Forced to leave the University of Baghdad when the Americans invade Iraq, a young man returns home to his small desert village, where he witnesses three unspeakable acts of violence committed by American soldiers. Before long, he finds himself part of a terrorist operation which will take him to London.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2008Das Leben in Bagdad
Yasmina Khadra steht zwischen den Kriegsfronten
Ein Tritt, und das Holz ist zerborsten, zersplittert in zahllose Teile. Niemand wird das Instrument je wieder zusammenfügen, darum auch nicht die lange Geschichte bewahren können, die sich mit ihm verbindet. Eine Laute, gebaut vor mehr als einem halben Jahrhundert von einem der bedeutendsten Künstler des Landes, einem begnadeten Musiker, der vor Prinzen und Sultanen spielte, Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen verzückte. Doch dem amerikanischen GI reichte ein Tritt, um das Instrument und mit ihm den Stolz eines ganzen Dorfes zu zerstören.
Es sind die kleinen, im Wortsinn zerbrechlichen Szenen, in denen der algerisch-französische Autor Yasmina Khadra die Brutalität des Krieges im Irak nach dem Einmarsch der Amerikaner im Frühjahr 2003 illustriert. Dem Land, verdeutlicht diese Szene, wurden nicht nur große Wunden gerissen. Auch die wenig spektakulär anmutenden Demütigungen wie die mutwillige Zerstörung einer Laute treffen die Bevölkerung und wecken ihren Zorn gegen die Allmacht der Besatzer.
Nachvollziehbar scheint dieser Zorn aus Sicht der Betroffenen allemal. Durchgehend zeichnet Khadra das amerikanische Heer als Truppe ebenso arroganter wie ignoranter Barbaren. Die Amerikaner, so stellt der Autor es dar, drangsalieren die unschuldige Zivilbevölkerung, haben den Finger unentwegt am Abzug und machen von ihrer Waffe beim kleinsten Anlass Gebrauch. Und wenn sie sich doch einmal entschuldigen, ist es meist zu spät: Ein Leben mehr ist ausgelöscht. Erfahrungen solcher Art hat auch der junge, aller Gewalt eigentlich abgeneigte Student der Literaturwissenschaft gemacht, dessen Weg in den Untergrund Khadra in seinem jüngsten Roman "Die Sirenen von Bagdad" beschreibt.
Sein Schlüsselerlebnis ist aber ein anderes: Bei einer nächtlichen Razzia dringen amerikanische GIs in das Haus seiner Familie, bedrohen deren Mitglieder und stoßen den Vater des Erzählers so hart zu Boden, dass seine Hose verrutscht und den Blick auf den Unterleib freigibt - eine ungeheure, Bürgern der westlichen Welt in ihrem Ausmaß kaum nachvollziehbare Demütigung für den jungen Mann, der dies sofort rächen will.
So sind die Sympathien des Lesers ganz auf der Seite des Ich-Erzählers. Sie könnten auch kaum woanders sein; es sei denn, der Leser zweifelt am Aufbau des Romans als Ganzem. Denn die Sicht der amerikanischen Soldaten wird er das gesamte Buch hindurch nicht zur Kenntnis nehmen. Die Invasoren bleiben fremde, unnahbare Kämpfer, in deren Herz auch Khadra nicht schaut, vielleicht auch nicht zu schauen vermag. Allerdings ist er ein zu umsichtiger Autor, als dass er einem Schema mit rücksichtslos brutalen Amerikanern und hilflosen, geknechteten Irakern folgte.
Denn auch die aufständischen Iraker zeichnet Khadra als durchweg zynische Gestalten, als erbarmungslose Terroristen, die ihrer Sache amerikanisches, noch mehr aber irakisches Leben opfern. Entführungen, Exekutionen, Bombenattentate: Düsterer könnten die Bilder vom Leben in Bagdad kaum sein. Allerdings kommen sie nicht aus erster Hand. Er sei zwar einmal in Bagdad gewesen, berichtet Khadra, aber das war vor dem Krieg. Stattdessen verweist er auf Erfahrungen während seiner Zeit als Leutnant des algerischen Militärs. Was er in dieser Eigenschaft während des Bürgerkrieges zu Beginn der 1990er Jahre in seinem eigenen Land erlebt habe, lasse sich prinzipiell auch auf andere Kriegsgebiete übertragen. Tatsächlich mag sich etwa die kriegsbedingte psychologische Verwahrlosung in Algerien von derjenigen im Irak nicht allzu sehr unterscheiden. In beiden Ländern zeugt die Gewalt ebenso finstere wie erbarmungswürdige Gestalten. Verwaisten Straßenkindern wie jenen, die er in den "Sirenen von Bagdad" beschreibt, sei er vor fünfzehn Jahren bereits in seinem eigenen Land begegnet, berichtet er. Nun lässt er sie durch die Viertel der irakischen Hauptstadt irren: aggressiv, hungrig, skrupellos, stets auf der Suche nach allzu unvorsichtigen Opfern wie dem eine Zeitlang ebenfalls ohne Unterkunft durch Bagdad streifenden Ich-Erzähler, dem sie in einem blitzartigen Überfall die letzten Habseligkeiten rauben. Auch die Religion gibt in der allgemeinen Verwüstung längst nicht mehr jedem Halt. Die Gläubigen etwa, mit denen der Erzähler das Nachtgebet verrichtet, werden ihm wenige Stunden später die letzten Geldscheine stehlen.
