetektiv und Harry Potter einiges gemeinsam: Beide müssen als Kind mit elterlicher Abwesenheit klarkommen - Strike als unehelicher und ungeliebter Sohn der an Mick Jagger erinnernden Rocklegende Jonny Rockeby, Harry als Voldemortscher Vollwaise.
Aufgrund ihrer ambivalenten Erfahrung mit der Boulevardpresse sind beide extrem wachsam im Umgang mit der Öffentlichkeit. Beide halten wenig von den Methoden der Verbrechensbekämpfung offizieller Stellen und ermitteln lieber auf eigene Faust. Beide sind eigensinnig, und beide leiden an den Folgen einer schlimmen Verletzung: Cormoran Strike hat während seiner Militärzeit in Afghanistan bei einer Bombenexplosion einen Fuß verloren, Harry trägt die gezackte Narbe auf der Stirn.
Dankenswerterweise ist Strike kein Junge mehr, auch wenn er seit Studententagen nicht von einer äußerst volatilen Schönheit loskommt, sondern ein Hüne mit eiserner Selbstdisziplin und phänomenalem Gedächtnis. Er verströmt einen rauhbeinigen Charme, dem sich manche seiner blonden und demnächst mit seiner Hilfe reich geschiedenen Auftraggeberinnen so wenig entziehen können wie wichtige Zeuginnen oder seine Assistentin Robin, die eigentlich einem anderen, deutlich langweiligeren Kerl versprochen ist, aber zunehmend in den Bann ihres Bosses gerät.
Wenngleich Strike das eigentliche Zentrum ist, hat es auch die Story durchaus in sich. Denn dieses Mal tummelt sich Rowlings Ermittler in einer Szene, die sie bestens kennt und der sie als einstige Außenseiterin und heutige Über-Autorin trotzdem nicht recht angehört: im Literaturbetrieb. Ein nicht ganz unbekannter Schriftsteller namens Owen Quine ist verschwunden, und seine hilflose Frau wendet sich an Cormoran Strike, damit er ihn aufstöbert und zurückschickt zu ihr und der zurückgebliebenen Tochter.
Wie sich herausstellt, hat Quine vor seinem rätselhaften Verschwinden einen Schlüsselroman beendet, dessen rufschädigende Passagen bereits wutentbrannte Verleger und deren Anwaltskohorten auf den Plan gerufen haben. Das Werk trägt den Titel "Bombyx mori", die lateinische Bezeichnung für den Schmetterling, dessen Raupen Seide produzieren, und liest sich als wüst-barocke Beschimpfung von so ziemlich jedem, mit dem Owen Quine im Laufe seines langen und immer erfolgloseren Schriftstellerlebens zu tun hatte.
Von seiner Agentin über seinen Lektor über berühmte Autorenkollegen und Verleger bis hin zu Ehefrau und Geliebter werden alle auf die eine oder andere Weise bloßgestellt. Damit stellt sich, ähnlich wie in Agatha Christies Allzeithit "Und dann gab's keines mehr", nicht die Frage, wer einen Grund hätte, Quine nach dem Leben zu trachten, sondern eher, wer in seiner Umgebung keinen Groll gegen ihn hegte. Strike findet schließlich Quines Leichnam, ausgeweidet, mit Säure verätzt und grausig drapiert, in einem verlassenen Haus, das ihm und dem Bestsellerautor Michael Fancourt einst von einem gemeinsamen Freund als Schreibort vermacht wurde. Aber Quine und Fancourt sind einander längst in Feindschaft verfallen.
Auf der Suche nach dem Mörder muss Strike erst einmal zum Leser werden, denn Quine hat seinen eigenen Tod im Manuskript detailliert vorweggenommen, und es scheint nur logisch, dass es dort auch Hinweise auf die Identität des Mörders gibt. Mehrere Auszüge aus "Bombyx mori" zeichnen ein blutiges und von Symbolismus überladenes Werk voller grotesker Sexszenen. Hier zollt Rowling dem englischen Drama des siebzehnten Jahrhunderts Tribut; jedem Kapitel sind Zitate aus berühmten Stücken der Epoche vorangestellt.
