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Produktdetails
  • Verlag: Bloomsbury Trade
  • Erscheinungstermin: März 2010
  • Gewicht: 355g
  • ISBN-13: 9781408804179
  • ISBN-10: 1408804174
  • Artikelnr.: 27247827
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2010

Hier sind die Opfer. Wer hat eine Theorie?

Die Fährten führen in die Kulturgeschichte: Patricia Dunckers kopfgesteuerter Kriminalroman um einen mysteriösen Sektenselbstmord.

Von Rose-Maria Gropp

Dominique Carpentier ist längst eine berühmte Frau, ehe die Handlung dieses Kriminalromans einsetzt. Ihr Beiname in der Öffentlichkeit ist "La chasseuse de sectes", die Sektenjägerin. Als lauere nicht bereits in diesem Cognomen der Richterin der leise Anklang daran, dass sich die Vorzeichen der Jagd unter der Hand umkehren können. Ob in die Position der selbst Gehetzten oder in die Identifikation mit dem Ziel der eigenen Nachforschung, das sei hier dahingestellt. Der englische Originaltitel "The Strange Case of the Composer and his Judge" spielt mit ebendiesen Abgründen.

Es ist der Neujahrstag der Jahrtausendwende, als die Leichen gefunden werden, vor einem Chalet im französischen Jura. Neun Erwachsene sind es, die sorgfältig angeordnet unter weichem Neuschnee liegen, mit den Handflächen himmelwärts, die Augen weit geöffnet, zu ihren Füßen "wie treue Hunde auf steinernen Heldengräbern" eingerollt, eingepackt in warme Decken, Kinder. Wer war der Töter? Wer entziffert diesen Code? Der Kommissar André Schweigen ist vor Ort, noch ehe die Richterin eintrifft. Er erkennt das Muster eines Sektensuizids. Das kann er, weil er fünf Jahre zuvor in der Schweiz mit ihr an einem ähnlichen Fall gearbeitet hat, der ihn, den freudlosen Ehemann und Vater, außerdem in seiner geradlinigen Virilität zum Lover der Richterin gemacht hat. Sie ist die Bestimmerin, in jeder Hinsicht.

Dominique Carpentier - man darf die Dominanz aus dem Vornamen lesen - kommt aus einer vermögenden Winzerfamilie im Languedoc, hat Philosophie, Psychologie und Jura studiert, und sie hat zum Beispiel als junge Frau ein schönes Mädchen zum Tanz auf einem rauschenden Fest aufgefordert, zum Erstaunen der Anwesenden. Sie ist unverheiratet, kinderlos, hat olivfarbene Haut, langes schwarzes Haar, und sie ist kopfgesteuert. Jetzt hat sie ihr Büro als Richterin im Süden des Landes - wohl auch, weil die Autorin selbst lange Zeit in Frankreich gelebt hat und sich dort gut auskennt. Außerdem ist Patricia Duncker, die Literaturwissenschaft in Manchester lehrt, in französischstämmige Theorien genauso verliebt wie ihr Kommissar mit dem sprechenden Namen Schweigen in ihre Protagonistin.

Das hat sie in ihrem ersten Roman "Die Germanistin" (im Original "Hallucinating Foucault") bewiesen und dann auch im Gender-Traktat über den hermaphroditischen "James Miranda Barry". Am besten nimmt man die Richterin so, wie sie kompakt an einer Stelle beschrieben ist: "Am nächsten Tag um halb zwölf war sie wieder im Büro: in einem Etuikleid aus cremefarbener Seide, zu dem sie einen breitkrempigen schwarzen Strohhut und ihre dunkle Brille mit geschliffenen Gläsern trug. Die Wirkung war angriffslustig, glamourös, exzentrisch."

Zweifelsohne ist sie das reizvolle Zentrum des Buchs, eine Melange aus Extravaganz und Zimtzicke, Intelligenzbestie und Frauchen. Sie will ganz aus ihrer Rationalität bestehen, die sie allerdings mitunter verlässt für ein nervöses Derangement; ihre kleine Sehschwäche ist Metapher für die Unschärfe ihres Verstands, wenn sie in eine von ihr nicht kalkulierte Nähe verwickelt wird. Manchmal erscheint die freigeistige Dominique mit ihrer Nase für Sekten wie eine südliche Schwester jenes "Fräulein Smilla" mit seinem Gespür für Schnee, dem vor ein paar Jahren Peter Høeg eisiges Leben einhauchte (und auch das Drehbuch zu Dunckers Roman ahnt man schon in der Schublade).

Carpentier wirkt wie ein Abzieh- und Sehnsuchtsbild, übrigens eher für Frauen als für Männer, sie hat etwas von der rasanten Heldin eines intellektuell ambitionierten Comics. Ihre Recherchen nach dem Sektenmord führen sie weit herum in Europa, auch nach Lübeck of all places. Der Heimatstadt, nun ja, Thomas Manns entstammt denn auch ihr Antagonist, der entscheidende Andere im Buch, jener Komponist und Dirigent eben. In diesem Friedrich Grosz (sic!) vermischt sich der gliederlösende Überwältigungsmusiker (Richard Wagner) mit dem bedeutungsschwer Raunenden (Mijnheer Peeperkorn im "Zauberberg") und dem vitalen Verführer in den allerbesten Jahren und im etwas lächerlichen Mercedes. Kryptischer Tiefgang inklusive; denn irgendwo muss das Mysterium der Sekte ja seine Inkarnation finden, die da heißt "Der Glaube" und die so dramatisch zusammenstößt mit Dominique Carpentiers Vernunftreligion.

"Der Komponist und seine Richterin" ist ein über weite Strecken reizvolles Pasticcio. Seine Figuren erinnern manchmal an die von Dunckers französischer Kollegin Fred Vargas. Vargas hat für ihre Kriminalromane den Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg erschaffen, der - wie André Schweigen - schon in seinem Namen an einer doppelt prekären Identität trägt, zwischen den Sprachen und in gebrochener Männlichkeit. Außerdem kommen die Liebhaber solcher Trivialphantasmen auf ihre Kosten, wie sie derzeit zuvörderst ein Dan Brown fabrizieren kann, zuletzt mit seiner Freimaurer-Saga "Das verlorene Symbol". Dunckers Buch lässt sich so auch als Lehrstück auf die gelegentlich nur heuristische Trennung zwischen E und U lesen. Es ist freilich nicht leicht zu entscheiden, ob die steifen Dialoge, die ritualisierten Suchschemata, die standardisierten Geschlechterformeln immer bloß Tribut an das Genre sind.

Patricia Duncker hat eine Benutzeroberfläche geschrieben, gleichsam mit Menüführung für diejenigen, die ihr geneigt folgen. Es ist eher ein Gedankenspiel als eine lebensvolle Geschichte. Dabei über 350 Seiten immerhin so spannend, dass es ein bisschen niederträchtig wäre, die Handlungsfäden hier zu bündeln und damit die Lust am Text zu ruinieren. Nur so viel: Es gibt zwei Ausgänge. Wer am Ende sagen kann, dass er eine plausible Lösung des Falls erkennt, darf stolz auf sich sein. Wer das Buch verlässt und darüber rätselt, hat seinen Hintersinn kapiert.

Patricia Duncker: "Der Komponist und seine Richterin". Roman. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Berlin Verlag, Berlin 2010. 350 S., geb., 24,- [Euro].

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