Noch mehr aber als die anschaulichen Schilderungen des täglichen Elends beeindrucken die Diskussionen der Terroristen um Sinn und Unsinn ihres Tuns. Wie schon in seinen vorherigen, überwiegend dem algerischen Bürgerkrieg gewidmeten Romanen flicht Khadra auch in die "Sirenen von Bagdad" politische Dialoge ein, die sich wie Kommentare zum gegenwärtigen Stand der west-östlichen Beziehungen lesen. "Der Westen", bemerkt ein arabischer, laizistisch gesinnter Schriftsteller einem Kollegen gegenüber, "ist längst aus dem Rennen. Er kommt nicht mehr nach. Er wird von den Ereignissen überrollt."
Gemeint ist die im Westen verbreitete Unfähigkeit, das schwierige Verhältnis zwischen Orient und Okzident zu deuten. Was bewegt die Menschen des Nahen und Mittleren Ostens, welche Rolle spielt für sie die Politik und welche die Religion? Und wo verläuft die Scheidelinie zwischen den beiden Sphären? Fragen, auf die überzeugende Antworten oft ausbleiben. Ist das Weltbild des Orients von dem des Okzidents darum grundlegend verschieden? Die grundlegenden Mechanismen sind einfacher, als die tatsächlichen oder bloß herbeigeredeten Differenzen es vermuten ließen.
Der Fundamentalismus ist im Irak kein zwangsläufiges Phänomen, so die Botschaft dieses Buches. Er hat konkrete Ursachen, und alles kommt darauf an, sie zu beseitigen. Nichts ist zwangsläufig, auch die Handlung dieses Romans nicht, der aus den Tiefen des Schreckens auf ein noch furchtbareres Ende zusteuert, dann aber eine überraschende Auflösung erfährt. So hält der Roman einen nie erschlaffenden Spannungsbogen. Dass man ihm so bereitwillig folgt, ist nicht zuletzt auch Khadras langjähriger Übersetzerin Regina Keil-Sagawe zu verdanken, die wieder für flüssiges, gut lesbares Deutsch sorgt.
KERSTEN KNIPP.
Yasmina Khadra: "Die Sirenen von Bagdad". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Regina Keil-Sagawe. Verlag Nagel & Kimche, München 2008. 315 S., geb., 19,90 [Euro].
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Yasmina Khadra steht zwischen den Kriegsfronten
Ein Tritt, und das Holz ist zerborsten, zersplittert in zahllose Teile. Niemand wird das Instrument je wieder zusammenfügen, darum auch nicht die lange Geschichte bewahren können, die sich mit ihm verbindet. Eine Laute, gebaut vor mehr als einem halben Jahrhundert von einem der bedeutendsten Künstler des Landes, einem begnadeten Musiker, der vor Prinzen und Sultanen spielte, Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen verzückte. Doch dem amerikanischen GI reichte ein Tritt, um das Instrument und mit ihm den Stolz eines ganzen Dorfes zu zerstören.
Es sind die kleinen, im Wortsinn zerbrechlichen Szenen, in denen der algerisch-französische Autor Yasmina Khadra die Brutalität des Krieges im Irak nach dem Einmarsch der Amerikaner im Frühjahr 2003 illustriert. Dem Land, verdeutlicht diese Szene, wurden nicht nur große Wunden gerissen. Auch die wenig spektakulär anmutenden Demütigungen wie die mutwillige Zerstörung einer Laute treffen die Bevölkerung und wecken ihren Zorn gegen die Allmacht der Besatzer.
Nachvollziehbar scheint dieser Zorn aus Sicht der Betroffenen allemal. Durchgehend zeichnet Khadra das amerikanische Heer als Truppe ebenso arroganter wie ignoranter Barbaren. Die Amerikaner, so stellt der Autor es dar, drangsalieren die unschuldige Zivilbevölkerung, haben den Finger unentwegt am Abzug und machen von ihrer Waffe beim kleinsten Anlass Gebrauch. Und wenn sie sich doch einmal entschuldigen, ist es meist zu spät: Ein Leben mehr ist ausgelöscht. Erfahrungen solcher Art hat auch der junge, aller Gewalt eigentlich abgeneigte Student der Literaturwissenschaft gemacht, dessen Weg in den Untergrund Khadra in seinem jüngsten Roman "Die Sirenen von Bagdad" beschreibt.
Sein Schlüsselerlebnis ist aber ein anderes: Bei einer nächtlichen Razzia dringen amerikanische GIs in das Haus seiner Familie, bedrohen deren Mitglieder und stoßen den Vater des Erzählers so hart zu Boden, dass seine Hose verrutscht und den Blick auf den Unterleib freigibt - eine ungeheure, Bürgern der westlichen Welt in ihrem Ausmaß kaum nachvollziehbare Demütigung für den jungen Mann, der dies sofort rächen will.