Überhaupt liegt im Aufeinanderprallen scheinbar konträrer Welten ein großer Reiz von Rowlings mittlerweile zehntem Roman. Welche Bühne eignete sich dazu besser als die Buchbranche, mit ihren Premieren, Verlagscocktails, den steilen Karrieren und gnadenlosen Popularitätsabstürzen von Autoren? Zahlreiche Archetypen haben ihren Auftritt: der egozentrische Verleger, die verbitterte Agentin, der frustrierte und daueralkoholisierte Lektor, der pompöse Bestsellerautor und die trotzig-esoterische Selbstverlegerin. Rowlings Figurenzeichnung ist plakativ, ihr grimmiges Porträt der Branche alles andere als ein Ruhmesblatt für den englischen Literaturbetrieb.
Trotzdem liest sich "The Silkworm" nicht als Abrechnung - weil Rowling die Menschen stets wichtiger sind als die Kulisse, in der sie agieren. Fest steht, dass sie mit Cormoran Strike und seiner Schülerin Robin mehr vorhat, als das Gespann einen intrikaten Mord nach dem anderen lösen zu lassen: Nicht zufällig ist auch diese Serie wieder auf sieben Bände angelegt. In deutscher Übersetzung erscheint "Der Seidenspinner" Ende November.
FELICITAS VON LOVENBERG
Robert Galbraith: "The Silkworm".
Sphere Books, London 2014. 464 S., geb.,
19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2014Ein Arsenal-Fan, der Catull zitiert
Robert Galbraith alias J. K. Rowling hat einen brillanten neuen Serienhelden erfunden: den Privatermittler Cormoran Strike.
Im neuen Roman „The Silkworm“ löst er seinen zweiten Fall – diesmal ausgerechnet im Literaturbetrieb
VON ALEXANDER MENDEN
Der Ruf des Kuckucks“, der erste Roman, den J. K. Rowling vergangenes Jahr unter dem Decknamen Robert Galbraith veröffentlichte, erregte reichlich Aufmerksamkeit – allerdings erst, als das Geheimnis um die wahre Autorschaft gelüftet wurde. Dass es sich um einen sehr soliden, atmosphärisch dichten Krimi handelte, war zwar ein paar Monate zuvor von den wenigen britischen Rezensenten bemerkt worden, die dachten, er sei tatsächlich von einem ehemaligen Militärpolizisten geschrieben. Doch dann kam heraus, dass Harry Potters Mutter hinter der Geschichte über den kriegsversehrten Londoner Privatdetektiv Cormoran Strike steckte. Prompt traten die literarischen Qualitäten des Buchs gegenüber den Spekulationen über Enttarnungsquellen und Rowlings mögliche Motive für die pseudonyme Veröffentlichung erst einmal in den Hintergrund.
Bei „The Silkworm“, dem ersten Strike-Nachfolgeband (die deutsche Übersetzung erscheint im November), steht zwar noch immer „Robert Galbraith“ auf dem Umschlag, aber die Karten liegen auf dem Tisch. Man kann sich ohne Ablenkung der Story widmen. Sie ist in einer Welt angesiedelt, welche Rowling nicht nur bestens kennt, sondern schon lange von der höchst privilegierten Position einer unantastbaren Außenseiterin aus betrachten kann: im Literaturbetrieb. Und obwohl der Fall des verschwundenen Autors Owen Quine allen Genreerfordernissen in Sachen Konstruktion und Spannung spielend gerecht wird, ist es, wie schon im ersten Band, Rowlings Gespür für Milieus, Charaktere und vor allem für die Stadt London, die den Leser mit Vergnügen in die Welt des Cormoran Strike eintauchen lässt.
Es ist mittlerweile Ende 2010, Cormoran Strike ist in eine kleine Wohnung über seinem Büro in der Denmark Street eingezogen. Die Beziehung zu seiner scharfsinnigen Sekretären Robin, die selbst detektivische Ambitionen hegt, wird von ihrem attraktiven, aber kleinkarierten Verlobten eifersüchtig beobachtet. Strike ist sich nicht zu schade, sein Einkommen aufzubessern, indem er einem Reporter der zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschafften News of the World belastendes Material über korrupte Politiker besorgt. Rowlings Abscheu gegenüber der britischen Boulevardpresse bricht sich immer wieder in amüsanter Form Bahn. Nicht nur in der unsympathischen Figur des Journalisten Dominic Culpepper, sondern auch in den zunehmend reißerischen Überschriften, mit denen die Londoner Revolverblätter seinen Fall begleiten („Perverser Autor bei Sexspielchen ausgeweidet“).