So sind die Sympathien des Lesers ganz auf der Seite des Ich-Erzählers. Sie könnten auch kaum woanders sein; es sei denn, der Leser zweifelt am Aufbau des Romans als Ganzem. Denn die Sicht der amerikanischen Soldaten wird er das gesamte Buch hindurch nicht zur Kenntnis nehmen. Die Invasoren bleiben fremde, unnahbare Kämpfer, in deren Herz auch Khadra nicht schaut, vielleicht auch nicht zu schauen vermag. Allerdings ist er ein zu umsichtiger Autor, als dass er einem Schema mit rücksichtslos brutalen Amerikanern und hilflosen, geknechteten Irakern folgte.
Denn auch die aufständischen Iraker zeichnet Khadra als durchweg zynische Gestalten, als erbarmungslose Terroristen, die ihrer Sache amerikanisches, noch mehr aber irakisches Leben opfern. Entführungen, Exekutionen, Bombenattentate: Düsterer könnten die Bilder vom Leben in Bagdad kaum sein. Allerdings kommen sie nicht aus erster Hand. Er sei zwar einmal in Bagdad gewesen, berichtet Khadra, aber das war vor dem Krieg. Stattdessen verweist er auf Erfahrungen während seiner Zeit als Leutnant des algerischen Militärs. Was er in dieser Eigenschaft während des Bürgerkrieges zu Beginn der 1990er Jahre in seinem eigenen Land erlebt habe, lasse sich prinzipiell auch auf andere Kriegsgebiete übertragen. Tatsächlich mag sich etwa die kriegsbedingte psychologische Verwahrlosung in Algerien von derjenigen im Irak nicht allzu sehr unterscheiden. In beiden Ländern zeugt die Gewalt ebenso finstere wie erbarmungswürdige Gestalten. Verwaisten Straßenkindern wie jenen, die er in den "Sirenen von Bagdad" beschreibt, sei er vor fünfzehn Jahren bereits in seinem eigenen Land begegnet, berichtet er. Nun lässt er sie durch die Viertel der irakischen Hauptstadt irren: aggressiv, hungrig, skrupellos, stets auf der Suche nach allzu unvorsichtigen Opfern wie dem eine Zeitlang ebenfalls ohne Unterkunft durch Bagdad streifenden Ich-Erzähler, dem sie in einem blitzartigen Überfall die letzten Habseligkeiten rauben. Auch die Religion gibt in der allgemeinen Verwüstung längst nicht mehr jedem Halt. Die Gläubigen etwa, mit denen der Erzähler das Nachtgebet verrichtet, werden ihm wenige Stunden später die letzten Geldscheine stehlen.
Noch mehr aber als die anschaulichen Schilderungen des täglichen Elends beeindrucken die Diskussionen der Terroristen um Sinn und Unsinn ihres Tuns. Wie schon in seinen vorherigen, überwiegend dem algerischen Bürgerkrieg gewidmeten Romanen flicht Khadra auch in die "Sirenen von Bagdad" politische Dialoge ein, die sich wie Kommentare zum gegenwärtigen Stand der west-östlichen Beziehungen lesen. "Der Westen", bemerkt ein arabischer, laizistisch gesinnter Schriftsteller einem Kollegen gegenüber, "ist längst aus dem Rennen. Er kommt nicht mehr nach. Er wird von den Ereignissen überrollt."
Gemeint ist die im Westen verbreitete Unfähigkeit, das schwierige Verhältnis zwischen Orient und Okzident zu deuten. Was bewegt die Menschen des Nahen und Mittleren Ostens, welche Rolle spielt für sie die Politik und welche die Religion? Und wo verläuft die Scheidelinie zwischen den beiden Sphären? Fragen, auf die überzeugende Antworten oft ausbleiben. Ist das Weltbild des Orients von dem des Okzidents darum grundlegend verschieden? Die grundlegenden Mechanismen sind einfacher, als die tatsächlichen oder bloß herbeigeredeten Differenzen es vermuten ließen.
Der Fundamentalismus ist im Irak kein zwangsläufiges Phänomen, so die Botschaft dieses Buches. Er hat konkrete Ursachen, und alles kommt darauf an, sie zu beseitigen. Nichts ist zwangsläufig, auch die Handlung dieses Romans nicht, der aus den Tiefen des Schreckens auf ein noch furchtbareres Ende zusteuert, dann aber eine überraschende Auflösung erfährt. So hält der Roman einen nie erschlaffenden Spannungsbogen. Dass man ihm so bereitwillig folgt, ist nicht zuletzt auch Khadras langjähriger Übersetzerin Regina Keil-Sagawe zu verdanken, die wieder für flüssiges, gut lesbares Deutsch sorgt.
KERSTEN KNIPP.
Yasmina Khadra: "Die Sirenen von Bagdad". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Regina Keil-Sagawe. Verlag Nagel & Kimche, München 2008. 315 S., geb., 19,90 [Euro].
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