Das wahre Corpus Delicti der Geschichte ist „Bombyx Mori“, der wissenschaftliche Name des Seidenspinners, dessen Larve Rowlings Buch den Titel gibt. Dieses Manuskript eines unveröffentlichten Schlüsselromans quillt nicht nur über vor grobschlächtigem Symbolismus und allen erdenklichen sexuellen Devianzen, sondern verunglimpft auch kaum verschlüsselt eine Reihe von Autoren, Freunden und Verlagsbossen. Rowling kann in der Nacherzählung dieses Machwerks ihrer schon oft angedeuteten Vorliebe für makabre Perversionen freien Lauf lassen, und sie tut das inmitten verrottender Penisse und allerlei Sadomaso-Phantasien mit Gusto.
Bei seinen Bemühungen zu beweisen, dass nicht die unbedarfte Witwe des „Bombyx Mori“-Autors Owen Quine die Mörderin ist – Quines grotesk zugerichtete Leiche findet natürlich Strike selbst – trifft der Detektiv auf eine Reihe wenig einnehmender Gestalten: eine desillusionierte, hexenhafte Literaturagentin, die in einem „nach Zigaretten und altem Hund“ stinkenden Büro residiert. Einen alkoholkranken Lektor, der bei einem Lunch seinen Rotwein hinunterstürzt und aufatmet „wie ein Mann, der gerade dringend notwendige medizinische Hilfe erhalten“ hat. Da ist der verklemmte Verlagsboss, der gern nackte junge Männer malt, die ihr eigenes Talent wahnhaft überschätzende Quine-Geliebte, die ihre erotischen Geschichten im Internet veröffentlicht. Und der arrogante Erfolgsautor Michael Farncourt, ein Mann mit „säuerlichem Ausdruck“ und einem „übergroßen Kopf“. Farncourt hat eine Vorliebe für englische Rachetragödien des 17. Jahrhunderts. Jedem „Silkworm“-Kapitel ist ein passendes Zitat aus einschlägigen Stücken Thomas Dekkers, John Websters und anderer zeitgenössischer Dramatiker vorangestellt. Man ahnt, wer für diesen eitlen, allseits gefeierten Literaten als Vorbild diente. Aber „The Silkworm“ funktioniert auch ohne solche Zuordnungen als witziges, wenig schmeichelhaftes Sittengemälde einer Verlagswelt, in der keiner dem anderen den kleinsten Erfolg gönnt und in der Egomanie mindestens so maßgeblich zu sein scheint wie wirkliches Talent.
Kontrastierend zeigt Rowling einen detektivischen Arbeitsalltag, der vor allem aus der öden Beschattung von Ehemännern und -frauen besteht, die von ihren Partnern der Untreue verdächtigt werden: Das ewige Warten in der Kälte auf die Gelegenheit zu ein paar belastenden Schnappschüssen, hastig eingeworfenes Fastfood, nervende Klienten. Meisterhaft baut sie all die Schwierigkeiten ein, die ein Privatdetektiv bei der Aufklärung eines Mordfalles auszustehen hat – kein Durchsuchungs- oder Befragungsrecht, keine rechtlichen Kompetenzen, die tiefe Abneigung der Polizei. All das inmitten eines winterlichen London, das Strike unruhig durchstreift, von der Sozialsiedlung in Fulham zur viktorianischen Häuserreihe in Kensal Rise, von der holzvertäfelten Steifheit des Restaurants Simpson’s am Strand bis zum geldgetränkten Bohemianismus des Groucho Clubs in der Dean Street.
Wie schon im „Ruf des Kuckucks“ ist die Auflösung am Ende fast zu passgenau, wobei das diesmal durchaus zum Mord passt, den Strike selbst arg „literarisch“ findet. Das mindert aber keineswegs das Lektüreerlebnis. J.K. Rowling hat einen neuen Serienhelden, einen trinkfreudigen Arsenal-Fan, der auswendig Catull im lateinischen Original zitiert – beschädigt, brillant, weit interessanter, als Harry Potter es je war. Schon bald soll der Detektiv in seinen nächsten Fall hinken – die Autorin hat erfreulicherweise angekündigt, mindestens so viele Cormoran-Strike-Romane zu verfassen, wie es Potter-Bücher gibt.
Robert Galbraith: The Silkworm. Sphere, London 2014. 456 Seiten, 26 Euro, E-Book 11,59 Euro.
Seit die Harry-Potter-Autorin
enttarnt ist, kann man sich ganz
der spannenden Story widmen
Die Stadt London ist nicht nur Tatort, sondern auch Protagonistin.
Foto: Getty Images
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Robert Galbraith alias J. K. Rowling hat einen brillanten neuen Serienhelden erfunden: den Privatermittler Cormoran Strike.
Im neuen Roman „The Silkworm“ löst er seinen zweiten Fall – diesmal ausgerechnet im Literaturbetrieb
VON ALEXANDER MENDEN
Der Ruf des Kuckucks“, der erste Roman, den J. K. Rowling vergangenes Jahr unter dem Decknamen Robert Galbraith veröffentlichte, erregte reichlich Aufmerksamkeit – allerdings erst, als das Geheimnis um die wahre Autorschaft gelüftet wurde. Dass es sich um einen sehr soliden, atmosphärisch dichten Krimi handelte, war zwar ein paar Monate zuvor von den wenigen britischen Rezensenten bemerkt worden, die dachten, er sei tatsächlich von einem ehemaligen Militärpolizisten geschrieben. Doch dann kam heraus, dass Harry Potters Mutter hinter der Geschichte über den kriegsversehrten Londoner Privatdetektiv Cormoran Strike steckte. Prompt traten die literarischen Qualitäten des Buchs gegenüber den Spekulationen über Enttarnungsquellen und Rowlings mögliche Motive für die pseudonyme Veröffentlichung erst einmal in den Hintergrund.
Bei „The Silkworm“, dem ersten Strike-Nachfolgeband (die deutsche Übersetzung erscheint im November), steht zwar noch immer „Robert Galbraith“ auf dem Umschlag, aber die Karten liegen auf dem Tisch. Man kann sich ohne Ablenkung der Story widmen. Sie ist in einer Welt angesiedelt, welche Rowling nicht nur bestens kennt, sondern schon lange von der höchst privilegierten Position einer unantastbaren Außenseiterin aus betrachten kann: im Literaturbetrieb. Und obwohl der Fall des verschwundenen Autors Owen Quine allen Genreerfordernissen in Sachen Konstruktion und Spannung spielend gerecht wird, ist es, wie schon im ersten Band, Rowlings Gespür für Milieus, Charaktere und vor allem für die Stadt London, die den Leser mit Vergnügen in die Welt des Cormoran Strike eintauchen lässt.
Es ist mittlerweile Ende 2010, Cormoran Strike ist in eine kleine Wohnung über seinem Büro in der Denmark Street eingezogen. Die Beziehung zu seiner scharfsinnigen Sekretären Robin, die selbst detektivische Ambitionen hegt, wird von ihrem attraktiven, aber kleinkarierten Verlobten eifersüchtig beobachtet. Strike ist sich nicht zu schade, sein Einkommen aufzubessern, indem er einem Reporter der zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschafften News of the World belastendes Material über korrupte Politiker besorgt. Rowlings Abscheu gegenüber der britischen Boulevardpresse bricht sich immer wieder in amüsanter Form Bahn. Nicht nur in der unsympathischen Figur des Journalisten Dominic Culpepper, sondern auch in den zunehmend reißerischen Überschriften, mit denen die Londoner Revolverblätter seinen Fall begleiten („Perverser Autor bei Sexspielchen ausgeweidet“).
Das wahre Corpus Delicti der Geschichte ist „Bombyx Mori“, der wissenschaftliche Name des Seidenspinners, dessen Larve Rowlings Buch den Titel gibt. Dieses Manuskript eines unveröffentlichten Schlüsselromans quillt nicht nur über vor grobschlächtigem Symbolismus und allen erdenklichen sexuellen Devianzen, sondern verunglimpft auch kaum verschlüsselt eine Reihe von Autoren, Freunden und Verlagsbossen. Rowling kann in der Nacherzählung dieses Machwerks ihrer schon oft angedeuteten Vorliebe für makabre Perversionen freien Lauf lassen, und sie tut das inmitten verrottender Penisse und allerlei Sadomaso-Phantasien mit Gusto.
Bei seinen Bemühungen zu beweisen, dass nicht die unbedarfte Witwe des „Bombyx Mori“-Autors Owen Quine die Mörderin ist – Quines grotesk zugerichtete Leiche findet natürlich Strike selbst – trifft der Detektiv auf eine Reihe wenig einnehmender Gestalten: eine desillusionierte, hexenhafte Literaturagentin, die in einem „nach Zigaretten und altem Hund“ stinkenden Büro residiert. Einen alkoholkranken Lektor, der bei einem Lunch seinen Rotwein hinunterstürzt und aufatmet „wie ein Mann, der gerade dringend notwendige medizinische Hilfe erhalten“ hat. Da ist der verklemmte Verlagsboss, der gern nackte junge Männer malt, die ihr eigenes Talent wahnhaft überschätzende Quine-Geliebte, die ihre erotischen Geschichten im Internet veröffentlicht. Und der arrogante Erfolgsautor Michael Farncourt, ein Mann mit „säuerlichem Ausdruck“ und einem „übergroßen Kopf“. Farncourt hat eine Vorliebe für englische Rachetragödien des 17. Jahrhunderts. Jedem „Silkworm“-Kapitel ist ein passendes Zitat aus einschlägigen Stücken Thomas Dekkers, John Websters und anderer zeitgenössischer Dramatiker vorangestellt. Man ahnt, wer für diesen eitlen, allseits gefeierten Literaten als Vorbild diente. Aber „The Silkworm“ funktioniert auch ohne solche Zuordnungen als witziges, wenig schmeichelhaftes Sittengemälde einer Verlagswelt, in der keiner dem anderen den kleinsten Erfolg gönnt und in der Egomanie mindestens so maßgeblich zu sein scheint wie wirkliches Talent.
Kontrastierend zeigt Rowling einen detektivischen Arbeitsalltag, der vor allem aus der öden Beschattung von Ehemännern und -frauen besteht, die von ihren Partnern der Untreue verdächtigt werden: Das ewige Warten in der Kälte auf die Gelegenheit zu ein paar belastenden Schnappschüssen, hastig eingeworfenes Fastfood, nervende Klienten. Meisterhaft baut sie all die Schwierigkeiten ein, die ein Privatdetektiv bei der Aufklärung eines Mordfalles auszustehen hat – kein Durchsuchungs- oder Befragungsrecht, keine rechtlichen Kompetenzen, die tiefe Abneigung der Polizei. All das inmitten eines winterlichen London, das Strike unruhig durchstreift, von der Sozialsiedlung in Fulham zur viktorianischen Häuserreihe in Kensal Rise, von der holzvertäfelten Steifheit des Restaurants Simpson’s am Strand bis zum geldgetränkten Bohemianismus des Groucho Clubs in der Dean Street.
Wie schon im „Ruf des Kuckucks“ ist die Auflösung am Ende fast zu passgenau, wobei das diesmal durchaus zum Mord passt, den Strike selbst arg „literarisch“ findet. Das mindert aber keineswegs das Lektüreerlebnis. J.K. Rowling hat einen neuen Serienhelden, einen trinkfreudigen Arsenal-Fan, der auswendig Catull im lateinischen Original zitiert – beschädigt, brillant, weit interessanter, als Harry Potter es je war. Schon bald soll der Detektiv in seinen nächsten Fall hinken – die Autorin hat erfreulicherweise angekündigt, mindestens so viele Cormoran-Strike-Romane zu verfassen, wie es Potter-Bücher gibt.
Robert Galbraith: The Silkworm. Sphere, London 2014. 456 Seiten, 26 Euro, E-Book 11,59 Euro.
Seit die Harry-Potter-Autorin
enttarnt ist, kann man sich ganz
der spannenden Story widmen
Die Stadt London ist nicht nur Tatort, sondern auch Protagonistin.
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